Wo der Jakobsweg wirklich beginnt, eine Reifeprüfung und abschweifende Gedanken - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Kann man die Zukunft vorhersagen? Das ist nicht unbedingt eine schwierige Frage, aber zumindest eine, auf welche die Antwort nicht ganz leichtfällt. Und die Antworten dürften unterschiedlich ausfallen: Kommt drauf an, sagen die einen, die Vorsichtigeren. Auf keinen Fall, es kommt wie es kommt, sagen die Zweifler. Na klar, kann man das, sagen die, die immer an das Gute glauben. Und wieder andere sagen, dass man die Zukunft vielleicht nicht vorhersagen kann. Wohl aber gestalten. Und damit liegen sie ziemlich dicht bei den Ansichten der jungen Leute, wie sie hier in den Nummern 3 und 4 der insgesamt fünf Angebote vorgestellt werden , die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 05.06.20 – Freitag, 12.06.20) zu haben sind. Die Rede ist von den beiden, im Abstand von knapp zwei Jahrzehnten veröffentlichten Büchern „Sommerinsel“ und „Laternentraum“ von Hildegard und Siegfried Schumacher. Und so gesehen sind diese beiden Sonderangebote gewissermaßen Zukunftsbücher …
Einen mehr als praktischen Wanderreiseführer und Routenplaner hat Bert Teklenborg mit seinem Dauerbrenner „Jakobsweg der Freude. Von Strasbourg nach Santiago de Compostela“ herausgegeben, der bereits in der 4. Auflage vorliegt.
In ihrem Roman „Ausstellung einer Prinzessin“ befasst sich Elisabeth Schulz-Semrau mit dem Thema Selbstverwirklichung in Leben und Liebe.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Heute geht es wieder einmal um Afrika, jenen Kontinent, der heute von nicht wenigen Wissenschaftlern als die Wiege der Menschheit angesehen wird. Aus Afrika sollen die ersten Menschen gekommen sein und sich von dort aus über die Erde verbreitet haben.
Leider aber geht es den afrikanischen Ländern und den dort lebenden Menschen überwiegend nicht besonders gut. Viele Afrikaner leben in Armut, haben mit Kriegen, Krankheiten und schwierigen ökonomischen Verhältnissen und leider auch mit massiver Korruption der eigenen Regierungen zu kämpfen. Afrika braucht Hilfe! Afrika braucht allerdings eine Hilfe, die diesen Namen wirklich verdient und die es den Einwohnerinnen und Einwohnern des schwarzen Kontinents ermöglicht, sich selbst zu helfen und ihre eigenen Problemen auch aus eigener Kraft zu lösen – und ungestört von westlichen und amerikanischen Konzernen und Militärberatern.
Wer das heutige Afrika verstehen will, der muss sich mit afrikanischer Geschichte beschäftigen, mit seiner frühen Geschichte ebenso wie mit der Geschichte von Sklaverei und Kolonialismus, aber auch mit Ereignissen wie dem „Afrikanischen Jahr 1960“, als eine Vielzahl afrikanischer Staaten ihre staatliche Unabhängigkeit erreichte. Die Hoffnung auf ein neues, friedliches und starkes Afrika war damals und in den folgenden Jahren Anfang der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts groß. Und nicht wenige Menschen in den damaligen sozialistischen Ländern haben gedacht und gehofft, dass auch in Afrika der Sozialismus Einzug halten werde. Auch aus diesem Grund versuchten die damalige Sowjetunion und ihre Verbündeten, zumindest einigen afrikanischen Ländern zu helfen und sie in verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Gesundheits- und Bildungswesen, aber natürlich auch militärisch zu unterstützen. Schließlich befand sich die Welt damals in einer weltweiten Systemauseinandersetzung. Und genau in diese Zeit hinein führt der aktuelle literarische Beitrag zu unserer wöchentlichen Rubrik Fridays for Future:
Erstmals 1975 veröffentlichte Dietmar Beetz im Verlag Neues Leben Berlin „Visite in Guiné-Bissau“: Zwei Ärzte erhalten Gelegenheit, ein halbes Jahr in Guinea und Guiné-Bissau zu verbringen. Was bedeutet dieser Aufenthalt für sie? Unterstützung eines um seine Freiheit ringenden Landes; Arbeit unter ungewöhnlichen Bedingungen; Begegnungen mit Menschen, die unbeirrbar ihr Ziel verfolgen; Konfrontation mit einer völlig fremden Umwelt; Strapazen und Gefahren? In diesem spannenden Buch verarbeitet Dietmar Beetz Eindrücke seines eigenen Afrika-Aufenthaltes. Er erzählt vom Marsch durch die umkämpften Gebiete Guiné-Bissaus, von der medizinischen Arbeit dort, von Bombenangriffen, zerstörten Dörfern, Überfällen und Entführungen durch die Portugiesen, aber auch von Abenden, an denen man zusammensitzt und an denen die alten Märchen wieder lebendig werden. Zum besseren Verständnis der Hintergründe dieses Buches präsentieren wir diesmal das ausführliche Vorwort von „Visite in Guiné-Bissau“:
„Am 24. April 1973 beschloss der Weltbund der Demokratischen Jugend auf einem Meeting in Conakry, eine internationale Ärztebrigade zur Unterstützung des Befreiungskampfes nach Guiné-Bissau zu schicken.
Davon erfuhr ich zum ersten Mal am 24. Mai im Ministerium für Gesundheitswesen in Berlin. Mich reizte die Aufgabe, und ich erhielt die Möglichkeit, im Auftrag des Zentralrats der FDJ gemeinsam mit einem anderen Arzt aus unsrer Republik drei, vier Monate als Mitglied dieser Brigade zu arbeiten.
