Wie besteht man im Leben? Wie besteht man im Leben, wenn dieses schon einen Knacks hat? Simone Dieskau aus dem erstmals 1979 im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin erschienenen, wunderbaren Buch von Dorothea Iser mit dem schönen Titel „Wolkenberge tragen nicht“ wird aus dem Jugendwerkhof entlassen. In einem Dorf, sie nennt es Wolkenberg, will sie ihr Leben neu beginnen, alles anders und vor allem besser machen. Doch sie steht vor Problemen, die sie nicht allein bewältigen kann. Da trifft sie Jan Brinke, der ihr helfen könnte, sich in dem neuen Leben zurechtzufinden, der aber selbst Schwächen hat, gegen die er ankämpfen muss. Jan, der seinen Dienst in der Nationalen Volksarmee ableistet, will beweisen, dass man Ziele, die man sich stellt, auch erreicht. Und Jan will vor seinem Mädchen bestehen, das er für lange drei Jahre allein im Dorf weiß. Werden es die beiden schaffen?
Und so lesen sich die ersten Sätze dieses empfehlenswerten Liebesromans aus DDR- und NVA-Zeiten: „In zwei Stunden bin ich neunzehn Jahre alt. Zwei Stunden vergehen schnell. Sie reichen nicht mal, um zu dir zu fahren. Aber stell dir vor, Jan, ich käme. Mitternacht wäre ich bei dir. Ich würde dich leise wecken, du wärst nicht mal überrascht, weil du von mir geträumt hast. Du stehst auf, nimmst mich an die Hand und läufst mit mir raus. Wir lachen laut, rufen in den Wald, warten auf das Echo, und nicht nur warten würden wir, das kannst du dir denken, ja? So müsste das neue Jahr für mich anfangen, mein zwanzigstes. Ich weiß ja, dass es nicht geht. Die Wache ließe mich nicht zu dir. Es soll streng sein bei der Armee. Vielleicht liegst du aber gar nicht in deinem Bett, stehst irgendwo rum und sperrst die Augen bei jedem Rascheln auf. Die Zeit wird dir lang, du denkst an mich. Wir sehen dieselben Sternschnuppen fallen und wünschen, uns nah zu sein, und sind es in unseren Träumen trotz strenger Vorschriften. Du bist bei mir, überall, wo ich bin, bei allem, was ich tue.“
Um Liebe geht es auch in dem erstmals 1973 im VEB Hinstorff Verlag Rostock veröffentlichten historischen Roman „Nowgorodfahrer“ von Heinz-Jürgen Zierke, der im 15. Jahrhundert während des auch als „Sundzollkrieg“ bezeichneten Dänisch-Haseatischen Krieges (1426 bis 1435) spielt. Die Hansen befinden sich im Kriege mit König Erich von Dänemark. Hintergrund der damaligen wirtschaftlichen und militärischen Auseinandersetzungen war die Einführung des Sundzolls durch Dänermark. Zu diesem Zweck hatte der dänische König an der schmalsten Stelle des Öresunds bei Helsingør eine Zollfestung errichten lassen und ab 1426 von allen nicht-dänischen Schiffen auf dem Wege von der Ostsee zur Nordsee den Sundzoll erhoben – eine hübsche Einnahmequelle. Die Reaktion der Hansestädte darauf war unterschiedlich: Während Lübeck und Hamburg eine kriegerische Lösung anstrebten, suchten Stralsund und Greifswald noch einen Ausgleich, doch Verhandlungen zum Beispiel über die Beteiligung der Hanse an den Sundzolleinnahmen scheiterten. Der Dänenkönig begann stattdessen, Hanseschiffe im Sund aufbringen zu lassen …
Der Bote des mächtigen Lübeck will Stralsund bewegen, größere kriegerische Anstrengungen zu unternehmen, begegnet dort aber geheimen Vorbereitungen zu einem lukrativen Sonderfrieden. Der Bürgermeister wird Arnd Hidding, seinen Pflegesohn und Geschäftsführer, an den dänischen Hof entsenden, doch es wird Verrat und Brand geben. Vorerst ist Arnd aber noch im Peterhof, der deutschen Niederlassung in Nowgorod, er liebt die schöne Natalia, hat in dem Pelzhändler Bulgrin einen Freund gewonnen, vor allem will er seinen Lebensplan verwirklichen: Arnd Hidding hat in Flandern Manufakturen gesehen ...
