Auch im zweiten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 26.07. 24 – Freitag, 02.08. 24) zu haben sind, wird nach einer Antwort auf eine der entscheidenden Fragen gesucht: Wie konnte es geschehen? Dabei sind manchmal aufschlussreiche Tatsachen mit Schweigen übergangen oder in einen Zusammenhang gerückt worden, der nicht der Wirklichkeit entspricht. Erstmals 1965 hatte Günther Krupkat im Verlag Das Neue Berlin seinen „Titanic“-Roman vorgelegt, der den verwirrenden Erscheinungen auf den Grund geht und vor keinem Tabu haltmacht.
Ausgelassenheit und Wettfieber kennzeichnen die Stimmung der Passagiere in der ersten Klasse, Trotz und Ungewissheit die der Auswanderer im Zwischendeck. Es gibt Intrigen und Liebesaffären, Klatsch und Rauferei. Aber vor dem Eishauch des Todes verblassen die kleinen Skandale. Die Gewissheit des Untergangs wird zum Prüfstein für menschliche Größe und mancher versagt, der zuvor in hellem Licht gestanden hat. Der letzte Akt der Tragödie spielt vor einer amerikanischen Kommission, die die Überlebenden befragt. Die Verhandlung deckt ein unfassbares Maß von Niedertracht und Menschenverachtung auf.
In einer Nachbemerkung unterscheidet der Verfasser zwischen romanhafter Erfindung und faktischer Wirklichkeit und bestätigt die heute unvorstellbare Verantwortungslosigkeit, mit der mehr als fünfzehnhundert Menschen in den Tod getrieben worden waren.
Und so überraschend beginnt dieser spannende Titanic-Roman von 1965 – erstmals 53 Jahre nach der großen Katastrophe veröffentlicht:
Am 17. Februar 1957 meldete die Presse: Einen seltsamen Fund machte die Besatzung eines auf der Eisbergroute kreuzenden amerikanischen Wachschiffs …
Der Fund
Eine frische Brise rupft die See. Flach und behäbig rollt die Dünung über die Große Bank vor Neufundland. Von Luv her stäuben kleine, harte Wellen gegen das Schiff. Der Himmel ist klargefegt, strahlendblau bis zur Kimm, mit ein paar weißen Wolkenfetzen. Ein Wetter wie selten in diesen Breiten des Nordatlantiks. Der Matrose Pat meint, das sei so, weil heute sein Geburtstag ist. Neunzehn muntere Lenze hat der Bengel hinter sich. „Mach man weiter so. Aus dir wird schon noch ein Seemann“, sagte der Alte am Morgen, jawohl! Pat rekelt sich in der Koje und genießt die Freiwache. Die Hände unterm Kopf, döst er mit halbgeschlossenen Augen, träumt ein bisschen. Na, wovon schon? Von schlanken Girls natürlich. Landurlaub müsste man haben. Das ausgerechnet diesmal sein Törn dran war! Er stößt mit dem Fuß gegen den Boden des oberen Bettes. „Dave!“ „Eh?“, grunzt eine Stimme. Bretter knarren. Ein schwerer Körper wälzt sich herum. Grübelnd fischt Pat nach einer zerknitterten Packung „Old Virginia“, zieht mit spitzen Lippen eine Zigarette heraus. „Wie lange bleiben wir noch draußen? Vier Tage?“ „Exactly.“ Und dann passiert es …
Erstmals 2008 veröffentlichte Siegfried Maaß „Das Haus an der Milchstraße“. Die Handlung setzt wenige Jahre nach dem Ende des letzten großen Krieges in einer ostdeutschen Kleinstadt ein. Steffens Vater befindet sich noch immer in sowjetischer Gefangenschaft, und der Zwölfjährige hofft täglich auf die Nachricht von dessen Heimkehr. Inzwischen hat sich ein Fremder bei ihnen breit gemacht und zwingt ihm ein ungewohntes Leben auf. Seine Mutter ist schwanger. Zunächst freut er sich. Das Neugeborene empfängt er feierlich mit einer Girlande. Aber bald spürt er, dass die „halbe Schwester“ seiner Mutter scheinbar mehr bedeutet als er.
Wir schrieben das Jahr 1980. Als sich Klaus Möckel damals daran machte, altbekannte Märchen mit List und etwas Tücke für die Gegenwart herzurichten, unterschieden sich, wie man vielleicht noch weiß, die Verhältnisse in einem Teil Deutschlands erheblich von den derzeitigen. Trotzdem lohnt es sich, „Tischlein deck dich! Alte Märchen – neu verputzt“ von Klaus Möckel wieder einmal zur Hand zu nehmen und gleichsam in einen Spiegel zu schauen ...
Erstmals 1994 veröffentlichte Ingrid Möller „Das mecklenburgische Reutergeld von 1921. Ein kulturgeschichtliches Kuriosum“. Darin geht es um die Herausgabe von Notgeld, die viele Sammler zur schieren Verzweiflung brachte. Ebenso verzweifelt kämpfen die Beamten des Mecklenburgischen Finanzministeriums gegen so viel unerlaubten Wildwuchs. Immer wieder kommt ihnen zu Ohren, dass ungenehmigte Serien in Umlauf sind oder die Auflagenhöhe überschritten wurde.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Ein Blick zurück in schlimme Zeiten, als Deutsche sich nicht als Deutsche zu erkennen geben durften …
Erstmals 1985 erschien im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin „Das Tal der Hornissen“ von Jan Flieger: November 1944. Slowakei. Ein früher und bitterer Winter wird erwartet. SS-General Höfle will die Partisanen, die sich in die Berge zurückgezogen haben, zu Tode hetzen. Kälte, Fieber und Hunger sollen die töten, die keine Kugel trifft.
