„Drei Tropfen Licht. Ein doppeltes Tagebuch“ – so lautet der Titel des berührenden Berichts über eine persönliche Katastrophe von Aljonna und Klaus Möckel.
Ob jemand eine andere Sprache wirklich beherrscht, das merkt man daran, ob er in dieser Sprache träumen, Witze erzählen oder schimpfen kann. Zumindest für Letzteres liefern Günther Fuchs und Hans-Ulrich Lüdemann mit „Das Mecklenburgisch-Vorpommersche Schimpfwörterbuch. Bannich deftige Wörter“ eine perfekte Anleitung. Bannich gaud, dat Bauk.
Den Beweis dafür, dass es tatsächlich Zauberhaftes zwischen Land und See gibt, den tritt Hanna Borchert mit ihrem zauberhaften Kinderbuch „Meine Freundin, eine Nixe“ an. Übrigens mit zauberhaften Bildern versehen.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Heute geht es um die – wenn auch in eine ferne Zukunft verlegte – Frage nach dem Zusammenfinden und Zusammenwirken von einander zunächst unbekannten, fremden Kulturen. Da man sich nicht kennt, fällt das gegenseitige Verstehen schwer. Und fast zwangsläufig kommt es zu Konflikten zwischen denen, die schon da waren, und denen, die wenn auch mit besten Absichten, als Gäste gekommen sind. Worum aber geht es dann zwischen den beiden Gruppierungen, die doch offenbar aufeinander angewiesen sind. Und ein weiteres wichtiges Thema des bereits vor nunmehr knapp 40 Jahren veröffentlichten Textes ist das Thema Ressourcen. Wie viel Zeit bleibt noch? Genug?
Erstmals 1983 erschien im Verlag Neues Leben Berlin als Band 179 der Reihe „Spannend erzählt“ der Wissenschaftlich-phantastischer Roman „Energie für Centaur“ von Alexander Kröger. Dem E-Book liegt die Originalausgabe vom Beginn der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zugrunde. Es wurde lediglich auf neue Rechtschreibung umgestellt: Sechs Jahre lang sind dreihundert Menschen zum fernen Planeten Centaur geflogen, um dort mit einheimischen Ingenieuren eine gewaltige Energieerzeugungsanlage zu errichten, denn der Planet scheint ohne diese dem langsamen Untergang geweiht. Der Empfang der Gäste von der Erde ist jedoch alles andere als herzlich und bald gibt es auch Schwierigkeiten bei der gemeinsamen Arbeit. Da wird die Transportkolonne mit dem Orbitalflugzeug von einer Gerölllawine verschlungen, erheben sich schwere Lastfahrzeuge plötzlich in die Luft, tauchen unvermittelt seltsame Bauten auf, die dann spurlos wieder verschwinden. Die Expedition soll deshalb vorzeitig beendet werden. Doch Gernot Wach, ein junger Wissenschaftler, will nicht aufgeben und glaubt, einen Weg gefunden zu haben, das Projekt zu retten. Zunächst aber muss er sich mit Josephin versöhnen, die zusammen mit ihm den Schlupfwinkel des geheimnisvollen Lim entdeckt hat. Mit „Energie für Centaur“ endet die Trilogie um den Kontakt und die mitunter schwierige Zusammenarbeit der Menschen mit den Centauren. Die anderen beiden Bände sind „Sieben fielen vom Himmel“ und „Das Kosmodrom im Krater Bond“. Und jetzt befinden wir uns kurz vor der Landung auf dem fernen und fremden Planeten. Wie werden sie dort empfangen?:
„Das gedämpfte Tosen war verstummt. Und obwohl in den letzten Tagen von nichts anderem als von eben dieser Landung gesprochen wurde, regte sich nun niemand. Jeder verharrte an seinem Platz, als müsse er mit sich selbst einen letzten Rat abhalten, alles nochmals überdenken, das auffrischen, was in den sechs Flugjahren während des „Winterschlafs“ im Gedächtnis an Prägung verloren hatte. Und in irgendeiner Weise teilte sich dieser Zustand jedem mit, übertönte die Erregung, das Warten auf das Neue.
Dann klang Mens Stimme über den Funk: „Wir sind da, Freunde.“
Aber erst als die üblichen Landekommandos durch das Schiff liefen, löste sich die Verkrampfung. Scherzworte kamen auf, Freude. Nur hie und da konnte der Eindruck entstehen, als spräche man sich gegenseitig Mut zu. Das Deprimierende der langen Reise durch den leeren Raum, beim Start sehr optimistisch angegangen, und die Gewissheit einer ebenso tristen Rückreise konnten von der Freude, das Ziel endlich erreicht zu haben, nicht mit einem Schlag weggewischt werden.
Das Aussteigen verlief gemäß Instruktion zügig, aber ohne Eile.
Jercy Kamienczyk und Nora befanden sich in der letzten Hundertschaft. Jercy betrat die Schleuse mit gemischten Gefühlen. O ja, die lange Reisezeit war gut genutzt worden. Das Projekt überarbeitet, berechnet auf centaurischer Basis, Bauablaufpläne, Objektlisten, endlose Register für Material und Ausrüstungen, Pläne des Arbeitskräftebedarfs und der Qualifizierung. All das bestand nunmehr, geprägt von seinem Willen. Schon in den nächsten Tagen würde sich eine Flut Informationen über den Planeten ergießen als zweite Etappe der konkreten Vorbereitung.
Und dennoch fühlte Jercy sich nicht wohl. Er hatte Vertrauen zu seiner Arbeit, zu der der Freunde und Kollegen. Er wusste nicht, ob es Angst war, was ihn nachts schlecht schlafen ließ, Angst wie vor einer großen Prüfung, oder ob es einfach nur die Spannung war, das Neue, Unbekannte.
Nora stand gelöst, mit glänzenden Augen neben ihm, bereit, Eindrücke zu empfangen, in vollen Zügen die Einmaligkeit der Reise zu genießen.
Jercy betrachtete sie von der Seite. Es war wieder schön geworden mit Nora, das wach verbrachte eine Jahr der Reise glich beinahe dem allerersten gemeinsamen. Da er mehr eingespannt und beschäftigt war als sie, hatte sie ihn umsorgt, ihm Behaglichkeit bereitet. Sie waren freundlich miteinander und zärtlich.