Guiné-Bissau also! - Liegt irgendwo in Afrika, ist neben Mocambique und Angola und ein paar Inseln noch immer portugiesisches Kolonialgebiet, teilweise befreit und seit Jahren umkämpft. - Viel mehr war mir damals, Ende Mai 1973, nicht bekannt über dieses Land.
Auch noch am 24. Juni, am Abend der Ausreise, wusste ich im Wesentlichen nur, was man im Band 6 von MEYERS NEUEM LEXIKON auf Seite 24 nachlesen kann:
Guiné-Bissau, früher Portugiesisch-Guinea, sogenannte Überseeprovinz von Portugal, tatsächlich aber portugiesische Kolonie in Westafrika. Liegt am Atlantischen Ozean, grenzt im Norden an Senegal, im Süden und Osten an die Republik Guinea. Erstreckt sich von einem Mangroven umsäumten, zur Regenzeit weithin versumpften Küstentiefland im Westen bis zu den etwa 200 Meter hohen Vorbergen des Fouta Djalon im Südosten. Gleichmäßig warmes Tropenklima mit einer Regenzeit von Mai bis Oktober/November und einer sich anschließenden Trockenperiode.
Des Weiteren nennt das Lexikon eine Bodenfläche von 36 125 Quadratkilometern und die Zahl von 560 000 Einwohnern, ermittelt im Jahre 1970, davon etwa 40 000 in der Hauptstadt Bissau. Die Bevölkerung - Angehörige von etwa 30 Stämmen und eine vorwiegend portugiesische Minderheit - lebe größtenteils im Küstengebiet nördlich der Gebamündung.
Hier gingen, dem Lexikon zufolge, 1434 die ersten Europäer an Land, und bald darauf errichteten Portugiesen an dieser Küste befestigte Siedlungen, die zu Zentren des Sklavenhandels wurden. Immer wieder flammten Aufstände auf, besonders gegen Ende des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
1956 - und zwar, wie wir später erfuhren, am 19. September - wurde die PAIGC gegründet, die Partido Africano da Independéncia da Guiné e Cabo Verde, die Afrikanische Unabhängigkeitspartei von Guinea und den Kapverdischen Inseln.
Zunächst versuchte sie, mit friedlichen Mitteln ihr Ziel zu erreichen - eine Hoffnung, die nach dem Massaker an fünfzig streikenden Hafenarbeitern in Bissau am 3. August 1959 endgültig zerschlagen war.
So begann die PAIGC 1961 unter Führung ihres Gründers und Generalsekretärs Amilcar Cabral mit dem bewaffneten Kampf gegen das Kolonialregime.
Partisanentrupps erweiterten sich in der Folgezeit und bildeten 1965 die Forcas Armadas Revolutionares Popular, die Revolutionären Volksstreitkräfte, die bereits 1970 etwa zwei Drittel des Territoriums kontrollierten und an drei Fronten (Süden, Osten und Norden) kämpften.
In den Befreiten Gebieten, den Regioes Libertadas, schuf die PAIGC eine Ordnung auf demokratischer Grundlage. Es entstanden Schulen, Hospitäler, Magazine für den Tauschhandel, Justizorgane und Einheiten der Miliz, die Forcas Armadas Local. Die portugiesische Kolonialmacht war im Wesentlichen auf die Städte und befestigten Stellungen zurückgedrängt.
In dieser Situation organisierte General de Spinola, der damalige Gouverneur von Bissau, ein Komplott gegen die Führung der Befreiungsfront. So kam es, dass Amilcar Cabral am 20. Januar 1973 vor dem Büro der PAIGC am Place Miniere in Conakry ermordet wurde.
Die Rechnung der Verschwörer und ihrer Hintermänner ging jedoch nicht auf, im Gegenteil: Die PAIGC festigte sich, und Anfang Mai 1973 erstürmten ihre Truppen die Festung Guiledje - eine Aktion, die bezeichnenderweise unter dem Namen „Amilcar Cabral“ zum Erfolg geführt hat.
Damit war die Politik de Spinolas, ein demagogischer Neokolonialismus, offensichtlich gescheitert. Ende August wurde er vom portugiesischen Diktator Caetano aus Bissau abberufen und durch einen Vertreter der Eskalationsstrategie ersetzt.
All das erfuhren wir bereits im Kommando der Südfront bei Kandiafara, einem Ort in Grenznähe auf dem Gebiet der Republik Guinea, die von Anfang an den Befreiungskampf in ihrem Nachbarland konsequent unterstützt hat.
In Kandiafara waren wir am 1. Juli eingetroffen, angereist nach fünftägigem Aufenthalt in Conakry über Boké, einer Regionalhauptstadt im Nordwesten von Guinea, einer Stadt mit Flugplatz, mit dem Zentralhospital der PAIGC und mit anderen Einrichtungen für die Versorgung und den Nachschub. Im etwa 80 Kilometer entfernten Kandiafara hatten wir seitdem gelebt und gearbeitet, hatten uns an das Klima gewöhnt und leidlich den völlig fremden Gegebenheiten angepasst.
Hier in Kandiafara erreichte uns auch die Nachricht, dass am Vortag, am 24. September, gegen vierzehn Uhr im Wald von Madina Bóe die Republik proklamiert worden war.
Viva a República da Guiné-Bissau! Und wir können sagen ...
