Im Übrigen hatte das Volkstheater Rostock 1974 dieses gesellschaftskritische Stück uraufgeführt, verlagert auf einen anderen Kontinent enthielt es etliche Spitzen auf die damalige DDR-Politik.
Die folgenden drei Titel stammen noch einmal aus der Feder von Uwe Kant, der bereits in der vergangenen Woche an dieser Stelle prominent vertreten war. Den Anfang macht die teils wirklich komisch erzählte Geschichte „Wer hat den Bären gesehen?“: Eigentlich hatte es der Bär in seinem Bärenhaus sehr gut. Auch Herr Klappke, der alte Bärenwärter und Fast-Millionen-Lottogewinner, sorgte gut für ihn. Dennoch macht er sich eines Tages auf den Weg in den Wald. Aber warum?
Ist es denn schon wieder Weihnachten. Nein, natürlich nicht. Bis dahin sind es vom heutigen Erscheinungstag dieses Newsletters aus gesehen schon noch gut sieben lange Monate Zeit. Dennoch präsentieren wir hier und heute „Weihnachtsgeschichten“ von Uwe Kant – schließlich ist Weihnachten das Größte! Aber manch einer hat auch so seine Sorgen mit diesem Fest, wie zum Beispiel Max, der seinen Eltern etwas ganz Wichtiges beweisen muss und dazu einen Breif schreibt ...
Im Mittelpunkt des erstmals im Jahre 2000 im Eulenspiegel Verlag. Das Neue Berlin erschienenen und elf Jahre zuvor, also in der Wendezeit, handelnden Romans „Mit Dank zurück“ steht der Schriftsteller Anton Mungk, der mühefrei Optimismus und frohe Zuversicht in die von ihm geschriebenen Zeilen gelangen lässt. Doch eines Tages und Jahres, wir schreiben wie gesagt jetzt 1989, bekommt Anton Mungk ein Paket und eine ganz besondere Botschaft, die den erfolgsverwöhnten Schriftsteller zugleich empört und belustigt und ihn zu einer Suche aufbrechen lässt – zu der Suche nach dem Absender von Paket und Botschaft und zugleich zu einer Reise durch ein heute nicht mehr existierendes Land.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wieder einmal geht es um das Thema Krieg und zwar mit einem konkreten Bezug speziell auf Mecklenburg und auf eine konkrete Zeit. Es geht um die Zeit des Zweiten Weltkrieges und um die Nachkriegszeit unmittelbar danach. Was ist da in Mecklenburg geschehen? Und welche Zusammenhänge mit der Weltpolitik gibt es?
Erstmals 2009 erschien in der Edition Nordwindpress Dalberg-Wendelstorf der Band „Vergessen? Erinnern! Mahnende Geschichte. Dokumentation über Geschehnisse in Mecklenburg in der Zeit des Hitlerfaschismus und danach“ von Kurt Redmer: Befragungen von Zeitzeugen, umfassende Untersuchungen und Recherchen, gründliche Materialsammlungen waren die Basis für das dokumentarische Werk von Dr. Kurt Redmer. Gewissermaßen in Fortsetzung seines ersten Buches zu dieser Thematik „Die letzten und die ersten Tage“ werden hier neue Aspekte der Nazigräuel beleuchtet, ebenso wie Fakten über Aktivitäten der Westmächte präsentiert, die schon vor Kriegsende das künftige Einbinden des westlichen Teils Deutschlands in ein Bündnis gegen den Osten vorbereiteten. Ein ebenso wichtiges wie aufklärerisches Buch, packend und bewegend zugleich, wie der folgende Auszug zeigt.
Am 2. Mai gegen vier Uhr rief mich Landrat Busch aus Hagenow an. Ich erfuhr, dass die US-Amerikaner auf Hagenow und Schwerin vorrücken. Sie würden sehr langsam vorgehen, legten vor jedem Dorf eine Marschpause ein. Alle halbe Stunde informierte er mich dann erneut über ihr Vorgehen. Wir vereinbarten, nach Unterbrechung des öffentlichen Telefonnetzes über die unterirdisch verlegte Leitung der Reichsbahn in Verbindung zu bleiben. Ich schickte einen Polizeioffizier zum Bahnhof und bekam somit bis zur Besetzung Hagenows durch die US-Amerikaner Informationen über ihr Vorgehen. Auch zwischen Hagenow und Schwerin kamen die US-Amerikaner nur langsam voran. Die Panzerbesatzungen warteten, bis geklärt war, dass sich nicht irgendwo noch ein deutscher Soldat versteckt hielt, der auf sie hätte schießen können. Zur gleichen Zeit rückten die sowjetischen Truppen zügig auf Schwerin vor. Wir fürchteten, dass sie als Erste bei uns ankommen könnten.