Zu den slowakischen Partisanen gehören auch zwei Deutsche, die eines Nachts aus einem sowjetischen Flugzeug abgesprungen sind, sie tragen sowjetische Uniformen ohne Rangabzeichen und haben russische Decknamen. Auch die Partisanen dürfen nicht wissen, dass sie Deutsche sind – Deutsche, wie diejenigen, die sich jetzt auf das Gebiet zubewegen, in dem die Erdbunker der Partisanen liegen. Wieso wussten ihre Feinde so genau Bescheid? Und was war mit den Posten geschehen, die so getarnt standen, dass sie nur der Eingeweihte entdecken konnte?
Ein gnadenloser Wettkampf zwischen den heranziehenden SS-Leuten und den Partisanen beginnt, darunter den beiden Deutschen. Bärenbach und Fechner. Obwohl der Tod, getarnt mit weißen Schneehemden und Kapuzen, von allen Seiten kommt, können sie mehrfach entkommen. Aber können sie sich auch in das neue Operationsgebiet absetzen?
Und dann: Der Schuss fiel plötzlich. Es war ein einzelner Schuss. Fechner krümmte sich zusammen, ehe er seitwärts zwischen die Tannen stürzte. Sofort warf sich auch Bärenbach in ihren Schutz. Wer hatte geschossen? War es nur ein Schütze? Lauerte er mit anderen im Schutz der Stämme?
Und noch ein wichtiger Hinweis: bis zum 26. Juli kann das E-Book „Von 2023 nach 1650: Eine unglaubliche Reise der Schweriner Brüder“ von Gisela Pekrul kostenlos heruntergeladen werden: In den lebendigen Straßen von Schwerin, zwischen modernen Bussen, Straßenbahnen und historischen Fassaden, stoßen Noah und Joshua auf ein rätselhaftes Buch, das sie auf eine Reise schickt, die ihr Leben für immer verändern wird. Ein geheimnisvoller Zauberspruch wirbelt sie aus dem Jahr 2023 in das Jahr 1650 - in eine Epoche, in der ihre dunkle Hautfarbe Argwohn erregt und ihre Kleidung Fragen aufwirft.
Hier folgt eine Leseprobe aus "Das Haus an der Milchstraße" von Siegfried Maaß. Die Erzählung entführt uns in die Welt des 12-jährigen Steffen, der sich mit den alltäglichen Herausforderungen und den besonderen Erlebnissen seiner Kindheit auseinandersetzt. Erfahren Sie, wie er durch einen glücklichen Zufall einer heiklen Situation entkommt und welche Pläne seine Mutter für ihn und den neuen Schlitten schmiedet. Doch die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, als ein überraschender Besuch von Onkel Franz das Weihnachtsfest in ein neues Licht rückt.
Gar nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn ich den Schlüssel erwähnt hätte, meinte er, indem er mir nochmals auf die Schulter klopfte. Vielleicht hätte sein Vater ihn noch geschont, doch für seine Mutter wäre es schlimm ausgegangen, erklärte er. Sein Vater duldete es nämlich nicht, wenn man ihn belog oder etwas hinter seinem Rücken trieb, das in seine Zuständigkeit eingriff. Und die Schlüsselgewalt stand allein ihm, dem Herrn und Meister, zu. So schilderte mir Fede die Ansicht seines Vaters. Ich war darum noch nachträglich froh, dass mir im richtigen Augenblick bewusst geworden war, den Schlüssel in meiner Tasche nicht erwähnen zu dürfen.
Den Schlitten hätte ich sogar mit nach Hause nehmen können, wenn Gelegenheit gewesen wäre, ihn im Keller unterzustellen. Doch dafür hatten wir keinen Platz. Als meine Mutter davon hörte, wie großzügig sich mein neuer Freund verhielt, hatte sie sofort Pläne geschmiedet - sie wollte dann für den Schlitten eine aufsetzbare Lehne besorgen, sodass ich jeden Nachmittag, nachdem ich meine Hausaufgaben erledigt hätte, Franziska in der frischen Schneeluft im Schlitten kutschieren könnte.
Gut in Decken eingepackt, sollte sie sich „rote Bäckchen“ holen und sich von der Stubenluft erholen.
Sie hatte mich nicht einmal gefragt, ob ich dazu Lust hatte. Aber war ich vielleicht ihr Kindermädchen? Ich zermarterte mir deswegen den Kopf, wie ich ihr beibringen konnte, dass ich den Schlitten unbedingt für mich allein haben wollte. Endlich hätte ich dann einmal wie viele andere aus meiner Klasse zum Fuchsberg gehen und rodeln können! Hätte nicht den einen oder anderen fragen müssen, ob sie mich mal fahren ließen oder ich bei ihnen als „Beschwerer“ mitfahren konnte. So nannten sie den hinteren Aufsitzer, der eine zusätzliche Belastung darstellte und für eine größere Geschwindigkeit sorgte. Dafür hatten die meisten jedoch ihre guten Freunde ausgewählt, die anschließend den leeren Schlitten wieder bergauf schleppen durften. Das waren aber stets schwergewichtige Jungen, deren Väter Bauern waren und die auch in dieser Zeit keinen Mangel litten. Aber wegen des ausbleibenden Schnees waren alle Pläne umsonst ausgedacht und jede Beschwerer-Absprache vergeblich getroffen.
