Gleiches gilt für den zweiten Titel von Rudi Benzien unter den heutigen Angeboten: In „Schwester Tina“ muss sich eine Frau zwischen zwei Männern entscheiden, der eine ist für achtzehn Monate Soldat, der andere Pianist.
Ganz praktisch und zugleich philosophisch – so erzählt Roland Kluge in „Dr. B. – Arzt im Dienst“ aus dem nächtlichen Alltag eines Bereitschaftsarztes in einer Großstadt der DDR.
Einen Wirtschaftsthriller präsentiert dagegen Ingo Kochta. In „Erbe ohne Todesfall“ beginnt alles mit einem sehr ungewöhnlichen Brief eines Anwalts aus Malta. Empfänger ist ausgerechnet ein eher unauffällig lebender Mann aus der Gegend um Leipzig. Und doch wird dieses Schriftstück sein Leben völlig umkrempeln.
Und damit kommen zum aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Aus Anlass der 80. Wiederkehr des Beginns des von Hitler angezettelten Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 befasst sich der Fridays-for-Future-Newsletter im Monat September mit dem Thema Krieg und Frieden: Wie und warum „entstehen“ eigentlich Kriege? Welche Ursachen haben sie und wie kann man sie verhindern? Und woher nehmen die Angegriffenen die Kraft, sich nicht nur zu wehren, sondern die Aggressoren zurückzuschlagen und sogar auf deren eigenem Territorium zu besiegen – so geschehen mit den faschistischen deutschen Eindringlingen in der Sowjetunion.
Erstmals 1986 veröffentlichte Hans Bentzien im Militärverlag der DDR Berlin „Festung vor dem Strom. Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge der Stalingrader Schlacht“: Der Zufall fügte es, dass Hans Bentzien während seines Studiums in Moskau das Zimmer mit einem Mann teilte, der in der Sowjetunion großes Ansehen genießt, dessen Tat in die Annalen der Stalingrader Schlacht eingegangen ist: Jakow Fedorowitsch Pawlow. Unter dem Kommando des ehemaligen Sergeanten verteidigte eine Handvoll Soldaten 58 Tage lang ein strategisch wichtiges Gebäude bis zum Äußersten. Gestützt auf die Erlebnisberichte seines Studiengefährten ist Hans Bentzien den Spuren der Verteidiger gefolgt. In seinem fesselnden Tatsachenbericht schildert er das Kampfgeschehen detailliert - auch auf Seiten der deutschen 6. Armee - und lässt den Leser mit den Verteidigern vertraut werden. Die enge persönliche Bindung des Autors zu Jascha Pawlow verleiht dem Buch einen besonderen Reiz, Unmittelbarkeit und Frische. Hier erfahren wir etwas aus den Anfängen der militärischen Biografie von Pawlow:
„Es war nie mein Wunsch, Infanterist zu sein. Als ich in meinem Heimatdorf Krestowaja - es liegt im Waldaigebiet - als vierzehnjähriger Junge einen meiner ersten Filme sah, ich glaube, er war noch stumm, kam darin ein Pilot vor, der mit seiner Maschine gewagte Figuren drehte. Alles erschien mir so leicht, so mühelos. Seitdem wollte ich unbedingt Flieger werden. Oft blickte ich zum Himmel, um ein Flugzeug zu erspähen - aber über unser Dorf zog niemals eines seine Bahn, bis heute nicht. Wem ich auch meinen Berufswunsch anvertraute - jeder lachte darüber. Nur mein Vater hörte mich an und sagte nachdenklich: „Als wir hier den Kolchos gründeten, haben wir nicht geahnt, dass Jungen aus unserem Dorf einmal in den Himmel steigen möchten. Vielleicht wird so etwas später möglich sein. Für diesen Beruf muss man einiges mehr wissen, als du hier lernen kannst.“ Damit hatte er Recht, denn das Bildungsniveau in unseren Dorfschulen war Anfang der dreißiger Jahre noch nicht besonders hoch. So blieb ich zu Hause und arbeitete im Kolchos.
Meine Militärzeit kam heran. Ich wollte es noch einmal versuchen und trug der Musterungskommission meinen Wunsch vor. Ein älterer Offizier unterhielt sich mit mir und kam zu dem Schluss, dass ich für das fliegende Personal nicht geeignet sei. Dazu wären meine Wissenslücken zu groß. Doch er schlug mir vor, beim Bodenpersonal zu dienen. Dort benötige man ebenfalls tüchtige Leute. Ich stimmte zu. In der Nähe von Flugzeugen zu arbeiten war doch auch schon etwas.
Meine Grundausbildung begann im Herbst 1939. Marschieren, schießen, kriechen, Nahkampf; außer den Kragenspiegeln von der Fliegerei keine Spur. Nach einem guten halben Jahr wurde ich zu einem Flugplatz abkommandiert. Im Wirtschaftszug habe ich alles gemacht, was zu tun war: in der Küche geholfen, Material und Ersatzteile verwaltet, Maschinen betankt. An qualifizierte Arbeiten kam ich nicht heran, ihr wisst ja, meine mangelhafte Bildung.
So leistete ich meinen Wehrdienst und war ganz zufrieden dabei. Es war zwar nicht die Erfüllung meiner Träume, doch war der Dienst nicht uninteressant, jedenfalls für einen Jungen vom Dorf wie mich.