Gernot Wach stand einige Meter hinter Nora und Jercy. Und erst jetzt wieder kam ihm zum Bewusstsein, dass er nur durch Jercys Fürsprache Teilnehmer der Reise geworden war. Er hätte sich gewünscht, dass die Wahl seines Könnens, Fleißes und Eifers wegen erfolgt wäre, nicht durch Protektion. Zeitweise, noch während der Vorbereitungen auf der Erde, war ihm dieser Gedanke so zuwider gewesen, dass er sein Mandat am liebsten zurückgegeben hätte. Aber dazu konnte er sich auch nicht entschließen, die Aufgabe, die Ferne, das Fremde lockten zu sehr. Er hatte versucht, durch besonderen Elan und ein riesiges Arbeitspensum seine Teilnahme im Nachhinein zu rechtfertigen, obwohl ihm bekannt war, dass höchstens vier Menschen an Bord um die Zustimmung zu seiner Nominierung wussten.
Vorn ertönte das Signal zum Öffnen des Schleusentors. Gernot gewahrte, wie Nora nach Jercys Hand griff. Schade, dachte er, dass Josephin nicht dabei ist. Er stellte sich vor, dass es sehr schön sein könnte, mit ihr gemeinsam diesen fremden Planeten zu betreten, ihn mit zu erforschen, auf ihm zu leben. Und der Gedanke, dass sie in einem halben irdischen Jahr nachkommen würde, tröstete ihn im Augenblick nur wenig.
Das emporfahrende Schleusentor gab den Blick frei auf eine gleichmäßige graue Fläche. Dann, nach der Order, das Schiff zu verlassen, gewahrten sie, dass es ein Ausschnitt des centaurischen Himmels war.
Eisige Kälte ließ die Menschen zusammenschauern, obwohl der Informator natürlich darauf hingewiesen hatte.
Das Raumschiff stand auf einer riesigen, kahlen Fläche, die durch nichts unterbrochen wurde, kein Gebäude in der Nähe, kein Baum, kein Berg am Horizont, kein Grashalm unter den Füßen.
Nur ganz in der Nähe des Landeplatzes standen an drei großrädrigen Wagen drei vermummte Gestalten, die Augen hinter eng anliegenden Brillen verborgen. Die zwei bereits ausgestiegenen Hundertschaften schien der Erdboden verschluckt zu haben.
In Ermangelung eines anderen Zieles gingen die an der Spitze schreitenden Menschen auf die Wagen zu. Jedes der Gefährte hatte acht große, übermannshohe Speichenräder, vier auf jeder Seite, und ihre Achsen spießten mitten durch den Kasten, der zwischen diesen monströsen Rädern hing.
Fast selbsttätig teilten sich die hundert Menschen in drei annähernd gleich große Gruppen auf, die eilig den Wagen zustrebten.
Gernot erinnerte sich, solche Wagen oder wenigstens Abbildungen davon bereits gesehen zu haben. Auf dem Mars wurden sie ebenfalls eingesetzt.
Er schauderte. Die Kälte durchdrang seine Kombination. Ihm war, als würden die Gelenke steif. Er lief schneller, überholte einige der Gefährten. Der Schritt auf dem wie aus gefrorenem Sand bestehenden Boden klang dumpf.“ Und damit zur ausführlicheren Vorstellung der anderen Angebote dieses Newsletters.
Erstmals 1995 veröffentlichte Harry Thürk im mdv Mitteldeutscher Verlag seinen Roman „Piratenspiele“, dessen turbulente Handlung zwischen Berlin und Singapore, zwischen Wien und dem winterlichen Hafen von Riga spielt: Es beginnt mit einer Ladung „Hund“, wie in eingeweihten Schieberkreisen waffenfähiges Plutonium genannt wird. Aus unüberschaubaren russischen Kanälen soll es auf einem umgeflaggten ostdeutschen Schiff nach Südostasien geschmuggelt werden. Aber es kommt nie an. Beteiligte an dem Geschäft, der alte Kaufmann Iskander aus Johore, sein Schützling, die schöne Mara Toyabashi, und andere werden zusammen mit dem geriebenen Zwischenhändler Igor Sotis in Berlin in ein tödliches Abenteuer gestürzt. Ein ebenso illustres wie kriminelles Ensemble internationaler Geschäftemacher findet sich in diesem Roman von Harry Thürk zusammen. Der Autor führt die Skrupellosigkeit vor, mit der heute Gewinnmacher rund um den Erdball ihre Piratenspiele betreiben, wie sie vermeintliche oder echte Gegenspieler kurzerhand ausschalten. Ob es der tatsächliche Pirat Dando ist, der in der Straße von Malakka Schiffe ausraubt, ob der Armenier Viktor Sagarajan, der von Berlin aus überflüssig gewordene Ostblock-Waffen verhökert, oder der Indonesier Tobin, der für seinen Betrug die strengen Rauschgift-Bestimmungen Singapores nutzt - sie alle sind Produkte einer veränderten Welt, in der Moral zu einem leeren Wort verkommt. Harry Thürk, Autor vieler erfolgreicher Romane, leuchtet eine Szenerie aus, die den Leser mit dem, was es in ihr an krimineller Energie zu finden gibt, immer wieder überrascht. Und so beginnt die turbulente Handlung – mit schlechtem, aber frühlingshaftem Wetter in Lettland:
„1. Kapitel
Der Tag hatte mühsam und unerfreulich angefangen.
Zuerst die lange Fahrt mit dem Dienstwagen von der Wohnsiedlung am Stadtrand Rigas bis fast an die Gegenseite, wo die Fabrik stand, und dazu noch zwei Unterbrechungen, als einmal die Zündung aussetzte und danach an einer Kreuzung der Kühler zu dampfen begann.