Aber niemand, weder wir noch unsre Kameraden, konnten damals ahnen, was sich in Jahresfrist in Portugal und in seinen ehemaligen Kolonien ereignen würde: der Sturz des Caetanoregimes am 25. April 1974, die De-jure-Anerkennung der Republik Guiné-Bissau durch Portugal am 10. September und der vollständige Abzug der portugiesischen Truppen von ihrem Territorium bis zum 31. Oktober 1974 ...
Ein Jahr zuvor noch duckten wir uns beim Anflug portugiesischer FIAT in den Splittergräben, wateten durch Schlamm und Wasser und verbanden zerfetzte Gliedmaßen - eine Realität, die heute bereits Vergangenheit ist. Zumindest in diesem Teil der Welt.
Trotzdem sollte sie meines Erachtens nicht zu rasch vergessen sein. Auch deshalb kehren wir auf den folgenden Seiten noch einmal zurück in das Jahr 1973, zurück nach Boké und zu jenem 16. Oktober, an dem unsere Geschichte beginnt.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.
Erstmals 2020 erschien in der Salem Edition by EDITION digital als E-Book der inzwischen in der 4. Auflage vorliegende Wanderreiseführer und Routenplaner „Jakobsweg der Freude. Von Strasbourg nach Santiago de Compostela“ von Bert Teklenborg, dessen 1. gedruckte Ausgabe bereits 2008 veröffentlicht worden war. Dazu erfahren wir vom Autor und Herausgeber: Der Pilgerweg nach Santiago de Compostela – in Spanien wird er Camino Francés genannt – beginnt nicht erst im Nordwesten der Iberischen Halbinsel. Wo sollten die Pilger auch herkommen, wenn nicht aus Nord- und Mitteleuropa; da führt kein Weg an Frankreich vorbei. Als ich mich vor fast 15 Jahren auf den Weg machen wollte, konnte mir niemand genau sagen, welche Route man am besten einschlägt. Mir bekannte Reiseberichte erzählten fast immer vom Suchen nach dem richtigen Weg; oft wurde entlang von Autobahnen und Nationalstraßen „gewandert“. Das war nicht in meinem Sinne und so versuchte ich, eine Wanderroute zu konstruieren, die von Deutschland aus über Strasbourg, Taizé/Cluny, Le Puy-en-Velay und St. Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles führt. Geplant war, in erster Linie die (fast immer) gut markierten GR-Wege (Grande Randonnée) zu nutzen; doch stellte sich im Verlauf der fast einjährigen Wanderung heraus, dass sie durch Hilfswege (Liaison) miteinander verbunden werden müssen. Die Idee war, so nahe wie möglich an die Situation, die Stimmung der Pilger des Mittelalters heranzukommen. Die gewählten Wanderwege im Herzen Frankreichs führen durch schier endlose Wälder und die unberührte Natur der Vogesen, von Lorraine, Haute Marne, Burgund, Aubrac, Auvergne und Gascogne. Einsame Landstriche sorgen dafür, dass Sie stunden-, ja manchmal auch tagelang unterwegs sind, ohne auch nur einem Menschen zu begegnen. In den letzten Jahren haben die französischen Jakobswegfreunde im Elsaß, in Franche-Comté, Burgund und Haute-Loire neue Wegstrecken eingerichtet, die mit dem blauen Strahlensignet markiert sind. Sie sind in der Neuauflage als Übersichtskarten enthalten – wie auf der folgenden Seite zu sehen - und damit bietet sich Ihnen die Möglichkeit, zwischen dem „Jakobsweg der Freude“ und den „Chemins de St-Jacques“ zu wählen. Der spanische Teil folgt dem Camino Frances von Roncesvalles über Burgos und Leon nach Santiago de Compostela. Einführung in den geschichtlichen Hintergrund der Jakobus-Pilgerschaft, ausführliche Beschreibung der wichtigsten Orte und Sehenswürdigkeiten sowie viele Gasthöfe, Pilgerherbergen und Ferme Auberges entlang der Route. Und hier noch ein paar wichtige, ergänzende Informationen, die unter anderem erklären, was es eigentlich mit dem berühmten Jakobsweg auf sich hat und wie gefährlich es für die mittelalterlichen Pilger war, diesen Weg zu benutzen:
„Unser Weg
Das erste Drittel der in 4. Auflage aktualisierten Route nach Santiago verläuft nur selten auf einem geschichtlich ausgewiesenen Pilgerweg. Allerdings wurde der Startort Odilienberg bei Strasbourg nicht ohne Grund gewählt: Eine historische Straßenkarte, die um das Jahr 1500 von einem Nürnberger Kartographen erstellt wurde, nennt „Ste. Odilia“ als Anlaufstelle für Jakobuspilger. Und auch der neu angelegte Jakobsweg von Straßburg durchs Elsass (Übersicht I) verläuft über den Odilienberg. In Thann haben Sie die Möglichkeit, sich für eine der beiden angebotenen Varianten zu entscheiden: Der Wanderweg GR 5 führt hinauf zum Ballon d’Alsace, mit Anschluss an den GR 7. Hierbei handelt es sich um den ursprünglichen Jakobsweg der Freude, den wir nun als Vogesenroute bezeichnen. Der Chemin-St-Jacques der französischen Jakobswegfreunde bleibt dagegen im Tal und verläuft über Angeot nach Belfort. Im Mittelalter führte eine der wichtigsten Pilgerrouten durch die Burgundische Pforte – und insofern hat der von den Freunden der Association Franc-Comtoise initiierte Weg historische WurzeIn.