Dennoch bot die Zeit um Weihnachten einige Überraschungen für uns, sodass ich wahrscheinlich gar nicht zum Schlittenfahren gekommen wäre; selbst bei allerschönstem Schnee nicht.
Eines Morgens Mitte Dezember stand plötzlich Onkel Franz vor unserer Tür. Dreimaliges Klingeln galt uns; so hatte es der „strenge Waldi“ in Schönschrift auf eine schmale Pappe geschrieben, die unter der Klingel an der Wohnungstür angebracht war: Martin, dreimal klingeln. Meine Mutter war noch mit meiner „halben Schwester“ beschäftigt, sodass ich hinausging, um nachzusehen. Wir konnten uns nicht erklären, wer um diese Zeit zu uns wollte. Im Hintergrund dudelte das kleine Radio, das uns Onkel Franz geschenkt hatte. Schuricke besang die bei Capri im Meer versinkende Sonne, wobei meine Mutter immer sehr rührselig wurde. Wenn sie auch sonst ungestört sein wollte, solange sie mit Klein-Franzi beschäftigt war — aber bei Schurickes Caprisonne schien ihr jeder Handgriff noch einmal so gut und sicher zu gelingen. Selbst meine „halbe Schwester“ fand scheinbar Gefallen an dem Gesang, denn ihren eigenen hatte sie sofort eingestellt.
Noch etwas nachtschlapp schlurfte ich also hinaus und öffnete - und da stand er dann. Onkel Franz. Mit seiner schäbigen Aktentasche aus weich gewordenem schwarzen Leder, deren Schloss nicht mehr funktionierte. Ich hatte mich schon oft gefragt, weshalb er seine Beziehungen nicht nutzte, um sich eine neue Aktentasche zu beschaffen. Aber vielleicht wollte er mit der alten zeigen, dass er bescheiden und ein ebenso armer Schlucker war wie die meisten in unserer Wohngegend und auch darüber hinaus? Damit niemand auf den Gedanken kam, dass es wahr sei, was man von ihm behauptete? Nun war er sogar wieder frei. Ohne Prozess, ohne vor Gericht gestanden zu haben. Fedes Vater hatte mit seiner Voraussage recht behalten.
Hier folgt eine Leseprobe aus "Tischlein deck dich! Alte Märchen – neu verputzt" von Klaus Möckel. Diese moderne Interpretation klassischer Märchen entführt die Leser in eine Welt, in der altbekannte Geschichten mit einem zeitgenössischen Twist erzählt werden. In der nachfolgenden Geschichte dreht sich alles um die Abenteuer eines Mannes und seiner drei Söhne, die sich mit einer sprechenden Benzinkutsche und ihren eigenen magischen Errungenschaften auseinandersetzen müssen.
Tischlein deck dich!
Vor Zeiten lebte ein Mann, der drei Söhne hatte und nur eine Benzinkutsche. Die aber war sein liebstes Gut, und er behandelte sie besser als seine Frau. An einem Wochenende sprach er zu seinem ältesten Sohn: "Putz mir den Skoda, und zwar so, dass ich kein Fleckchen mehr dran sehe."
Der Sohn ging auch, obgleich etwas murrend, hinaus und reinigte das Auto nach allen Regeln der Kunst. Zum Schluss fragte er: "Na, Wägelchen, bist du schön sauber?"
Das Auto erwiderte: "Besten Dank,
War selten so blank, hepp, hepp!"
Da glaubte der Bursche seine Arbeit getan. Als sich der Vater jedoch ein paar Stunden später am Anblick des frisch gewaschenen Wagens laben wollte und fragte: "Nun, liebes Auto, bist du gut geputzt?", antwortete der Skoda:
"Du musst doch krank sein,
Wie sollt ich denn blank sein,
Mal drübergewischt
Und weiter nischt!"
"Was muss ich hören!", rief der Vater, der sofort hundert Streifen und Flecke im Lack zu entdecken glaubte, ging ins Haus und schimpfte mit dem Burschen. Und weil der mit gleicher Münze zurückzahlte, zankten sie sich so sehr, dass der Junge wenige Tage später die Familie verließ und sich in der nächsten Stadt Arbeit und ein Dach überm Kopf suchte.
Vierzehn Tage später war der zweite Sohn mit Autowaschen dran, und es gab dasselbe Theater.
"Besten Dank,
War selten so blank, hepp, hepp!",
rief der Skoda, und später, als Antwort auf des Vaters Frage:
"Du musst doch krank sein,
Wie sollt ich denn blank sein,
Mal drübergewischt
Und weiter nischt!"
Da kam es denn zum Streit zwischen dem Vater und dem zweiten Sohn, und auch dieser verließ das Haus. Als das Gleiche schließlich noch mit dem dritten Sohn passiert war und die Frau dem Mann Tyrannei und Affenliebe zu einem toten Gegenstand vorwarf, der ihm mehr bedeute als die Kinder, wurde der Vater stutzig und wusch den Wagen selbst.
"Besten Dank,
War selten so blank, hepp, hepp!",
sagte der Skoda zunächst, eine Stunde später aber schrie er:
"Du musst doch krank sein,
Wie sollt ich denn blank sein ..."
Da erfasste den Mann die kalte Wut, und er gab dem Auto einen gewaltigen Tritt. Dabei brach er sich den großen Zeh, aber das war wirklich nur eine geringe Strafe für seinen Starrsinn und seine Dummheit.
