„Noch auf dem Schiff, angesichts der Freiheitsstatue, fragte mich der Einwanderungskommissar: „Haben Sie die Absicht, die Regierung der USA zu stürzen? Sind Sie Bigamist?“ Nachdem ich diese beiden Fragen verneint hatte, durfte ich den Boden des Landes Fords und Rockefellers, Tom Mooneys und der Scottsboro boys betreten. Ich wurde für zwei Monate Bürger dieses athletischen Landes.
Wir fuhren zu meinem Hotel im Theaterviertel, in die 44. Straße. Ich wartete, dass der Portier meinen Pass verlangte; aber er interessierte sich nicht einmal für meinen Namen, sondern gab mir die Zimmernummer. Innerhalb der USA braucht man nirgends Pass oder Ausweis; ich kann heute Mr. Weiß und morgen Mr. Braun sein, ein Rest der alten Pionierzeit, der Wildwestler der Kolonisation. Wunderbar.
Nur erzählten mir einige Wochen später Bergarbeiter aus den Gruben Pennsylvaniens: Jeder, der einmal an einem Streik teilgenommen, sei auch ohne Pass bekannt; die Werkmeister, die „Supers“, mit ihrem Heer beamteter Betriebsspitzel, führten genaueste schwarze Listen. Ein Streikobmann finde niemals wieder Arbeit, er werde von den „Supers“ und „Bosses“ aus den Wohnungen getrieben und ruhelos durch die Straßen gehetzt; wer ihn kameradschaftlich aufnehme, werde gleich mit ihm entlassen.“ Der Text der Erzählung wird übrigens unverändert wiedergegeben – auch mit den heute nicht mehr gebräuchlichen N-Worten.
Wie in allen vier Oktober-Newslettern stammen auch die anderen vier heutigen Sonderangebote aus der Feder von Friedrich Wolf.
In der 1921 entstandenen satirischen Erzählung „Harras oder Der Untergang einer Epoche“ nimmt Wolf die gesellschaftlichen und politischen Zustände seiner Zeit aufs Korn und hält dabei den Menschen auf faszinierende Weise den Spiegel vor. Es gilt, ein Meisterwerk der Satire neu zu entdecken.
Aus dem Jahre 1942 stammt die Erzählung „Die Juden von Marseille“, die auf wahren Begebenheiten beruht. In den düsteren Tagen des Jahres 1941, als die Schatten des Zweiten Weltkriegs über Europa hingen, erlebte die französische Stadt Marseille eine außergewöhnliche Episode des Widerstands und der Solidarität. Im KZ Les Milles interniert, beobachtet der Autor, wie die Einwohner von Marseille auf die diskriminierenden Anordnungen der Pétain-Regierung reagieren – mit Humor, mit Menschlichkeit und mit Zusammenhalt.
Vermutlich 1944 entstand die Erzählung „Das Signal. Die unerschrockenen Helden“. Inmitten der Nachwehen von Stalingrad und dem Rückzug der deutschen Truppen im Februar 1943 erzählt Max, ein unerschrockener Verbindungsmann der KPD, seine fesselnde Geschichte. Es geht um Freundschaft, um Verrat und um den unbezwingbaren Kampf um die Freiheit.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. In diesem Text geht es um ein kleines Stück Hoffnung in schlimmen Zeiten, um Menschlichkeit und Solidarität.
1953, also in seinem letzten Lebensjahr, schrieb Friedrich Wolf die Erzählung „Siebzehn Brote“: Im kalten Winter des Jahres 1943, tief in der weiten Steppe südlich des Don, begegnen sich deutsche Kriegsgefangene und sowjetische Soldaten unter dramatischen Umständen. Friedrich Wolf, der deutsche Arzt und Schriftsteller, erzählt eine bewegende Geschichte von Menschlichkeit und Solidarität inmitten der Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs. Mit „Siebzehn Brote“ erlebt der Leser die erschütternden Erlebnisse jener Tage mit und erfährt, wie kleine Gesten des Mitgefühls und der Güte selbst in den dunkelsten Stunden Hoffnung spenden können. Diese Erzählung, basierend auf wahren Begebenheiten, erinnert uns daran, dass Mitgefühl und Menschlichkeit immer ihren Platz haben, auch im Angesicht des Krieges. Ein E-Book, das die Vergangenheit lebendig macht und zum Nachdenken über die Werte von Frieden und Solidarität anregt.
