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Ein einsamer Mord, eine Utopie aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts sowie alte und neue Legenden - 5 E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(lifePR) (Pinnow, )
Spannender kann ein Krimi kaum beginnen. Und dann noch aus der Sicht des künftigen Täters erzählt: „Morgen wird er es tun! Reglos steht er im Schutz der dichten Büsche, starrt mit brennenden Augen zu den Mädchen. Sie sind wieder da, alle drei! Auch gestern, am Montag, sind sie an diesem kleinen Tümpel im Wald gewesen, und wie gestern bleibt die eine, die so hell lacht, nachmittags allein zurück.

Nackt liegt sie auf einer Decke, mal auf dem Rücken, mal auf dem Bauch, sonnt sich, liest, und ihr kleines Radio spielt. Ihr blondes Haar trägt sie hochgesteckt. Sie ist sehr zierlich, aber, doch wohl schon sechzehn. Ab und zu bespritzt sie sich mit dem Wasser des Tümpels.

Er weiß nicht, woher sie kommt, wer sie ist, aber das interessiert ihn auch nicht. Wichtig ist nur, dass sie da ist, allein und weitab von den Wegen, die durch den Wald führen, der am Rand der kleinen Stadt, an ihrer Südseite, beginnt.

Sein Blick gleitet über ihre Figur, ihre kleinen runden Brüste, und seine Erregung nimmt zu, sein Verlangen, sich auf sie zu werfen, ihren Körper unter sich zu spüren, um das zu tun, wovon er beinahe jede Nacht träumt.“

So erregend-erwartend für den künftigen Täter beginnt das zweite der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 12.07. 24 – Freitag, 19.07. 24) zu haben sind. „Neuntöter“ lautet der Titel dieses spannenden Krimis von Jan Flieger, der erstmals 1987 als Heft 259 der „Blaulicht“-Reihe des Verlags Das Neue Berlin erschienen war. Dieses Heft war ein Renner und sofort vergriffen – wusste man doch damals, dass Flieger über tatsächliche Fälle schrieb. Und dieser Mord an einem jungen Mädchen, so nah an einem Dorf, war grauenvoll. Flieger kannte die Männer genau, die den Täter jagten, sich im Dorf einquartierten und erst nach Hause zurückdurften, wenn er gestellt war. Und so forschten sie verbissen nahezu Tag und Nacht. Und der Täter beobachtete sie ...

Ein Utopischer Roman von 1958: Günther Krupkat schrieb „Die Unsichtbaren“ 1957, als die Euphorie über den ersten Sputnik und die friedliche Nutzung der Atomkraft die Fantasie der Menschen beflügelte. Märchenhafte Städte unter dem künstlichen Klima eines ewigen Frühlings, Atomexpresszüge, elektronisch gesteuerte Autos, gewaltige Erdaußenstationen, vollautomatische Raumschiffe, Mondstationen – eine neue Welt unter entscheidend veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen. Und das bis zur Jahrtausendwende, die inzwischen schon fast zweieinhalb Jahrzehnte hinter uns liegt, damals aber noch 42 Jahre entfernt war. Das wahrscheinlich kommunistische Paradies schien trotzdem so nahe zu sein …

Erstmals 2013 veröffentlichte Elke Nagel den Roman „Altweibersommer. Legenden aus dem wilden Osten“. Gesucht wird Anna, die Koschlick Anna, die verschwunden ist, nach der Wald und Heide abgesucht werden, die den Wölfen begegnet und in ihr Rudel aufgenommen wird. Der Roman überzeugt auch mit längeren Rückblenden vom Kriegsende 1945 bis zum Ende der DDR, von der Abbaggerung eines sorbischen Dorfes und den schlimmen Folgen für die dort lebenden Menschen, vom unaufgeklärten Tod von Annas Bruder Dietmar; alte und neue Legenden, tragische und lustige, weit zurückliegende und fast gegenwärtige.

Erinnern Sie sich vielleicht noch? Ab 1. Januar 1979 wurde im DDR-Fernsehen eine siebenteilige Abenteuerserie ausgestrahlt, die schnell viele Fans fand und inzwischen längt Kultstatus hat. Es folgte ein ebenso erfolgreicher zweiteiliger Kinofilm und ein Kinderbuch, das in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Auflage von mehr als 100.000 Exemplare erreichte. Die Rede ist von „Spuk unterm Riesenrad“ von C. U. Wiesner. Erinnern Sie vielleicht noch?

Jetzt können Sie es nochmal in aller Ruhe nachlesen. EDITION digital konnte für das E-Book auf die Originalfassung des DDR-Kinderbuchverlages von 1984 zurückgreifen.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Heute geht es um eine Stadt, die wie kaum eine andere mit deutscher Geschichte zu tun hat.

Erstmals 2019 veröffentlichte Gisela HellerPotsdamer Geschichten“: Potsdam, Jahrhunderte hindurch Residenz der preußischen Könige, war lange Zeit Sinnbild einer unheilvollen Politik in Deutschland. In zwei Dutzend Reportagen berichtet Gisela Heller über Vergangenheit und Gegenwart der Stadt, über Legende und Wirklichkeit dieses Symbols preußisch-deutscher Geschichte. Neben Schilderungen von Sanssouci und Cecilienhof, der Entstehung und Geschichte der Filmstadt Babelsberg und dem „roten Nowawes“ liest man Berichte über die Rettung der Potsdamer Gärten durch die Rote Armee und den Wiederaufbau des im zweiten Weltkrieg stark zerstörten Zentrums der Stadt zwischen den Havelseen, in der einst Knobelsdorff, Schinkel, Alexander von Humboldt, Lenné gewirkt und ihre Spuren hinterlassen haben. Gisela Heller hat während jahrelanger Studien in Archiven und Museen Material gesammelt, die große Bibliothek der Potsdam-Literatur gewissenhaft durchforstet, Gespräche mit den älteren Bürgern der Stadt geführt. So ist ein lebendiges Bild menschlicher Schicksale und historischer Ereignisse entstanden, das Potsdam nicht nur als Wiege des deutschen Militarismus, sondern auch als eine Stätte vielfältiger humanistischer Traditionen zeigt.

Und noch ein wichtiger Hinweis: bis zum 26. Juli kann das E-Book „Von 2023 nach 1650: Eine unglaubliche Reise der Schweriner Brüder“ von Gisela Pekrul kostenlos heruntergeladen werden: In den lebendigen Straßen von Schwerin, zwischen modernen Bussen, Straßenbahnen und historischen Fassaden, stoßen Noah und Joshua auf ein rätselhaftes Buch, das sie auf eine Reise schickt, die ihr Leben für immer verändern wird. Ein geheimnisvoller Zauberspruch wirbelt sie aus dem Jahr 2023 in das Jahr 1650 - in eine Epoche, in der ihre dunkle Hautfarbe Argwohn erregt und ihre Kleidung Fragen aufwirft.