In der Côte d'Or vereinigen sich bade Wander-/Pilgerwege und via Taizé und Cluny kommen wir ins Beaujolais, wo sich hinter les-Echarmeaux wiederum zwei Wegevarianten (Übersicht II) anbieten: auf dem GR 7 in Richtung St-Chamond über die südlichen Ausläufer des Massiv-Central ins Velay, oder auf dem neuen Chemin St. Jacques Richtung Roanne und Montbrison ins Loiretal. Wir erreichen Le Puy-en-Velay, seit dem 10. Jh. Sammelpunkt der Jakobspilger nach Santiago de Compostela. Von hier geht es über die Monts-d'Aubrac nach Espalion; der Wanderweg GR 65 entlang der Via Podiensis verläuft meist in über 1000 Meter Seehöhe durch äußerst karge Landschaften und war daher von den Pilgern besonders gefürchtet. Die Belohnung für die Mühen dieser schwierigen Etappen erwartet Sie im lieblichen Tal des Lot, und noch mehr Stimmung kommt auf, wenn Sie Conques, Cahors und Moissac hinter sich haben und Richtung Baskenland unterwegs sind. Bei Ostabat trifft unser Weg auf die Routen aus Vézelav/Périgueux und Tours/Bordeaux. Hier erahnen Sie bereits die große Hoffnung, die Tausende und Abertausende Pelerins des Mittelalters auf die Straße gebracht hat. Eine Steigerung dieses Gefühls erfahren Sie, wenn nach St. Jean Pied-de-Port die Überquerung der Pyrenäen ansteht und Sie gemeinsam mit anderen Pilgern auf Santiago zuwandern. Während der gesamten Reise finden Sie Hinweise auf interessante Plätze und Bauwerke der Pilgerhochzeit, ergänzt durch überlieferte Texte vom Ort des Geschehens, sowie Informationen über Land und Leute. Damit erfahren Sie aktuelle Reisebegleitung und geschichtliche Überlieferung in einem und können sich gut in die Rolle der mittelalterlichen Pilger versetzen. Die Entscheidung, am späten Nachmittag noch eine Etappe weiter zu laufen ohne gesichertes Nachtquartier, wird Ihnen dieser Führer nicht abnehmen (ein handliches Zelt samt Schlafsack löst meist dieses Problem), und auch nicht die Planung Ihrer Mundvorräte. Das angebotene Kartenwerk beschränkt sich auf die schematische Wiedergabe des Wegeverlaufs (fast durchweg markierte Wanderwege); es erleichtert mit Sicherheit einen neuen Einstieg in Teilstrecken, falls Sie nicht zu den Glücklichen gehören, die die gesamte Wegstrecke in einer Tour gehen können.
Die Jakobus-Legende
Was war eigentlich der Anlass für die Pilgerfahrten nach Santiago, die aufgrund der unsicheren Landstraßen – soweit überhaupt vorhanden – zur damaligen Zeit ein großes Abenteuer darstellten und, wie die heute noch vorhandenen Grabsteine bezeugen, es kehrten ja doch manche von dieser Reise nicht nach Hause zurück. Es war nicht selten blanke Not, die Jakobspilger auf die Straße brachte, mit einem Bruchteil der Informationen, wie sie in diesem Führer stehen; sie hatten oft nichts mehr zu verlieren. Wen es so hinaustreibt, der packt keine Reisekoffer, spannt keine Kutsche an, sondern schnürt sein Bündel und macht sich auf den Weg. Ob man ankommt, ist ungewiss.
Auf der Suche nach dem geschichtlichen Hintergrund stoßen wir auf die Spuren von Jakobus dem Älteren, einem Jünger Jesu Christi, den sein Auftrag, das Christentum zu predigen, auch auf die Iberische Halbinsel führte. Sein Märtyrertod nach seiner Rückkehr nach Jerusalem ist bezeugt. Die Sage erzählt, dass der Leichnam von seinen Jüngern an den letzten Ort seines Wirkens, der römischen Siedlung Iria Flavia an der atlantischen Küste Iberiens, gebracht und dort beigesetzt wurde.
Das Grab geriet in Vergessenheit, und erst zur Zeit Karls des Großen nach dessen Spanienfeldzug gegen die Mauren wurde es durch „wunderbare Offenbarung" wieder entdeckt. Offen blieb bis heute, ob es sich bei den in dieser Grabstätte gefundenen Gebeinen wirklich um die Reliquien des hl. Jakobus handelt. Doch das interessierte die Menschen des Mittelalters nicht so sehr; der Glaube daran gab vielmehr denen Kraft, die auf seine Unterstützung bei der Vertreibung der Feinde Spaniens setzten. Mit dem Schlachtruf Santiago ging man in den Kampf nicht nur gegen die Mauren, sondern auch noch an die Eroberung Lateinamerikas (siehe auch Historie der Jakobuswallfahrt). Untersuchungen zufolge unternahmen damals etwa 40 % der Bevölkerung eine Pilgerreise; bis zu 500.000 Pilger jährlich sollen es gewesen sein, die Santiago besuchten, natürlich nicht ausschließlich aus religiösen Motiven – sie wurde oft als Vorwand benutzt, überhaupt reisen zu können. Dabei waren die Straßen und Wege alles andere als sicher; Räuber und Wegelagerer trieben ihr Unwesen und es gab Fälle von Mord und Entführung in die Sklaverei. Und manches Laster machte sich breit; so reimte z.B. Thomas von Kempen „Qui multum peregrinantur, raro sanctificantur“ (sinngemäß „Wer viel auf Pilgerfahrt geht, wird selten heilig“).