Während sich Kobzew am Straßenrand die Füße vertrat, unmutig über das feuchtkalte Nieselwetter des nahenden Frühlings, der ziemlich zögerlich kam, fluchte der Fahrer auf lettisch, damit die Umstehenden nicht provoziert wurden, dass die alte Mühle eben schrottreif sei. Er fluchte laut genug, um die Leute davon abzulenken, dass er einen Russen fuhr. Dann, in der Fabrik, die Versammlung. Von Letten einberufen, ohne formale Genehmigung der Direktion. Ein so genanntes Komitee für nationale Unabhängigkeit stand dahinter: Nach fünfzig Jahren sei Lettland nun endlich wieder ein freier Staat. Deshalb müsse mit dem Schwebezustand Schluss gemacht werden, der das Land immer noch mit rund dreißigtausend russischen Soldaten belastet. Sie sollen endlich nach Hause gehen. Mit ihnen all jene Russen, die in ihrem Gefolge nach Lettland gekommen waren, um hier zu kommandieren, um sich zu bereichern, um die Einheimischen zu erniedrigen, und die jetzt den Anschein zu erwecken versuchten, sie seien es, die ungerecht behandelt würden. Nur weil man sie aufforderte, dorthin zurückzugehen, woher sie vor geraumer Zeit gekommen seien, ungerufen. als Okkupanten, die ihren Raub der baltischen Länder mit jenem Herrn Hitler vereinbart gehabt hätten...
Der ganze politische Wust, der in diesen Tagen wieder und wieder hochkam. Und Kobzew, als Direktor, war gezwungen gewesen, sich das alles anzuhören. Höflich zu bleiben. Konnte nicht, wie in alten Zeiten, zum Telefon greifen, die „Organe“ anrufen, auf dass sie für Ordnung sorgten. Musste nach außen hin erkennen lassen, dass er für den Unmut seiner lettischen Arbeiter und Techniker Verständnis aufbrachte. Die ganze Sache sollte wohl noch mehr angeheizt werden, das erkannte er aus den aufeinander abgestimmten Zwischenrufen. Kein Wahlrecht für Russen. Keine Pässe. Erhöhung des Mindestmonatslohnes, für den man gegenwärtig auf dem Schwarzmarkt etwa ein paar Schuhe kaufen konnte. Keine Erhöhung für Russen. Räumung des Kriegshafens Libau. Übergabe der Besatzerquartiere an Wohnungssuchende Letten...
Aber die Versammlungsleitung fing - diesmal noch, und wohl gewollt - den Tumult geschickt ab, indem sie die Zurufe zu einer Art Resolution bündelte, über die dann abgestimmt wurde. Es gab nur eine Handvoll Enthaltungen. Wie es schien, sollte die Zusammenkunft noch nicht zum Sturm ausarten. Auf seinem Schreibtisch in dem gediegen eingerichteten, mit Wandteppichen aus Südrepubliken geschmückten Büro fand Kobzew dann die aus dem „Baltic Observer“, einer neuerdings in englischer Sprache erscheinenden Zeitung, herausgerissene Karikatur: Der sagenumwobene lettische Bärentöter Lacplesis, wie er mit dem Schwert auf den dreiköpfigen Drachen eindrischt. Die Köpfe mit den Inschriften „SU“, „KPdSU“ und „KGB“. Er schmiss den Wisch zornig in den Papierkorb. Die Produktion hatte er vor geraumer Zeit schon zurückfahren lassen, auf etwa die Hälfte. In Russland gab es keine Käufer, und im Ausland hatte man keine Märkte mehr, wenn man davon absah, dass Kobzew die Chance wahrgenommen hatte, an den laschen Kontrollen vorbei einiges sozusagen „privat“ zu exportieren. Bis vor einigen Monaten war der gesamte Absatz von Moskau aus dirigiert worden, jedenfalls soweit die Moskauer überhaupt die Zahlen kannten. Zuletzt war das so gegangen: Kobzew meldete das, was er nicht „privat“ absetzen konnte, als Produktionsergebnis, und irgendein Außenhandelsbüro in der Metropole besorgte dann den Verkauf. Niemand erfuhr, wohin die Erzeugnisse gelangten, geschweige denn, was sie einbrachten. Dabei handelte es sich um hochwertige Artikel der Elektronik, besonders um Bauteile, die bis vor kurzem noch strenger Geheimhaltung unterlegen hatten. U-Boote brauchten sie, Raketen. Panzerkanonen, Kampfflugzeuge. Doch da war das große Loch entstanden, unbekannte Größen taten sich auf, nachdem man offiziell mit den Amerikanern vereinbart hatte, dieses oder jenes abzuschaffen. Für die Bereitschaft, das zu tun, oder es wenigstens offiziell anzukündigen, stand den neuen Politikern bare Valuta ins Haus, also gab es Bestimmungen zur Reduzierung der Produktion.
Ausweichen hätte man auf moderne Unterhaltungselektronik können, das war auch der erste Gedanke Kobzews gewesen, als die Dinge sich neu darstellten. Nur - wer heute ein leistungsfähiges elektronisches Gerät haben wollte, und wer imstande war, es auch zu bezahlen, kaufte sowieso auf dem Schwarzmarkt gegen Devisen Erzeugnisse von Weltfirmen aus Japan, Holland, Deutschland.“
Erstmals 2011 veröffentlichten Aljonna und Klaus Möckel als Eigenproduktion der EDITION digital ihr bisher persönlichstes Buch – „Drei Tropfen Licht. Ein doppeltes Tagebuch“: Ein Mann, Schriftsteller, erhält einen bestürzenden Befund. In seinem Körper hat sich ein Tumor gebildet. Ist es Krebs? Eine Gewebeprobe bestätigt die Annahme. Für ihn und seine Frau, die gleichfalls literarisch tätig ist, bricht eine unruhige, sorgenvolle Zeit an. In einem „doppelten Tagebuch“ beschreiben Aljonna und Klaus Möckel die Monate der Ungewissheit, der Vorbereitung und Verarbeitung zweier Operationen. Unabhängig voneinander haben sie sich entschlossen, ihre Gedanken zu Papier zu bringen, wodurch aus zwiefacher Sicht ein eindringliches Bild dieses einschneidenden Geschehens entsteht. Aber die Aufzeichnungen beschränken sich nicht auf die Darstellung der Vorgänge und die Wiedergabe von Bedenken oder Hoffnungen. Im Willen, die schwierige Zeit gemeinsam durchzustehen, weitet sich der Blick, bezieht die Situation des erwachsenen, doch behinderten Sohnes mit ein, der weder hören noch sprechen kann. (Siehe dazu auch „Hoffnung für Dan“, wo von den frühen Jahren dieses „besonderen“ Kindes berichtet wird.) Wenngleich in einem Wohnheim lebend, braucht Dan nach wie vor all ihre Fürsorge. Darüber hinaus ergeben sich Erinnerungen an Eltern, Geschwister, Freunde. Dramatisch die Kindheit der Frau in der Emigration, tragisch der frühe Tod ihrer Mutter nach der Rückkehr und später auch der des Vaters. „Drei Tropfen Licht“ ist Selbstanalyse und literarisch gestaltete Dokumentation, ein spannendes Buch, das durch seine Offenheit besticht. Hier ein erster Eindruck dieser ebenso ungewöhnlichen wie berührenden doppelten (Tage)Buchführung:
„Aljonna: 12. Dezember
Keine zwei Wochen mehr bis Weihnachten, aber Vorfreude aufs Fest will sich nicht einstellen. Meine Gedanken kreisen stets um den einen Punkt, denn nun haben sich die Befürchtungen ja leider bestätigt. Ich schlucke Pillen, um im Lot zu bleiben.