Auf einem Flugplatz in der Ukraine erfuhr ich am 22. Juni 1941, dass uns die faschistische deutsche Wehrmacht überfallen hatte. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen und begriffen nichts. Krieg mit Deutschland? Undenkbar! Mit Deutschland hatten wir doch keinen Streit, es war sogar ein Nichtangriffspakt geschlossen worden. Und nun dieser Wortbruch! Niemand wusste eine Antwort. Waren wir zu leichtgläubig gewesen, zu sehr mit unserem Aufbau beschäftigt?
Jetzt war keine Zeit, darüber nachzudenken; es war Krieg, und wir mussten uns verteidigen. Die Maschinen wurden repariert und überprüft, betankt und startklar gemacht. Die Angreifer sollten uns kennenlernen! Allerdings, das muss ich heute auch sagen, wusste ich wenig von der Stärke der deutschen Militärmaschinerie, umso bestürzter war ich nach den Meldungen vom Vormarsch der Deutschen.
Unsere Maschinen stiegen auf und stellten sich dem Gegner in der Luft. Einige kehrten aus dem Kampf nicht zurück. Andere landeten, durch die Luftkämpfe zum Teil schwer beschädigt. Der kleine unversehrte Rest wurde auf einen anderen Flugplatz verlegt. Wir blieben am Ort und versuchten, die zerschossenen Flugzeuge zu reparieren.
Eines Tages beobachteten wir, wie in einiger Entfernung gegnerische Fallschirmjäger absprangen. Vermutlich sollten sie den Flugplatz besetzen. Hauptmann Trofimow versammelte das Bodenpersonal um sich und befahl unserer kleinen Gruppe, die Angreifer zu vernichten. Mit drei, vier anderen Jungen bekam ich den Auftrag, ein von starkem Unterholz bewachsenes Waldstück abzusuchen.
Als wir uns dem Wald näherten, begannen die Kugeln zu pfeifen. Ein sehr unangenehmes Gefühl, denn es waren die ersten Kugeln, die mir um die Ohren flogen, und wir lagen nicht gut getarnt. Aber man lernt alles, wenn es ums Leben geht. Ich rollte mich in eine tiefere Furche und schoss aus meiner MPi auf die Büsche am Waldrand. Auch meine Nachbarn hatten sich gefasst. Sie übernahmen die anderen Abschnitte.
Als wir die Magazine wechselten, merkten wir, dass kein Feuer mehr zurückkam. Wir krochen näher, und ich fand einen toten Fallschirmjäger. Es war der erste Deutsche, den ich überhaupt gesehen habe. Obgleich der Anblick schrecklich war, überkam mich doch ein Gefühl der Überlegenheit. Wir haben dann den Wald durchkämmt.
Trofimow war ganz zufrieden. Er meinte aber, wir hätten nicht alle vernichtet, müssten also auf der Hut sein.
Ein paar Wochen später räumten wir den Flugplatz, und seitdem, seit Herbst 1941, gehörte ich zur Division von General Rodimzew. Er leitete zu Kriegsbeginn die 5. Luftlandebrigade des 3. Luftlandekorps, das im Militärbezirk Odessa lag. Die Luftlandetruppen haben ganz schön mitgemischt. Sie verteidigten sich geschickt und gingen mehrmals zu Angriffen über. Dann wurden sie in die 87. Schützendivision umgebildet, und zu ihr gehörten nun auch wir. Jetzt ging es nicht mehr nur um die Verteidigung von Feldflugplätzen, sondern wir vollzogen die verschiedensten Manöver, übten, den Gegner zu umgehen und ihn einzukreisen. Im Dezember befreiten wir auf diese Art die Stadt Tim; sie liegt in der Ukraine. Wir müssen uns wohl ganz gut geschlagen haben, denn wir wurden im Januar 1942 in 13. Gardeschützendivision umbenannt, und sogar den Leninorden hat man uns verliehen.“ Und damit zu ausführlicheren Vorstellungen der anderen Sonderangebote dieses Newsletters:
Erstmals 1997 erschien der autobiografische Roman „Jonas, erzähl mal von Paris“ von Rudi Benzien im Verlag am Park Berlin: Jonas ist Kraftfahrer. Er steckt voller Geschichten, und er darin stets als strahlender Held. Er behauptet sogar, schon einmal in Paris gewesen zu sein. Und das zu Zeiten, da Paris für die meisten Bürger der DDR so unerreichbar ist wie der Mond. Da braucht nicht nur Jonas Fantasie wie die Luft zum Atmen. Auch der Journalist der Jugendzeitung „Frohe Jugend“, den Jonas zu seinen Reportagezielen kutschiert, lässt sich von ihr beflügeln. Doch dabei wird er manchmal ziemlich unsanft in die Realität des Alltags zurückgeholt. Ein Buch aus dem Leben eines Journalisten in der DDR. Etwas verfremdet, aber durchaus mit autobiografischen Zügen. Hier der Beginn des ersten Kapitels des ersten Buches, in dem wir auch gleich Friedhelm kennenlernen – also Jonas:
„Eigentlich hieß er Friedhelm, Jonas war sein Familienname, aber es gab keinen, der ihn Friedhelm nannte. Er steckte voller Geschichten, deren Wahrheitsgehalt niemand überprüfen konnte. Seine Geschichten, die er erzählte, waren ausschließlich abenteuerlich-fantastischer Natur und er darin der strahlende Held. Das brachte ihm den Ruf ein, ein ausgemachter Spinner zu sein. Die meisten seiner Kollegen hielten ihn für einen notorischen Lügenbold.
Ich mochte ihn, wegen seiner Geschichten.
Ich hatte gerade den Lehrerberuf an den Nagel gehangen und war Redakteur bei dieser Jugendzeitschrift „Frohe Jugend“ geworden.