Nun hätte der Vater gern seine Söhne zurückgerufen, doch er wusste ihre Adressen nicht. Es blieb ihm deshalb nichts anderes übrig als abzuwarten. So vergingen einige Jahre. Eines Tages jedoch kündigte der Älteste seine Rückkehr an. Er hatte in einem Textilkombinat gearbeitet und würde, wie er schrieb, eine einzigartige Neuentwicklung mitbringen. Aber dazu kam es nicht, die Umstände hatten sich gegen ihn verschworen. Es handelte sich bei der Erfindung um ein Spezitexgewebe, das, wenn man es über einen Tisch breitete und "Tischlein, deck dich!" rief, umgehend die schönsten Speisen und Getränke herbeizauberte. Mit diesem Tuch hätte der Bursche zu Hause durchaus Ehre eingelegt, wäre er nicht am Abend vor seiner Abreise noch im Restaurant "Weinkeller" eingekehrt. Dort wollte man ihm nämlich eine halbe Stunde vor Küchenschluss nichts mehr zu essen geben, und da half er sich kurzerhand mit der Tischdecke aus. Der Objektleiter, der das mitbekam, witterte eine große Chance für sich. Nie mehr würde er seinen Gästen Kochfleisch als Rinderfilet unterjubeln und zerkleinertes Schnitzel als Schweinelendchen servieren müssen, wenn er einen Hunderter für die eigene Tasche erwirtschaften wollte. Ein Tischtuch, das dem Zauberding zum Verwechseln ähnlich sah, hatte er im Wäscheschrank. Die beiden Stücke auszutauschen, als der Bursche einmal zur Toilette ging, war für ihn ein Kinderspiel. So kam es, dass der älteste Sohn zwar mit einem Tüchlein zum Vater zurückkehrte, sich aber ganz schrecklich blamierte, als er sein Kunststück vorführen wollte.
Der zweite Sohn hatte in einem Fahrradwerk gearbeitet und wollte nun gleichfalls nach Hause. Auch er hatte eine Neuentwicklung im Besitz, einen schicken Drahtesel. Wenn man dem ein "Esel, streck dich!" zurief und dazu die Klingel betätigte, sprangen die Zehnmarkstücke nur so auf dem Asphalt herum. Wollte man's nicht so auffällig machen, konnte man auch Fünfzigmarkscheine aus der Lenkstange ziehen.
Das Unglück brachte es mit sich, dass der Bursche am Abend vor seiner Abreise dieselbe HO-Gaststätte aufsuchte wie sein Bruder. Er dachte, sich für die letzte Nacht noch eine flotte Puppe zu angeln. Das gelang ihm nicht - er schaffte es nur, sich sinnlos zu betrinken. Auch hatte er, als es ans Bezahlen ging, nicht genügend Scheine in der Brieftasche. Doch dem ließ sich ja abhelfen. Er wankte zu seinem Rad, das er vorsichtshalber doppelt angeschlossen hatte, und brabbelte seinen Zauberspruch. Donnerwetter, sagte sich der Objektleiter, der ihm vor die Tür gefolgt war, da brauchtest du ja nie mehr "Auslese" für sowjetischen Kognak auszugeben, nie Orangenjuice mit Wasser zu verdünnen. Gedacht, getan - während der andere an der Bar einen letzten Whisky pur kippte, vertauschte er das Rad mitsamt dem Ständer, an dem es hing. Und geprellt wie sein Bruder kam der Bursche zu Hause an.
Endlich meldete auch der dritte Sohn seine Heimkehr an, und die beiden älteren konnten nur noch eins tun: ihn vor dem betrügerischen Gaststättenleiter warnen. Denn dass sie im "Weinkeller" geprellt worden waren, hatten sie inzwischen begriffen. Klar, dass der Jüngste sich dorthin aufmachte, als er das Telegramm der Brüder erhielt. Er hatte in einem Werk gearbeitet, wo Haushaltgeräte aus Plast hergestellt wurden, und nannte wie die anderen eine Neuheit sein eigen. Einen Fleischklopfer, der die Eigenschaft besaß, auf den Ruf "Knüppel, aus dem Sack!" jegliches Fleisch zu bearbeiten, das ihm zugewiesen wurde. In der verdächtigen Gaststätte angelangt, bestellte der Bursche den besten Sekt und legte den Fleischklopfer, der hübsch rot und weiß gestreift war, so auffällig wie möglich vor sich auf den Tisch. Der Objektleiter, der sich mittlerweile an Gäste mit Wunderdingen gewöhnt hatte, trat auch gleich hinzu. "Sie haben da wohl einen kleinen Zauberstab, junger Freund?", sagte er scherzend.
"Ganz recht, einen Zauberstab!"
"So, und was stellt man mit ihm an?"
"Das wirst du gleich sehen, Spitzbube!", rief der Bursche, der sich nicht länger zurückhalten konnte, "Knüppel, aus dem Sack!"
Da sprang der Klopfer vom Tisch und machte sich vor den erstaunten Gästen und Serviererinnen über den Objektleiter her, dass der nicht mehr wusste, wo unten und oben war. "Was soll das heißen, was hab ich dir getan?", schrie der Geprügelte. "Ruf ihn zurück, er wird mich noch umbringen!"
"Erst wenn du herausrückst, was du meinen Brüdern gestohlen hast - du weißt Bescheid."
"Alles geb ich zurück, alles!" Der Bursche rief den Klopfer zurück; der Objektleiter, braun und blau geschlagen, holte Tuch und Drahtesel und händigte beides dem Gesellen aus. Auch bat er die Gäste, die sich einmischen wollten, händeringend, nicht nach der Polizei zu telefonieren.