In der Erzählung „Harras oder Der Untergang einer Epoche“ entfaltet Friedrich Wolf eine köstlich satirische Szene, die die Absurditäten der gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit aufgreift. In der folgenden Passage wird das scheinbar banale Ereignis des Verlusts eines Kragenknopfs zum Symbol für den Zerfall einer ganzen Epoche – eine feine Karikatur auf den menschlichen Hang, selbst in den trivialsten Dingen Wichtigkeit und Dramatik zu erkennen. Tauchen Sie ein in Wolfs scharfsinnige und humorvolle Darstellung eines Mannes, der sich dem drohenden Chaos entgegenstellt.
Er sprang aus, Harras, der Patentkragenknopf. Er sprang aus, als der Mensch ihn – mit zum äußerst gestrafften Daumen – durch Unterhemd, Hemdbord, Vorsatzbrust und Stehkragensteife hindurchzunötigen sich bemühte. Das wurde ihm zu viel; er quittierte, sank und verließ die sichtbare Welt.
Der Mensch griff sofort zu, doch er griff umsonst. Die Abwesenheit des Patentklappkragenknopfs Harras blieb gewahrt. Der Mensch – er gehörte dem „Schutzverband zur Pflege verunglückter Brieftauben“ an – hatte keine Minute Zeit zu verlieren; und doch begriff er das Unabwendbare dieser folgenschweren Sekunde. Er stand vor dem Spiegel; sein Halsbund stand offen. Daneben lagen (ihm unverbindbar nun) Stehkragen, Vorsatzbrust, Schlips, Schlipsnadel und Kragenschoner. Noch einmal griff der Mensch fassungslos seine Blöße hinab bis zum Urgrund seiner Gewandung; als er auch dort nichts fand, rief er: „Ich will!“
Und ging, aufs Äußerste entschlossen, zur Vorstandssitzung des Schutzverbandes!
In „Die Juden von Marseille“ beschreibt Friedrich Wolf eindringlich die Herausforderungen und zugleich den ungebrochenen Widerstand in den dunkelsten Stunden der Geschichte. Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen im Konzentrationslager Les Milles, beleuchtet die folgende Szene, wie die Bewohner Marseilles auf die menschenverachtenden Maßnahmen der Pétain-Regierung reagieren. Sie zeigt den unerschütterlichen Geist der Stadt und ihrer Menschen, die trotz der Bedrohung durch den Faschismus für Solidarität und Menschlichkeit einstehen. Tauchen Sie ein in diese berührende und zugleich kraftvolle Momentaufnahme des Widerstands.
Als ich im Januar 1941 in meinem fünften französischen Konzentrationslager interniert war – in dem KZ Les Milles zwischen Aix und Marseille – da erschien ein Erlass des Präfekten des Departements Bouches-du-Rhone, dass in Marseille alle Magazine und Geschäfte, die den Juden gehörten, mit einem Schild im Schaufenster gezeichnet werden müssten. Auf diesem Schild habe mit großen Buchstaben zu stehen: MAGASIN JUIF. Es muss hier betont werden, dass Marseille ebenso wie Südfrankreich sich in der sogenannten „nicht okkupierten Zone“ befand, dass also die Hitler-Regierung offiziell kein Recht hatte, in die Verwaltung dieses Teiles von Frankreich einzugreifen. Aber die faschistische Pétain-Regierung enthüllte auch in dieser Judenverfügung bereits damals schon ihr Gesicht.
Nur ist Frankreich nicht Deutschland! Und die Arbeiterstadt Marseille mit fast einer Million Einwohnern ist nicht Vichy, die Badestadt für Verkalkte!
In „Das Signal. Die unerschrockenen Helden“ führt Friedrich Wolf seine Leser mitten in die dramatischen Ereignisse des Rückzugs der deutschen Truppen nach Stalingrad und den unermüdlichen Widerstand der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die folgende Szene zeigt, wie Max, ein entschlossener Verbindungsmann, zwischen den Fronten der Roten Armee und der deutschen Wehrmacht seine gefährliche und unverzichtbare Rolle spielt. Als er auf alte Kameraden trifft, entfaltet sich die bewegende Geschichte von Mut, Freundschaft und dem unaufhörlichen Kampf gegen den Faschismus. Lassen Sie sich von diesem eindrucksvollen Moment fesseln.