„Was am Ende in Santiago ein breiter Strom ist, speist sich aus vielen kleinen Quellen. Jede dieser Quellen: ein Pilger, mit seinem eigenen Weg, von seinem Haus aus losgehend und wieder zurückkehrend, sofern es Gott gefiel“, erklärt das Europaparlament in einer Schrift die Pilgerfahrten des Mittelalters. Soll heißen: Jakobswege sind nicht nur die Straßen nach Santiago; wenn Sie fragen, wo verläuft der Jakobsweg, dann die Antwort lauten: „Dort, wo Sie ihn beginnen!“
Auf dem Weg von der Patronin des Elsass zum Schirmherr Spaniens wird es immer wieder Gelegenheiten geben, über sich selbst, Gott und die Welt nachzudenken – auf dem Weg sein, und ein Stück weit zu sich selbst. Dadurch erhält diese uralte Pilgerroute eine zusätzliche innere Dimension – unterwegs sein im Sinne einer ursprünglichen Lebensphilosophie. Deshalb habe ich diesem Wanderweg einen Namen gegeben, der Gestern und Heute miteinander verbindet: der Jakobsweg der Freude – er wird auch in unserer Zeit zum Mittler der Freude, je weiter Sie ihn gehen.
Herzlich Ihr Wegbegleiter
Bert Teklenborg“
Erstmals 1971 veröffentlichte das Schriftstellerehepaar Hildegard und Siegfried Schumacher im Verlag Neues Leben Berlin „Sommerinsel“: Stephan und Fine müssen sich auf zweierlei vorbereiten: auf ihr Abitur und auf ihr Kind. Sie haben ein schweres Jahr durchzustehen, und es geht nicht ohne familiäre und schulische Konflikte, nicht ohne Spannungen und Zerwürfnisse vorüber. Aber Stephan und Fine verteidigen ihre Liebe, wahren ihre Rechte, lassen sich nicht von Erwachsenen verwalten und beißen sich durch. Auch haben sie natürliche Verbündete: den Klassenlehrer, die Klasse und Leute, von denen sie Verständnis gar nicht erwartet haben. Ganz abgesehen von der sexuellen und schulischen Bedeutung der Worte, bestehen Stephan und Fine in diesem klaren und kritischen Buch eine Reifeprüfung, bei der sie allerdings auch hätten durchfallen können. Ist Stephan leichtfertig und Fine unmoralisch? Haben die Eltern recht, wenn sie den jungen Leuten nichts zutrauen? Liebe fordert Bewährung, und Fine und Stephan bestehen die Probe. Sie möchten keinen Tag des Jahres in Ellerstädt streichen. Hier ein Auszug aus dem Buch, in dem man gleich einen Mann kennenlernt, den man am liebsten selbst gern als Lehrer oder Lehrausbilder gehabt hätte – Wilhelm Buller:
„Erstes Erinnern
Während des Praktikums floss viel Schweiß. Sie mischten Mörtel, pendelten Betonfertigteile ein, setzten sie aufeinander. Und tagein, tagaus brannte die Sonne. Die Luft flimmerte. Hitze und Staub machten durstig, und je mehr sie tranken, die dreiundzwanzig Mädchen und Jungen, die gerade in die 12a versetzt worden waren, desto mehr perlte der Schweiß aus der Haut, aber die Ställe für die Genossenschaft wuchsen. Wilhelm Buller konnte zufrieden sein. Und er war es.
Dem Alter nach hätte er ihr Großvater sein können. Die Rente wirkte schon, doch er scheuerte mit seinen Händen die Hosentaschen nicht von innen entzwei. Er packte überall als erster zu. Als Lehrausbilder hätte er es nicht nötig gehabt, aber er war mehr als nur Lehrausbilder. Wenn einer nicht weiterwusste, stand der Alte plötzlich neben ihm, kriegte kaum die Kiemen auseinander, nahm aber die Kelle, zeigte einen Handgriff, einen Kniff. Dass sie ihm in ihrem Schulwissen überlegen waren, das wusste Wilhelm Buller, aber er warf es ihnen nicht vor. Die praktische Erfahrung und die sichere Einschätzung der Verhältnisse und Menschen hatte er ihnen voraus, und davon gab er ihnen ab ohne Geiz.
Als das Praktikum zu Ende ging, ließ Wilhelm Buller seine Pfeife in der Tasche. Er gab Heule sechzig Pfennig, eine „Echte“ solle er holen. Mit seinen langen gelben Zähnen biss Buller vorsichtig die Zigarrenspitze ah, spuckte sie weg und sagte: „Aus dem Gröbsten wären wir raus!“ Dann bot er Feierabend.
Heule und Wolfgang schleppten den Abschiedstrank heran. Einen Kasten Halbundhalb, halb Helles, halb Brause. „Prost!“, sagte Heule und wollte nach dem Hellen greifen.
„Prost“, sagte Wilhelm Buller und drückte ihm eine Brause in die Hand, „sollst nicht trocken dasitzen.“ Mit dem Flaschenhals zeigte er zur MZ. „Aber du hast ’ne Maschine hier.“
Eine Ansprache hielt Wilhelm Buller an diesem Feierabend auch noch. Sie wussten, ein großer Redner, einer von vielen Worten war er nicht. Darum sahen alle auf, als er sich räusperte und mit dem Handrücken über den Mund wischte. Die Mütze schob er in den Nacken, musterte sie der Reihe nach und räusperte sich noch einmal. „Ihr seid gar nicht so dämlich, wie ihr ausseht“, sagte er. „Mit euch kann man schon was schaffen. Also aufs nächste Jahr. Prost!“
Das ging ihnen ein wie Honig, dieses Mit-euch-kann-man-was-schaffen und Prost-aufs-nächste-Jahr, und sie labten sich noch daran, als sie die Flaschen in den Kasten zurückstellten und die Campingbeutel packten.
