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Die tödliche Rache des Horst Horstmann, ein Pionierleiter mit vielen Ideen sowie Provinzgeschichten - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderp

(lifePR) (Pinnow, )
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Wende kann man sich fragen, wieviel sich geändert hat zwischen den ehemaligen Bürgern der DDR und der Bundesrepublik? Mit welchen Gefühlen blicken sie heute aufeinander? Ist tatsächlich zusammengewachsen, was zusammengehört, wie es einst Willy Brandt so enthusiastisch prophezeite. Wie es zumindest Anfang, Mitte der 1990er Jahre aussah, das lässt sich im fünften und letzten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters nachlesen, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 10.11. 23 – Freitag, 17.11. 23) zu haben sind. Erstmals 1995 hatte Jan Flieger im Heft 188 der DIE-Reihe im Verlag Das Neue Berlin seine bittere Abrechnung „Satans tötende Faust“ veröffentlicht: Die vielen kleinen und großen Betrügereien, die nach der Wende im Osten geschehen, die lassen die Wut in Horst Horstmann hochkochen. Aber Horstmann ist nicht einfach nur ein Bürger, sondern Horstmann war auch ein NVA-Elitesoldat, ein Fallschirmjäger, der gelernt hat, lautlos zu töten. Seine Wut steigt und steigt und dann fasst Horstmann einen tödlichen Plan der Rache. Aus Horstmann wird „Satans tödliche Faust“ …

Könnte man sich auch heute noch einen solchen Ein-Mann-Rachefeldzug vorstellen?

In „Pfeif auf ‘ne Perücke“ von Hildegard und Siegfried Schumacher bringt ein neuer Pionierleiter viele Ideen mit, aber vielleicht auch gerade deswegen manches durcheinander. Sein Ziel ist es, ein richtiges tolles Pionierleben auf die Beine zu stellen.

Geschichten aus der Provinz erzählt Maria Seidemann in „Nasenflöte“. Es geht um Verantwortung und Versagen, um Hoffnung und Frustration und um die Aufforderung zur eigenen Positionsbestimmung.

Zurück in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts „Das Ende der Basmatschen“ von Heinz Kruschel. Damals versuchten die Basmatschen im sowjetischen Zentralasien, unterstützt von den Engländern, mit Terror und Mord einen muselmanischen Staat aufzubauen. Kruschel erzählt aber auch von Sawrija und Ulug, die nicht nur um ihre Liebe kämpfen, sondern auch um das Leben des Dichters, das sie aber nicht mehr retten konnten.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wie haben Kinder Faschismus und Krieg und vor allem die gedankliche Vorbereitung auf die Herabsetzung anderer Menschen und das Gutheißen des Tötens erlebt? Gab es dieser schlimmen Ideologie nichts entgegenzusetzen? Oder doch?

Erstmal 1991 veröffentlichte Günter Saalmann im Kinderbuchverlag den Roman „Mops Eisenfaust oder: Der Blindgänger/Justus im Krieg“: Eine Kindheit in einem Luftschutzkeller Kölns, Ausbombung, Übersiedlung mit der Mutter nach Sachsen, wo der Großvater auf einem Rittergut als Buchhalter Dienst tut. Der Junge erlebt den Umgang mit russischen Kriegsgefangenen, den Durchzug eines KZ-Todesmarsches. Er, der den Namen Justus, der Gerechte, trägt, erkennt sehr spät und nur ahnungsweise, dass er in einem verbrecherischen System denken gelernt hat. Er erlebt den Einmarsch der Roten Armee, die Repressalien seiner Mitschüler. Und er beschafft sich eine Pistole ...