Ende Februar 1943 – etwa vier Wochen nach Stalingrad – kamen wir auf dem Vormarsch nach Westen in den kleinen Ort Starobelz, schon nahe der Ukraine. Natürlich waren alle nicht zerstörten Häuser voll von Rotarmisten. Unsere Abteilung quetschte sich in einzelne Quartiere nahe der Kirche. Mit einigen Kameraden suchten wir noch eine bessere Unterkunft und fanden endlich ein Häuschen, vollkommen unbeschädigt, an dem stand: „Achtung! Minengefahr! Noch nicht entmint.“ Wir entdeckten einen schmalen Lichtstreifen und traten von rückwärts ein, da wir sicher waren, dass die Pioniere sich dieses „nicht entminte“ Haus reserviert hatten.
So war es.
Wir fanden eine sowjetische Pioniergruppe darin. Meine russischen Kameraden erklärten den wackeren Sappeuren, dass wir ebenso gern wie sie in dieser Nacht durch noch vorhandene Minen in die Luft flögen und ebenso gern wie sie in diesem sauberen Quartier schlafen möchten.
Mitten in der darauffolgenden Diskussion sehe ich plötzlich den „Überfahrenen“. Ich erkenne Max sofort an seinem Schiefhals und dem offenstehenden, herunterhängenden Mundwinkel der rechten Gesichtshälfte. Es gibt ein großes Hallo mit viel Umarmungen. Und nun hilft es nichts, jetzt muss Max mir seine Geschichte – im Kreise der Rotarmisten – zu Ende erzählen, jene Geschichte, die er vor vier Jahren in Moskau begonnen hat während einer Demonstration, bei der wir im Sturm der Begeisterung mitten während seiner Erzählung am Majakowskiplatz getrennt wurden.
Die Sache war aber diese: Damals war Max nach längerer Behandlung in einem deutschen Gefängnislazarett und später in den Kliniken der Sowjetunion gerade entlassen worden. Er hatte nach Hitlers Machtantritt etwa drei Jahre in tiefer Illegalität in Dresden, Stuttgart und Berlin als Verbindungsmann zwischen den einzelnen Gruppen gearbeitet. Schon in jenen Jahren bestand ein Teil der Arbeit der KP Deutschlands darin, bei der anlaufenden Rüstungsproduktion die Menschen vor dem drohenden Hitlerkrieg zu warnen. Natürlich war die Lage der Arbeiterschaft in den mehr ruhigen Betrieben Süddeutschlands mit einer oft halb bäuerlichen Belegschaft anders als in den rein städtischen Zentren Sachsens oder in Berlin selbst. Max galt nun als Kurier zwischen den einzelnen Landesleitungen. Die meisten Instruktionen wurden damals nach den schweren Opfern der Partei durch Terror und Verrat mündlich übermittelt. Solch ein Verbindungsmann wie Max musste über ein gutes Gedächtnis verfügen, um im Kopf alle die Instruktionen, die Verbindungsmänner, die Kennworte und die Treffs zu behalten. Wichtiger aber war, dass dieser Genosse unbedingt gradestand und hart genug war gegen Folter, Ermüdung, Einfluss von Frauen und jede andere Anfechtung. Und noch wichtiger schien es in manchen Fällen, dass er Geistesgegenwart und blitzschnelle Initiative besaß.
In „Siebzehn Brote“ gelingt es Friedrich Wolf meisterhaft, die schreckliche Realität des Krieges mit bewegenden Momenten der Menschlichkeit zu verweben. In der folgenden Passage schildert er eindringlich die Begegnung von sowjetischen Soldaten und erschöpften deutschen Kriegsgefangenen in der Wintersteppe südlich des Don. Die Erzählung verdeutlicht, wie kleine Gesten des Mitgefühls, auch inmitten der Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs, die Hoffnung auf Menschlichkeit am Leben erhalten können. Lassen Sie sich von der tiefen Emotionalität dieser Szene mitreißen, die zeigt, dass Solidarität und Güte selbst in den dunkelsten Stunden überleben.
Es war in der winterlichen Steppe südlich des Don am 21.Januar 1943, als sich die Geschichte mit den siebzehn Broten zutrug. Weshalb ich mich des Datums noch so genau entsinne? Man wird es sogleich erfahren.