Jonas war Kraftfahrer.
Meine erste journalistische Dienstreise ging an die Ostsee.
Vorsaison: Ich hatte den Auftrag, eine Umfrage unter Wochenendurlaubern abzuhalten. Mein Chef lebte mit der fixen Idee, dass alle Menschen überall und zu jeder Zeit lesen müssten. Meine Umfrage sollte den Beweis erbringen, dass jeder Wochenendurlauber mindestens ein Dutzend schöngeistiger Bücher mit sich führte. Mein Chef hielt das für selbstverständlich, denn zu jener Zeit befanden wir uns gerade auf dem Weg zur gebildeten Nation.
Pünktlich um sechs Uhr früh hupte ein Auto vor meiner Haustür.
In dem alten, schäbigen Wolga saß ein dicker Mensch hinter dem Lenkrad. Ich stieg ein, warf meine Reisetasche auf den Rücksitz und setzte mich auf den Beifahrersitz.
„Hast du deine Badehose eingepackt, Junge? Bei der Wassertemperatur wird uns zwar der Arsch kalt werden und hinterher wird dein Schweif geschrumpft sein, dass du ihn problemlos durch ein Nadelöhr ziehen kannst. Übrigens, Friedhelm Jonas heiße ich. Aber lass dir nicht einfallen, mich Friedhelm zu nennen. Jonas bin ich. Verstanden?“
Ich hatte keine Badehose mit und dafür, dass er nicht Friedhelm genannt werden wollte, hatte ich volles Verständnis.
Auf der Fernverkehrsstraße Nummer 96 fuhren wir in Richtung Norden.
„Biste Berliner oder …?“, wollte er wissen.
„Mindestens in der dritten Generation.“ Diese Auskunft schien ihn zu beruhigen.
„Weißt du, ich kann solche Arschlöcher nicht ausstehen, die, wenn sie in mein Auto steigen, sich hinten hinsetzen und während der ganzen Fahrt das Maul nicht aufmachen“, erklärte er mir. Dann musste er mich mögen; ich hatte mich vorn hingesetzt. Er fragte mich, was ich denn an der Ostsee vor hätte. Ich sagte es ihm.
„Da wirst du vielleicht dein blaues Wunder erleben. Welcher Idiot schleppt denn, wenn er für drei Tage an die Ostsee fährt, ’ne Bibliothek mit?“
Wir hatten Oranienburg hinter uns gelassen, als sich ein merkwürdig ätzender Geruch im Auto ausbreitete. Ich schnupperte.
„Is was?“, fragte Jonas.
„Es riecht so komisch“, sagte ich.
„Mach dir nichts draus, mir qualmen bloß die Socken“, sagte er und zeigte auf seine Füße, „ich kann machen, was ich will, seit ich auf diesem Bock sitze, stinken meine Hufe, dass es mir manchmal selber zu viel wird. Das liegt daran, weil die Heizung genau auf meine Quanten zielt. Ich werd’ mal das Fenster runterdrehen.“
Wir durchfuhren ein Kaff, das Teschendorf hieß, als mich Jonas mit dieser Frage überraschte: „Warste schon mal in Paris?“
Der wollte mich wohl auf den Arm nehmen. Wie sollte ich denn je nach Paris gekommen sein?
„Du etwa?“, fragte ich zurück.
„Und ob“, sagte er und strahlte dabei Überlegenheit aus. Er steckte sich eine Zigarette an, mir bot er auch eine an.
„Erzähl mal“, forderte ich ihn auf.
„Hast du schon mal was von Lengede in Niedersachsen gehört?“
Mir fiel ein, dass es in Lengede vor einigen Jahren zu einem schweren Grubenunglück gekommen war. Die Sensation war damals gewesen, dass nach fast zwei Wochen noch elf Verschüttete entdeckt worden waren.
Ich sagte Jonas, was ich wusste.
„Siehste, einer von den Elf war ich.“
Jonas sah mich von der Seite an, um zu sehen, wie diese Mitteilung auf mich wirkte.
„Ich kenne euch Journalisten, jetzt wirste gleich wissen wollen, wie uns da unten zu Mute war. Kannste dir sparen, die Frage, darüber rede ich nicht. Manchmal träume ich nachts davon, … meinen besten Zuchtpapagei würde ich verschenken, wenn ich diesen Traum nicht mehr träumen müsste. Du musst wissen, ich züchte Papageien. Wenn du mal ’nen echten Amazonaspapagei haben willst, ich mach dir einen Preis unter Brüdern …“
Er drehte die Scheibe noch ein Stück weiter herunter.
„Und was hat Lengede mit Paris zu tun?“, fragte ich.
Jonas machte die Arme steif, drückte den Rücken fest gegen die Lehne seines Sitzes, blickte geradeaus und schwieg erst mal eine Weile.
„Am 24. Oktober 1963 fuhren wir ein, am 7. November, nach vierzehn Tagen, holten sie uns mit der Dahlbuschbombe hoch. Wir kamen erst mal in ein Krankenhaus, später verfrachteten sie uns in einen noblen Bus und ab ging es nach Paris.
Die Fettsäcke von der Direktion wollten damit ihr schlechtes Gewissen beruhigen, sie hatten uns aufgegeben gehabt und die Rettungsarbeiten einstellen lassen. Wenn unsere Kumpels nicht Dampf gemacht hätten, wären wir da unten verreckt. Paris sollte so eine Art Trostpflaster für uns sein, verstehst du …“
Er drehte die Scheibe hoch, schaltete die Heizung ab, drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.