Doch der Reihe nach. Die Ärztin hatte auf eine schnelle Gewebeentnahme gedrängt, aber ein Termin beim Urologen für ein Vorgespräch war erst Ende November frei. Klaus wollte auf keinen Fall so lange warten, ging vorher hin, kam nach einigem Ausharren auch dran. Zunächst ein wenig zögernd veranlasste der Arzt, nachdem er die Prostata abgetastet hatte, einen zweiten PSA-Test. Das Ergebnis glich dem ersten, und die Biopsie fand dann endlich Anfang Dezember statt, also vor einer Woche. Obwohl es ja heißt, dass Krebs im Alter langsamer wächst, zog sich das für meine Begriffe sehr lange hin.
Das Geschehen selbst will mein Mann beschreiben, er kann das besser, schließlich wurde ja ihm mit der Nadel durch den Darm gepiekt. Ich ließ es mir aber nicht nehmen, ihn zum Urologen zu fahren, obwohl ich, besonders wegen der leidigen Parkplatzsuche, nicht scharf aufs Chauffieren bin. Trotzdem, ein bisschen moralische Unterstützung konnte in diesem Fall nicht schaden.
Die Woche nach der Entnahme war dann für mich mit bedeutend mehr Spannung erfüllt als für ihn. Ich sagte mir, dass sich die Praxis bestimmt schnell melden würde, wenn ein für uns freundliches Ergebnis vorläge. Versuchte aufkeimende Angst zu unterdrücken, und kam doch nicht davon los. Was würde sein, wenn diese heimtückische Krankheit meinen Mann tatsächlich gepackt hätte? Wie würde sich unser Leben gestalten, wie viel Zukunft bliebe uns dann noch? Es war gewiss zu früh für solche Überlegungen, dennoch konnte ich sie nicht wegschieben. Klaus dagegen schien nichts zu befürchten. Er nahm die Gefahr wohl erst wahr, als wir wieder im Wartezimmer saßen und der Urologe mich gleichfalls ins Sprechzimmer bat. Doch selbst da ergriff es ihn offenbar weniger als mich. Der Fakt Krebs, auf Grund des histologischen Befunds nicht mehr wegzudiskutieren, überraschte ihn zwar, wurde ihm aber erst später so richtig bewusst. Mich dagegen traf er wie ein Hammerschlag. Ich krampfte die Finger ineinander, jetzt bloß nicht die Fassung verlieren! Als der Doktor aufmunternd meinte, das sei ja noch kein Todesurteil, wurde mir richtig schlecht. Zwar gelang es mir, die Tränen zurückzuhalten, aber meine belegte Stimme bei der Frage, wie es nun weitergehen solle, verriet mich trotzdem. Der Arzt bot mir ein Glas Wasser an, ich lehnte dankend ab. Ich war ja zur Unterstützung mitgekommen, nicht um es meinem Mann noch schwerer zu machen.
Aljonna: 15. Dezember
Nach dem Erhalt dieses bedrückenden Bescheids und einigen mitfühlenden Worten des Arztes waren wir entlassen. Einerseits damit wir Zeit fanden, über die neue Lage nachzudenken, andererseits weil einige Untersuchungen notwendig wurden, um die richtige Therapie zu finden. Maßnahmen, die aufzeigen sollen, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist, und die ich nur von außen verfolgen kann. Von außen, nicht jedoch als Außenstehende, ich bin ja voll einbezogen. Erfüllt von einem undeutlichen Angstgefühl! Immerhin, der derzeit tröstliche Stand: Lunge und Knochen sind frei von Metastasen. Aber was heißt tröstlich. Es bleiben die Lymphbahnen und alle möglichen inneren Organe. Der menschliche Körper besitzt viele Angriffsflächen, man mag sich gar nicht vorstellen, wie viele.
Zurück zur Therapie, am 19. 12. – es ist zufällig unser Hochzeitstag – wird der Doktor nun erneut mit uns sprechen. Dann erfahren wir, ob es zur Operation kommt, oder ob man anderweitig behandeln muss.
[*] Dezember, Klaus
Diese Woche ist unheimlich viel los – Verwandten- und weitere Arztbesuche stehen auf dem Programm, dazu kommt eine kleine, hoffentlich feine Verlagsfeier und schließlich und nicht zuletzt unser Hochzeitstag.
Zunächst fand aber die erwähnte Skelettuntersuchung statt. Man bekommt eine radioaktive Spritze, trinkt einen halben Liter Wasser, wartet zwei Stunden - ich benutzte sie, um in den umliegenden Läden nach einem besonderen Weihnachtsgeschenk für Jonna zu suchen, das ich nicht fand - und wird auf eine Liege gepackt, während eine kastenförmige Apparatur dicht über einen hinweggleitet. Vom Kopf zu den Füßen, zwanzig Minuten lang, ganz gemächlich. Danach nimmt sich der Kasten noch die Wirbelsäule vor. Die Ergebnisse werden am Ende ausgedruckt und weisen eventuelle Krebsaktivitäten aus. Oder so ähnlich. Bei mir jedenfalls scheint noch alles im grünen Bereich zu liegen: Kein Anhalt für Auffälligkeiten. Herz, was begehrst du mehr.