(Anmerkung: Es ist zu beachten, dass die Truppen der Roten Armee in Mecklenburg nicht frontal, sondern in Stoßkeilen vorgingen. Am Nachmittag des 2. Mai hatte ein kleiner sowjetischer Vortrupp den Wald im Schelfwerder bei Schwerin erreicht und befand sich damit westlich der Demarkationslinie. Am späten Nachmittag des gleichen Tages kam eine kleine Einheit der Roten Armee bis zum Störkanal, wo es jedoch zu keinen Kontakten mit den dort schon befindlichen US-Soldaten kam, die etwa zur Mittagszeit ihre Fahne an der dortigen Brücke gehisst hatten. Erst am 3. Mai etwa 15 Uhr drangen, aus der Richtung Brüel kommend, die sowjetischen Panzer in Crivitz ein. Am 4. Mai kam es zu Kontakten mit den in den Wäldern zwischen Crivitz und Raben Steinfeld kampierenden etwa 18 000 Häftlingen des Todesmarsches KZ Sachsenhausen-Schwerin, deren SS-Bewacher in der Nacht zum 3. Mai geflohen waren.)
Ich befahl deshalb der Polizei, ihnen mit mehreren Beiwagen-Krads entgegen zu fahren. Die Polizisten sollten in möglichst kurzer Entfernung vor ihnen halten, winken und so die Kolonnenspitze dazu veranlassen, ihnen schneller zu folgen.
In der Stadt war es ruhig. Als die Amerikaner wieder mal eine größere Pause einlegten, entschloss ich mich, ihnen selbst mit Polizei-Major Hoffmann in meinem Dienstwagen entgegenzufahren. Wir sahen dann deren lange Panzerkolonnen, die mit geöffneten Turmluken fuhren, in gebührlichem Abstand vor ihnen unsere Polizei. Vor den Panzern stiegen wir aus und winkten. Ein US-Soldat winkte zurück.
Als wir nach Schwerin zurückkamen, hatte es sich schon herumgesprochen, dass die Amerikaner im Anmarsch sind. Sie wurden an den Straßen von Frauen, Kindern und Flüchtlingen erwartet, die nun zunächst uns zuwinkten und wissen wollten, wann die Amis denn nun kämen.
Im Büro besprach ich mit den Mitarbeitern, wie wir uns den US-Soldaten gegenüber verhalten sollten.
Dann begab ich mich mit meinem Adjutanten, Amtmann Körner, zu Fuß wieder die Straße hinauf dorthin, wo die Panzer ankommen mussten. Viele Frauen dankten mir mit einem Händedruck, dass ich den Amerikanern entgegen gefahren war und damit eine Besetzung Schwerins durch sowjetische Truppen abgewendet wurde.
Ich selbst war auch froh, denn eine Gefangennahme durch die Sowjets hätte ich nicht überlebt, und wollte ich dann auch nicht, da sie in ihre Hände gefallene führende Politiker und Verwaltungsbeamte kurzerhand erschossen oder nach einem Scheinprozess aufhängten. Das war mir aus mehreren Meldungen und Berichten bekannt.
Die Druckausgabe des Schauspiels „Tod des Chefs oder Die Liebe zur Opposition“ von Wolfgang Schreyer erschien erstmals 1975 im Eulenspiegel Berlin.
Wolfgang Schreyer, profilierter Romanautor, legt hier ein Bühnenstück vor, das die Liaison faschistischer Diktatur und bürgerlicher Scheindemokratie behandelt.
Eine künstliche Opposition wird ins Leben gerufen, um eine demokratische Fassade zu demonstrieren und gleichzeitig einer wirklich revolutionären Entwicklung vorzubeugen. Doch die als Scheinopposition gegründete "zweite Partei" entpuppt sich als durchaus aktionsfähige politische Kraft, und in die vom "Chef" aufgestellten Attrappen kommt unversehens Leben:
Tomás: Das Vaterland, wieso?