Im Krimi "Neuntöter" von Jan Flieger entfaltet sich eine düstere und beklemmende Atmosphäre. In einer der zentralen Szenen wird der Leser in die verstörenden Gedanken eines Mannes geführt, der in einem Park einem jungen Mädchen folgt. Die bedrohliche Spannung und die wachsende Aggression des Mannes eskalieren, während er seinem Opfer immer näher kommt. Flieger gelingt es dabei, die innere Zerrissenheit und den Hass seines Charakters eindringlich zu schildern. Die folgende Passage gibt einen intensiven Einblick in diese verstörende Verfolgungsszene:

Am Sonnabend schlendert er im großen Park des Städtchens um den kleinen Schwanenteich herum. Er mag Schwäne.

Ein Mädchen kommt ihm entgegen, streift ihn mit einem kurzen Blick, als sie an ihm vorbeigeht. Ein Blick, in dem er Spott und Verachtung zu erkennen meint.

Er steht da, verlegen, unschlüssig. Doch nicht lange. Wut steigt in ihm auf, treibt ihm rote Flecke ins Gesicht. Seine Wangenmuskeln zucken. Dieser eingebildeten Ziege wird er es zeigen. Er will sie unter sich haben, zitternd, weinend, will sie sich nehmen, wie es der pockennarbige Soldat mit der Schwarzhaarigen getrieben hat, hart, ohne Zärtlichkeit.

Jede von ihnen verdient es!

Alle!

Die hier wird die Zweite sein.

Er folgt ihr.

Der Park ist groß und dicht bewachsen.

Sie geht vor ihm her, in einem kurzen Rock, mit lockendem Gang.

Er ist wenige Schritte hinter ihr, da wendet sie sich um, mustert ihn kühl, zuckt mit den Achseln, geht weiter.

Wenn sie wüsste, wie nahe sie dem Tod ist.

Er muss sie in die Büsche reißen. Aber womit soll er sie binden? Und überall die Spaziergänger? Er wird sie erwürgen, mit seinen Händen töten müssen.

Als sie schneller wird, beschleunigt auch er seinen Schritt. Der Hass treibt ihn vorwärts. Ein schmaler Weg liegt vor ihnen, menschenleer und von hohen Büschen gesäumt.

Er ist jetzt so dicht hinter ihr, dass er mit der Hand ihre Schulter berühren könnte. Der Moment ist günstig; nur ihre Schritte und seine.

Nichts weiter ist zu hören.

Da wendet sie sich erneut um. Noch immer zeigt sich in ihrem Gesicht keine Furcht; nur Hochmut.

Warte, denkt er, das wird sich ändern!

Speichel bildet sich in seinem Mund, mehr und mehr.

Er spannt seine Muskeln an. Ich zähle bis zehn, dann packe ich zu. Und er beginnt. Eins! Zwei! Drei!

Besonders roh will er sie packen, so, dass sie keinen Widerstand zu leisten wagt.

Vier. Fünf. Sechs. Sieben.

Acht!

Schneebeerenbüsche stehen am Weg, hinter denen, im Schatten von Bäumen, hohes Farnkraut wächst.

Ein Stoß, und sie wird in die Büsche fallen.

Er konzentriert seinen Blick auf ihren Hals, schließt und öffnet die Hände.

Wieder blickt sie sich um, nun erschrocken. Sie läuft schneller.

Du wirst mich nicht abschütteln, denkt er. Wir sind allein in diesem Teil des Parkes, ich und du.

Das Mädchen stolpert, hetzt weiter. Er hört sie keuchen. Nur gut, dass sie nicht um Hilfe ruft. Aber wie soll sie auch seine Absicht erraten?

Er bemerkt Schweißflecke an der Bluse unter ihren Achseln, als sie sich mit der Hand über das Haar fährt. Sie blickt sich nun nicht mehr um. Sie will ihre Angst nicht zeigen, denkt er.

Er sieht, in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Metern, dort, wo zwei riesige Eichen stehen, gabelt sich der Weg. Er schaut sich um. Kein Spaziergänger weit und breit. Nur er und sie.

Ihre Schritte ...

Seine Schritte …

Jetzt!

Seine Hände schnellen vor, auf ihren Hals zu – mitten in der Bewegung erstarrt er. Zwei Männer sind in den Weg eingebogen.

Hier ist eine kurze Überleitung zu der Leseprobe:

Günther Krupkat entführt uns in seinem Roman "Die Unsichtbaren" in eine Welt voller Spannung und unvorhersehbarer Ereignisse. Die Handlung spielt sich inmitten einer rauen Naturkulisse ab, wo das Meer tobt und Stürme die Szenerie beherrschen. Vor diesem Hintergrund erleben wir einen schicksalhaften Moment auf der Atommotor-Jacht "Cadena", die sich durch unruhige Gewässer kämpft. Die folgende Leseprobe vermittelt die bedrohliche Atmosphäre und die unruhigen Gedanken der Besatzung, die angesichts der Naturgewalten und innerer Konflikte zum Greifen nahe scheinen:

In den Mittagsstunden des sechzehnten Januar 1999 ereignete sich hier nun ein Vorfall, der weitgehende Folgen haben sollte. An diesem Tage warf sich der Nordatlantik wieder brüllend und donnernd gegen die Klippenwände der Inseln. Er schleuderte Wasser und Gischt auf die Felsmassive, die mit ihren schneeig weißen Spitzen aus den finsteren, zischenden Fluten emporzackten. Wenn der Sturm die Wolkenhänge für Augenblicke zerriss, traf ein flüchtiger Sonnenstrahl dieses Inferno.

Nebelschwaden jagten über das Wasser, das von langen Streifen schmutzigen Schaumes durchzogen wurde. Das Meer, die Inseln und der ferne Küstensaum des Festlandes waren hinter einer milchigen Wand versunken. Das Tageslicht schien am Verlöschen und gewährte nur wenige Meter Sicht.

Unter dem Windschutz der öden, nackten Felsenwelt stampfte und schlingerte trotz ihrer Kreiselanlage die Atommotor-Jacht „Cadena“ der offenen See entgegen. Die „Cadena“, ein schnittiges weißes Schiff, war Eigentum des Millionärs Basil Varone und kam aus Narvik, wo sie mehrere Tage vor Anker gelegen hatte.

Kapitän Armando erschien auf der Kommandobrücke. Der kleine, behände Südländer klopfte die Nässe aus seinem Mantel und sah besorgt auf den Bildschirm des Infrastrahlers, dessen Langwellen den Nebelwall durch drangen und auf dem Schirm alles abzeichneten, was sich im Kurs des Schiffes befand. Am rechten Rand der schimmernden Fläche waren die Konturen einer Insel sichtbar.