Bedenkt man allerdings, was an weiteren Untersuchungen ansteht, was geschehen muss, um den gröbsten Schaden zu reparieren (und dass vielleicht nur dieser gröbste Schaden behoben werden kann), so dämpft das die Freude erheblich.“
Erstmals 1993 erschien im Verlag Michaela Naumann Nidderau „Das Mecklenburgisch-Vorpommersche Schimpfwörterbuch. Bannich deftige Wörter“ von Günther Fuchs & Hans-Ulrich Lüdemann: Für Freunde der Niederdeutschen Sprache ist dieses Büchlein eine zeitlose Rarität. Deftige und weniger deftige Worte werden heiter ins Hochdeutsche umgesetzt, so dass auch ein Hinterbayer alles versteht. Und zum besseren Verständnis für das Anliegen und den Aufbau dieses ebenso informativen wie amüsanten Lexikons präsentieren wir an dieser Stelle zum einen die Vorrede der beiden Autoren und zum anderen zum Eingewöhnen die Einträge zu den ersten beiden Buchstaben des Alphabets. Wer A sagt, der sollte bekanntlich auch B sagen:
„Vorrede
Wenn auch, liebe Leserin, lieber Leser, Mecklenburg-Vorpommern als Land noch jung an Jahren — sozusagen ein Spirrfix — ist, als Sprachraum ist es, salopp gesprochen, hundealt. Er entstand bereits um 1300 als Folge der ostholsteinischen und westfälischen Einwanderungsströme, die beide niederdeutsch sprachen. Im Laufe der Zeit bildete sich innerhalb des Niederdeutschen als etwas Eigenständiges das Mecklenburgisch-Vorpommersche heraus. Die Sprachgrenzen sind in etwa mit den heutigen Landesgrenzen identisch. Trotz vielfältiger sprachlicher Einflüsse in der Vergangenheit, beispielsweise durch die Hanse oder das Französische, hat sich dieser Zweig neben anderen in der niederdeutschen Sprache bewahrt. In diesem Sinne muss es nicht immer negativ sein, wenn gesagt wird, dass manches eben erst mit gut hundertjähriger Verspätung in Mecklenburg-Vorpommern zum Tragen kommt.
Die Autoren wären jedoch Doesbaddels, würden sie nicht darauf hinweisen, dass Sprachgrenzen schon immer fließend waren und es demzufolge auch mundartliche Abweichungen gibt, die das Mecklenburgisch-Vorpommersche weiter gliedern. Schreibweise und Aussprache können in den einzelnen Gegenden etwas voneinander abweichen. So wird ganz offenkundig auch hin und wieder mit dem Brandenburgischen gekungelt. Dort sind Ballertrien, Dalf, Murkel oder Pomuchelskopp ebenso bekannt. Ein Brandenburger riecht einen Fiester oder Hunnenschiet und kann sich einen Schmeerbuk anfressen.
Nehmen Sie es, liebe Leserin, lieber Leser, also bitte nicht so pinnenschietig mit den Sprachgrenzen zu Mecklenburg-Vorpommern und sehen Sie es uns nach, wenn wir auch aus Platzgründen nicht in jedem Falle der mundartlichen Vielfalt gerecht werden konnten.
Die Autoren sind keine Nägenklaukers, sie haben sich für Sie sachkundig gemacht und empfehlen Interessenten wärmstens das „Mecklenburgische Wörterbuch“. Der Vater aller Sprachforscher im Niederdeutschen, Richard Wossidlo, hat dieses enzyklopädische Werk anhand seiner mehr als zwei Millionen Sprachbelege begründet; fortgeführt und herausgegeben wurde es von Hermann Teubert. Als sehr ergiebige Quelle für Wörter und Redewendungen diente auch das von Renate Herrmann-Winter verfasste „Kleine plattdeutsche Wörterbuch“. Ebenso hilfreich waren Editionen aus dem Hinstorff Verlag; Arbeiten von Hans Balzer, Jürgen Gundlach und Siegfried Neumann; niederdeutsche Schriftsteller wie Ernst-Moritz Arndt, John Brinckman, Berthold Brügge, Hans Draehmpaehl, Klaus Groth, Fritz Reuter, Felix Stillfried u. a. Auch wenn wir den Vorwurf, Huscher-Muscher zu sein, als Tünkram abtun würden, so sind wir uns doch bewusst, dass dieses Schimpfwörterbuch weder vollständig noch in jedem Fall ausschließlich treffend sein kann. Nur Grotspräker irren nie.
Viele dieser entfamichten Wörter unterlagen dem Wandel der Zeit — wurden vergessen; andere erleben eine Wiedergeburt, vielleicht auch mit Hilfe dieses Büchleins. Also tun Sie sich auf der nächsten Dienstfahrt oder während Ihres Urlaubes im östlichen Norden Deutschlands keinen Zwang an: Wat rut möt, dat möt rut! Aber immer auf eigene Gefahr und nach Möglichkeit nicht gegen die Autoren, auch wenn diese keine Bangbüxen sind. Und sorry: das sich betont witzig gebendes Meck-Pomm ist insofern ein unsäglich peinlicher Missgriff, da dem -e- ein so genanntes Dehnung -c- folgt. Daher wird eine Änderung der Schreibweise nach dem mutigen Vorbild der Hamburger angemahnt; die per Gesetz 1949 alle überlieferten alten Flurnamen wie Barmbek oder Wandsbek (vorher durch Sprachschluderei als Wandsbeck bzw. Barmbeck geschrieben) gemäß dem niederdeutschen Sprachbild in die ursprüngliche Schreibweise zurückgeführt haben. Schließlich heißt es auch im Plattdüütschen nicht Mäckelbörger sondern Mäkelbörger. Altes sollte nicht gefälligen Modernismen geopfert werden. Schnackenburg z. B. kommt nicht von schnacken für schwätzen; es wird wie Schna: kenburg gesprochen. Der deutsche Name Schnackenburg scheint sich aus dem niederdeutschen Snaak oder Snack „Schlange“ (engl. snake) und Borg „Burg“ gebildet zu haben ...
Schimpen up Platt - die Aussprache des Mecklenburgisch-Vorpommerschen ist eigentlich kinderleicht — wenn Sie es bereits können; andernfalls macht die Übung immer noch den Meister. Und denken Sie daran — im richtigen Ton liegt die Musik: Schimpfwörter können, leise gesprochen, mehr oder weniger liebevoll gemeint sein. Na denn — hollt Juch stief bi dat Läsen!