Pezuela: Der Chef hat einen genialen Plan verkündet: Die Gründung einer Opposition!
Tomás: Was will er gründen?
Pezuela: Eine Op-po-si-tion.
Tomás: Das ist ein Fremdwort, ja?
Pezuela: Das sind Leute, die anderer Meinung sind und sich zusammentun, um sie zu äußern.
Tomás verblüfft: Äußern, die andere Meinung? Ein ganz neuer Gedanke.
Pezuela: Das ist der Gegenstoß. Stopft all den Hetzern das Maul, die unseren Staat als Diktatur verleumden. Bringt sie glatt aus der Fassung.
Tomás: Die Bürger werden's aber auch nicht fassen.
Pezuela: Bürger! Das ist Sache der Politiker.
Tomás: Politiker, Major? Woher nehmen, nach dreißig Jahren?
Pezuela: Der Chef wird schon wissen.
„Wer hat den Bären gesehen?“ von Uwe Kant erschien 1995 im Beltz Verlag,
Weinheim und Basel.
„Hat vielleicht jemand den Bären gesehen? Der Bär ist mittelgroß. Also bärenmittelgroß. Oder mittelbärengroß. Man muss sich überlegen, wie man sich hier ausdrückt. Immerhin ist selbst ein kleingewachsener Bär viel größer als ein Eichhörnchen. Sagen wir einfach: Gesucht wird ein mittelgroßer Bär.“ Eigentlich hatte es der Bär in seinem Bärenhaus sehr gut. Den ganzen Tag konnte er im Schatten liegen und die seltsamen Menschen beobachten. Und der alte Bärenwärter, Herr Klappke, sorgte gut für ihn. Warum sich der Bär eines Tages auf den Weg in den Wald gemacht hat, das erzählt Uwe Kant manchmal wirklich komisch:
„Meine Güte“, sagte Herr Klappke, „ich muss wohl verrückt sein. So ein Wetter. Und mitten in der Nacht.“ Aber er schob sein Fahrrad tapfer in den kalten Wind und schwang sich schnaufend in den Sattel. Am Bärenhof angekommen, lehnte Herr Klappke das Rad gegen den Zaun und schloss leise die Eisengittertür auf. Also, hier war kein Einbrecher gewesen. Und an der Haustür des Bärenhauses auch nicht. Ebensowenig an der Tür zum Kabäuschen. Trotzdem war Herr Klappke froh, als er im schwachen Licht der alten Lampe den Lottoschein auf dem Tisch liegen sah. So weit war die Rutschbahn erst einmal sicher. Herr Klappke verschloss sorgfältig die Kabäuschentür, als er ein schwaches scharrendes Geräusch zu vernehmen meinte. Er blieb still stehen und horchte. Da, wieder. Und noch einmal. Herr Klappke musste schmunzeln. Ach, das waren nicht Einbrecher noch Gespenster, das war niemand anders als der Bär.
Er trat in den Bärenhof und schlich sich leise, wie ein vorbildlicher Indianer aus einem Indianerfilm, um einen Felsen herum, in den das Gitter eingelassen war, das die Bärenhöhle nach vorn absperrte. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er im Halbmondenschein die dunkle Gestalt des Bären erkennen. Aber er mochte seinen Augen nicht trauen. Der Bär stand auf dem Kopf!
Herr Klappke drehte sich auf den Hacken einmal um sich selbst. Dabei guckte er nach oben, wo der halbe Mond durch die Wolken fuhr. Als er wieder durch das Gitter in die Bärenhöhle spähte, traute er seinen Augen noch weniger. Der Bär stand auf den Händen! Und was versuchte er jetzt? Verflixt, das sah wahrhaftig wie Radschlagen aus!
Vorsichtig schlich Herr Klappke hinter die Felsenecke zurück. Der Bär sollte ihn nicht bemerken. Es konnte ihm peinlich sein, beim Turnen beobachtet zu werden. Herr Klappke wusste ja, dass der Bär ziemlich empfindlich war.
Einmal, als der Bär seinen großen Traktorreifen in den Wassergraben gerollt hatte, war er böse mit dem Bären gewesen. Einen Kran hatten sie holen müssen. Und der Stadtrat hatte die Rechnung für den Kran nicht bezahlen wollen. „Passen Sie doch besser auf, Mensch, Klappke“, hatte der Stadtrat gesagt.