Lesen Sie ein bisschen über den kleinen Mopswange:

Auf einmal ist er Mopswange und wieder ganz klein.
Heitler schimpft.
Unter dem Schrank mit den hohen Beinen sitzt Mopswange auf dem Topf, kippelt ein bisschen und lauscht auf Heitlers Stimme. Ein Tönchen quietscht aus seinem Hinterteil, Mutti sagt: "Untersteh dich, so ein großer Junge!"
"Sirene", antwortet er listig und lässt ein kleines Gelächter los. Muttis Hand mit dem Staubtuch wischt eilig um die Schrankbeine, fährt in alle Rillen. Ihr Gesicht sieht aus, wie wenn sie sagt: Mit mir ist heute nicht gut Kirschen essen. Sie bleibt stumm. Er mag ihr Kirschenessengesicht nicht. Also probiert er die Sirene noch einmal. Diesmal mit dem Mund. Aber doch so, dass sie denken muss, nicht mit dem Mund.
"U-i-i-i..." Er strengt sich mächtig an.
Merkt sie den Spaß nicht? Wenn er wirklich müsste, würde er schnell zum Klo laufen, sie hat extra für ihn die Ziehkette mit Bindfaden lang gemacht. Und er hat ja auch seine Strickhosen über dem Po. Er sitzt bloß so zum Spaß auf seinem alten Topf, kippelt ein bisschen, hört zu, wie Heitler schimpft. "U-i-i-i..." Oh, er kann laut quietschen, es juckt im Ohr. Er muss sie doch zum Lachen bringen. Dann legt sie bestimmt das Staubtuch weg, nimmt seine Wangen zwischen ihre Hände, dass sein Mund ganz spitz wird, sagt: Mopswange, mein tüchtiger Junge.
Und er wiederholt: Mopfange.
"U-i-i-i..." Er quietscht so toll es geht. Nichts. Sie ist hinaus gelaufen, er hört sie in der Küche hantieren. Vielleicht hebt sie sich das Lachen für nachher auf, wenn Tante Meier da ist. Die soll heute mit dem Eimer heraufkommen. Sie ist Muttis Kraft beim Saubermachen. Sie werden alle drei lachen, Mopswange am lautesten. Über den tüchtigen Jungen Mopswange, der so fein die Sirene machen kann.
Tüchtig, das ist er. Wenn der Weihnachtsmann kommt, hat er Geburtstag. Er weiß schon alles: Sirene. Die richtige, große Sirene steht auf dem Dach und kann heulen.
Heitler. Er sitzt im Radio. Im Radio im Schrank, unter dem Mopswange sitzt. Heitler wohnt über Mopswange. Heitler kann schimpfen und dann auch wieder schöne Musik machen.
Ja, Mopswange weiß Bescheid. Er spricht hochdeutsch, nicht kölsch wie Tante Meier, nicht wie Onkel Meier. Mutti sagt immer: Wir sprechen hochdeutsch, wir sind nicht Meier, Müller, Schulze. Mopswange kann auch rechnen: Eins und eins sind zwei, zwei und zwei sind drei, drei und drei sind vier. Und so bis zehn. Danach kommt bloß noch die Zahl Mijonmijarde.
Mijonmijarde Schweine.

Erstmals 1995 hatte Jan Flieger im Heft 188 der DIE-Reihe im Verlag Das Neue Berlin seine bittere Abrechnung „Satans tötende Faust“ veröffentlicht. Lesen Sie selbst:

„Jetzt ist es aus mit den Miezen!“, höhnte Horstmann.

„Was für Miezen?“, zischte Streibele durch die Zähne.

„Du weißt es genau“, erwiderte Horstmann gelassen. Eine kalte Ruhe erfüllte ihn.

„Sie sind wahnsinnig“, schnaubte Streibele. Er wich ein paar Schritte in die Mitte des Zimmers zurück.

„Das kann sein“, knurrte Horstmann und hielt die Mündung der Waffe auf Streibeles Stirn. „Du weißt doch, Wahnsinnige sind unberechenbar.“

Streibeles Augen wurden noch schmaler. „Verdufte“, riet er. „Das ist deine einzige Chance. Verkriech dich wie eine Maus! Du hast nichts in der Hand gegen mich! Hau ab und gib auf, sonst wirst du gejagt, egal wo du bist. Und du wirst nicht einmal wissen, wer hinter dir her ist!“ Streibele lachte höhnisch auf.