Günther Fuchs und Hans-Ulrich Lüdemann
A
Aap, Ap, soll keine Anspielung auf denjenigen sein, der dieses Mecklenburgisch-Vorpommersche Schimpfwörterbuch zur Hand nimmt. Der Affe kann als Neck- oder Schimpfwort verstanden werden. Wie bei vielen folgenden Wörtern macht der Ton die Musik. Gegenüber einem Angeber heißt es: Büst 'n hellschen Kierl; wenn du oewer in 'n Speigel kickst, mööst doch seggen: Goden Dag, Aap.
Aaskreih, wenn auch im übertragenen Sinne die Aaskrähe weiblich ist, so kann sich dennoch jeder Halsabschneider angesprochen fühlen.
Aasluder, jedes deutsche Telefonverzeichnis, das etwas auf sich hält, beginnt mit einem Doppel vom ersten Buchstaben unseres Alphabets. Aber wer möchte schon einen Namen tragen, der gleichzeitig ein derbes Schimpfwort gegenüber jedermann ist?
Achterliek, wer von einem Vorpommer oder Mecklenburger dieses Wort hört, der sollte sich sein Gegenüber genauer ansehen: Als Mann wird einer garantiert als Arsch angesehen; bei einer Frau kann auch zärtlich ihr Hinterteil gemeint sein.
Adder, eine Frau, die als Natter tituliert wird, hat wohl keine Chancen mehr beim sogenannten starken Geschlecht. Ein Vorpommer oder Mecklenburger mit einschlägig schlechten Erfahrungen stöhnt verbittert: Wenn man sick 'ne Fru nimmt, dat 's grad, as wenn 'n 'ne Katt ut'n Sack vull Addern rutsöcht ...
Angäwer, da braucht einer kein Nordlicht zu sein, um zu kapieren, dass die Einheimischen schnell sauer sind über jede Art von Angebern aus der großen weiten Welt.
Angstfaut, ein Hasenfuß wird sich immer damit herausreden, dass feige sein allemal besser ist als tot.
Angstkoetel, ... und ein Angsthase wird ihm selbstverständlich zustimmen, um so vielleicht doch noch Mut zu fassen.
Anökeler, mit Angebern oder Petzern kommen wohl nicht nur die Vorpommern und Mecklenburger schwer zurecht.
Apenbaud, hier stinkt es ja wie in einer Affenbude! riefen die Urlaubsgäste und flohen.
Aschebödeling, Schmutzfinken gibt es nicht nur im ostdeutschen Norden der Bundesrepublik.
Äsel, dat ik 'n Äsel bün, dat weit ik, oewer dat du Äsel mi dat seggen mööst, dat argert mi ... Kommentar wohl überflüssig!
Äselbänk, vielleicht haben Redner und Zuhörer des vorigen Dialogs einmal gemeinsam auf dieser Bank für dumme Schüler gesessen?
Asenkierl, wer dortzulande als Sudelkerl beschimpft wird, sollte sich fragen lassen, ob er sich nicht in irgendeiner Weise daneben benommen hat.
Äweltrine, nicht immer leicht zu definieren — die Kriterien für ein übles Mädchen.
Äwerborstiger, das hat nun ganz und gar nichts mit einem Tiger zu tun, sondern bezeichnet eher das Gegenteil: Ein Prahlhans!
Äwernäsig-Hannes, dieser überdrehte junge Mann kriegt es fertig, sich in Grippe-Zeiten nach dem Telefonieren wegen einer möglichen Infektionsgefahr seine Ohren zu waschen. So geht jedenfalls die Rede.
B
Babbel hollen, Halt den Mund! Oder auch im Hochdeutschen etwas moderner ausgedrückt: Ende der Fahnenstange!
Babbellies, ein Klatschweib ernährt sich und gedeiht am besten auf Kosten der Freizeit ihrer bereits genervten Nachbarn.
Backbeer, egal ob weiblich oder männlich — eine rostige Haarnadel oder ein halber Knopf sind wertvoller als dieses Wesen.
Backsbüdel, auch in Mecklenburg-Vorpommern werden die Dummen nicht alle.
Ballerkierl, um allen Widrigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollten solche Typen ab und an mal ein ehrliches Inserat in der Zeitung drucken lassen: Poltriger Mann sucht ebensolche Frau zwecks gemeinsamen Polterabends.
Ballerolsch, das muss diejenige gewesen sein, die als einzige vorstehende Annonce beantwortet hat.
Bambusen, keinesfalls ist die Mehrzahl vom Bambus gemeint: Es handelt sich um Strolche oder ungezogene Jungen.
Bammelfik, das ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine liederliche Frau.
Bammelkierl, wer jetzt messerscharf schließt, dass es sich hier um einen ebensolchen Mann handelt, der irrt: Dieser Kerl ist ausgesprochen langsam im Denken und Tun. Und da es bekanntlich immer zwei Menschen braucht zum Paradies — zu ihm passt wie die Faust aufs Auge eine Bammelolsch.
Bangbücks, wer nachts durch einen dunklen Wald gehen muss — mit diesem Feigling oder auch Bangbüx an seiner Seite wird er keiner Gefahr ins Auge sehen können.
Barmjochen, dieser Mann scheint einer zu sein, der ständig über Geldnot jammert. Dabei ist er nur zu geizig, etwas von seinem Konto abzuheben! Und wenn dann noch eine Barmmudder dazukommt — nicht auszuhalten!
Bauzfik, genaugenommen wäre das eine Frau, der zuzutrauen ist, dass sie partout den untersten Teller eines Stapels herauszieht, wenn der Tisch gedeckt werden soll. Um der ausgleichenden Gerechtigkeit willen gibt es natürlich auch einen Bauzheiner und seine kleine Freundin, die Bauztrine.
Bäwerbücks, das sind solche, die wegen ihrer permanenten Feigheit immer das Wort vom Hannemann-geh-du-voran im Munde führen.
Beddmiger, wegen der gleichen Bedeutung kommt das Schimpfwort Bedd'vulmiger für Bettnässer einem Nicht-Mecklenburger und Nicht-Vorpommer schon etwas bekannter vor. Das Aufreizende liegt aber in der Unterstellung, einer zu sein — ein kranker Mensch sollte zu seinem Leiden nicht auch noch die Beschimpfung ertragen müssen.
Bedreiger, wer als Landei einen geräucherten Aal ohne Kopf kauft und zu Hause beim Abendbrot feststellt, dass dieser Fisch überraschenderweise grüne Gräten hat, hat sich von einem Betrüger schlichten Hornaal andrehen lassen.