Die 6. Hitlerarmee war nach Ablehnung des Kapitulationsangebotes auf einen noch engeren Raum zurückgeworfen worden. Von Marinowka bis Dimitrijewka zog sich der eiserne Ring der sowjetischen Truppen um die zerschlagene 6. Armee. Dennoch hatten sich in der riesigen Weite der Wintersteppe kleine Splitter deutscher Einheiten nachts der Umklammerung entziehen und nach Westen abirren können. So stießen wir eines Morgens im Frühnebel auf die Offiziersgruppe und Ordonnanzen eines Regimentsstabes mit ihrem Oberst E. Der Oberst war nicht wenig erstaunt, als er vor sowjetischen Truppen stand; er gab sich mit seinen Leuten sofort gefangen; er ließ uns dabei wissen, dass er – als zum „Führerstab“ gehörig – auf eine besondere Behandlung rechne. Da diese Eröffnung nicht die gewünschte Wirkung hatte, wurde er schweigsamer. Aus seinen Papieren ging hervor, dass er aus Dresden stammte. Nun war ich von 1912 bis 1914 als Assistenzarzt in Dresden tätig gewesen und fragte auf gut Glück, wie es denn seinem Verwandten E. gehe, dessen historisches Drama damals an der königlichen Bühne gespielt wurde. Der Oberst starrte mich wie eine Geistererscheinung an. Denn erstens handelte es sich tatsächlich um seinen Vetter. Und dann – wie kam ein fremder Mensch in einem russischen Schafspelz in der winterlichen Donsteppe dazu, seinen Vetter zu kennen? Ich erklärte dem Herrn Oberst, das sei im Augenblick unwesentlich. Im weiteren Gespräch stellte sich dann heraus, dass der Oberst ein passionierter Rosenzüchter war und den einen „persönlichen Wunsch“ äußerte, in einem wärmeren Klima, wenn möglich in Taschkent, sich der Rosenzucht widmen zu können. „So wäre uns allen geholfen“, erklärte er weise.
Das war am 20.Januar.
Anders verhielten sich jene vierzig deutschen Landser, die wir am nächsten Morgen trafen. Sie äußerten nicht den Wunsch, als Rosenzüchter nach Taschkent gebracht zu werden; sie äußerten überhaupt keinen Wunsch; sie lagen völlig apathisch und kraftlos in einem Hohlweg im Schnee. Ihre ausgemergelten Gesichter waren grau bis grauschwarz. Offenbar hatten sie sich seit Tagen nicht gewaschen und auch nichts gegessen. Es waren Versprengte verschiedener Truppenteile der deutschen 6. Armee, die, nach Westen fliehend, sich bis hierher geschleppt hatten.
Ich sprach sie an. Die meisten waren viel zu erschöpft, um antworten zu können. Einem, der sich hochrappelte, gab ich heißen Tee und zwei Stück gerösteten Brotes. Ich werde nie vergessen, wie er keuchend aß und mich dann ansah. Es war mir klar, dass die meisten dieser vierzig Mann kaum noch eine Winternacht in der Steppe überleben würden. Ich ging zu dem Divisionskommandeur, dessen Stab ich zugeteilt war, und schilderte ihm den Zustand jener zu Tode erschöpften deutschen Soldaten, die faktisch ja Kriegsgefangene waren.
Der Kommandeur, ein noch junger Generalmajor, überlegte. Er kannte mich als deutschen Schriftsteller und jetzt als Arzt und Propagandisten. Er meinte: „Was kann ich tun? Meine Division befindet sich in Gefechtsbereitschaft und auf dem Marsch. Sie wissen, dass wir nur ganz wenige Gerätewagen haben und nur das Allernötigste mitnehmen. Wie soll ich also die vierzig Mann aufladen?“
Ich erwiderte, wenn man ihnen etwas Warmes zu trinken und etwas zu essen gäbe, dann würden einzelne wieder marschfähig zum nächsten Krankensammelpunkt; die andern aber könnten aushalten, bis Transportmittel kämen. Der Kommandeur schlug mir nun vor, ich solle mit seinem zweiten Adjutanten zum nächsten Regimentsstab fahren und versuchen, was sich machen lasse.
Der Regimentskommandeur war ein Oberstleutnant, ein Genosse aus dem „Kusbass“, dem sibirischen Kohlenbecken, ein ungewöhnlich kräftiger, breitschultriger Mann, ein echter „sibirischer Bär“. Er war zuerst gar nicht erbaut, da wir mitten in eine taktische Besprechung hineinschneiten. Der Adjutant des Divisionskommandeurs stellte mich vor, und ich erbat in meinem durchaus nicht klassischen Russisch Unterstützung für die marschunfähigen deutschen Kriegsgefangenen. Der Oberstleutnant mit seinen grauen beobachtenden Augen hörte mir ruhig zu und schaute dann schweigend über die auf dem Tisch ausgebreitete Karte. Mir schien das Schweigen endlos. Dachte der Kommandeur an die „verbrannte Erde“ rings um Stalingrad? War er vielleicht vorher in der Ukraine und im Donbass gewesen und hatte dort die bis auf den Grund eingeäscherten Dörfer und Städte gesehen? Auch ich blickte auf den Tisch; ich sah dort einen mit vielen Bemerkungen versehenen Umlegekalender mit dem Datum: 21. Januar …
Lenins Todestag.