Und genau da geschah es: Streibele sprang Horstmann an und umklammerte seinen Hals, sodass die Waffe polternd auf den Boden fiel. Keuchend wälzten sie sich auf dem Teppich, bis es Horstmann gelang, sich aus der Umklammerung Streibeles zu lösen und nach seiner Waffe zu greifen.

Streibele sprang blitzschnell auf, stürzte zum Schreibtisch, riss eine Schublade auf und wirbelte herum.

Doch Horstmann war schneller. Er hatte bereits sorgfältig gezielt und schoss. Ungläubig sah Streibele auf die Waffe, die er in seiner Hand hielt, dann ließ er sie fallen und presste die Hände auf die Brust, während er langsam in den Knien einknickte. Dann stürzte er nach vorn.

In der eintretenden Stille vernahm Horstmann plötzlich das Klingeln des Telefons. Er erschrak, denn er wusste nicht, wie lange es schon läutete. Der Ton drang in sein Hirn und breitete sich dort aus, ohne dass er fähig war nachzudenken.

Ich muss hier schnellstens weg! Sein Verstand setzte wieder ein und er hastete die Treppe hinunter.

Vor dem Haus trat er in eine Pfütze. Ein Auto jagte an ihm vorbei, Dreckspritzer trafen ihn ins Gesicht.

Wind und Regen hatten noch zugenommen, als er, sich vorsichtig umschauend, zu seinem Auto eilte.

Erleichtert ließ er sich auf den Sitz fallen und schob den Schlüssel in das Zündschloss. In diesem Augenblick erfassten ihn von hinten die Scheinwerfer eines anderen Wagens.

Er startete, gab Gas und fuhr ohne Licht die Straße hinauf.

Doch die Lichter des anderen Wagens waren dicht hinter ihm. Sie folgten ihm also! Sie saßen ihm im Nacken.

Er raste wie ein Wilder durch das nächtliche Hamburg, ohne eigentlich zu wissen, wo er gerade war. Er raste bei Rot über Kreuzungen, fuhr über Bürgersteige, ohne das Tempo des Wagens zu verringern, in der Hoffnung, seine Verfolger abzuschütteln.

Doch die Lichter im Rückspiegel blieben hinter ihm.

Er erkannte die Lombardsbrücke, sah flüchtig das Schild der U-Bahn-Station Steinstraße und bog nun mit quietschenden Reifen nach rechts ab.

Ampeln blitzten auf, mal rot, mal grün, mal gelb. Die Welt flog an ihm vorbei.

Dann war er in der Altstadt, nahm den U-Bahnhof St. Pauli wahr. Nun wollte er dorthin, wo es nicht so viele Lichter gab, wo es dunkler war. Dort wollte er sich den Verfolgern stellen, dort sah er eine Chance für sich. Es würde sich beweisen, ob er seinen einstigen Ruf, bester Schütze der Fallschirmjäger zu sein, rechtfertigen konnte.

Pfeif auf ‘ne Perücke“ von Hildegard und Siegfried Schumacher erschien erstmals 1978 im Kinderbuchverlag, Berlin. Schauen Sie doch mal rein:

Das sind die Rosen, die Ulli gesucht hat. Der Lange packt sie am Arm. „Bist du verrückt, hier wohnt Frau Prill!“

Ulli steht schon auf der Zauneinfassung, Rancherzäune sind am praktischsten.

„Und ich hatte ’ne Vier im Diktat, gibt doppeltes Theater!“

„Ph!“, sagt Ulli verächtlich. „Kannst ja abhauen!“

Das eben kann der Lange nicht. Eher wirft er sich in den Löwenkäfig,als dass er Ulli im Stich lässt. Zähneknirschend steigt er mit über den Zaun und öffnet sein Taschenmesser. Hoffentlich sitzt die Prillsche nach vorne raus!