Ich wartete nun darauf, dass er von seinen Abenteuern in Paris erzählen würde.
Vor uns fuhr langsam ein Traktor mit einem Hänger voll dampfendem Mist. Der Geruch, der davon ausging, ließ mich die Wolke vergessen, die von Jonas’ Füßen aufstieg. Heftiger Gegenverkehr machte ein Überholen unmöglich.
„Am Tage müsste das verboten werden, die sollen ihren stinkenden Mist nachts durch die Gegend fahren, Scheißer, die“, schimpfte Jonas. Endlich riss der Gegenverkehr ab, er überholte.
„Jonas, erzähl mal von Paris“, sagte ich.
„Sag mal, willst du deine Umfrage auch am FKK-Strand veranstalten?“, fragte er mich. Seine Absicht war wohl, meine Neugier zu steigern.
Umfrage am FKK-Strand, warum eigentlich nicht …?
„Schon möglich“, sagte ich. Jonas quittierte das mit einem Grinsen.
„Ich stelle mir vor, wie das aussieht, wenn du, nur mit Kugelschreiber und Notizbuch bekleidet, die nackten Weiber anquatscht: Hallo, Lady, darf ich fragen, welche Lektüre Sie hier bevorzugen?“
So lustig fand ich diese Vorstellung nicht. Im Gegenteil. War vielleicht doch etwas abwegig, von Wochenendurlaubern zu erwarten, dass sie Bücher mit sich schleppten.
Trotzdem, ich war fest entschlossen, koste es was es wolle, genug Material zu sammeln, dass es für einen Zweiseiter reichen würde.
„Los, Jonas, erzähl jetzt endlich von Paris!“, forderte ich mit Nachdruck. Ich wollte nicht mehr an diese Umfrage denken, die vielleicht eine Pleite werden musste.
„Irre, einfach irre, kann ich dir sagen. Die Weiber zum Beispiel …“, Jonas leckte sich die Lippen, „die sehen nicht bloß zum Verrücktwerden aus, Junge, die können auch was auf der Matte, wenn du verstehst, was ich meine. Figuren haben die, da bleibt dir die Luft weg. Solche aufgeblasenen Kartoffelärsche, wie unsere Weiber sie spazieren tragen, die kannst du da lange suchen, alle picobello …“
Die Richtung, die er einschlug, gefiel mir nicht. Ich versuchte, ihn in eine andere Richtung zu drängen.
„Der Eiffelturm, warst du da auch mal oben?“
„Scheiß Eiffelturm. Meinst du, der hätte uns interessiert? Die hübschen kleinen Puffs in der Gegend um Montmatre, die sind wir abgeklappert, eine Woche lang, jeden Abend. Kies hatten wir genug, da konnten wir die Puppen tanzen lassen“, schwärmte er.
Ich unternahm noch einen Versuch, ihn auf einen anderen Kurs zu bringen.“
Erstmals 1982 hatte Rudi Benzien im Verlag Neues Leben Berlin „Schwester Tina“ veröffentlicht: Auf der Neugeborenenstation hat Tina keine freie Minute, aber ihre Gedanken sind häufig bei Frank, der für eineinhalb Jahre Soldat ist. Fünfhundertfünfundvierzig Tage, denkt sie, Zeit genug, sich darüber klarzuwerden, ob Frank der Richtige ist. Und da taucht der Pianist Dietmar auf … - Aber davon ist am Anfang des fünften Kapitels noch keine Rede. Stattdessen wird ein fester Entschluss umgeworfen – gewissermaßen aus militärischen Gründen:
„Eine gute Woche war Frank nun schon weg, jeden zweiten Tag hatte er einen Brief geschrieben. Für Tina stand fest, am Wochenende wollte sie ihn in Stückow besuchen. Diesen Entschluss hatte sie am Anfang der Woche gefasst.
Während sie auf der Station ihre Babys badete, einölte, fütterte und in Windeln packte, stellte sie sich vor, was Frank für ein Gesicht machen würde, wenn sie am Sonntag plötzlich vor ihm stünde. Mit dieser Perspektive verging die Woche ziemlich schnell, und Tinas Kolleginnen stellten fest, dass sie wieder bessere Stimmung hatte. In der ersten Woche war Tina sehr schweigsam gewesen, ein Zustand, den sie bei Tina nicht kannten. Nun schien sie wieder die alte zu sein.
„Hast ja deinen Abschiedsschmerz ziemlich schnell überwunden, Tinalein“, sagte Ingrid mit süßlicher Stimme, als ihr Tina mit einem Korb voller Milchflaschen trällernd im Korridor entgegenkam.
„Du merkst aber auch alles, ich hoffe, es stört dich nicht“, sagte Tina und ging trällernd weiter.
Ihre Hochstimmung hielt genau bis Freitag elf Uhr an.
Sie kam gerade bepackt von der Kaufhalle zurück. Die Zutaten für einen Kuchen, den sie Frank backen wollte, beulten ihr Einkaufsnetz aus. Als sie an der Pförtnerloge vorbei war, rief ihr der alte Thieme nach:
„Hallo, Schwester, der Brief hier ist wohl für dich.“
Sie ging zurück. Der Brief war für sie.
Sie setzte sich auf die nächste Bank, öffnete ihn und las:
Liebe Tina!