"Das lass dir eine Lehre sein", sagte der Bursche und brachte die drei Wunderdinge am nächsten Tag seinen Brüdern und Eltern. Die sich freilich nicht lange daran erfreuen konnten - wie oft bei solchen Neuentwicklungen, stellten sich bald ernsthafte Mängel ein. Das Tuch servierte nur noch Abfälle, das Fahrrad produzierte Schuldscheine, der Klopfer wandte sich gegen den eigenen Herrn. Ein Glück, denn sonst wäre der älteste Sohn womöglich noch ein Vielfraß, der mittlere ein Falschmünzer und der jüngste ein Radaubruder geworden.
Hier folgt eine Leseprobe aus "Das mecklenburgische Reutergeld von 1921. Ein kulturgeschichtliches Kuriosum" von Ingrid Möller. Die Leseprobe gewährt einen Einblick in die turbulente Zeit der frühen 1920er Jahre, als das Friedensnotgeld zu einer weit verbreiteten Plage wurde. In Schwerin und anderen Städten Mecklenburgs spiegelt sich die wachsende Mutlosigkeit der Bevölkerung in Hausinschriften wider. Gleichzeitig kämpften die Behörden vergeblich gegen den unkontrollierten Druck von Notgeld, das zunehmend zu einem Sammelobjekt und weniger zu einem echten Zahlungsmittel wurde.
Wer aufmerksam durch Schwerins Straßen geht, findet Hausinschriften, die Zeugnis ablegen von der wachsenden Mutlosigkeit. „Nicht verzagen, weiter wagen!" heißt es noch 1920.
„Wir sind im Dalas, das ist wahr, verkauft mit Haut und Haar" am 11. Mai 1921. „Sechs Mark zwanzig kost' der Stein. Jetzt lass ich das Bauen sein." Unmut richtet sich gegen Behörden: „Gott schütz' dies Haus vor Blitz und Brand, vor Wohnungsamt und Bubenhand."
In dieser Zeit allgemeiner Verunsicherung hatte sich das Friedensnotgeld „allmählich zu einem Unfug und zu einer Landplage ausgewachsen, die zum Himmel schreit". So jedenfalls charakterisiert Gustav Prange als Mitglied des Deutschen Notgeldsammler-Bundes die Situation und führt aus: „Jeder, der will, gibt soviel Notgeld heraus, als er für gut befindet, ganz gleich ob eine Millionenstadt oder ein Dorf von 400 Einwohnern, ob ein Unternehmen der Großindustrie, eine Klosettpapierfabrik (Gutscheine in vier Wertstufen!) oder sonst ein findiger Kolonialwarenhändler oder Gastwirt. Dazu jagt eine Ausgabe die andere. Alle möglichen Jubiläen und sonstigen Ereignisse müssen dazu herhalten, und all dieses Notgeld ist, wie die Offertbriefe (!) vieler Ausgabestellen an die Sammler besagen, nur ,unter dem unabweisbaren Zwange der Not entstanden. Obenzu vergrößern die Druckanstalten den Unfug, indem sie willkürliche Unterschiede auf den Scheinen schaffen (große und kleine Ziffern, mit und ohne Stern, Serienangaben, verschiedenartiges Papier, andere Farbabtönungen usw.) ..."
Durchblättert man die Akten im Landeshauptarchiv Schwerin, so wird der Zorn des Sammlers verständlich. Verzweifelt kämpfen die Beamten des Mecklenburgischen Finanzministeriums gegen soviel unerlaubten Wildwuchs. Immer wieder kommt ihnen zu Ohren, dass ungenehmigte Serien in Umlauf sind oder die Auflagenhöhe überschritten wurde. Die Bürgermeister werden mit Strafverfolgung bedroht. Die aber reden sich raus: sie hielten sich für berechtigt, da der Druck solcher Scheine zur Selbstverwaltung gehöre und weniger Geldschein sei als vielmehr Gegenstand einer besonderen Sammlerleidenschaft. Nachträgliche Genehmigungen werden nicht erteilt. Vermahnungen nachdrücklich gegeben an Kleinstädte wie Goldberg, Grevesmühlen, Grabow, Crivitz. Der Sternberger Bürgermeister Max Kaupisch soll 100 000 Mark Strafe zahlen. Ständig wird das Reichsgesetzblatt zitiert und immer wieder ergeht die Bekanntmachung, dass ungenehmigter Notgelddruck verboten und strafbar sei.
Ob genehmigt oder nicht - es war „die emissionsfreudigste Notgeldperiode in der bisherigen Geldgeschichte" (Klaus Schreyer).
Zur Rechtfertigung der Schwarzdrucke muss allerdings auch gesagt werden, dass offenbar ein wirklicher Mangel an Kleingeld bestand und dass jahrelang viele Anträge abschlägig entschieden wurden. Besonders eindringlich weisen die Fokker-Flugzeugwerke bereits 1917 darauf hin, dass sie sich außer Stande sehen, die Löhne auszuzahlen. Das Finanzministerium sträubt sich lange.
Hier folgt eine Leseprobe aus "Das Tal der Hornissen“ von Jan Flieger. In dieser packenden Szene fliehen Hanuš und seine Gefährten durch einen dunklen Tunnel, gejagt von Verfolgern. Die Spannung steigt, während sie um ihr Leben rennen, und die Gefahr ist allgegenwärtig. Jeder Schritt könnte ihr letzter sein, und das düstere Dröhnen der Schüsse verstärkt die unheimliche Atmosphäre.