„Die hat viel zu viel Rosen“, sagt Ulli und sucht bedachtsam die schönsten Knospen aus. Als Knospen und langstielig sind Rosen am feinsten. Der Lange schneidet. Ulli ist nicht bescheiden. „Ist allermeist genug!“, drängt er und verwünscht seine Länge. Wie ein Fernsehmast ragt er über die Rosenstöcke empor. Ulli guckt höchstens um einen halben Kopf darüber hinweg.

„Wie das duftet!“

„Du willst doch nicht etwa alle abriechen!“

Da ist es passiert. Es bellt. Der lange Rilke duckt sich sofort. Auch Ulli macht sich kleiner, bleibt aber auf Späherposten. Frau Prills schwarzer Pudel rast auf die Rosen zu. Im Haus rührt sich noch nichts. „Weg!“, zischt Ulli den Pudel an. Der ist ein gehorsames Tier. Erst als sie über den Zaun sind, traut sich der Schwarze heran, springt an den hölzernen Latten hoch und kläfft und jachtert sich ab.

„Hau ab, du Misttöle!“ Der Lange reißt Ulli samt Rosen mit in das Erlengebüsch hinein. Die Äste peitschen ihnen um die Ohren, wild rauschen die Blätter. Als sie durch sind, schmeißen sich beide lang auf die Wiese. Das Herz klopft ihnen bis zum Hals. Sie lauschen und bohren ihre Blicke in die dichte grüne Deckung, die ihnen das Geschehen auf der anderen Seite verbirgt.

„Baffi, was hast du, Baffi“, hören sie Frau Prills Stimme, und sie kommt näher. Ulli presst die Hand des Langen, dass er all ihre Fingernägel spürt. „Was ist denn, mein Kleiner, na, was hast du, mein wachsames Hündchen?“ Jetzt muss Frau Prill am Zaun stehen. „Hier ist doch gar nichts, Baffi.“ Schon wollen die beiden aufatmen, da ertönt ein durch Mark und Bein dringender Schrei. „Meine schönen Rosen!“ Wieder blafft der Köter wie verrückt. Ob die Prillsche über den Zaun klettert?

„Nicht rühren“, haucht der Lange. Wenn überhaupt Rettung, dann nur durch Totstellen. Es rappelt am Zaun. Schrecklich, dass Rancherzäune so praktisch sind! Der Lange verwandelt sich in ein einziges hochempfindliches Lauscherohr. Rappeln, Scharren. Aber Frau Prill schafft es nicht. „Na warte, wir holen Herrchen!“ Schritte, die sich eilig entfernen, Blaffen, das leiser wird.

„Abhauen!“, stößt der Lange hervor.

„Zu Königs in den Schuppen“, keucht Ulli.

Sie rennen am Erlendickicht entlang, fliegen über den kleinen Pfad, den Vater König ausgehauen hat, um auf kürzestem Weg zu seiner Angelstelle am See zu kommen, reißen die Gartenpforte auf, werfen sie hinter sich zu und hechten in den Bretterschuppen, wo sie sich in der hintersten Ecke dicht beieinander hinhocken.

Keine Sekunde zu früh, denn gerade eilt Herr Prill um die letzte Biegung des schmalen Wegs zwischen Gärten und Erlengebüsch und gewinnt Überblick bis weit hinter Königs Grundstück. Ulli und der lange Rilke hören ihn durch die hölzerne Wand schrecklich nah den kläffenden Baffi anstacheln: „Such, mein Hund, such!“

Nasenflöte. Geschichten aus der Provinz“ von Maria Seidemann erschien erstmals 1983 im Eulenspiegel Verlag Berlin. Die Provinz ist erfunden, die Figuren mit ihren merkwürdigen Geschichten von damals und heute sind es auch. Und doch reicht vieles, was in diesem Erzählband Maria Seidemanns zu lesen ist, in Bereiche, die den Leser zur Positionsbestimmung zwingen, zur Auseinandersetzung mit sich und der Gesellschaft. Zwischen Verantwortung und Versagen, zwischen Hoffnung und Frustration ist das Spannungsfeld abgesteckt, auf dem sich Schicksale vollziehen. Fantasievoll, poetisch und mit hintergründiger Ironie erzählt die Autorin von Menschen, deren Verdienst in Vergessenheit geriet, von Leuten, deren Träume sich nicht erfüllten oder die ihre Ziele selbst verraten haben, aber auch von den Jungen, deren Ideal mit der Wirklichkeit zusammenprallt. Diese Geschichten sind geprägt von Kraft und Sensibilität zugleich, und sie sind Zeugnisse von Maria Seidemanns Bemühen um Ausdrucksfähigkeit und Klarheit der Sprache.