Ganz schnell ein paar Zeilen. Wenn Du diesen Brief liest, bin ich schon nicht mehr in Stückow, sondern in D. (geheim). Das liegt irgendwo im Norden. Mit noch zwei „Frischlingen“ aus meiner Einheit sind wir zu einem Lehrgang kommandiert. Wir lernen, die großen Tatrazugmaschinen zu fahren. Darauf freue ich mich. Sechs Wochen wird der Lehrgang dauern. Meine Vereidigung wird in D. stattfinden. Schade ist bloß, dass wir uns nun doch erst viel später sehen werden, als wir gedacht haben. Bis D. ist es ganz schön weit, da wird Dein Vater wohl nicht hinkommen.
Gleich, wenn ich in D. bin, werde ich Dir schreiben, schon deshalb, damit Du meine neue Anschrift hast und gleich schreiben kannst. Deine Briefe, die unterwegs sind, wird man mir nachschicken.
Also, Tina, Du musst nicht traurig sein, auch wenn uns jetzt zweihundert Kilometer trennen.
Ich muss noch schnell meinen Krempel zusammenpacken, in zwei Stunden gehen wir auf die Reise.
Ich grüße Dich, Tina, obwohl ich Dich lieber küssen würde.
Dein Frank
Oben in ihrem Zimmer knallte Tina das Einkaufsnetz auf den Tisch, so heftig, dass die Mehltüte platzte und eine Staubwolke aufstieg. Sie warf sich auf die Liege, drückte die UKW-Taste ihres Kassettenrekorders.
Es neigte ein Schwanenkönig
seinen Hals auf das Wasser hinab.
Sein Gefieder war weiß,
wie am ersten Tag…
Sie stellte das Radio lauter. Sie hätte heulen können. Eine Ewigkeit sollte es nun dauern, bis sie Frank sehen würde, sechs Wochen …
… und mit brechenden Augen weiß er,
das wird sein Abschied sein …
Der Karat-Titel passte genau zu ihrer Stimmung, beim Zuhören wurde sie noch trauriger.
… wenn ein Schwan singt,
schweigen die Tiere,
wenn ein Schwan singt,
lauschen die Tiere…
Es klopfte zaghaft, Tina blieb liegen, wandte nur ihren Kopf zur Tür, sagte: „Ja, bitte.“
Oberschwester Berta kam ins Zimmer, blieb zwei Schritt von der Tür entfernt stehen, musterte mit kritischem Blick den mit Mehl bestäubten Tisch. Tina blieb liegen.
„Ich wollte Sie bitten, am Sonnabend den Frühdienst zu übernehmen. Ich hoffe, Sie haben nichts vor“, sagte Schwester Berta.
„Ich habe tatsächlich nichts vor“, sagte Tina gereizt, ohne sich auf ihrer Liege zu bewegen.
„Sie übernehmen ihn also?“
„Ich reiße mich darum“, sagte Tina.
Schwester Berta blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, sie wusste wohl nicht genau, wie sie Tinas Antwort deuten sollte.
„Ja dann, einen guten Tag noch“, sagte sie und ging.
Als die Tür ins Schloss schnappte, dachte Tina, eigentlich hätte ich ruhig aufstehen und ihr einen Stuhl anbieten können.
Dann gingen ihre Gedanken wieder zu Frank. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie er in Uniform und Armeehaarschnitt aussah.
… raunen sich leise zu,
es ist ein Schwanenkönig,
der in Liebe stirbt…
Sie sprang von der Liege hoch.
„Sentimentale Ziege“, sagte sie laut und schaltete das Radio aus. Sie räumte den Tisch ab, stellte die Backutensilien in den Schrank, wischte die Mehlschicht vom Tisch.
Sie beschloss, am Wochenende zu ihren Eltern zu fahren. Sie ließ warmes Wasser ins Handwaschbecken laufen, schüttete Waschpulver hinein und warf ein paar Pullis ins Wasser.
Der Sonnabend, der eigentlich im Zeichen einiger Vorbereitungen für den überraschenden Sonntagsbesuch bei Frank hatte stehen sollen, verlief nicht so trübe, wie Tina erwartet hatte. Als sie um sechs ihren Dienst auf der Station antrat, ihre Babys in Reih und Glied auf dem Transportwagen lagen, um zu den Müttern auf die Wöchnerinnenstation gefahren zu werden, klingelte das Telefon.
Ein Baby musste aus dem Kreißsaal geholt werden.“
Erstmals 1989 erschien im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig der Band „Dr. B. - Arzt im Dienst“ mit Erzählungen von Roland Kluge: Ein Arzt im nächtlichen Bereitschaftsdienst, auf der Fahrt durch die Großstadt. Wegen eines Schnupfens gerufen, aber auch an das Bett des unheilbar Kranken. So trifft er auf unterschiedliche menschliche Hilfsbedürftigkeit, auf die er angemessen zu reagieren hat. Für die einen erhaben und unpersönlich im Weiß des Kittels, ist er für andere der einzige Gesprächspartner – aber auch bequem zu bestellender Krankenscheinlieferant oder willkommener Blitzableiter ihres Ärgers ... Wie weit kann, wie weit darf er in der zufälligen Begegnung die Lebenskonstellationen derjenigen, die sich ihm anvertrauen, durchschauen? Was bleibt in der Routine der Berufsjahre von den Idealen, unter denen er einstmals angetreten ist? Wer hilft ihm, wenn er ganz allein entscheiden muss? Der Autor, in seiner ärztlichen Berufspraxis nicht selten mit ethischen Grundproblemen konfrontiert, stellt in seinen Geschichten Fragen nach dem, was ein Leben zu tragen imstande ist, wenn es an existenzielle Grenzen stößt, wenn die bisherigen Antworten nicht mehr ausreichen. Und so beginnt der Dienst von Dr. B.:
„In der Einsatzzentrale wartet Jürgens, der Fahrer, auf mich. Er blättert in den Hausbesuchsanmeldungen wie in mittelmäßigen Skatkarten: „Heute nur die üblichen Schnupfen, Doktor.“
Ich sehe mir die Zettel rasch durch: Etwas besonders Dringliches scheint wirklich nicht vorzuliegen, ganz unrecht hat er also nicht. Und in solchen Fällen, weiß ich, ist es dann seine Art zu glauben, er habe recht. Sein Empfinden dafür ist stark entwickelt, auch da, wo es ihn streng genommen nichts angeht. Aber darüber habe ich längst hinwegzusehen gelernt, weil ich weiß, dass er bei aller Wichtigtuerei doch ein patenter Kerl ist, auf den man sich verlassen kann.