Heule stülpte sich seinen Sturzhelm auf und rief schallend über die Baustelle: „Ferien!“
Na und? dachte Stephan. Seine Freunde, ja, die hatten große Pläne. Aber er? Über Nacht hatte sich die Familientour durch Ungarn zerschlagen. Dafür saßen seine Eltern irgendwo in der Sowjetunion zu einem Erfahrungsaustausch über landwirtschaftliche Bauten.
„Schöne Ferien, ich hab mich umsonst gefreut“, sagte Fine. Ach ja, die Ostseereise fiel ins Wasser, weil ihre Mutter plötzlich zu einem Lehrgang delegiert und am Vortag abgefahren war. Auch versetzt.
Stephan hätte sich Heule und Wolfgang anschließen können. Zelten, ungezwungen leben. Es hatte für ihn keinen Grund gegeben abzulehnen. Doch irgendetwas musste ganz hinten in seinem Gehirn, in so einer vorletzten Windung, dieses Nein signalisiert haben. Darüber dachte er noch nach, als Heule mit seiner MZ abgebraust war und die anderen unter großem Lärm auf ihren Fahrrädern davonklingelten.
Er stand mit Fine allein auf dem Marktplatz. Sie hatten den gleichen Weg. Die Hitze brannte in den Straßen. „Kommst du mit auf ein Eis?“, fragte Stephan. Er lud Fine ein, weil es heiß war und weil zu Hause nur die leere Wohnung auf ihn wartete.
In der kleinen Eisdiele am Stadtgraben erwischten sie zwei Plätze unter einem Sonnenschirm. Ohne zu reden, hockten sie da, Fine löffelte Erdbeer mit Vanille, Stephan mochte Erdbeer nicht, er löffelte Zitrone. Er starrte in seinen Metallbecher und sah, wie das Eis abnahm. Komisch, dachte er, wir sind stumm wie die Fische. Dabei reden wir manchmal viel zu viel, wenn wir mit Heule, Wolfgang, Steffi und Martina zusammen sind. Zuerst wollten sie mich nicht haben, aber Fine hat sie überzeugt, dass sie den Neuen nicht allein lassen dürfen. Wie war Heule zuerst gegen mich, weil ich von dem Platz neben Fine nicht gewichen bin. Das ist längst vergessen. Doch Fine hat jenen Frühlingsabend, an dem ich achtzehn wurde, noch nicht vergessen. Seit damals, seit dem Hab-dich-nicht-so ist es das erste Mal, dass wir wieder allein zusammensitzen. Stephan löffelte das Eis in sich hinein, ohne den Zitronengeschmack wahrzunehmen.
„Bring mir morgen deine Maurersachen“, hörte er Fine sagen, und damit zerriss der Faden zur Vergangenheit. Stephan blickte auf. Hatte er sich verhört?
„Ich wasche“, sagte sie, „da werfe ich dein Zeug gleich mit in den Kessel.“
Er nickte, und er war froh, dass er nicht mit Heule und Wolfgang fahren würde.“
Knapp zwei Jahrzehnte nach der „Sommerinsel“, 1988, veröffentlichten Hildegard und Siegfried Schumacher ebenfalls im Verlag Neues Leben Berlin „Laternentraum“, in dem es auch wieder um Lebensentwürfe junger Leute geht – und auch um eine Insel: Auf der Insel .fing es an, oder begann es während der großen Reise? Anja und Kay schmieden Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Können Laternenträume stärker als der Alltag sein? Aber lernen wir erstmals Anja kennen, die gerade im wahrsten Sinne des Wortes unterwegs ist, unterwegs in einem Bus, der über die Dörfer fährt:
„1. Kapitel
Anja empfand es wohltuend, dass im Bus nach Freienbruch noch ein paar Plätze frei waren. Sie fühlte sich abgespannt und zerschlagen wie nach einer schweren körperlichen Anstrengung. Dabei kam sie nur von einer Sitzung. Mit dem Freundschaftsrat hatte sie das Schuljahr ausgewertet und die ersten Pläne für das neue überdacht.
Ich hätte nicht schweigen dürfen, warf sich Anja vor, ich habe versagt. Sie sah sie vor sich, sah die Gesichter von Jens und Uta, von Ronald, Vera, Karin, von allen, die um den großen Tisch gesessen hatten. Wieder hörte sie Jens sagen, du kannst dich auf uns verlassen, mit dir schaffen wir das, und sie hörte sich antworten, klar, warum nicht, das ist zu schaffen, und die vielen Worte, die sie verbraucht hatte, Worte zwischen Wahrheit und Lüge, bei denen sie das Ich vermieden hatte. So konnte sie noch immer abspringen. Jedes Mal, wenn sie sich zur Wahrheit entschlossen hatte, verließ sie wieder der Mut.
War es denn so schwer zu sagen, hört her, Leute, im nächsten Jahr bin ich nicht mehr eure Pionierleiterin. Ihr müsst das verstehen. Ich habe die Chance, in Freienbruch als Unterstufenlehrerin zu arbeiten. Jetzt habe ich diese Chance. Kein weiteres Wort wäre nötig gewesen. Vielleicht hätte Ronald in seiner bedächtigen Art genickt. Wenn sie es auch alle verstanden hätten, enttäuscht wären sie doch gewesen. Daran hätte Ronalds Nicken nichts ändern können.