Einen Augenblick dachte ich daran, an die internationale Solidarität im Geiste Lenins zu appellieren. Aber das schien mir in dieser Situation und für die Hitlersoldaten deplatziert.
Jetzt meinte der Oberstleutnant zu mir: „Sie wissen, Genosse, ich kann meinen Leuten, die ins Gefecht rücken, nicht sagen, sie sollen ihre eisernen Rationen anbrechen. Doch wenn meine Soldaten von sich aus den Deutschen etwas geben wollen …“ Er hielt inne und sah mich prüfend an. Ich kannte diese Art sowjetischer Offiziere, die mir gegenüber nicht gerne Anweisungen erteilten, sondern eher wissen wollten, wie ein deutscher Genosse sich in bestimmten Situationen verhielt. So fragte ich den Kommandeur: „Wenn Sie gestatten, spreche ich selbst mit Ihren Soldaten?“
„Das meinte ich!“, erwiderte der Kommandeur lebhaft. „Sie sprechen ja russisch – doch, doch, es wird schon gehen –, es sind ja Ihre Landsleute, für die Sie es tun! Sprechen Sie also mit der Einheit, die am nächsten bei den Gefangenen liegt! Sprechen Sie aus dem Herzen! Mit voller Stimme! Versuchen Sie Ihr Glück! Ich gebe Ihnen einen meiner Offiziere mit. Einverstanden?“
„Einverstanden! Vielen Dank, Genosse Oberstleutnant!“
Der Kommandeur beauftragte einen der Stabsoffiziere, einen hoch aufgeschossenen, dunkelhaarigen jungen Oberleutnant mit munteren Augen. „Tolja, gehen Sie mit dem Genossen! Sie haben alles gehört. Sie handeln in meinem Auftrag.“ Ich nahm meine Pelzmütze und meine Handschuhe und bedankte mich nochmals. Der Kommandeur drückte meine Hand und meinte: „Es ist klar, seine Heimat vergisst man nicht so leicht. Übrigens“, fügte er hinzu, „heute ist der 21. Januar. Sie wissen doch … Lenin hielt nicht geringe Stücke auf Karl Liebknecht und die deutschen Arbeiter und schrieb eigentlich gerade für sie eine Schrift über ,die Kinderkrankheiten' … vielleicht sprechen Sie auch darüber?“
Hatte der Oberstleutnant meine Gedanken erraten?
Auch kurz vor und erst recht nach den Präsidentschaftswahlen in den USA Anfang November dieses Jahres bleibt das Land ein wichtiger Bezugspunkt für die deutsche Politik. Und da ist es gut, sich weiter kundig zu machen, wie es um die aktuellen Entwicklungen dort bestellt ist und welche Auswirkungen sie auf Deutschland und Europa haben können.
Und da ist es hilfreich, hin und wieder auch einen Blick in die US-amerikanische Vergangenheit zu werfen, wie das mit dem Buch „Quer durch New York im Jahre 1935“ von Friedrich Wolf möglich ist – auch wenn sein Erscheinen inzwischen fast 90 Jahre zurückliegt. Dennoch ist es zumindest in einigen Passagen erstaunlich aktuell und nach wie vor lesenswert. Gleiches gilt für die anderen Sonderangebote von Friedrich Wolf.
Nebenbei gefragt: Mit welchem Wahlausgang rechnen Sie? Wer wird gewinnen? Donald Trump oder Kamala Harris?
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die neuen Sonderangebote für den nächsten Newsletter sind schon zusammengestellt und stammen wie schon weiter oben angedeutet wieder alle von Friedrich Wolf.
1921 schrieb er die satirische Erzählung „Der letzte Mops oder Die Wiedergeburt der Erde“. In diesem Text entfaltet sich eine absurde und doch tiefgründige Vision einer Welt im Wandel. Aimé, ein stolzer Rassemops, entkommt der häuslichen Gefangenschaft und findet sich in einem wachsenden Aufstand der Tiere gegen ihre menschlichen Unterdrücker wieder. Die Tiere erlangen ihre Freiheit zurück und fordern mit beeindruckender Entschlossenheit die Rückkehr zu einer ursprünglicheren, naturverbundenen Lebensweise. Und das klingt doch irgendwie aktuell, oder?