„Wenn wir aus diesem elenden Wetterwinkel nur schon heraus wären!“, schimpfte Armando.

„Wir haben es bald geschafft, Capitano“, beruhigte ihn Steuermann Parladini, der neben dem Rudergast stand. Er warf einen Blick auf den Bildschirm. „Sind dicht vor der Insel Moskö.“

Der Kapitän trat neben Parladini und beide schauten eine Weile schweigend durch die Scheiben, gegen die Regenböen prasselten und an denen nasse Schneeflocken träge herabrannen.

Der Sturm heulte und pfiff in schrillen Tönen. Er trieb immer neue Nebelwände vor das Schiff, das an Klippen und Untiefen vorbei in langsamer Fahrt durch die schwere Dünung rollte. Der Lärm des Unwetters wurde jetzt von einem anderen Geräusch zunehmend übertönt. Wildes Brausen und Fauchen wuchs an, ebbte ab und kam verstärkt wieder. Die Wogen flachten ein wenig ab, das Wasser begann zu strudeln und zu gurgeln. Es hatte den Anschein, als nähere sich die Jacht einem gewaltigen Wasserfall.

„Der Mosköstrom“, stellte der Steuermann fest.

Der Mosköstrom, auch Maelstrom genannt, ist eine Meeresströmung zwischen den Inseln Varö und Moskö, die sogar bei Ebbe, ganz besonders aber bei schwerem Sturm gefährliche Strudel bildet und schon manchem Schiff zum Verhängnis wurde. Der Mosköstrom hat zwar nicht die Berühmtheit der Charybdis in der Meerenge von Messina erlangt, aber wer ihn einmal in seiner ganzen Schrecklichkeit erlebt hat, vergisst ihn sein Leben lang nicht.

„Achten Sie auf den Sog!“, mahnte der Kapitän. „Bei diesem Wetter kann die Strömung uns leicht an die Klippen treiben.“

Parladini nickte und gab dem Mann am Ruder Anweisung, den Wirbeln auszuweichen.

Unter Deck war von dem Toben der Elemente nichts zu hören. Das feine, monotone Brummen der langsam laufenden Turbinen ließ das Schiff kaum spürbar vibrieren. In dem breiten, mit wertvollen Läufern belegten Gang brannten die eingelassenen Wandleuchten, der Schein des Tages drang schwach durch die Oberlichter. Ein Steward eilte lautlos vorüber, klopfte an eine Kabinentür und trat ein. Das gelockerte Facetteglas einer Wandlampe klirrte leise im Summen der Maschinen.

Nicht immer war es an Bord der „Cadena“ so ruhig. Basil Varone liebte es, sich auf Reisen mit einem großen Gefolge von Experten zu umgeben, die er als Berater zu seinen Verhandlungen hinzuzog. Dann entfaltete sich geräuschvolles Leben im Schiff. Auf den Gängen hasteten Sekretärinnen hin und her, aus Lautsprechern kamen Anweisungen, farbige Lämpchen flammten über den Kabinentüren, Tonbandstimmen diktierten in automatische Schreibmaschinen. Und am Abend bot Varone seinen Mitarbeitern und Gästen vielerlei Kurzweil im Musiksalon, im Kinosaal oder bei geeignetem Wetter auf Deck.

Während dieser Fahrt jedoch, die ziemlich überstürzt angetreten wurde, befanden sich außer Varones engerem Reisestab, der aus Leontos, seinem persönlichen Sekretär und Vertrauten, einigen Sekretärinnen und Hilfskräften bestand, nur zwei Sachverständige an Bord. Diese beiden Herren waren jedoch für die eben beendeten Verhandlungen nicht einmal in Anspruch genommen worden. Was hatte Varone ausgerechnet im Winter nach dem hohen Norden getrieben? Über diese Frage zerbrachen sich alle an Bord den Kopf, ausgenommen natürlich Leontos, der es wusste, und Kapitän Armando, den nur die nautische Seite der Reise interessierte.

„Narvik ist ein großer Fehlschlag für uns!“ Der Sekretär Leontos sah diese Worte Varones wie ein Menetekel vor sich. Seine gepflegten, nervösen Hände hielten die Mappe mit den neuesten Funknachrichten, darunter die endgültige Absage der Verhandlungspartner. Er hob den Kopf und richtete die brennenden Augen auf den anderen, der groß und stattlich, die Hände in den Taschen des eleganten Sakkos, in der geräumigen Kajüte stand und sinnend durch eins der Bullaugen auf das Unwetter schaute. Sein faltiges Gesicht und das schlohweiße Haar, Attribute eines hohen Alters, bildeten einen merkwürdigen Kontrast zu dem Glanz seiner lebhaften dunklen Augen, zu der straffen Körperhaltung und der Festigkeit seiner Stimme. Das war Basil Varone, eine fast legendäre Erscheinung, Haupt und Hoffnung der Desperados.

Woher er, der Staatenlose, eigentlich stammte, wusste niemand zu sagen, außer Leontos vielleicht; aber der schwieg und pflegte bedauernd die Schultern zu heben, wenn Neugierige ihn ausfragen wollten. Er war eben da, ein ruheloser Geist, der die Generationen überlebte und aus dunklem Hintergrund seine Ziele verfolgte,

Varone ging mit schnellen, elastischen Schritten auf seinen Sekretär zu und blieb dicht vor ihm stehen. „Ein bisschen viel Fehlschläge in letzter Zeit, Leontos. Wir werden alt!“ Und er musterte das grau melierte Schläfenhaar des anderen.

Leontos lächelte. „Noch hält Sie jeder für Anfang Sechzig, Herr Varone,“

„Aber im Sommer werde ich achtzig, mein Bester. Und unser Nimbus verblasst, unser Stern steht nicht mehr im Zenit … wie vor dreißig Jahren.“

In Leontos’ Erinnerung liefen die Jahre zurück, dreißig lange Jahre. Damals war er gerade in Varones Dienste getreten, als junger Mensch voller kühner Ideen. Kurz darauf hatte Varones Frau durch einen Flugzeugunfall den Tod gefunden. Seitdem bestieg der Millionär kein Flugzeug mehr. Es begann ein unstetes Leben. Varone hatte überall in der kapitalistischen Sphäre Besitzungen, aber selten blieb er länger als ein paar Wochen an einem Ort und schließlich verließ er kaum noch die „Cadena“, mit der er ruhelos, immer von neuen Plänen gejagt, über die Meere zog. Nun war er ein uralter Mann, daran änderte auch seine erstaunliche Rüstigkeit nichts, und seine Tage waren gezählt. Aber er gab den Kampf nicht auf; verbissen rang er mit der neuen Welt um sein altes Vorrecht, die Macht zu besitzen und den Erdball zu beherrschen.