Bengel, solch ein etwas missratener Junge kann harmlos sein gegen die ursprüngliche, meist mit Schmerzen verbundene Bedeutung wie Knüppel oder Knotenstock: Hür, du Bengel! Segg'dienern Bengel, dat dien Bengel mienen Bengel nich Bengel schellen deit.
Betschjohann, nicht alle Männer können Kritik vertragen. So einer reagiert bissig auf Vorhaltungen jedweder Art.
Bieräsel, es ist beileibe nicht der einzige Unterschied zum Goldesel im Märchen, dass Trunkenbolde erst eine Menge intus haben müssen, ehe sie etwas — selbstredend Wertloses — von sich geben.
Blackschiter, selbst einem gebürtigen Vorpommer fallt es schwer zu erklären, warum dieses Schimpfwort ausgerechnet gegen den sogenannten gebildeten Stand Anwendung findet.
Blag'kopp, was ist Übles dran an einem Rotschopf, dass er partout wegen seiner flammenden Haarpracht beschimpft werden muss?
Blatnwiw, mancher wackere Mann ist schon mit einem Tampen in der Hand auf der Suche nach einem zugfesten Nagel unters Dach gestiegen, weil er das ständige Jammern seines Weibes nicht mehr ertragen konnte.
Blarrfiken, diese Kleine hat's mit dem Weinen und ist schwerlich wieder aufzumuntern.
Blenner, heutzutage drehen sich in Ostdeutschland die Wechsel für manch ein Superauto schneller als dessen Räder. Dieses Missverhältnis zwischen Schulden und Haben halten wohl nur die Nerven eines Blenders aus.
Bostsmiter, gewisse Politiker sind getrost dieser vorwiegend männlichen Spezies zuzuordnen, weil sie sich 1990 mehr als übertrieben in die Brust geworfen haben mit ihrer Paradies-Prognose für die Zeit nach der Deutschen Einheit. Andererseits gilt dieses Schimpfwort auch für personifizierte Unbescheidenheit.
Bostwranger, es soll sie noch irgendwo geben — die ursprünglich mannstollen Frauenzimmer.
Botternoors, viel Staat ist heutzutage mit einem dicken Hintern allein wohl nicht zu machen. Mancher behauptet, dass diese Fülle nicht vom übermäßigen Essen, sondern vom Aussitzen kommt. Willkommene Kunden für die Konfektionsläden oder das Schneiderhandwerk.
Brägenkierl, Hitze oder Alkohol sind so einem zum Verhängnis geworden, dass ihm etwas taumelig und sein Denken lahmgelegt ist.
Bräkendal, wenn dieser Draufgänger und Tunichtgut sich mal herablässt, zwischen zwei Regalen stehend Einweckgläser zu ordnen, dann reißt er garantiert mit dem Noors welche zu Boden, wenn er vorn stapelt.
Brammbütt, einen Grund zum Stänkern findet der immer. Und wenn es der ist, dass sich justament gerade nichts zum Stänkern anbietet.
Bramwiennäs, seine Vorliebe verrät ihn durch eine leuchtende Branntweinnase, auch Rotweinknolle genannt.
Brawwelfiken, wo eine Schwätzerin geht oder steht, da ist ein Brawweljochen nicht weit: He brawwelt so väl.
Breitpisser, keine falschen Schlüsse durch die Wortendung — auch heute heißt es manchmal noch, wenn der Familiennachwuchs ein Mädchen ist: Is 'n Breitpisser or Breitmiger geburen.
Brode, kann als Bezeichnung für Hure so verbreitet nicht sein — schließlich heißt es seit eh und je Sündenmeile oder Reeperbahn.
Bruddler, den meisten Pfuschern geht es sehr wohl schnell, aber schlecht von der Hand. Der Volksmund dagegen meint: Weck sünd son 'n Bruddlers, dee geiht dat nich von de Hand.
Brummer, warum sollen nur die dicken oder gar fettleibigen Zeitgenossen als Herumtreiber ähnlich den Fliegen unappetitlich aussehen? Über die fülligen Drohnen spricht niemand, wenn es heißt: Geihst du de Immen nah, geihst du to'n Honnig — geihst du de Brummers nah, geihst du to'n Mess.
Brus'bort, das Bild vom Brausebart macht den Hitzkopf deutlich.
Buck, hier tritt augenscheinlich ein ganz besonderer Bock zutage. Im Allgemeinen hat er nichts mit dem Starkbier zu tun, weil vornehmlich widerspenstig reagierende Kinder gemeint sind: Di hett woll de Buck stött.
Buckscher, lieber einen Sack voller Flöhe hüten als einen ausgesprochen Störrischen, Eigensinnigen oder eben Bockigen.
Buddelbrauder, der leistet dem Nachgenannten freiwillig Schützenhilfe, gilt doch auch für einen Saufkumpan die Devise: Weg mit Schaden!
Buddelkieker, wenn einer höchstens von Zwölf bis Mittag mit dem Saufen aussetzt, dann darf er wohl ungestraft Trinker genannt werden.
Bullerkopp, wenn der nicht ständig etwas zu meckern hat, kriegt er Magenschmerzen. Modern gesagt — ein psychosomatischer Zeitgeist.
Bullernoors, wer ist was, lautet die alternative Frage: Ist ein Bullerkopp in jedem Falle auch ein Grobian?
Bussenbedreiger, das gab es schon in allen Zeiten. Aber heutzutage hat eine Dame es nicht mehr nötig, ihren Busen auszustopfen — Beate Uhse und die moderne Medizin machten es möglich.