Überzeugen Sie sich selbst:

Eine Frau reißt die Haustür auf und fragt mit scharfer Stimme, was die Fremden da suchen. Paul starrt sie an. Halina. Sie ist überhaupt nicht verändert. Sie erkennt ihn aber nicht.

Petko ist da und sagt ein paar Worte, wo Paul herkommt, doch worum es sich eigentlich handelt, das ahnt Petko nicht. Paul hat Zeit, sich zu fassen. Natürlich ist das nicht Halina, sondern eine Tochter von Halina, der Mutter gleich in Gestalt und Gesicht.

„Ich habe dieses Haus gebaut“, sagt Paul, „zusammen mit deiner Mutter.“

Die Frau ruft ins Haus: „Mama, dein Deutscher ist gekommen.“

Im Zimmer sieht Paul eine Greisin zu Bett liegen, ein Schlaganfall hatte ihr das Gesicht schief gezogen, sie blickt ihn an ohne ein Zeichen. Paul ist bestürzt. Warum sind alle so alt geworden. Die Frau im Bett erinnert ihn an seine Alte zu Hause mit ihren Zottelhaaren. Und wie ihr der Hals aus dem Nachthemd quillt.

Die junge Frau bringt Tee, sie sagt, dass sie Marja heißt und dass ihr Mann gleich von der Arbeit kommt.

Paul fragt nach Marjas Vater. Er ist neugierig auf Halinas Mann. Ganz nebenher sagt Marja, sie hätte nie einen Vater gehabt, sie sagt ihm auch ihr Geburtsdatum. Petko, der stumm dabeisitzt, sieht, dass Paul blass und rot wird, er reimt sich einiges zusammen.

Paul wurde mit ein paar anderen lazarettentlassenen Gefangenen dem Dorf Sladkoje zugeteilt zu Aufbauarbeiten. Paul setzte mit Halina das ausgebrannte Haus instand. Halina war allein aus der Evakuierung zurückgekehrt, die Verwandten blieben in Sibirien. Noch immer hoffte sie, dass der Vater oder der Bruder heimkäme, der Weg von Berlin bis nach Sladkoje ist weit. Einen Bräutigam hatte Halina nicht, denn als sie heranwuchs, gab es in den Dörfern schon keine Männer mehr. Paul mauerte den Schornstein hoch und setzte die Dachbalken. Das Haus ist geblieben, wie es damals war. Es ist Pauls Zuhause gewesen.

„Halina, erinnerst du dich, wie wir deine sechs Kirschbäume gesetzt haben?“

Die alte Frau murmelte etwas.

Paul denkt auch daran, wie sie den neuen Wald angepflanzt haben, alle Männer und Frauen des Dorfes und die vier Deutschen. Am selben Abend erfuhren sie von der bevorstehenden Entlassung, der Heimreise. Halina hat geweint in der letzten Nacht. Sie wollte nichts mehr wissen von ihrem feindseligen Schweigen in den ersten Monaten, und Paul grübelte verzweifelt, wo er sich verstecken könnte.

Was sollte Paul in Deutschland? Er versprach Halina zurückzukommen. Es gab einen neuen deutschen Staat, mit dem die Sowjetunion schon diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte, und der Krieg war seit fünf Jahren vorbei. Paul hoffte auf die neuen Zeiten. Aber er durfte nicht zurück. Sein Antrag wurde nicht bearbeitet. Man riet ihm dringend, die Angelegenheit zu vergessen und ein guter DDR-Bürger zu werden. Paul versuchte zu vergessen. Er baute sich eine Existenz zurecht mit Haus und Frau und Sohn und Brigade. Nun ist er wieder hier und hat eine Tochter, die ihn mit harten Augen anschaut. Sie haben es schwer gehabt ohne Mann und Vater.