Sie laufen, noch ehe die Schüsse fallend
Vor ihnen liegt der Tunnel, und sein Eingang gähnt wie ein schwarzes drohendes Loch. Eine Kugel reißt Hanuš die Mütze vom Kopf. Er läuft als letzter. Ihre Schritte dröhnen im Tunnel, den zwei Lampen sehr schwach erhellen. Der eisige Atem des Todes ist nah: Sind sie noch im Tunnel, wenn sie die Verfolger erreichen, haben sie keine Chance! Sie sind die besten Zielscheiben, die man sich denken kann!
Sie wickeln die Maschinenpistolen aus. Hanuš zerschießt die Lampen, die den Tunnel erhellen. Nun werden sie nicht gesehen, aber sie laufen selbst im Dunkeln. Die Schüsse dröhnen wie Kanonenböller. Nur nicht stolpern! Nur laufen, laufen...
Einhundertfünfzig Meter!
Einhundertfünfzig Meter Gefahr!
Sie haben die Hälfte der Unterführung geschafft, sie keuchen, und sie mobilisieren ihre letzten Kräfte zu einem Spurt. Sie starren nach vorn, sehen die Unterführung münden in einen hellen Fleck. Der Ausgang!
"Sie sind hinter uns!", ruft Hanuš erschrocken.
Bärenbach wirbelt herum, und er feuert sein ganzes Magazin leer, und während er es gegen ein neues auswechselt, hastet er den anderen nach. Unheimlich ist der Widerhall der Schüsse. Sie laufen weiter mit tauben Ohren. Das Ohr unterscheidet nicht mehr die einzelnen Schüsse. Ein Dröhnen füllt den Tunnel.
Noch acht Meter, noch drei! Querschläger zischen über ihre Köpfe.
Wenn die Deutschen nun auch am Ausgang lauern? Wenn sie hineinlaufen in die tödlichen Geschosse?
Karel hat den Tunnelausgang erreicht.
"Lauft auf der rechten Seite", schreit er, "ich schieße auf der linken!"
Garbe auf Garbe feuert er ab. Der Ausgang!
Sie hasten auf dem Bahnkörper entlang, rennen geduckt über Schienen, kriechen unter Güterwagen hindurch, laufen in ihrem Schutz und um eine Lokomotive herum, erklettern einen Zaun und lassen sich in den Schnee fallen, ehe sie einen Moment verschnaufen. Sie sind unverletzt, alle. Aber Karabinerfeuer schlägt gegen das Holz in ihrem Rücken. Eine Lokomotive pfeift grell.
Hier folgt eine Leseprobe aus „Von 2023 nach 1650: Eine unglaubliche Reise der Schweriner Brüder“ von Gisela Pekrul. Die Geschichte erzählt von einer abenteuerlichen Zeitreise zweier Brüder, die sich plötzlich in der Vergangenheit wiederfinden. In einer Welt voller Gefahren und fremder Bräuche müssen sie sich zurechtfinden und ihr Überleben sichern. Die nachfolgende Szene beschreibt einen dramatischen Moment, in dem sie vor Verfolgern fliehen und sich in einer unbekannten, bedrohlichen Umgebung zurechtfinden müssen.
„Von 2023 nach 1650: Eine unglaubliche Reise der Schweriner Brüder“ von Gisela Pekrul
Ein unerwarteter Zwischenfall
Endlich verlassen der Stadtwächter und der Büttel die Hütte. Alle atmen auf, wagen aber noch nicht zu sprechen, weil sie nicht wissen, ob die beiden Männer vor der Tür lauschen. Nach einer gefühlten Ewigkeit traut sich der Vater aus der Tür und sieht sich misstrauisch um. Die gefährlichen Männer betreten gerade die Brücke über den Stadtgraben. Die umstehenden Hütten sind alle geschlossen. Offensichtlich steckt ihren Bewohnern auch noch der Schreck über die unerwarteten Besucher in den Gliedern.
„Eilt, aber passt auf, dass Euch keiner aus den anderen Hütten sieht, vor allem keiner von den Habersacks. Schleicht Euch zur Brücke und mischt Euch unter das Volk, das aus den Stadttoren strömt. Gebt vor, als wärt Ihr Teil einer der Familien, die zum Richtplatz drängen. Redet nicht übermäßig, Eure Zunge klingt zu fein für uns schlichte Leute. Wir werden Euch in einigem Abstand folgen. Es darf nicht bekannt werden, dass wir uns gesehen haben. Gott mit Euch!“
Die Jungen eilen hinaus, sehen sich neugierig um und entdecken mehrere solche kleinen Holzhäuser mit einem Dach aus Stroh. Die Hütten haben nur kleine Öffnungen statt Fenstern und werden durch roh aus Brettern gezimmerten Türen verschlossen. Schornsteine gibt es nicht, aber sie haben ja schon gesehen, dass der Rauch durch ein Loch im Dach entweicht. „Meine Sachen riechen nach Rauch. Erst jetzt merke ich, wie es in der Hütte gestunken hat“, sagt Joshua leise zu seinem Bruder.
Noah lacht: „Mama hätte schnell alle Fenster aufgerissen, damit frische Luft reinkommt. Doch es gibt ja nur ganz kleine Öffnungen als Fenster.“ Ernsthaft fügt er hinzu: „Wir haben gesehen, wie arm die Menschen sind. Alle leben in einem einzigen kleinen dunklen Raum, sitzen und schlafen auf Stroh und kochen auf offenem Feuer. Und trotzdem haben sie uns geholfen.“
Beinahe vergessen die Jungen über alldem, wovor der Mann sie gewarnt hat. Sie sehen vor sich die Brücke über den Stadtgraben, links und rechts die hohe Stadtmauer und am Ende der Brücke den hohen Wehrturm. Was sie von der Stadt im Hintergrund erblicken, ist ihnen völlig fremd.