Bütt, wenn eine Bütt keine Bütt mehr sein will, dann entwickelt sie sich wegen der flunderähnlichen Plattbrust zum Bussenbedreiger.“
Und zum guten Schluss des heutigen Newsletters bringen wir noch ein zauberhaftes Kinderbuch, in dem auch ebenso Zauberhaftes geschieht. Erstmals 2016 veröffentlichte Hanna Borchert als Eigenproduktion der EDITION digital und mit Bildern von Barbara Opel „Meine Freundin, eine Nixe“: Zauberhaftes passiert in diesem poetischen Buch von Hanna Borchert. Felizitas, genannt Feli, das bald zwölfjährige Mädchen aus einem großen, schönen Dorf lernt zu ihrer Überraschung an der Bretterbrücke am Zaubersee die Nixe Walburga von Wasserburg, genannt Wally kennen – ebenfalls ein schönes Mädchen, nur mit Flossen statt mit Beinen. Schnell haben Feli und Wally den gleichen Wunsch: jede der beiden möchte einmal so sein wie die andere. Und mit Hilfe von Lybella, der zauberkäftigen Tante von Wally, können das Mädchen und die Nixe tatsächlich für drei Tage ihre Körper und ihre Lebenswelten tauschen – in Feli steckt jetzt Wally und umgekehrt. Eine aufregende Angelegenheit. Sowohl die Nixe als auch das Mädchen finden es toll, einmal ein Mensch oder eine Nixe zu sein. Allerdings bringt das neue Leben auch manche Schwierigkeiten und Missverständnisse, aber zumindest auf der Erde auch manche hilfreiche Zauberei mit sich. Denn mit Unterstützung ihrer Tante Lybella kann Wally als Feli nicht nur Felis Mutter von ihren Bauschmerzen befreien und der alten Frau Krause und Felis bester Freundin Marion helfen, sondern auch der Hündin Layka und dem Eisvogel Erich. An manches Andere und Ungewohnte müssen sich Feli und Wally in ihrer jeweils anderen Umgebung aber erst gewöhnen. Und nicht nur Hund Bello scheint bemerkt zu haben, dass da irgendetwas nicht stimmt. Schnell sind die drei Tage um, und dann muss zurückgezaubert werden. Natürlich sind die echte Feli und die echte Wally auch traurig darüber, dass sie sich jetzt erst mal wieder voneinander trennen müssen, aber es wird bestimmt kein Abschied für immer. Schließlich sind Feli und Wally Freundinnen. Und so nimmt der ganze Zauber seinen Anfang, wie uns Feli, also Felizitas, selber erzählt:
„Meine Freundin, eine Nixe
Ich bin ein Mädchen aus einem schönen, großen Dorf. Bald bin ich 12 Jahre alt. Mein Name ist Felizitas. Aber meine Freunde nennen mich Feli. Wir wohnen nicht weit von einem See. Er wird auch Zaubersee genannt, weil er so wunderschön und mit dem Meer verbunden ist. Der See hat eine Brücke, sie besteht aus Brettern.
Ich sitze gern auf der Brücke. Dann träume ich immer so vor mich hin und schaue ins Wasser, in dem viele Fische schwimmen. Besonders nahe bin ich den Fischen, wenn ich durch die Ritzen der Brücke schaue.
Die Fische schauen mich an, ich glaube, sie wissen, dass ich traurig bin. Oft spreche ich mit ihnen und erzähle, dass Mama Bauchschmerzen hat.
Alles berichte ich den Fischen, meine kleinen und großen Sorgen. Mir kommt es so vor, als würden sie mich verstehen.
Ich schaue heute wieder ins Wasser, da sehen mich auf einmal zwei hellblaue Augen an.
Ich erschrecke und lege meine linke Hand auf meine rechte Schulter. Wie von Geisterhand mache ich es. Nun bin ich schon fast mit meinem Gesicht auf der Brücke. Die Augen sind immer noch da. Wir sehen uns immerzu an. Leise, als würde ich niemanden aufwecken wollen, frage ich: „Wer bist du?“ Doch mein Gegenüber antwortet nicht.
Nun richte ich mich wieder auf und sehe eine große Welle auf dem Wasser, die immer, immer kleiner wird.
Ich weiß nicht, ob es Wirklichkeit oder ein Traum ist.
Nein, Angst habe ich nicht. Es ist mir nur so seltsam zumute, als würde ich schweben.
„Ich gehe nun wieder heim, aber morgen komme ich wieder“, sage ich ganz laut ins Wasser hinein. Ich denke, dass mich jemand hört und versteht.
Es ist ein Raunen in der Luft, als ich die Brücke verlasse.“
Und nun dürfen wir gespannt, wie es mit dieser ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Menschenkind und einem Wasserkind weitergeht. Es lohnt sich, die Bekanntschaft von Feli und Wally zu machen und ganz am Rande einmal zu überlegen, ob und mit wem man selbst für eine kurze Zeit tauschen würde.
Vorerst aber sollten Sie ihre Zeit nicht mit vielleicht gewagten Experimenten verschleudern, sondern sich dafür lieber den fünf literarischen Angeboten dieses Newsletters widmen – wie zum Beispiel dem Studium des „Das Mecklenburgisch-Vorpommerschen Schimpfwörterbuchs. Bannich deftige Wörter“. Und falls Sie kein Original-Plattsnacker sind, dann fassen Sie am besten mit den Einträgen unter dem dritten Buchstaben des Alphabets an. Das sind nämlich die wenigsten:
C
Canallje, Schurke.
Canalljenvagel, so einer ist an Gefährlichkeit wohl kaum zu überbieten. Ein Schurke, der zugleich auch noch einen Vogel hat — also nicht ganz ordentlich ist im Kopf.
Christopher, im Hochdeutschen auch Aufschneider genannt: Hei verteilt von'n groten Christopber un hett'n lütten noch nich seihn.
Und damit viel Vergnügen beim Lesen, einen möglichst geräusch- , reibungs- und hoffentlich auch Corona-losen Übergang vom März in den April und bis demnächst.
Aber da fehlt ja noch was. Das eingangs erwähnte Marx-Zitat. Dazu fand sich im „Neuen Deutschland“ folgende aufschlussreiche Bemerkung: Das vollständige Zitat lautet: „Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.“
Karl Marx bezieht sich hier in einer Note auf den Funktionär der englischen Gewerkschaftsbewegung T. J. Dunning, der in seinem Buch „Trades' Unions and strikes: their philosophy and intention“ (London 1860) diese Textpassage aus „The Quarterly Review“ angeführt hatte (MEW, Bd. 23, S. 788, in MEGA² II/6, S. 680/681). Er belegt damit seine Behauptung, dass „das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ zur Welt gekommen ist. Marx stellt im 7. Abschnitt des ersten Bandes des „Kapitals“ den Akkumulationsprozess des Kapitals, hier im speziellen Falle die „Genesis des industriellen Kapitalisten“ dar. Das Zitat wird sehr häufig in der Kapitalismus-Kritik verwendet. Und nun wissen Sie wieder Bescheid. Aber Achtung: es ist kein Marx-Zitat im eigentlichen Sinn, sondern Marx zitiert selber jemand anderen.