„Wir lenken nicht mehr, sondern werden gelenkt und müssen froh sein, wenn man uns zu Verhandlungen empfängt“, fuhr Varone fort, „Wir stehen nur noch am Rande des großen Weges, den die Menschheit heute geht. Welch bittere Wahrheit! Narvik hat es wieder bewies

Elke Nagel schildert in ihrem Roman "Altweibersommer" die bewegende Geschichte einer Familie, die inmitten der politischen Umwälzungen und sozialen Veränderungen der 1960er Jahre in der DDR lebt. Der folgende Auszug führt uns in die Erlebnisse und Erinnerungen der Erzählerin, die von ihrer Mutter erstmals von Viktor erfährt. Diese Enthüllung findet vor dem Hintergrund eines Sommers statt, der durch die dramatischen Ereignisse rund um den Bau der Berliner Mauer geprägt ist. Die Leseprobe gibt einen tiefen Einblick in die persönlichen und politischen Konflikte, die das Leben der Protagonisten bestimmen:

An jenem Augusttag 1961, als Mutter mir zum ersten Mal von Viktor erzählte, hat es in dieser Gegend auch einen Wolf gegeben. Der war von Polen gekommen, über die Neiße war er geschwommen. Er hat nicht lange gelebt. Wurde abgeschossen. In dieser Zeit, auch später noch, geschah das mehrmals. Es war „legal“. Da wurde auch nicht viel drüber geredet. Dass Berlin nun „dicht“ sei, darüber wurde geredet. Den meisten war das ein Ärgernis. Andere sahen es als Chance. Es werde uns nun bald besser gehen, vermuteten sie, weniger Abwanderung, also mehr Arbeitskräfte, also weniger Verluste; vor allem könne man jetzt, wenn die Grenzen dicht seien, im Land etwas verändern. Ich war gerade vierzehn geworden, ich hielt mich an Mutters Ansichten, denn es leuchtete mir ein, was sie sagte: Wir könnten jetzt Alternativen aufzeigen zum „goldenen Westen“, andere Energiequellen erschließen, beispielsweise Wind, Wasser, Erdwärme, statt die Lausitzer Dörfer abzubaggern.

Vielleicht war aber auch schon alles zu spät? Festgefahren. Und wir wollten es nicht wahrhaben. Wir Traumwandler. Während unserer Heidewanderung haben wir, soweit ich mich erinnere, von diesen Dingen nicht gesprochen. Wo ist mein Vater geblieben? Das war alles, was mich interessierte. Und diese Frage konnte oder wollte Mutter mir damals nicht beantworten. Victor war verschwunden, von einem Tag auf den anderen, sagte sie. Und setzte ihren Bericht sehr zögernd fort, ich hatte das Gefühl, dass sie mir keineswegs alles sagen wollte.

Frühmorgens bin ich zu Jelena Andrejewna gegangen, erzählte sie weiter. Die hatte rot geweinte Augen. Geh weg und komm’ nie mehr wieder, rief sie. Viktor sei abgeholt worden, bald nachdem er ihr und seinem Schwager gebeichtet hatte. Sein Schwager, Jelenas Mann also, habe es pflichtgemäß noch spät abends weitergemeldet, dann sei alles ganz schnell gegangen. Das war’s, was ich erfahren konnte. Auch am Nachmittag, als ich zum Verhör auf die Kommandantur geholt wurde, erfuhr ich nichts Genaues. Ob ich es freiwillig getan oder ob er mich gezwungen habe, wollten sie wissen. Ich erzählte ihnen von unserer großen, unendlichen, ewigen Liebe, von gemeinsamem Leben, gemeinsamen Kindern, sie schüttelten ernsthaft und schweigend ihre Köpfe, einer von ihnen sagte schließlich hart: Njet. Und versteckte dabei ein Lächeln.

Dabei blieb es. Ich wurde noch mehrmals vorgeladen. Ich kam dahinter, dass es der Geheimdienst war, der sich für mich interessierte, und langsam begriff ich auch, worum es ihnen ging. Ich sollte für sie arbeiten. Es werde mein Schaden nicht sein. Aber wenn ich es nicht täte, würden sie das Kind beanspruchen, es müsse als Sowjetbürger in der Sowjetunion aufwachsen, es dürfe nicht das Enkelkind eines deutschen Faschisten sein. Natürlich protestierte ich heftig, mein Vater sei niemals ein Faschist gewesen, entnazifiziert sei er auch. Da lächelten sie. Sie waren fast immer sehr freundlich zu mir. Aber gerade das, Katja, das hat mir Angst gemacht, verstehst du? Und ich traute mich nicht, mit den Eltern darüber zu sprechen, man hatte es mir streng verboten, ich hatte deswegen sogar ein Papier unterschreiben müssen. Aber im Herbst, als du dann auf der Welt warst, da redete ich mit den Eltern. Denn da wusste ich, was ich tun musste. Genau das, was sie wollten, musste ich tun — um dich zu behalten. Weil ich aber in den folgenden Jahren durchaus sehr viel weniger tat, als sie von mir erwarteten, im Grunde so gut wie nichts, im Grunde führte ich sie ständig an der Nase herum, hatte ich — hatten wir — ständig Angst, dass dich der KGB, wie sich der russische Geheimdienst seit 1954 nannte, doch noch abholen könnte. Oder heimlich mitnehmen. Vielleicht war das unnötige Angst. Es ist niemals etwas geschehen, was man in diese Richtung hätte deuten können. Aber ich habe diese Angst bis heute. Und darum sage ich auch heute noch, was ich dir ständig gepredigt habe: Sei auf der Hut. Jetzt weißt du endlich, warum. Es wurde wirklich Zeit dafür.

So ungefähr hat sie geredet, und mir war klar, dass sie vieles ausgespart hatte. Ob sie denn auch heute noch mit dem KGB zu tun habe, hatte ich gefragt.

Nein, sagte sie, schon seit 1950 sei der deutsche Geheimdienst für sie zuständig gewesen.

Die Staatssicherheit also? Und mit der habe sie heute noch zu tun?, wollte ich wissen. Da schwieg sie lange. Das hätte sich wahrscheinlich in meiner Position sowieso nicht vermeiden lassen, sagte sie endlich.

Welche Position? Schuldirektorin?

Ja, natürlich. Jeder in solcher Stellung wird regelmäßig abgefragt. Aber was er sagt und was er für sich behält, ist doch seine Sache, oder? Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Und ich bin doch trotz allem für diesen Staat, verstehst du? Es gibt keine Alternative. Und also muss ich auch dafür sein, dass er beschützt wird, muss ich für seine Sicherheit sein. Logisch?

Logisch, hab ich gesagt, etwas zögerlich zwar, denn ich ahnte, dass ein Haken versteckt war in dieser Logik, aber ich sah ihn nicht, damals noch nicht.