Anja erinnerte sich genau, damals, als sie in der Falkensteiner Schule anfing, hatte sie sich vorgenommen, ihre Pioniere nie zu enttäuschen. Und wenn ich es gesagt hätte? Anja kannte ihren Freundschaftsrat gut genug, um sich die Reaktion vorzustellen. Kein Ausweichen zulassend, doch leise, wie es seine Art war, hätte Ronald gefragt, warum hast du uns das nicht früher gesagt. Kein Laut sonst wäre zu hören gewesen. In solch einer Stille können leise Fragen laut, sehr laut werden. Und dann Uta mit ihren großen dunklen Augen. Wie sollte man unter solch einem Blick eingestehen, dass man im nächsten Jahr nicht mehr dabei wäre.
„Ich habe mich gedrückt“, hörte Anja sich sagen, und es kam ihr vor, als stünde sie neben sich, als wäre nicht sie es, die gesprochen hatte.
„Wie bitte?“, fragte der Mann neben ihr, der im „Sportecho“ las.
So beiläufig die Frage war, riss sie Anja in die unmittelbare Gegenwart hinein. Sie nahm nun alles überdeutlich wahr: den Mann, der wieder hinter seiner Zeitung verschwunden war, die abgegriffene Oberkante der Rückenlehne vor ihr, das Stimmengemurmel über dem Motorengeräusch und die verbrauchte Luft.
Der Bus bremste. Haltestelle Papierfabrik. Leute stiegen ein. Es waren so viele, dass der Bus zu bersten schien. Der Mann schaute noch intensiver in sein „Sportecho“. Wer nichts wahrnahm, brauchte nicht zu reagieren. Auch nicht auf die beiden Arbeiterinnen, die herangedrängt wurden und sich an den Haltegriff der Sitzbank klammerten. Anja war sonst immer aufgestanden. Sie kannte die Frauen seit Langem, so, wie man sich kennt, .wenn man oft den gleichen Bus benutzt. Die Mühe des Tages war ihnen vom Gesicht abzulesen. Anja fand nicht die Kraft aufzustehen. Ihr wurde heiß auf ihrem Sitzplatz. Sie hatte keine Zeitung, um sich dahinter zu verstecken, nicht einmal eine Sonnenbrille, deren dunkles Glas vor jedem Blick schützt. Auch vor Utas Augen. Ja, könnte man sich seine Probleme abschütteln, wie sich ein Hund das Wasser aus dem Fell schüttelt, dann störte weder Utas Blick noch Ronalds Frage, dann würde man leicht solch einen Satz hinsagen, ich höre auf. Oder man sagt gar nichts und bleibt einfach weg. Sie aber hatte sich vorgenommen, ihre Leute nie zu enttäuschen. Nie!
Und Kay? Konnte sie Kay enttäuschen? Für Anja war es selbstverständlich, Mann und Frau gehören zusammen. Wo du hingehst, will auch ich hingehen, wo du bleibst, da will auch ich bleiben. In guten wie in schlechten Tagen. Meine Sorgen sind deine Sorgen. Alte Sätze waren das. Sie hörten sich so einfach an, so klar.
Wieder hielt der Bus. Viele Leute stiegen aus, auch die beiden Arbeiterinnen. Ein frischer Luftzug wehte durch die Tür. Bei der nächsten Haltestelle musste Anja hinaus, Milch und Brot kaufen und den Jungen aus der Krippe abholen. Ihr kleiner Jan. Der Gedanke an ihn war wie ein Atemholen. Oder war es nur das Wasser–aus–dem–Fell–Schütteln?
Das Leben mit Kay und ihre Arbeit in der Falkensteiner Schule hatten nichts miteinander zu tun, aber die Zeit hatte ihr beides gleich wichtig gemacht. Oder machte sie sich etwas vor? Wenn sie Falkenstein aufgab, konnte sie trotzdem als Lehrerin weiter mit Kindern arbeiten, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Es gab dann nicht länger das Hin und Her zwischen Wohn– und Arbeitsort. Sie hatte nur eine einzige Klasse. Fast den ganzen Vormittag war sie mit ihren Schülern zusammen und konnte sich ihnen weit mehr zuwenden als eine Pionierleiterin den Kindern einer ganzen Schule. Halt! Das waren Kays Argumente. Schon einmal hatte sie sich von seinen Argumenten überzeugen lassen. Als Jan da war, hatte Kay sie überredet, ihren Studienplatz in Berlin nicht anzutreten. Der Kleine in einem Studentenwohnheim, die Unruhe, ob sie das verantworten könne. Kay hatte sie zuerst auf ein Jahr später programmiert und ihr bald die Anstellung als Pionierleiter in Falkenstein besorgt. Das Glück war damals vollkommen und die Liebe so neu und schön, und ihr Sohn brauchte sie, der hilflose kleine Sohn. Also hatte sie nachgegeben. Sollte sie wieder nachgeben?