Und Herr Klappke hatte zu dem Bären gesagt: „Pass bloß auf, du dämliches Pelztier, du verdammter alter Esel, der du bist.“
Der Bär hatte daraufhin drei Tage lang keinen Apfel angerührt, dreizehn Tage nicht mehr im Wassergraben gebadet und dreißig Tage den Reifen nicht mehr beachtet.
Nachdenklich stieg Herr Klappke wieder auf sein Fahrrad und fuhr zu seinem Bett zurück. Sollte er gleich den Tierarzt anrufen oder erst am nächsten Morgen? Oder aber überhaupt nicht? Konnte man den Kopfstand zu den gefährlichen Krankheiten zählen? Vielleicht machten alle Bären so etwas? Vielleicht war es nur noch nicht beobachtet worden?
Um Himmels willen! Nur dergleichen nicht, dachte Herr Klappke zuletzt. O nein, Hilfe! Dann kommen all diese Professoren gelaufen. Und fangen an, den Bären zu wiegen und zu messen. Und das Fernsehen, heiliger Strohsack! Nein, zum Schluss nehmen sie mir den Bären weg. Und ich komme in die Sendung „Helden, die keiner kennt“ und muss der Frau Moderatorin Hünemacker erklären, warum ich ein Held bin und weshalb mich keiner kennt. Nein, nein, ich will nicht.
„Ja, so etwas“, sagte eine Stimme, die Herrn Klappke ganz unbekannt war. Ein paar Meter vor ihm stand ein Polizist mit einer blinkenden Kelle. Herr Klappke konnte gerade noch bremsen.
„Die Bremsanlage scheint zu funktionieren“, sagte der Polizist, „haben Sie Alkohol zu sich genommen?“
„Wieso? Weil meine Bremse funktioniert? Wollen Sie auf meine Bremse mit mir anstoßen?“
„Wir führen eine allgemeine Verkehrskontrolle durch. Ich habe beobachtet, dass Sie mit sich selbst gesprochen haben.“
„Ja, gewiss“, sagte Herr Klappke, „das mach ich immer so. Manchmal sage ich sogar alte Banane zu mir, wissen Sie.“
„Das ist ganz allein Ihre Angelegenheit“, sagte der Polizist, aber ihr Fahrlicht ist sehr, nun, also, sehr flackrig, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Das haben Sie wirklich nett ausgedrückt. Ich kann ihnen sagen, mit dem Licht ärgere ich mich schon einundvierzig Jahre rum. Das ist doch noch eines von den ersten Fahrrädern!“
Das Buch „Weihnachtsgeschichten“ von Uwe Kant erschien 2002 im Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH.
Weihnachten ist das Größte!
Nichts geht über Kerzenschimmer, Lieder unterm Christbaum - und natürlich die Geschenke. Aber manch einer hat auch so seine Sorgen mit dem Fest. Max zum Beispiel, der seinen Eltern erst beweisen muss, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt - und dafür muss er sich ganz schön was einfallen lassen ...
Oder Hannes, der sich fragt, ob es auch Geschenke gibt, die überhaupt nichts kosten, einen Großvater zum Beispiel - vielleicht hat ja der Weihnachtsmann noch einen Großvater für ihn übrig? Das wäre schön ...
Oder wenn am Weihnachtsabend auf einmal ein alter Mann vor der Tür steht, von weit her mit Rucksack, Päckchen und Paketen, und seine Leute nicht findet, weil die plötzlich umgezogen sind. Was macht man da?
Hier, sagt Agnes, hier steht es: Dr. Breier.
Ja, sagt der Vater, dann läuten Sie mal schön die Glocken. Da ist der Knopf. Alles elektrisch.
Er dreht sich auf den Hacken um.
Aber Agnes bleibt stehen. Warte doch mal, warte.
Niemand macht auf.
Sie horchen zu dritt. Nichts.
Überraschung, sagt der Vater. Er holt tief Luft und wummert mit der Faust gegen die Tür. Nichts. Noch einmal.
Die Tür geht auf – die vom Nachbarn. Eine Frau, stark wie ein Sumo-Ringer, guckt empört heraus. Sie hält ein goldenes Glöckchen in der Hand. Müssen Sie solchen Lärm machen, Heiligabend? Der kurze aber breite Uropa tritt tapfer vor sie hin. Er sagt: Dat is bloß meine Schuld, es ist wegen, wegen der Überraschung.