Und dein Bruder, der Dietmar, wollte ich wissen, hat der mich darum so gehasst, weil ich ein Russenkind war? Ist er darum nach drüben abgehauen?

Was hätte das miteinander zu tun, sagte Mutter. Mein kleiner Bruder, den alle dann für deinen großen Bruder hielten, hat seine Kindheitsideale niemals aufgegeben. Niemals, verstehst du? Immer hat er solche Sachen gesammelt, die mit dem „Großdeutschen Reich“ zusammenhingen: Bilder, Abzeichen, Zeitungsartikel. Er ist dann zum Studium nach Halle gegangen, Lehrerstudium, und dort hat er Gleichgesinnte getroffen. Das erfuhren wir erst viel später. Auch von den Problemen, die er damals in Halle hatte, wussten wir nichts. Er war nämlich exmatrikuliert worden, weil er nicht an der Maidemonstration teilgenommen hatte. Und diese Idioten dort gaben ihm das auch noch schriftlich, sodass er drüben ganz schnell, anerkannt als „politischer Flüchtling“, aus dem Aufnahmelager heraus und in ein Studium hineinkommen konnte. Und wir hatten den Ärger. Deine Sänger-Großeltern, insbesondere der Opa, der damals gerade Dozent in der Lehrerbildung geworden war, wurden mehrmals befragt: Hatten sie von Dietmars Absicht gewusst, hatten sie ihn unterstützt, ermutigt? Sie hatten nicht, aber es dauerte, bis man ihnen glaubte.

Herbert und ich waren in Potsdam, wir bereiteten uns auf das Staatsexamen vor; eines Tages wurde ich zu dem Mann bestellt, den alle „Holzauge“ nannten, wenn sie über ihn tuschelten, und der fragte und fragte und schimpfte mit mir rum, zuerst war ich verwirrt und erstaunt, dann wurde mir klar, dass er natürlich bestens informiert war über meine Vergangenheit, also über Viktor und über dich. Und ich war schon dabei, das alles zu vergessen! Denn die ganze Zeit über hatten diese Leute mich in Ruhe gelassen. Schließlich mussten sie mir glauben — weder ich noch meine Eltern hatten von Dietmars Plänen und Absichten gewusst. Manchmal kommt ja eine Postkarte an unsere Eltern. In diesem Frühjahr hat er sein Studium abgeschlossen. Ist nun Lehrer in einer Kleinstadt, nahe bei Frankfurt.

Ja, das wusste ich schon. Hatte sie mir nun alles erzählt, meine geheimnisvolle Mutter? Bestimmt nicht. Irgendwann würde noch irgendetwas nachgereicht werden. So ist sie nun mal, die Koschlick Anna.

In „Spuk unterm Riesenrad“ von C. U. Wiesner erwartet die Leser eine aufregende Mischung aus Abenteuer und übernatürlichen Ereignissen. Die Geschichte spielt in einer alten Burg, die Schauplatz merkwürdiger Geschehnisse und unheimlicher Begegnungen ist. Die Charaktere, darunter der mutige Tammi und der starke Otto, navigieren durch ein Netz von Freundschaft und Misstrauen, während sie sich gegen bedrohliche Geister und intrigante Wesen behaupten müssen. Der folgende Auszug fängt die Spannung und den Nervenkitzel ein, die die Handlung bestimmen:

Tammi staunte nicht schlecht, als er sah, wie Otto auf jeder Schulter fünf Stühle mühelos über den Burghof trug, während er selber mit Ach und Krach zwei schaffte.

„Mit der rechten Armarbeit musst du erst einmal beginnen", erklärte der Riese stolz.

In einem Winkel des Burghofes stand Rumpi und beobachtete grimmig, wie einträchtig die beiden miteinander plauderten. Als Tammi im Treppenturm verschwunden war, näherte sich Rumpi dem Riesen und zischte ihn an: „Ha! Willst mein Gefolgsmann sein und verbündest dich mit unseren Feinden. Merkst du nicht, Verräterseele, dass der Wicht dich übertölpeln will?"

Otto setzte mit einem Ruck die Stühle ab und schlug sich an die Stirn: „Was bin ich für ein Holzkopf! So einer nur ein gut Wörtlein mit mir redet, gäb ich Leib und Seele für ihn hin. Wart nur zu!"

Als Tammi wieder auf den Hof trat, winkte Otto den Jungen zu sich an den Burgbrunnen und riss mit einem Ruck den Holzdeckel auf. „Schau hinein, so du Mut hast!"

Arglos blickte Tammi in den tiefen Schacht, auf dessen Grunde der Wasserspiegel blinkte. Otto packte den Jungen am Hosenbund und ließ ihn über der Brunnenöffnung schweben. „Wollen sehen, wer der Stärkere von uns ist. Schwöre, dass du Ruhe gibst und uns nicht in die Quere kommst, wenn wir uns anschicken, die Burg zu erobern!"

Tammi zappelte heftig und blickte um sich. Kein Mensch war auf dem Burghof zu sehen. Nur das Rumpelstilzchen stand in einer Ecke und grinste höhnisch. Was blieb Tammi übrig? Hastig hob er die rechte Hand und flüsterte heiser: „Ich schwöre es."

Erleichtert stellte ihn der Riese wieder auf die Beine. Tammi rannte davon. Wer wollte es ihm verdenken, dass er keine Lust mehr hatte, Stühle tragen zu helfen?

Auf dem Altan traf er Keks und Umbo. Der Altan war ein ehemaliges Befestigungswerk oberhalb der äußeren Burgmauer, ein liebliches Fleckchen mit niedrigen Bäumen, um die sich Kletterrosen und das seltsame Kraut Jelängerjelieber mit seinen süß und stark duftenden Blüten rankten. „Was rennste denn so?", rief Umbo seinem Bruder entgegen. „Kuck mal, von hier aus kann man sogar den Brocken sehen. Da sollen früher die Hexen auf ihrem Besen raufgeflogen sein. Bloß gut, dass es unsere Geister nicht bis dahin geschafft haben."

„Hört mir auf mit Geistern", knurrte Tammi und ließ sich auf eine Bank plauzen.

Nachdem er berichtet hatte, was ihm widerfahren war, fragte Keks besorgt: „Und du hast es ihm wirklich feierlich geschworen?"

„Was sollte ich denn machen? Bin doch kein Tiefseetaucher." Tammi grinste. „Ich hab aber heimlich an der linken Hand zwei Finger gekreuzt. Also ist der Schwur ungültig."

„Vielleicht ist der Riese von Natur aus gar nicht böse", meinte Keks nachdenklich. „Er hat Angst vor dem Rumpi, und der hetzt die beiden andern auf."