Ich ziehe mich an der Wagentür zu meinem Sitz neben ihm hoch. Jürgens legt die Scheine vor sich aufs Armaturenbrett und beschwert sie mit seinem Maskottchen, einer Puppe, in deren Hintern sinnigerweise ein Magnet eingelassen ist.
Ich verstaue den Medikamentenkoffer hinter mir, eine Art medizinisches Sturmgepäck, an das ich den Kopf anlehnen kann, um noch etwas zu dösen. Ich habe jetzt wenig Lust, mich zu unterhalten, dafür fühle ich mich zu abgespannt. Meine Sprechstunde steckt mir noch in den Knochen.
Müdigkeit kann aber auch zur Ausrede werden; ich weiß, dass ich da aufpassen muss: Sich einrichten in der Routine, das ist ein schleichender Vorgang. Wie die Gewöhnung an eine Droge, die immer höhere Dosierungen erfordert. Das hat seinen Preis. Johannas Frage hat mich wieder einmal daran erinnert.
„Ich möchte kranken Menschen helfen“, hast du also geschrieben in deiner Bewerbung fürs Medizinstudium. Dein Klassenlehrer hat dir das zurückgegeben: Das wäre als Begründung zu wenig.
Meint er mit „zu wenig“ etwa, du hättest dabei nur das Mitleid im Auge gehabt? Das er für etwas Schwaches, Wehleidiges hält?
Das wäre es ja auch, wenn aus ihm nicht jene Kraft erwachsen würde, jene Solidarität des einen Lebewesens mit dem anderen, die uns angesichts der leidenden Kreatur nicht untätig zusehen lässt.
Aber ich könnte mir denken, worauf dein Lehrer noch hinaus wollte: auf die gesellschaftliche Dimension. In unserem Beruf kommst du dem Menschen sehr nah, wenn du ihn ernst nimmst. Dann ist er bereit, sich dir zu eröffnen und auf dich zu hören: als Institution. Darauf hättest du ruhig eingehen können, ohne Koketterie mit der eigenen Größe. Ich erinnere mich des Lächelns meines Klassenlehrers über dieses: „… möchte damit meinen Beitrag leisten für …“. Aber gesagt hat er nichts. Schließlich stand bei den anderen auch so was drin.
Warum kann eigentlich niemand, ohne sich seine Studienchancen zu vermasseln, in seine Bewerbung schreiben: „Ich möchte einen meinen Fähigkeiten entsprechenden Beruf ergreifen und meine Leistungen, mit denen ich der Gesellschaft nütze, auch materiell angemessen vergolten sehen.“ Warum honoriert keine Studienbewerbungskommission so viel Aufrichtigkeit? Jürgens reagiert da nicht so verklemmt. Er schämt sich nicht, seiner Hände Arbeit angemessen entlohnt zu sehen, wenn er nach Feierabend die Autos unpraktischer Leute repariert.
Ich sehe zu ihm hinüber, wie er sich eine Zigarette anzündet. Für diesen Moment bleibt das Lenkrad sich selbst überlassen, bis er es wieder mit zwei, drei Fingern seiner Linken ergreift, ein Virtuose des Kraftfahrzeugs, während er mit der Rechten das Räucherstäbchen zum Munde führt. Seine Fingerspitzen sind verschmaucht, das ist aber auch das Einzige, was an seinem Äußeren nicht „picobello“ ist, wie er das nennt. Kein Zweifel, seine Eitelkeit sitzt tiefer als die einer Frau vor dem Spiegel. Bei ihm kulminiert sie in einem Oberlippenbärtchen, das ihn geradezu zum Flirt verdammt, wie er wohl glaubt. Er ist auch ständig umschwärmt, kein Wunder. Eher schon, dass er dabei bisher ohne Fehltritt geblieben ist, soweit ich weiß: Nach Feierabend repariert er Autos, oder er läuft. Ein wenig Angst um die Herzkranzgefäße schimmert durch und um die potenzielle Kondition: Er nennt eine hübsche Frau sein eigen, die er am Tag des Gesundheitswesens und bei ähnlichen geselligen Anlässen gern präsentiert. Hat dann aber nur Augen für sie; die ihn offenbar „fest im Griff“ hält. So jedenfalls würde er bei anderen witzeln. Bei sich selbst merkt er das gar nicht. Wahrscheinlich lässt sie ihn bei seinem Glauben, dass er sie steuere.
Bei mir spielt Jürgens gern die Rolle des Mannes aus der Praxis, der weiß, wo es im Leben langgeht, auch ohne die Universität besucht zu haben. Wozu auch: Schließlich sitzt er täglich neben einem Doktor. Was die können, hat er sich fast alles abgeguckt, und fast, das ist doch eigentlich alles. Sein Jungenglaube, dass sich das Leben steuern ließe wie ein Auto, ist ungebrochen. Ich habe früher auch gern mit Autos gespielt, und davon bleibt wohl in jedem Mann etwas zurück: die Faszination der Bewegung.