Ja, wissen Sie nicht, dass Herr Dr. Breier um die Zeit jedes Jahr mit seiner Gattin nach Jamaika fährt?
Mit wem? Wohin? Du liebe Zeit!
Im Lift nach unten schüttelt der alte Mann immer wieder den Kopf. Jamaika! Mit seiner Gattin! Du liebe Zeit! Eine Zucht ist das! Alles elektrisch. Unten sagt der Vater: Ja, also, wie kommen Sie denn nun nach Hause? Wo müssen Sie denn hin? Ich? Ach Gott, bloß nach Tönde über Visserhagen. Na, das ist ja nicht ganz so weit wie Jamaika.
Pappa, sagt Agnes, Herr Breier kommt mit uns! Was meinst du?
Ich glaub’s auch bald, sagt endlich der Vater.
Mein Name is Jochen Moll, angenehm, sagt der weit Gereiste, Breier is man bloß mein Schwiegersohn.
Pappa, sagt Agnes, manchmal kann ich dich richtig leiden. Oder auch küssen.
Nicht so viel Lob, sagt der Vater, schon manch einer ist davon übergeschnappt. Nun fahren sie in ihrem Haus nach oben.
Wie in sechs c. Der gleiche Lift. Die gleiche Musik im Treppenhaus. Alles elektrisch.
Der alte Mann schüttelt immer noch den Kopf. Jamaika! Mit seiner Gattin! Eine Zucht ist das!
Die Mutter ist nicht weit gekommen mit dem Essen.
Es sollte heiße Würstchen und Salat geben. Wie immer. Das macht nicht so viel Arbeit. Lässt auch Platz für die süßen Sachen. Und den Gänsebraten, den köstlichen, den gibt es sowieso immer am ersten Feiertag. Aber es sind keine Würstchen zu finden. Dafür sehr viel Salat.
Du solltest doch die Würstchen mitbringen!
Nein, ich den Salat – du die Würstchen!
Nein, umgekehrt!
Hört doch auf, es ist Heiligabend, sagt Agnes.
Der alte Mann macht eine kleine Verbeugung zur Mutter und sagt: Angenehm, Jochen Moll mein Name, ich hätte sonst noch bisschen Sauerfleisch mit, wenn es daran fehlen sollte.
Und mein Schwiegersohn is ja mit seiner Gattin, wat meine Tochter ist, nach Hawaii gefahren, nee, nach Jamaika, und nun mach ich Ihnen hier diese ganzen Umstände, da können wir man auch das Sauerfleisch selber essen.
Sauerfleisch? Der Vater hebt interessiert die Nase. Er sagt: Kommen Sie mal, Herr Moll, ich helfe Ihnen mal mit dem Rucksack. Die Tasche stellen Sie ruhig da in die Ecke. Die Joppe häng ich gleich weg. So.
Das Sauerfleisch riecht sehr angenehm. Die Eltern langen tüchtig zu.
Donnerwetter, sagt der Vater mit vollem Mund, zwanzig Jahre kein Sauerfleisch, wie konnte ich das bloß aushalten!
Erstmals im Jahre 2000 erschien im Eulenspiegel Verlag. Das Neue „Mit Dank zurück“ von Uwe Kant.
Er ist so etwas wie ein Sunnyboy der Literatur, der Schriftsteller Anton Mungk, Optimismus und frohe Zuversicht gelangen mühefrei in seine Zeilen. Nur manchmal, beim Blick in den Spiegel, weist er sich selbst zurecht: „He, alter Schönfärber!“
Bis er eines Tages, wir schreiben das Jahr 89, ein Paket erhält:
„Früher haben mir Ihre Bücher immer gefallen, jetzt habe ich keine Verwendung mehr dafür. Mit Dank zurück.“
Mungk ist empört. Mungk ist belustigt, Mungk macht sich auf die Suche nach dem Absender und auf den Weg durch ein Land, in dem alles wie immer zu sein scheint und nichts mehr so ist, wie es mal war.
Mungk kannte genug Leute, die sogar das Lesen von Romanen Arbeit nannten. Wie auch solche, die das Lesen von längst gehaltenen Reden als Studium bezeichneten.