Umbo musste lachen. „Der hat heute schon sein Fett weg. Wir hatten ja verabredet, dass ich ihn beobachten sollte. Zuerst hat er ganz brav an seiner Kasse gesessen und Eintrittskarten und Ansichtskarten verkauft. Für so 'n Geist von früher kennt er sich schon ganz schön mit unserm Geld aus, rechnet im Kopf wie ein Computer. Und was meint ihr, wie er die Leute anfaucht, wenn da mal einer mit so 'nem alten Spieß rumspielt oder einen Helm anfasst! Dann kam die Frau Lamprecht und meinte: ,Ich werd Sie mal ablösen, Kollege Rumpold. Dafür übernehmen Sie die nächste Führung. Sie waren ja schon ein paar Mal dabei und haben gut aufgepasst.'

In „Potsdamer Geschichten“ von Gisela Heller wird die historische Entwicklung der Stadt Potsdam lebendig und detailreich nachgezeichnet. Ein besonders eindrucksvoller Abschnitt des Buches widmet sich dem Militärwaisenhaus, das von Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1722 gegründet wurde. Diese Einrichtung, die sowohl komische als auch traurige Elemente aufweist, spiegelt die damaligen sozialen und politischen Verhältnisse wider. Der folgende Auszug beschreibt die strengen Lebensbedingungen der Waisenkinder und die penible Fürsorge des Königs, der selbst die kleinsten Details ihres Alltags regelte:

„Nichts war früher so komisch und traurig zugleich wie diese kleinen Burschen, diese Miniatur-Unteroffiziere, eingeklemmt in Uniformen, die ganz Kind und ganz Militär schon waren, und je kleiner und winziger, desto wichtiger ihre breiten Schuhe klirrend auf holpriges Pflaster setzten.“

So hat sie der Schriftsteller Georg Hermann noch in den Zwanzigerjahren auf seinen Spaziergängen durch Potsdam gesehen.

Als Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1722 das Militärwaisenhaus gründete, musste dies eine segensreiche Einrichtung genannt werden, denn in anderen Ländern kümmerten sich die Monarchen einen Teufel umsolches „Lumpengesindel“. Der Soldatenkönig aber brauchte jeden Mann, um seine ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen. Das gibt er in der Stiftungsurkunde auch unumwunden zu: „… anerwogen, dass viele Soldaten ihre Kinder Theils aus Unvermögen, Theils aus Sorglosigkeit, so wenig im Christentum, alß welches doch das eintzige Mittel ist, wodurch gute Unterthanen gemachet werden müssen, alß anderem zu ihrem Unterhalt und weiterer Nahrung dienlichen Wissenschaften nicht erziehen lassen können …“, müsse der König eben selber dafür sorgen, dass gute Untertanen aus ihnen würden. Als praktisch veranlagter und sparsamer Mensch schwebte ihm das Modell der Franckeschen Stiftung in Halle vor, in denen Waisenkinder in Gottesfurcht erzogen und mit allerlei handwerklichen Fähigkeiten fürs Leben ausgerüstet wurden. Francke sollte ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen und war gern bereit dazu, doch als er erfuhr, dass der Preußenkönig seine Waisenkinder von ausgedienten Soldaten „erziehen“ lassen wollte, verzichtete er auf tätige Mithilfe.

Der König selbst war oberster Chef des Hauses, als Stellvertreter fungierte – der preußische Kriegsminister. Der Direktor stand im Range eines Oberst, und der bürgerliche Hofrat Klinte war für Ökonomie und Strafen zuständig.

Im Jahre 1730 konnte das Waisenhaus bereits über tausend Kinder aufnehmen, meist Sprösslinge aus Konkubinaten von Grenadieren mit Potsdamer Mägden. Um nun das Waisenhaus finanziell sicherzustellen, flossen ihm gnädiglich Einkünfte aus Gütern und Manufakturen zu. Manchmal flossen die Gelder auch aus recht merkwürdigen Quellen. So musste zum Beispiel jedes jüdische Ehepaar, das im Lande getraut sein wollte, den Erlaubnisschein mit zehn Reichstalern in Gold erkaufen, was schmerzhaft viel Geld war. Es floss in die Kasse des Waisenhauses, über das der König wachte wie über seine Tabakpfeifensammlung. Er kümmerte sich buchstäblich um alles und legte selbst den Speiseplan fest. Am ersten Tag der Woche sollten die Kinder Hering essen, am zweiten Käsebrot, am dritten Schweinefleisch, am vierten Wurst, am fünften Butterbrot, am sechsten Kaldaunen und am Sonntag Rindfleisch. Zum Abendbrot gab es durchweg Mehlsuppe oder Grütze, zum Frühstück eine Scheibe trocken Brot mit Salz.

Der König entwarf auch höchsteigenhändig einen Stundenplan für das ganze Jahr: „Die Hauß-Knechte sollen um 5 Uhr aufstehen, um die Knaben um 6 Uhr zum Waschen herauszuführen. Von 7 bis 8 Uhr ist öffentliche Bäth-Stunde, daran neben den Kindern auch alle Domestiquen beywohnen sollen. Von 8 bis 9 Uhr wird Frühstück ausgetheylet, wobei ein Spruch oder Lied vorgebäthet wird. Von 9 bis 11 Uhr wird Schule gehalten. Von 11 bis 12 ist Frey- und Reinigungsstunde, es sollen sich die Knaben auf dem Hoff eine Motion machen. Danach wird Essen und Braunbier gereicht, wobei ein Capitel aus der Bibel gelesen wird. Nach dem Dankliede wieder Frey- und Reinigungsstunde, von 2 bis 4 Uhr wieder Schule. Um 4 Uhr wird die Biblische Historie erklärt, wobey wieder alle Bedienten anwesend seyn sollen. Weßen Aufwartung dringend gebraucht wird, muss die Bäthstunde nachgeholt werden. Um 6 Uhr Abendläuten und Abendbrot, danach wird ein biblischer Spruch erklärt und mit dem Abendliede geschloßen. Worauf die Knaben des winters halb neun, des sommers halb zehn von denen Hauß-Knechten zu Bette gebracht und visitiret werden, dass keiner nicht Licht Bei sich habe oder andere Bosheit ausübe.“

Fünf Hausknechte und fünfzehn Weiber hatten rund um die Uhr für das leibliche Wohl der Zöglinge zu sorgen. Sie waren von früh fünf bis mindestens abends halb neun vollauf beschäftigt, zumal sie ja ständig durch die „Bät-Stunden“ vom Kochen, Schrubben und Läusesuchen abgehalten wurden. Auf der sozialen Leiter standen sie so weit unten, dass sie im Grunde nicht viel besser dran waren als Gefangene. Über ihren Lohn steht nirgends etwas geschrieben. Man kann sich aber gut ausmalen, dass diese geschuriegelten Kreaturen sich wieder Kreaturen suchten, die sie ungestraft treten konnten, und das waren die Waisenkinder. Ein Lehrer erhielt zu dieser Zeit sechs Taler und acht Groschen im Monat, ein Prediger acht Taler und zwanzig Groschen, wahrscheinlich, weil er durch die vielen Betstunden mehr strapaziert wurde.