Als Fahrer bei „Waren täglicher Bedarf“ war es Jürgens wohl zu ruhig, da ist er zum Krankentransport gegangen: Es gibt nicht nur die Faszination der Bewegung, sondern auch die des weißen Kittels, sicher war die auch dabei, vor allem aber ein Interesse an den Menschen. Schließlich ist das wichtiger, als früh Brötchen zur Kaufhalle zu fahren. Da muss man bei ihm schon mal über eine vorlaute Bemerkung hinwegsehen können. Meine diesbezügliche Toleranz hat mir bei ihm offenbar Vertrauen verschafft; fast bin ich so etwas wie sein Beichtvater geworden, besonders, was heikle Männersachen angeht, die ihm gelegentlich zustoßen. Kein Wunder bei meiner Verschwiegenheit in dergleichen Dingen, dass er annimmt, ich wüsste da mehr als er. Aber besteht das Erfolgsgeheimnis von Beichtvätern nicht darin, dass sie das andere glauben machen können?
Sicher möchte er sich auch was Fachliches von mir abgucken, er hört mir da so aufmerksam zu wie ein Student des ersten Semesters. Bis ich auf die Zigaretten zu sprechen komme; da beginnt er zu gestikulieren und mir meine Kollegen aufzuzählen, bei denen die Streichhölzer in der Tasche klappern, wenn sie sich den Kittel überziehen. Und er würde schließlich keine Butter essen und jeden Abend bis zum Wald laufen; ob das etwa nichts wäre?
So eine Art medizinischer Ablasshandel scheint ihm da vorzuschweben, eine Aufrechnung seiner guten Werke, bis rechnerisch ein Überschuss resultiert, das klingt einleuchtend, vom geschäftlichen Standpunkt aus. Vielleicht besteht das Leben für ihn aus Geschäften? „Geschenkt wird keinem was“, sagt er oft, „clever muss man sein.“
Das ist natürlich eine anstrengende Lebensphilosophie: „Kein Wunder, wenn ich wieder ein Ulkus kriege“, stöhnt er oft. Dass er beim Jogging vielleicht auch ein bisschen vor sich selbst davonläuft, auf diese Idee kommt er natürlich nicht. Das müsste ich ihm sagen, als sein Arzt. Dass seine Sensibilität, vor der er offenbar Angst hat, eigentlich sein bester Teil ist.
Aber ich sage es ihm nicht, und das ist schlecht: Ich wollte doch kranken Menschen helfen. Genügt es da, ihnen die Butter auf dem Brot zu verbieten? Das ist natürlich einfacher, als ihnen die Wahrheit über sich selbst zu sagen.
Aber dazu müsste ich Jürgens erklären, dass es zur Gesundheit auch einer inneren Heiterkeit bedarf, die erst wieder aus einer gewissen Distanz zu den Dingen entsteht. Darüber würde er lachen, weil das seiner Erfahrung widerspricht, dass man an den Dingen dranbleiben muss, wenn man sie besitzen will. Ich wäre für ihn wahrscheinlich ein Spinner, und da bin ich empfindlich: Schon in der Schule galt ich als versponnen; es hat mich Mühe gekostet, diesen Eindruck zu überwinden. Auch bei mir selbst. Eine unangenehme Erinnerung. Also sage ich nichts.“
Erstmals 2012 im Projekte-Verlag Cornelius Halle unter dem Titel „AMAS Mdina“ erschienen, liegt der Wirtschaftsthriller „Erbe ohne Todesfall“ von Ingo Kochta jetzt in einer leicht überarbeiteten Fassung sowie mit einem neuem Titel vor – eben „Erbe ohne Todesfall“: Ivo Tacht lebt beschaulich in geordneten Verhältnissen auf dem Lande in der Nähe von Leipzig. Ein Brief eines Anwalts aus Malta lässt ihn zu einer Reise ins Ungewisse aufbrechen. Er übernimmt die Führung der AMAS, einer Firma, die sich äußerlich mit Kunsthandel befasst, und taucht in eine ihm bis dahin unbekannte Welt ein, die beherrscht wird von Macht und Intrigen. Bald begreift er, dass in den Archiven der AMAS keine normalen Kunstgegenstände verwahrt werden. Neben wertvollen Artefakten lagern in den Stahlkammern düsterste Geheimnisse der Vergangenheit. Die Mystik Maltas zieht ihn magisch in ihren Bann und setzt in ihm bisher unbekannte geistige Kräfte frei. Gelingt es ihm gemeinsam mit seinen Freunden und Kollegen, die feindliche Übernahme der AMAS zu verhindern? Können sie seine Freundin aus den Fängen geheimnisvoller Entführer befreien? Gibt es das mysteriöse Templerschloss? Sind seine neu entdeckten mentalen Kräfte ein Fluch oder ein Segen? Einen guten Einblick in die Art zu schreiben von Ingo Kochta gewährt der folgende Ausschnitt aus dem fünfzehnten Kapitel seines Wirtschaftsthrillers:
„Seine Tasche hatte er in die Ecke gestellt und Ivo atmete erst einmal auf. Angela lag auf dem Bett und schlief. Die Tür offenzulassen, war leichtsinnig von ihr. Doch so brauchte er sie nicht zu wecken. Komisch war ihm schon zumute. Eine verlassen und bei der Nächsten untergekrochen. Er wischte die Gedanken beiseite. Eigentlich beschäftigte ihn mehr, wie er zu Angela stand. Sie war der Typ Frau, der ihm gefiel. Im Inneren wünschte er sich sehr, sie besser kennenzulernen. Sein Herz hatte er schon an sie verloren, doch sein Verstand warnte ihn.