Das ist nämlich die allergrößte Idee - die Einheit von Glauben und maximaler Unwahrscheinlichkeit, wie sie schon an dem bedauernswerten Hiob vorexerziert wurde, und zwar mit jener gewissen rigorosen Ungerührtheit des Experimentators. Das funktioniert je besser und auch immer überzeugender, je länger es her ist, dass die Märchen wahr waren. Und hier ein Auszug aus dem Roman:
Der Direktor sah aus wie ein britischer Weltkrieg-II-Offizier aus einem Film. Eine straffe Gestalt, die Haare dicht, rotblond, leicht gewellt, vom gleichen Stoff der Schnauzbart unter der kräftigen Nase, und über den graugrünen Augen die Brauen, von denen die eine gerade genug gewölbt war, um einen Hauch freundlicher Arroganz über das ganze Captainsgesicht zu legen.
Sehen Sie, sagte der Direktor, wir haben hier in unserer Einrichtung schon manchmal überlegt, auf welche Weise wir Sie noch einmal einladen könnten. Aber – die Termine. Und selbstverständlich haben wir auch kein Geld. Und nun kommen Sie sogar freiwillig. Hoffentlich kann ich Ihnen helfen. Wie lautet Ihr Problem?
Ach, sagte Mungk, es ist wahrhaftig nichts Weltbewegendes. Offen gesagt ist es aber für mich so wohl am einfachsten. Die Sache ist die … ich müsste mit einem Ihrer Schüler sprechen, und ich wusste nicht, wie ich ihn anders erreichen könnte …
Mit einem Schüler? Aha? Schreiben Sie ein neues Buch? Vielleicht über junge Sportler?
Nein, nein. Das heißt, ich schreibe schon ein neues Buch, ich versuche es jedenfalls immer, aber nix über … über Sportler, nein. Nein, ich … es dreht sich mehr um … um ein einfaches Gespräch … zwischen … zwischen Leser und Autor. Ja, so … könnte man sagen. Kurzum, ich muss mal mit dem Jungen reden, und ich weiß nicht, wie ich es anders anstellen soll. Ich nehme doch sicher richtig an, dass er hier im Internat wohnt. Und obwohl ich mich vorhin auf Sie berufen habe, hat mich der Pförtner nur mit knapper Not auf das Gelände gelassen.
Nun, immerhin hat er. Ich sehe mich ausgezeichnet. Da mögen Sie erkennen, wie weit mein Arm reicht. Alle Wetter. Wie heißt der Junge denn?
Ja, der heißt Pingel. Falko Pingel.
Pingel? Ist das nicht einer von unseren Fußballern?
Ja, ein Fußballspieler.
Ausgezeichnet. Lieber Dichter, haben Sie nicht eben noch gesagt, es handele sich um nichts Weltbewegendes? Und jetzt kommen Sie damit raus, dass Sie mit einem Fußballer sprechen wollen. Pingel? Pingel! Natürlich, das ist doch ein Auswahlspieler, nicht wahr?
Ja, ja, er ist der Libero der U-17.
Der Libero! Also, Genosse Mungk, Spaß beiseite: Das tut mir leid. Mit dem kann ich ja gerade noch so sprechen. Aber gerade so.
So schlimm ist das?
Schlimm, wieso denn schlimm? So gut sind wir, nicht wahr?
Haben Sie eine Ahnung, was es mit dieser Disziplinargeschichte auf sich hat?
Disziplinargeschichte? Sie wissen mehr als ich, verehrter Preisträger, scheint mir.
Der Direktor wählte einen Hausanschluss, horchte kurz hinein und sagte: Horst? Ich … nein, ich komm mal kurz zu dir.
Als er zurückkam, blieb er gleich in der geöffneten Tür stehen.
Der Schüler Pingel ist wegen Verletzung krankgeschrieben. Mit Heimreiseerlaubnis. Tut mir leid, mit dem können Sie nicht sprechen.
Mit Heimreiseerlaubnis, sagte Mungk bei sich, abgeschmettert auf dem Rückweg zwischen den Internatsblöcken.
Wohin mag er gefahren sein?
Der Sportklub Generator war bekannt dafür, dass er seine Kader von weit her holte wie der Soldatenkönig seine Langen Kerls. Frankfurt, Cottbus, Stralsund, Kap Arkona?