Übrigens sagte der Stundenplan nicht die volle Wahrheit: Es wurden nämlich in zunehmendem Maße Zöglinge an hoch dotierte Unternehmen ausgeliehen. Die Gewehrfabrik Daum & Splittgerber erhielt als erste auf königlichen Befehl sechzig Kinder. Und der Hofprediger gab seinen Segen dazu. Daum & Splittgerber hatten vom Soldatenkönig eine Art Rüstungsmonopol übertragen bekommen.

Als billigste Arbeitskräfte schlugen zweifellos die Waisenhauszöglinge zu Buche, die zweitbilligsten waren des Königs Soldaten. Da sie nicht das ganze Jahr über exerzierten, vermietete sie der Herr Hauptmann als Chef der Kompanie an Unternehmer. Unteroffiziere übernahmen die Aufsicht und trieben ihre Leute in den Fabriken genauso an wie auf dem Exerzierplatz.

In ihrem Buch „Von 2023 nach 1650: Eine unglaubliche Reise der Schweriner Brüder“ entführt Gisela Pekrul die Leser auf eine faszinierende Zeitreise. Die Brüder Joshua und Noah finden sich plötzlich im 17. Jahrhundert wieder und müssen sich in einer völlig fremden und gefährlichen Welt zurechtfinden. Der folgende Auszug schildert einen dramatischen Zwischenfall, bei dem die Brüder sich vor den Stadtwächtern und misstrauischen Dorfbewohnern verstecken müssen. Diese Szene zeigt die Herausforderungen und Gefahren, denen die Brüder in dieser unbekannten Zeit ausgesetzt sind:

Ein unerwarteter Zwischenfall

Endlich verlassen der Stadtwächter und der Büttel die Hütte. Alle atmen auf, wagen aber noch nicht zu sprechen, weil sie nicht wissen, ob die beiden Männer vor der Tür lauschen. Nach einer gefühlten Ewigkeit traut sich der Vater aus der Tür und sieht sich misstrauisch um. Die gefährlichen Männer betreten gerade die Brücke über den Stadtgraben. Die umstehenden Hütten sind alle geschlossen. Offensichtlich steckt ihren Bewohnern auch noch der Schreck über die unerwarteten Besucher in den Gliedern.

„Eilt, aber passt auf, dass Euch keiner aus den anderen Hütten sieht, vor allem keiner von den Habersacks. Schleicht Euch zur Brücke und mischt Euch unter das Volk, das aus den Stadttoren strömt. Gebt vor, als wärt Ihr Teil einer der Familien, die zum Richtplatz drängen. Redet nicht übermäßig, Eure Zunge klingt zu fein für uns schlichte Leute. Wir werden Euch in einigem Abstand folgen. Es darf nicht bekannt werden, dass wir uns gesehen haben. Gott mit Euch!“

Die Jungen eilen hinaus, sehen sich neugierig um und entdecken mehrere solche kleinen Holzhäuser mit einem Dach aus Stroh. Die Hütten haben nur kleine Öffnungen statt Fenstern und werden durch roh aus Brettern gezimmerten Türen verschlossen. Schornsteine gibt es nicht, aber sie haben ja schon gesehen, dass der Rauch durch ein Loch im Dach entweicht. „Meine Sachen riechen nach Rauch. Erst jetzt merke ich, wie es in der Hütte gestunken hat“, sagt Joshua leise zu seinem Bruder.

Noah lacht: „Mama hätte schnell alle Fenster aufgerissen, damit frische Luft reinkommt. Doch es gibt ja nur ganz kleine Öffnungen als Fenster.“ Ernsthaft fügt er hinzu: „Wir haben gesehen, wie arm die Menschen sind. Alle leben in einem einzigen kleinen dunklen Raum, sitzen und schlafen auf Stroh und kochen auf offenem Feuer. Und trotzdem haben sie uns geholfen.“

Beinahe vergessen die Jungen über alldem, wovor der Mann sie gewarnt hat. Sie sehen vor sich die Brücke über den Stadtgraben, links und rechts die hohe Stadtmauer und am Ende der Brücke den hohen Wehrturm. Was sie von der Stadt im Hintergrund erblicken, ist ihnen völlig fremd.

Die beiden kommen unerkannt bis zur Brücke. Joshua denkt daran, wie sie zähneklappernd aus dem Fluss gestiegen sind. „Das waren gute Menschen. Wir konnten uns so schön aufwärmen. Die wollene Decke schützt uns vor der Kälte und meine Sachen sind fast trocken“, frohlockt Joshua.

„Sei leise“, flüstert Noah.

Ein nicht enden wollender Strom von Menschen, Karren und Reitern bewegt sich von der Brücke entlang der Felder Richtung Nordwesten. Sie drängen sich dazwischen, und fühlen sich in der großen Menschenmenge ziemlich sicher. Sie fallen mit der Decke, die ihre schwarzen Locken, die Kleidung aus dem 21. Jahrhundert und die bunten Schulranzen bedecken, nicht auf. Viele sind ähnlich wie die Familie, die sie in ihrer Hütte versteckt hatte, gekleidet. Oft sind die Sachen schmutzig, mit großen Flicken versehen oder gar zerrissen. Die Gesichter sind hinter großen Hüten verborgen. Andere wiederum schützen sich vor der Kälte ebenfalls mit einer umgehängten Decke. Einige sehr vornehm gekleidete Herren oder Damen reiten auf Pferden.

Die beiden Jungen sehen sich erstaunt um und sprechen leise miteinander: „Das müsste doch die Wismarsche oder Lübecker Straße sein. Wir waren hier oft mit Mama unterwegs oder sind mit der Straßenbahn vom Marienplatz aus gefahren.“ „Jetzt ist es noch ein ungepflasterter Weg voller Pferdeäpfel und Kuhfladen, zwischen Feldern und vereinzelten kleinen Hütten.“ „Das Kino, die Bibliothek und der Bahnhof sind auch weg.“ „Nirgends ein Geschäft oder eine Gaststätte!“ Abwechselnd flüstern sie sich verwundert ihre Eindrücke zu.