Das Ende der Basmatschen“ von Heinz Kruschel erschien erstmals 1972 im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin. Hier eine kurze Leseprobe:

Akramow ging so schnell, dass Ulug Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Akramow war groß und stiernackig, er wirkte nicht wie ein Dramatiker, jedenfalls hatte sich Ulug einen Dramatiker anders vorgestellt, nicht so schwergewichtig, stark wie ein Lastträger.

Sie überquerten den Registan-Platz. Ulug war überrascht von der Schönheit der drei Medressen, die den Platz säumten.

»Hier verkündeten die Herolde der Timuriden ihre Schlachten und Siege«, sagte Akramow mit dröhnendem Bass, »hier beteten zehntausend Moslems, hier sprach auch Kalinin vor fünf Jahren, ich habe ihn gesehen und gehört ...« Er führte Ulug in den Innenhof der Medresse Schir-Dor, bat den Jungen um einen Augenblick Geduld und ging noch einmal zu dem löwenbemalten Portal zurück. Kein Mann war ihnen gefolgt, nur eine alte Blumenfrau, tief verschleiert und krumm, stand vor der Medresse, eine stumme Larve. Akramow sah sie aufmerksam an, dann ging er schnell zurück, durchquerte mit Ulug den verwilderten Garten, schlug einen großen Bogen hinter dem Gebäude und führte ihn hinter die Tillja-Kari-Medresse. Sie stiegen die Stufen einer Treppe empor. Im Kreuzgang saß ein junger Mann mit angezogenen Knien am Boden und lächelte breit, als er Akramow erblickte. Die Schneidezähne des Mannes standen schief, er trug eine mit silbernen Ornamenten bestickte Tjubetejka, sonst aber Hemd und Hose wie ein Europäer. »Die Blumenfrau, glaube ich«, sagte Akramow zu ihm, »sie wirkt wie ein Mann.«

»Das werden wir bald haben.« Der Mann erhob sich und schüttelte Ulugs Hand. Er war groß und hager. »Ich bin Murat. Geht schon zu ihm hinein.«

Hamsa saß in einer Zelle und schrieb, die Besucher traten ein und blieben eine Weile an der Tür stehen. Ulug sah sich den Mann genau an, dessen Gedichte er auswendig kannte. Mit Sawrija zusammen hatte er sie aufgesagt. Seine Stücke hatten sie im Unterricht behandelt.

»Ich grüße euch. Setzt euch doch. Dich kenne ich auch, du bist der Bruder Scharafats, sie wird bald in Samarkand Theater spielen.« Hamsa sprach schnell und schien nervös zu sein. Akramow hatte Ulug erzählt, dass Hamsa nur wenig schlafe.

»Scharafat? Hier?«

Hamsa nickte. Dann wandte er sich an Akramow: »Was macht dein Stück?«

Ulug erhob sich. Hamsa möge verzeihen, aber er hätte ihm noch etwas Wichtiges zu sagen.

»Sprich, Junge.«

Ulug erzählte von Sawrija, von seiner Flucht und von der Begegnung mit dem Mädchen auf dem Markt von Buchara. Das Zusammentreffen mit Georgi verschwieg er. Und auch das Gespräch mit Anatol in Samarkand erwähnte er nicht. Anatol hatte dafür gesorgt, dass Akramow ihn aufnahm. Und der Dramatiker kannte seine Schwester Scharafat.