Der Morgen begann zu erwachen. Die Gardine wehte leicht im Wind. Es war 5 Uhr 23. Vorsichtig legte er Angelas Arm, der auf seiner Schulter lag, zur Seite. Geduscht und mit einem Gefühl, wie neu geboren zu sein, genoss er die Morgenkühle.
„Guten Morgen, mein Ritter. Wie spät ist es denn?“ Angela gähnte und streckte sich.
„So um sechs herum.“
„Apropos Sex. Komm ins Bett, ich möchte mich ein wenig wärmen. Oder bin ich etwa nicht sexy.“
Sie kuschelten sich zusammen. Morgens war die Temperatur noch erträglich.
„Lass uns deinen Besuch genießen. Für mehr haben wir Zeit, wenn wir uns wiedersehen. Dann haben sich die Schatten und Gespenster hoffentlich verzogen.“
„Es war ein kurzes, aber für mich angenehmes Wiedersehen.“
Nach dem Frühstück verabschiedeten sich Max und Angela. Mit Wehmut lagen sich die Verliebten in den Armen. Sie wussten aber, dass sie sich bald wiedersehen würden.
Ivo unterschrieb seine Rechnung, nahm seine Tasche und stieg in den wartenden Wagen.
„Good morning, Mr. Tacht. Wohin kann ich Sie bringen?“
„Zum Benediktinerkloster nach Mdina.“
Er schaute sich noch einmal um, bevor das Hotel aus seinem Blickfeld verschwand. Ein neuer Tag, ein neuer Lebensabschnitt begann.
Der Pförtner begrüßte Ivo sehr höflich und bat ihn um etwas Geduld. Bruder Filipo, der Abt, wäre noch mit sakralen Angelegenheiten befasst. Der Innenhof des Klosters war in einem äußerst gepflegten Zustand. Mannshohe Daturapflanzen, in allen Farben und Blütenformen, waren in der Rasenfläche meisterhaft integriert. Der absolute Blickfang war eine besondere Linde, die fein geschlitztes Laub wie ein Fächerahorn hatte. Dieser einzigartige Anblick nahm Ivo sofort gefangen.
„Gefällt Ihnen unser Kleinod? Gott mit Ihnen, Herr Tacht. Diese Anlage hat einer unserer Brüder vor 45 Jahren entworfen und gepflanzt. Uns gelingt es gerade so, sie in einem Teil ihrer Schönheit und Einmaligkeit zu erhalten. Neben der Üppigkeit der Blüten sind die Pflanzen für uns Rohstoffspender. Aus den Engelstrompeten gewinnen wir Grundstoffe für unsere hauseigenen Mixturen. Die Blüten und Blätter der geschlitzt blättrigen Säulenlinde sind für unsere speziellen Teerezepte unabdingbar. Doch ich merke, ich verplaudere mich schon wieder. Ich bin Bruder Filipo, Vorsteher des Klosters.“
„Ivo Tacht, sehr angenehm, Bruder …“
„Nennen Sie mich ruhig Bruder Filipo. Sie möchten sicher Schwester Luisa besuchen. Ja, ich weiß, sie hat ihren alten bürgerlichen Namen wieder angenommen. Für mich bleibt sie aber immer die schüchterne zurückhaltende Novizin. Ihr habe ich die Kunst der Archivierung vermittelt.“
„Ja, Bruder Filipo, ich würde sie gern sprechen.“
„Es ist eigentlich so, dass wir das Kloster Außenstehenden nicht öffnen. Da ich aber gestern spätabends einen Anruf von seiner Eminenz erhielt, darf ich Sie recht herzlich in unseren Mauern begrüßen.“
„Dass sich der Erzbischof persönlich bemüht hat?“
„Nein, hier liegt ein Irrtum vor. Nicht der Erzbischof, der Großkanzler hat Ihren Aufenthalt ausdrücklich genehmigt. Seine Eminenz hat verfügt, dass Sie freien Zugang zu unseren Einrichtungen haben. Ebenso wie Ihr Herr Vater.“
„Da bin ich doch sehr erstaunt. Ich möchte mich für dieses Entgegenkommen recht herzlich bedanken. Mich wundert nur, dass dies alles so schnell …“
„Junger Mann, das Sprichwort ‚Gottes Mühlen mahlen langsam’ ist im Zeitalter der Kommunikation auch bei uns überholt.“ Bruder Filipo lächelte nachsichtig.“
Und wie man also sieht, macht Ivo Tacht, der Held dieses Wirtschaftsthrillers, sehr unterschiedliche Erfahrungen – nicht nur in ökonomischer, sondern auch in amouröser Hinsicht. Und außerdem erfährt der Leser dieses Buches ganz nebenbei auch noch jede Menge Wissenswertes über die Geschichte und Gegenwart von Malta. Ja, trotz oder gerade wegen seiner abenteuerlichen und teilwiese sogar mysteriösen Handlung macht „Erbe ohne Todesfall“ Lust auf einen Besuch auf Malta. Womit wir dann zum Ende des heutigen Newsletters die nun keineswegs mehr so überraschende Frage stellen können: „Warste schon mal auf Malta?“
Warum eigentlich nicht. Viel Spaß beim Reisen, vor allem aber viel Spaß beim Lesen, einen möglichst goldenen Herbst und bis demnächst.