Die beiden kommen unerkannt bis zur Brücke. Joshua denkt daran, wie sie zähneklappernd aus dem Fluss gestiegen sind. „Das waren gute Menschen. Wir konnten uns so schön aufwärmen. Die wollene Decke schützt uns vor der Kälte und meine Sachen sind fast trocken“, frohlockt Joshua.
„Sei leise“, flüstert Noah.
Ein nicht enden wollender Strom von Menschen, Karren und Reitern bewegt sich von der Brücke entlang der Felder Richtung Nordwesten. Sie drängen sich dazwischen, und fühlen sich in der großen Menschenmenge ziemlich sicher. Sie fallen mit der Decke, die ihre schwarzen Locken, die Kleidung aus dem 21. Jahrhundert und die bunten Schulranzen bedecken, nicht auf. Viele sind ähnlich wie die Familie, die sie in ihrer Hütte versteckt hatte, gekleidet. Oft sind die Sachen schmutzig, mit großen Flicken versehen oder gar zerrissen. Die Gesichter sind hinter großen Hüten verborgen. Andere wiederum schützen sich vor der Kälte ebenfalls mit einer umgehängten Decke. Einige sehr vornehm gekleidete Herren oder Damen reiten auf Pferden.
Die beiden Jungen sehen sich erstaunt um und sprechen leise miteinander: „Das müsste doch die Wismarsche oder Lübecker Straße sein. Wir waren hier oft mit Mama unterwegs oder sind mit der Straßenbahn vom Marienplatz aus gefahren.“ „Jetzt ist es noch ein ungepflasterter Weg voller Pferdeäpfel und Kuhfladen, zwischen Feldern und vereinzelten kleinen Hütten.“ „Das Kino, die Bibliothek und der Bahnhof sind auch weg.“ „Nirgends ein Geschäft oder eine Gaststätte!“ Abwechselnd flüstern sie sich verwundert ihre Eindrücke zu.
Noah dreht sich kurz um, da trifft sein Blick den des Jungen, der ihnen beim ersten Versuch, ins Warme zu kommen, die Tür sofort wieder zugeschlagen hat. Er versucht, sich weiter vorn in der Menge zu verstecken, doch da schreit der Junge schon: „Da sind die beiden schwarzen Teufel. Sie werden uns alle holen.“
Sofort entsteht unter den Menschen, die sich bisher munter plaudernd hinter- und nebeneinander auf dem schmutzigen Weg vorwärtsbewegt haben, große Unruhe. Ängstlich weichen die Leute vor den beiden zurück, denn keiner will vom Teufel berührt werden. Viele murmeln leise Gebete oder bekreuzigen sich. Noah zieht seinen kleinen Bruder in schnellem Lauf an den aufgeschreckten Menschen vorbei weiter nach vorn. Zurück können sie nicht und die abgeernteten Felder seitlich bieten erst recht keinen Sichtschutz. „Vielleicht gibt es bald einige Bäume und Sträucher, hinter denen wir uns verstecken können“, denkt Noah. Diese kleine Unaufmerksamkeit reicht aus, dass er vor sich einen großen Mann übersieht und mit ihm zusammenstößt. Der Große schimpft schrecklich und versucht, Noah zu packen. Der Junge erschrickt, wendet instinktiv einen Karategriff an und streckt den kräftigen Mann nieder.
Nun ist erst recht alles in Aufruhr. „Das ist des Teufels Werk, Hexenkunst! Ergreift ihn!“, schreien alle durcheinander. Während einige sich um den wie tot auf dem Weg liegenden Mann kümmern und andere ihn nur erstaunt anstarren, ist Joshua heimlich auf einen Ochsenkarren geklettert, hat sich hinter einem großen Fass versteckt. Noah tut es ihm gleich.
Die Menge tobt nun erst recht, weil die Jungen verschwunden sind. „Ich hab's mit eigenen Augen gesehen, wie sie durch die Lüfte sausten“, ruft einer. „Der Teufel hat sie sicherlich wieder zu sich geholt“, meint ein anderer.
Niemand entdeckt die beiden auf dem Karren, nicht einmal der Bauer, der neben dem Karren einhergeht, und so nähern sie sich unbehelligt dem Richtplatz. „Ich hab furchtbare Angst, dass man uns entdeckt“, jammert Joshua leise. „Ich glaube nicht, dass sie Kinder wirklich auf dem Scheiterhaufen verbrennen“, versucht ihn sein Bruder zu beruhigen.
Hinter ihnen sehen sie einen vornehm gekleideten Reiter, der in heftigem Galopp auf den Wagen zureitet, ohne sich um die vielen Leute und Karren zu kümmern. Die Menschen springen schnell zur Seite, Zugtiere werden unruhig, und der Bauer weicht rasch mit seinem Ochsenkarren auf das Feld aus. Dabei übersieht er einen großen Stein, beinahe schon ein Felsen. Ein heftiger Ruck lässt das Fahrzeug erzittern, die Deichsel mit dem Ochsen löst sich und das Gefährt saust ungebremst den Hang zum Richtplatz hinunter, in die dort dichtgedrängte Menge hinein. Der Bauer läuft wild gestikulierend seinem Wagen nach, erreicht ihn aber nicht mehr. Ein Mann versucht, den Wagen aufzuhalten, wird jedoch von dem immer schneller rollenden Gefährt zur Seite gedrückt und setzt sich mitten in einen Kuhfladen. Lautes Gelächter der Umstehenden ist der Lohn für sein Pech.