»Ich danke dir«, sagte Hamsa, »du vergisst, dass wir gemeinsame Bekannte haben. Anatol hat mich informiert.« Ulug wurde rot, das hätte er sich denken müssen. »Nein, du brauchst nicht verlegen zu sein, im Gegenteil, es ist gut, wenn du schweigen kannst. Aber sie wollten mich schon vor der Revolution umbringen, und es ist ihnen nicht gelungen. Manchmal streite ich mich mit Anatol. Er kann mich nicht wie einen Hasen versteckt halten, das weiß er auch. Nun, er hat seine Aufgabe, ich habe meine. Ich muss auf den Basar und in die Fabriken gehen können ...«

»Trotzdem solltest du dich in acht nehmen«, warnte Akramow, »gewiss, man wird bald auch die letzte Bande ausgeräuchert haben, aber zurzeit sind die Basmatschen noch immer gefährlich. Wie Tiere, die auf den Tod verwundet worden sind.«

»Nein«, antwortete Hamsa, »wenn ich ständig daran dächte, könnte ich nicht mehr arbeiten. Lasst uns von deinem Stück reden.«

»Es ist fertig. Ich habe es nach unserem letzten Gespräch überarbeitet. Aber ich glaube nicht, dass es aufgeführt werden kann.«

»Warum denn nicht?« '

»Die Hauptrollen müssen von Frauen besetzt werden, die Lola und ihre Mutter, aber bei uns wagt es noch immer keine Frau, Schauspielerin zu werden und eine Bühne zu betreten.«

»Das sollte kein Hinderungsgrund sein«, meinte Hamsa, »wir könnten es uns einfach machen und das Stück nach Taschkent geben. Vielleicht könnte auch Scharafat die Rolle der Lola hier übernehmen, aber es dauert zu lange, Scharafat kann erst in der nächsten Spielzeit kommen, nein, ich sehe da andere Möglichkeiten ...« Er lächelte spitzbübisch.

»Welche denn?«

»Wie alt ist dein Bruder?«

»Neunzehn.«

»Hat er schon einen Bart?«

»Nein, das ist sein großer Kummer.«

»Na bitte, dein Bruder müsste die Rolle der Lola übernehmen und du selber, Akramow, die Rolle der Mutter!«

Akramow prustete los, seine Augenlider flatterten. »Ich? Ich in Weiberkleidern? Ein Witz ist das, Hamsa!«

»Nein«, sagte Hamsa, »es ist mein Ernst. Das Stück ist wichtig«, er wandte sich an Ulug, »weißt du, es geht um ein junges Mädchen, das verkuppelt werden soll und das nun aber den Kampf aufnimmt, denn es will den Jungen heiraten, den es liebt. Das ist so wichtig für uns! Soll es nicht aufgeführt werden, nur weil du es unter deiner Würde findest, in Frauenkleidern auf der Bühne zu stehen? Du bist als Lolas Mutter sogar verschleiert! Und was ist das für eine Auffassung, Akramow? Du trittst für eine Gleichberechtigung ein, nicht wahr? Aber wohl nur in deinen Stücken? Urtok Akramow, du bist ein Genosse ...!«

»Ich bin kein Schauspieler!«

»Du hast schon oft auf der Bühne gestanden. Und dein Bruder ist seit Jahren Mitglied der Truppe.«

»Ich brumme, bin ein Bass.«

»Dann wirst du in deinem Stück nicht brummen.«

Akramow schüttelte den Kopf.

Hamsa sagte ernst: »Die Schauspielerinnen sind Heldinnen. In Mittelasien sind viele getötet worden, manche sogar von den eigenen Verwandten. In Taschkent ist Asimowa an den Folgen einer Verwundung gestorben. Diese Frauen wagen ihr Leben.«

Ulug sah Akramow an. Der schien alles einzusehen. Er nickte. Aber er sagte nichts, und Hamsa wartete auch keine Antwort ab, sondern redete über einen Regisseur, den er empfehlen würde. Da erst sagte Akramow: »Ich hatte an dich gedacht.«

»Gern, aber ich gehe auf einige Monate in die Berge. Und dein Stück müssen die Menschen früher sehen.«

Ulug dachte: Es stimmt also, dass er in die Berge will, um ein Buch über die Basmatschen zu schreiben, er lässt sich nicht davon abbringen. Hoffentlich schicken sie mich nicht nach Taschkent zurück, ohne Sawrija gehe ich nicht ...