Noah dreht sich kurz um, da trifft sein Blick den des Jungen, der ihnen beim ersten Versuch, ins Warme zu kommen, die Tür sofort wieder zugeschlagen hat. Er versucht, sich weiter vorn in der Menge zu verstecken, doch da schreit der Junge schon: „Da sind die beiden schwarzen Teufel. Sie werden uns alle holen.“

Sofort entsteht unter den Menschen, die sich bisher munter plaudernd hinter- und nebeneinander auf dem schmutzigen Weg vorwärtsbewegt haben, große Unruhe. Ängstlich weichen die Leute vor den beiden zurück, denn keiner will vom Teufel berührt werden. Viele murmeln leise Gebete oder bekreuzigen sich. Noah zieht seinen kleinen Bruder in schnellem Lauf an den aufgeschreckten Menschen vorbei weiter nach vorn. Zurück können sie nicht und die abgeernteten Felder seitlich bieten erst recht keinen Sichtschutz. „Vielleicht gibt es bald einige Bäume und Sträucher, hinter denen wir uns verstecken können“, denkt Noah. Diese kleine Unaufmerksamkeit reicht aus, dass er vor sich einen großen Mann übersieht und mit ihm zusammenstößt. Der Große schimpft schrecklich und versucht, Noah zu packen. Der Junge erschrickt, wendet instinktiv einen Karategriff an und streckt den kräftigen Mann nieder.

Nun ist erst recht alles in Aufruhr. „Das ist des Teufels Werk, Hexenkunst! Ergreift ihn!“, schreien alle durcheinander. Während einige sich um den wie tot auf dem Weg liegenden Mann kümmern und andere ihn nur erstaunt anstarren, ist Joshua heimlich auf einen Ochsenkarren geklettert, hat sich hinter einem großen Fass versteckt. Noah tut es ihm gleich.

Die Menge tobt nun erst recht, weil die Jungen verschwunden sind. „Ich hab's mit eigenen Augen gesehen, wie sie durch die Lüfte sausten“, ruft einer. „Der Teufel hat sie sicherlich wieder zu sich geholt“, meint ein anderer.

Niemand entdeckt die beiden auf dem Karren, nicht einmal der Bauer, der neben dem Karren einhergeht, und so nähern sie sich unbehelligt dem Richtplatz. „Ich hab furchtbare Angst, dass man uns entdeckt“, jammert Joshua leise. „Ich glaube nicht, dass sie Kinder wirklich auf dem Scheiterhaufen verbrennen“, versucht ihn sein Bruder zu beruhigen.

Hinter ihnen sehen sie einen vornehm gekleideten Reiter, der in heftigem Galopp auf den Wagen zureitet, ohne sich um die vielen Leute und Karren zu kümmern. Die Menschen springen schnell zur Seite, Zugtiere werden unruhig, und der Bauer weicht rasch mit seinem Ochsenkarren auf das Feld aus. Dabei übersieht er einen großen Stein, beinahe schon ein Felsen. Ein heftiger Ruck lässt das Fahrzeug erzittern, die Deichsel mit dem Ochsen löst sich und das Gefährt saust ungebremst den Hang zum Richtplatz hinunter, in die dort dichtgedrängte Menge hinein. Der Bauer läuft wild gestikulierend seinem Wagen nach, erreicht ihn aber nicht mehr. Ein Mann versucht, den Wagen aufzuhalten, wird jedoch von dem immer schneller rollenden Gefährt zur Seite gedrückt und setzt sich mitten in einen Kuhfladen. Lautes Gelächter der Umstehenden ist der Lohn für sein Pech.

Die Jungen haben keine Freude an dieser Komik. Schon als der Karren in Bewegung geriet, spürten sie, wie die Fässer hinter ihnen ins Rutschen kamen. Das Geräusch von knirschendem Holz und das Klappern der Fässer wird immer lauter. Joshua, der weiter hinten sitzt, spürt, wie ein Fass gegen seine Beine stößt. Er versucht, es mit den Füßen wegzudrücken, aber es ist zu schwer.

„Noah, hilf mir!“, ruft er voller Panik.

Wenn Sie Krimis mögen, in denen es nicht nur heftig zur Sache geht, sondern auch die Hintergründe erörtert werden, dann dürfte Ihnen „Neuntöter“ gefallen. Denn Jan Flieger liefert auch eine Charakteristik des Mörders, die seine grausame Tat nicht entschuldigen, aber Ansätze für seine Motivation liefern können:

Wie oft ist er einem Mädchen gefolgt, manchmal eine Stunde lang. Sie gehen vor ihm her, mit langen Beinen, ohne ihn zu bemerken, und er wagt es nicht, sie anzusprechen.' Er hasst sie und begehrt sie zugleich. Und da entsteht der Gedanke, ein Mädchen im Wald zu fangen, es zu fesseln, es zu verstecken in einer Höhle und so mit ihm machen zu können, was immer er will. Das ist nicht ausführbar, weiß er. Aber wie sonst kann er zu einem Mädchen oder zu einer Frau kommen?

„Schade“, witzelte einer in der Brigade, „Dass es bei uns keinen Puff gibt. Die entjungfern dich gekonnt, Neuntöter.“ „Neuntöter“ nennen sie ihn, weil er einmal erzählte, wie er an einem Abend neun Mücken erschlagen hat.

Ein anderes Leseerlebnis liefert C.U. Wiesner mit seinen „Spukgeschichten“, heute mit „Spuk unterm Riesenrad“: Auf einem Staubsauger fliegen sie durch die Lüfte - vom Alexanderplatz zur Burg Falkenstein im Harz:  Hexe Emma, Riese Otto und der böse Zwerg Rumpi, lebendig gewordene Figuren aus einer Berliner Geisterbahn. Die drei Enkelkinder des Schaustellers, Umbo, Tammi und Keks, machen sich auf zu einer atemberaubenden Verfolgungsjagd. Guten Flug und viel Vergnügen.

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die Entscheidung, welche fünf Sonderangebote zum Sonderpreis in der nächsten Woche zu den Abonnentinnen und Abonnenten dieses Newsletters in Auszügen gelangen, ist schon gefallen.

Dazu gehört auch die sehr persönliche Aufarbeitung einer Biografie in der DDR. In „Das Sudelfass. Eine gewöhnliche Stasiakte“ schreibt Alexander Kröger - so das Autoren-Pseudonym von Helmut Routschek (1934 bis 2016), der zwischen 1969 und 1994 dreizehn wissenschaftlich-fantastische Romane mit einer Gesamtauflage von über 1,6 Millionen Exemplaren veröffentlichte -, wie er unter den Verdacht geraten war, ein Agent des Westens zu sein und nach allen Regeln „der geheimdienstlichen Kunst“ observiert und ausgeforscht worden war. Ein beklemmendes Zeitdokument.

EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 29 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Der Verlag gibt Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher als barrierefreie E-Book heraus, einige auch als Hörbuch. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.300 Titel. Die Printsparte des Verlages war Ende vergangenen Jahres von Ralf Jordan vom Geschichtlichen Büchertisch als Imprint übernommen worden.

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