Und wieder hören wir ein kurzes Stück aus dem Anfangsteil dieses Buches: „Die Reiter froren um so mehr, als die ersten Wochen des Jahres 1428 mild gewesen waren, so mild, dass See und Buchten eisfrei blieben und Schuten und Kreier schon die Küstenschifffahrt aufgenommen hatten, wogegen die größeren Koggen und Holke noch immer in der Winterlage ruhten, wie es die hansische Tagfahrt beschlossen hatte. Der Torwächter rieb sich mit dem Knöchel einen Rest Schlaf aus den Augen. Er fragte umständlich nach dem Wohin und Woher, nach Namen und Begehr und öffnete endlich, nachdem er die Hände mit schmutzigen Lappen umwickelt hatte, die die Haut vor der Kälte des eisernen Riegels schützen sollten, die breiten Torflügel.“ Der Bote des mächtigen Lübeck ist in Stralsund eingetroffen.
Szenenwechsel. Die Handlung der erstmals 1985 im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin veröffentlichten Erzählung „Das Tal der Hornissen“ von Jan Flieger setzt im November 1944 in der Slowakei ein. Ein früher und bitterer Winter wird erwartet. SS-General Höfle will die Partisanen, die sich in die Berge zurückgezogen haben, zu Tode hetzen. Kälte, Fieber und Hunger sollen diejenigen töten, die keine Kugel trifft.
Zu den slowakischen Partisanen gehören auch zwei Deutsche, die eines Nachts aus einem sowjetischen Flugzeug abgesprungen sind, sie tragen sowjetische Uniformen ohne Rangabzeichen und haben russische Decknamen. Auch die Partisanen dürfen nicht wissen, dass sie Deutsche sind – Deutsche, wie diejenigen, die sich jetzt auf das Gebiet zubewegen, in dem die Erdbunker der Partisanen liegen. Wieso wussten ihre Feinde so genau Bescheid? Und was war mit den Posten geschehen, die so getarnt standen, dass sie nur der Eingeweihte entdecken konnte?
Ein gnadenloser Wettkampf zwischen den heranziehenden SS-Leuten und den Partisanen beginnt, darunter den beiden Deutschen. Bärenbach und Fechner. Obwohl der Tod, getarnt mit weißen Schneehemden und Kapuzen, von allen Seiten kommt, können sie mehrfach entkommen. Aber können sie sich auch in das neue Operationsgebiet absetzen? Und dann: Der Schuss fiel plötzlich. Es war ein einzelner Schuss. Fechner krümmte sich zusammen, ehe er seitwärts zwischen die Tannen stürzte. Sofort warf sich auch Bärenbach in ihren Schutz. Wer hatte geschossen? War es nur ein Schütze? Lauerte er mit anderen im Schutz der Stämme? Eine spannende Geschichte um Leben und Tod, in der trotz alledem auch die Liebe eine Rolle spielt.