Der lange Murat kam in die Zelle und sagte zu Hamsa: »Ein Blumenweib haben sie dir nachgeschickt, aber unter der Parandscha kam ein Männerbart zum Vorschein. Der Kerl wird gerade abgeführt, zum Gaudium der Schulkinder, ein Bart in Frauenkleidern ...«

»Ist ja gut«, meinte Hamsa unwirsch.

»Nein«, sagte Akramow, »das habe ich mir vorzuwerfen. Sie wissen auf alle Fälle, dass sie dich am Registan suchen müssen, ich habe gedacht, klug zu sein, aber nun ...«

Hamsa unterbrach ihn: »Ich habe schon einmal gesagt, ich will nicht, dass man mich abschirmt und beschützt, ich will leben wie jeder andere Usbeke, auf den Basar gehen, in einer Tschaichana sitzen, durch die Straßen schlendern, und ihr werdet mich nicht daran hindern können!«

»Natürlich nicht«, sagte Murat, »aber wir tun, was wir können.«

Er verwünschte diese Aufgabe, einen Mann zu bewachen, der sich nicht bewachen lassen wollte. Aber er verstand auch Hamsa. Blass ist er, dachte Murat, er hat Schatten und Ringe unter den Augen, die rot gerändert sind, er sollte wegfahren und ausspannen. Übertreiben wir nicht? Mit den Basmatschen werden wir fertig, sie wagen schon keine großen Angriffe und offenen Kämpfe mehr. Und dass sie eines ungeschriebenen Buches wegen Hamsa umbringen wollen, das glaube ich nicht. Was ist schon ein Buch. Die Leute lernen ja erst lesen und schreiben. Sollen sich die Basmatschen vor einem Buch fürchten?

Auch zum Schluss der heutigen Post aus Pinnow wollen wir noch einmal die Frage vom Anfang aufgreifen, wie es denn heute um das Verhältnis und das gegenseitige Akzeptieren und Verstehen zwischen den ehemaligen Ostdeutschen und den ehemaligen Westdeutschen bestellt ist? Oder erledigen sich diese Unterschiede ohnehin bald biologisch, wenn es gar keine geborene DDR-Bürger mehr gibt? Immerhin aber spielen die Themen DDR und ostdeutsch auch literarisch aktuell noch eine große Rolle, wie erst jüngst die Nominierungen zum deutschen Buchpreis zeigten. Spannend war beim Blick oder Rückblick auf die DDR vor allem die Perspektive der Autoren, selbst wenn sie noch kurz vor dem Untergang der DDR dort geboren waren. Oder ist es doch wieder eine eher westdeutsche Sicht auf Ostdeutschland und ostdeutsche Geschichte(n)? Ein Buch wie „Satans tötende Faust“ aber würde wohl heute nicht mehr geschrieben werden, oder? Die Diskussion ist eröffnet.

Aber auch die anderen vier Sonderangebote des heutigen Newsletters lohnen sich, wobei hier noch einmal ausdrücklich auf die „Provinzgeschichten“ von Maria Seidemann unter dem Titel „Nasenflöte“ hingewiesen sein soll.

Viel Vergnügen beim Lesen, kommen Sie weiter gut durch den November, bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst. In der nächsten Woche steht unter anderem „Die ungewöhnliche Brautfahrt“ von Jan Flieger auf dem Programm. Das ist ein sympathisches Buch mit 34 sympathischen Kurzgeschichten, heißt es dazu in einer neugierig machenden Beschreibung. Schon bei der allerersten Geschichte liest man sich fest und denkt „Mann!“. Es lohnt sich auf jeden Fall, Dzimbulla kennenzulernen und wie er zu seiner Flaschenpost gekommen ist, der einzigen seit Langem, was darin steckt, was dann passiert und wie es überhaupt weitergeht – in diesem Buch voller literarischer Einfälle. Und vergessen Sie Dzimbulla nicht!

EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 29 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.300 Titel. E-Books sind barrierefrei.

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