Die Jungen haben keine Freude an dieser Komik. Schon als der Karren in Bewegung geriet, spürten sie, wie die Fässer hinter ihnen ins Rutschen kamen. Das Geräusch von knirschendem Holz und das Klappern der Fässer wird immer lauter. Joshua, der weiter hinten sitzt, spürt, wie ein Fass gegen seine Beine stößt. Er versucht, es mit den Füßen wegzudrücken, aber es ist zu schwer.
„Noah, hilf mir!“, ruft er voller Panik.
Es gibt Leute, die sollen den eingangs erwähnten Titanic-Filmklassiker von James Cameron schon mehr als zwanzigmal gesehen und noch immer nicht genug davon bekommen haben. Unbekannt ist, wie oft die entsprechenden Bücher über das wahrscheinlich größte oder zumindest wohl bekannteste Unglück in der Geschichte der Schifffahrt gelesen wurden – und noch immer werden.
Wer den Titanic-Roman von Günther Krupkat noch nicht kennt, dem sei er hier ausdrücklich zur Lektüre empfohlen, hatte sein Autor doch einen spannenden Erzählansatz zwischen Faktentreue und literarischer Erfindung gewählt.
Und auch wenn man Günther Krupkat (1905 bis 1990) vielleicht nicht mehr so gut kennt, so war der Monteur für Hochspannungstechnik, der sein wegen Geldmangels infolge der damaligen Inflation angebrochenes Ingenieurstudium erst nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzen und abschließen konnte, einer der markantesten Science-Fiction-Autoren aus der Anfangszeit der DDR. Von 1972 bis 1978 leitete er den „Arbeitskreis Utopische Literatur beim Schriftstellerverband der DDR“, dessen Gründung er selbst initiiert hatte. Dieser Arbeitskreis spielte eine wichtige Rolle bei der Etablierung dieses Genres in der DDR, wo SF zunächst vor allem als wissenschaftlich-phantastische, utopische oder phantastische Literatur bezeichnet worden war. Und mit Hochspannung haben auch seine Bücher zu tun, von denen einige auf der Homepage von EDITION digital zu finden sind, darunter die beiden Utopischen Romane „Als die Götter starben“ (1967) und „Nabou“ (1968) und eben sein Titanic-Roman „Das Schiff der Verlorenen“, dem man anmerkt, dass sein Verfasser auch ein erfahrener Krimi-Autor war. 1985 war Krupkat mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber ausgezeichnet worden.
Sehr zu empfehlen ist aber auch das Buch mit den neuen Märchen von Klaus Möckel. Zuvor merkt der Autor in einer kurzen Einführung unter dem Titel „Zur Bastelei an alten Märchen“ zu seinen Motiven an:
„Die in diesem Bändchen vereinigten, speziell gewürzten Märchen sind - wie schon aus ihren Titeln hervorgeht - keineswegs erfunden. Wer kennt nicht „Rotkäppchen“, „Frau Holle“ oder „Die Prinzessin auf der Erbse“, wer hat nicht von Grimm, Andersen, Bechstein gehört, deren Sammlungen heute genauso bekannt sind wie zu ihrer Zeit vor anderthalb Jahrhunderten. Märchen sind Kulturgut, sie werden von Generation zu Generation weitergegeben, und so unwahrscheinlich die Schicksale ihrer Helden sind, sie sagen doch vieles über die Träume und Hoffnungen der Menschen aus. Märchen sind auf ihre Weise wahr, es ist, als ob der Staub der Jahrhunderte an ihnen nicht haften bliebe. Dennoch habe ich mir angemaßt - nicht als Erster übrigens -, an einigen von ihnen herumzubasteln, an sehr wenigen, denn ihre Zahl ist Legion. Zu diesem höchst eigenmächtigen Vorgehen seien mir zwei Worte gestattet.“ Aber lesen Sie am besten selbst, was Klaus Möckel dazu zu sagen hat.
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die neuen Sonderangebote für den ersten August-Newsletter sind bereits ausgesucht und zusammengestellt. Dazu gehören auch zwei Fantasy-Abenteuer von Jens Brockhof, Jahrgang 1969, die soeben erst als Eigenproduktionen von EDITION digital erschienen sind: „Mo und das Geheimnis des magischen Koffers“ und die Fortsetzung „Mos magische Reise zum Quell der Zeit“. Im Mittelpunkt beider Bücher steht der elfjährige Moritz Hein, der von allen nur Mo genannt wird. Im ersten Teil verbringt er die Sommerferien bei seinen Großeltern, wo ein mysteriöser Koffer auf dem Speicher seine Neugierde weckt. Als es Mo gelingt, den Koffer zu öffnen, wird er in die verborgene und magische Welt von Chanoa hineingezogen. Und auf ihn wartet eine große Herausforderung …
Im zweiten Teil, der ein Jahr später spielt, zeichnet sich eine neue Bedrohung ab. Ein Schurke hat das Zentrum der Zeit manipuliert und droht, den Strom der Zeit zu verändern. Wenn es ihm gelingt, würden beide Welten, unsere und Chanoa, kollidieren. In beiden Büchern geht es um Freundschaft, Mut und jede Menge Magie.