„Bärenbachs Blick streifte die Kameraden. Wir können sterben, dachte er, viele von uns. Und selbst jetzt, im Angesicht des Todes, werden die Gefährten nicht wissen, dass ich in meiner Uniform der Roten Armee und Fechner - abgesprungen aus einem sowjetischen Flugzeug über ihren Bergen – nicht Russen sind, sondern Deutsche wie ihre Todfeinde, die durch die Tannenschonung zu ihnen heraufsteigen und selbst in ihrem Rücken lauern, auf dem Gipfel des Berges. Nie haben sie es ahnen können, weil Fechner und ich tschechisch sprachen oder russisch und uns Sergej nannten und Boris. Bärenbach fröstelte leicht. Was dachten sie, diese Männer neben ihm, für die er ein Gefühl empfand, als wären sie, so wie sie neben ihm standen, seine Brüder und schon lange in sein Leben getreten? Nicht erst in diesen Monaten, die seinem nächtlichen Absprung gefolgt waren über dem slowakischen Land, dessen Sprache er beherrschte, weil er in einer deutschen Gemeinde im böhmischen Erzgebirge geboren worden war und sie während der Dienstzeit in der tschechoslowakischen Armee, lange vor dem Krieg und noch unter Beneš, von Slowaken erlernt hatte. Er, auf den ein hoher Kopfpreis stand im Reich der SS, kämpfte mit Gefährten, die jeden Deutschen hassten in diesem Krieg. So galt seine Vorsicht auch dem Freund.“
Zur selben Zeit und von ganz ähnlichen Konflikten, von Leben, Tod und Liebe handelt auch das erstmals 1979 als Band 156 der Reihe „Spannend erzählt“ im Verlag Neues Leben Berlin erschienene Buch „Weißer Tod am Chabanec“ von Dietmar Beetz. Auch hier kämpfen Deutsche an der Seite slowakischer Partisanen.
Mitten im Wald trifft Johann Schlichter auf die Frau, auf Helena. Sie müht sich ab, einen Toten fortzutragen. Eigentlich müsste Schlichter vorbeischleichen. Er ist Kurier, und sein Auftrag eilt. Aber er bringt es nicht fertig, denn er sieht, die Frau ist am Ende ihrer Kräfte. Plötzlich sind Männer da. Schlichter weiß, es ist der Schwarze mit seiner Bande. Sie sind Partisanen, Freunde eigentlich. Doch sie sind auch Anarchisten, undiszipliniert, schwer berechenbar. Was werden sie tun, wenn sie entdecken, dass er Deutscher ist? Was wird aus dem Auftrag? Kann Helena helfen? Sie kennt die Männer, und sie scheint Freunde unter ihnen zu haben.
Und noch einmal ein Blick auf die ersten Sätze auch dieses Buches: „Am Morgen vor jener Nacht, als ihre Fallschirme sich öffneten und die Körper, schwarze Bündel in gestaltlosem Dunkel, unaufhaltsam zur Erde sanken - an jenem Morgen befanden sich die Partisanen noch Hunderte Kilometer nordöstlich der Absprungstelle auf sicherem Boden. Über dem Rollfeld hellte sich gerade der Himmel auf, und während die Männer murrend auf die Ladefläche kletterten, jagte der Chauffeur ein ums andere Mal ungeduldig den Motor auf Touren. Wieder war der Abflug verschoben worden, und abermals fuhren sie zum Objekt zurück. Der Wagen holperte, eingehüllt in eine Staubwolke, über den zerfurchten, von der Sonne steinhart gebrannten Weg, bis er das Band der Landstraße erreichte und die Fahrt beschleunigte.
Hinter der Kabine auf den rüttelnden Bänken, das spärliche Gepäck zu Füßen, kauerten Martin Schweiger und Johann Schlichter, und neben ihnen, wie sie enttäuscht und übernächtig, hockten die anderen Männer der Gruppe: Slowaken und Tschechen, Ungarn, Ukrainer und Russen. Sie alle schwiegen jetzt, und die meisten starrten vor sich hin, gedankenversunken, müde und voller Sorgen. Auch Martin fühlte sich bedrückt, zugleich aber eigenartig erregt. Ihm war, als übertrage sich das Vibrieren der Planken auf seinen Körper, als blase der Fahrtwind ihm die nächtliche Dumpfheit aus dem Kopf. Die Sinne geschärft, zu besonderer Wahrnehmung fähig, erlebte er wie mit allen Fasern diesen Morgen, der einen heißen Tag versprach und doch überschattet wirkte. „Am Wetter kann’s nicht liegen“, sagte er - zu seiner eigenen Überraschung laut und auf deutsch.“