Heimreiseerlaubnis. Hatten wir dafür auch so ein doofes Wort? Oder gab es überhaupt einen derartigen Status? Zur Zeit Walter Ulbrichts des Sachsen und Fanfan des Husaren? Wie war das gleich, wenn, sagen wir mal, Schmidt erkrankte, genannt Schmidtowitsch, denn wir waren gar nicht so wenig russophon wie wir russophil waren. Oder Lehmann, genannt Zidderich, denn der war nun einmal damit geschlagen aus einem abgelegenen Ort gleichen Namens in die Kreisstadt gekommen zu sein. Oder die Geschwister Bockelow, genannt Avanti Bockelow; denn sowohl der Anklang, als auch ihr kämpferisches Auftreten gemahnten uns an das italienische Partisanenlied, welches wir bei der zuweilen wutschnaubenden Musikpädagogin Elise Weinberger ebenso lernten, wie die wehmütig-kosmopolitische Weise „Innsbruck, ich muss dich lassen“ – wenn also dieser oder jene von Siechtum und Bresthaftigkeit betroffen war, reiste die oder der dann nach Hause? Fuhr heimwärts gen Zidderich, Ziegendorf, Dargelütz, Zieslübbe und Neu Ruthenbeck?
Vorlage beim Rat des Gemeinwesens, Unterschrift der Eltern?
Ach wat, sagte Mungk. Und du sowieso nicht. Was für ein Gemeinwesen denn, und welche Eltern?
Nein, sagte er, ich sowieso nicht. Insofern zähle ich da nicht. Aber die anderen? Ach was, Unfug. Wurden wir überhaupt krank damals?
Damit sind wir auch schon wieder am Ende des vierten und letzten Mai-Newsletters angelangt und zugleich fast am Ende des Monats, der sprichwörtlich alles neu machen soll. Viel Neues hat auch die heutige Post aus Godern gebracht, die ein breites Spektrum abdeckt – von einem politischen Schauspiel über einen Schriftsteller, der sich einen mittelgroßen Bären ausdenkt und diesen sogar Kopfstand und andere ungewöhnliche Sachen machen lässt, und über drei ungewöhnliche Weihnachtsgeschichten, in denen unter anderem ein kräftiges Weihnachtsmannaugenzwinkern und eine kleine Liebesgeschichte vorkommen, die mit einem „Wundschzetel“ beginnt – wer jetzt denkt, das hier sei falsch geschrieben, der soll diese Wundschzetel-Weihnachtsliebesgeschichte unbedingt erst mal selber lesen – bis zu einer spannenden Dokumentation über Geschehnisse in traurigen Zeiten deutscher Geschichte, in deren Vorwort es unter anderem heißt: „Der Leser ist angehalten, sich mit regionalgeschichtlichem Geschehen zu beschäftigen, die historischen Orte in der Nachbarschaft aufzusuchen und sein Wissen darüber weiterzugeben. Angesichts wachsender rechtsextremistischer Aktivitäten ist für uns die Kenntnis der NS-Geschichte in Deutschlands, insbesondere der Zeit des Zweiten Weltkrieges unverzichtbar, denn nur sie ermöglicht uns, die notwendigen Lehren zu ziehen.
Das werden auch kommende Generationen tun müssen, denn die Geschichte des Hitlerfaschismus ist eine Geschichte, die man nie vergessen darf. Da künftig immer weniger Überlebende diese Geschichte greifbar machen können, muss sie in dieser Weise dokumentiert werden. In diesem Sinne sind Dokumentationen deshalb nicht nur für die Gegenwart, sondern besonders auch für die Zukunft politisch unverzichtbar.“
Und der Autor Dr. Kurt Redmer schreibt zu seinen Absichten: „Es war mir ein besonderes Anliegen, in diesem Buch wieder Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. Nur wenn ihre Erlebnisse und Aussagen in geschichtlichen Verallgemeinerungen Eingang finden, kann sie letztlich auch nur fundiert sein. Bei den Erinnerungen und Zeitzeugenberichten habe ich weitgehend auf Kommentare verzichtet. Ich setze auf den kompetenten Leser, der die beschriebenen Ereignisse auch aus dem Kontext dieses Buches heraus richtig interpretieren und einordnen wird. Ich kann allerdings nicht völlig ausschließen, dass in den abgedruckten Beiträgen, wenn auch in sehr geringem Maße, Schutzbehauptungen enthalten sind.“
Viel Erkenntnisgewinn und viel Vergnügen beim Lesen, kommen Sie gut in den Juni und bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.