Konnte man aber das eine gegen das andere stellen? Hier die Familie, dort die Arbeit. Denk an Jan, hatte Kay gesagt, der braucht dich, der muss seine Ordnung haben. Den kleinen Jan schickte er vor. Kay wusste genau, dass das bei ihr zog. Über die Liebe zwischen ihnen beiden, die so zart angefangen hatte und später so stark ihre Nächte bestimmte, sagte er kein Wort.. Darüber redete man nicht. Das hatte er von seiner Mutter. Trotzdem, ohne Jan hätte sie ihr Studium aufgenommen. Liebe übers Wochenende. Unbelastet. Nun hatten sie aber den Kleinen, waren verheiratet und eine Familie mit allem Drum und Dran. Der Alltag war gekommen. Ob Kay ihre Arbeit als Pionierleiterin überhaupt stören würde, nähme sie die nicht so ernst? Das konnte ihr jedoch als Lehrerin nur einer einzigen Klasse genauso passieren. Das gleiche Problem noch einmal. Und immer wieder, weil sie ihren Beruf nicht als Job ansah. Anja erschrak. Wo war sie mit ihren Gedanken hingeraten?“
Erstmals 1997 brachte der Mitteldeutsche Verlag Halle-Leipzig den Roman „Ausstellung einer Prinzessin“ von Elisabeth Schulz-Semrau heraus: Wie ist das mit der Liebe einer Frau, die erst in der Mitte des Lebens den richtigen Partner findet? Was ist mit dem Vorher, von jenem pubertär-schwärmerischen Tage an, da man sich in romantischen Träumen als Prinzessin dünkte und die Verehrung eines Ritters entgegenzunehmen glaubte? Was liegt dazwischen, was muss man offenbaren und überdenken, um in Liebe und Leben die Selbstverwirklichung zu finden? Elisabeth Schulz-Semrau geht diesen Fragen nach. Was dabei herauskommt, ist ein Roman über eine Frau, die mit schonungsloser Offenheit ihre Wege und Irrwege, ihre Probleme und Entscheidungen darlegt. Und das alles mit der Sensibilität und dem poetischen Vermögen einer Schriftstellerin, die entscheidende Situationen psychologisch einzuordnen weiß und auf diese Weise die Lebensgeschichte einer Frau nachzeichnet, die in aufrichtiger Auseinandersetzung mit den Forderungen und Förderungen der DDR-Gesellschaft ihren Standpunkt und damit ihre Selbstverwirklichung findet. Zur Einstimmung hier der Beginn des 2. Kapitels, welchem die Autorin ein paar hübsche Gedichtzeilen von Brecht vorangestellt hat:
„2. Kapitel
Christine hatte eine Schürze,
Die war von ganz besonderer Kürze,
Sie hing sie nach hinten sozusagen
Als Matrosenkragen
Bertolt Brecht
Das muss die Seele sein, was da wehtut, dachte das Kind. Es ließ die Hände für einen Augenblick auf den Tasten liegen. So ist also: eine Seele haben. Man merkte es am meisten beim Klavierüben, dass man eine hat, weiß auch genau, wo die liegt und wie sie aussieht. Das ist aber verschieden. Von Toten jedenfalls sind sie rund, die Seelen, und durchsichtig.
Hatte das Kind lange in die Sonne geguckt, so sah es sie. „Seelen sind unsterblich“, hatte der Religionslehrer gesagt. Sie schwirrten also nun durch die Luft, und das Kind war sicher, das es sie nur allein sähe und niemand anders sonst, nicht einmal sie!
Aber die Seelen beachteten das Kind nicht, schwirrten unbeirrt irgendwohin, man konnte sogar durch sie hindurchgehen.
Seine eigene Seele sah das Kind nicht, es lebte ja noch, aber die, wusste es, dehnte sich aus, war mitten in einem. Und war es besonders schlimm mit dem Wehtun, dann weinte die Seele wohl, und die Tränen berieselten die ganze Brust da innen.
Das war vorhin bei dem Beethovenmenuett oder bei dem ziemlich schweren Stück von Philipp Emanuel Bach. Und manchmal bemerkten es auch die anderen, dass man eine Seele hatte. „Das Kind spielt heute wieder mal so beseelt“, sagte sie dann, und ihre großen, meist traurigen Augen wurden etwas dunkler. Das Kind hatte immer das Gefühl, die Augen würden dabei tiefrot und warm, aber auch das sagte es nie.
„Du sollst Klavier üben, hat deine Mutter gesagt“, die Topfdeckelstimme ließ sofort die Musiktränen in die Seele zurückfließen. „Phö, hast mir gar nichts zu sagen, du Dienstbolzen“, rief Christine zur Küche hin, besann sich aber doch, rekelte sich auf dem Klavierhocker hoch. „Gerade sitzen, Mädchen, Haltung!“, hörte sie Elfriede Kaminsky, die Klavierlehrerin, trällern, alles, was die sagte, sagte sie in Terzen und Quarten, immer musste das Kind an glockige Seidenkleider denken. Aber sicher war das nur, weil Elfriede Kaminsky solche trug bis zum Knöchel hin. „Die hat darunter ganz dicke Beine“, hatte Renate ihr zugeflüstert.
Nun wollte sie doch noch mal spielen, damit die Kaminsky nicht wieder was von mangelhafter Technik redete, warf den einen Zopf zurück, der wieder nach vorn gefallen, hin- und hergeschwänzelt war und sie hinderte. Dabei fiel ihr ein, dass sie sich heute wieder einmal ums anständige Kämmen gedrückt hatte. – Anständig – nannte sie es und rupfte dann einem so am Kopf herum, dass die Tränen einfach von allein kamen.
Sie fasste kurz an die Stelle, wo die Haare zu zwei Seiten hin abgescheitelt waren und wo sie einen verfilzten Haarwust wusste, der undurchkämmbar gewesen war. Manchmal nahm man einfach eine Schere, aber das merkte sie sofort beim nächsten Kämmen, also war der Haarknoten einfach zur einen Zopfhälfte hin versteckt worden. Sie schlug Clementi auf, da kannten sich die Hände schon ganz gut aus, und es klang nach was Schwerem. Die Seele allerdings blieb diesmal still, nur die Hände liefen mit den Augen über Klavier und Notenköpfe hin, aber die Gedanken …
Als das Kind heute Morgen erwacht war, traf der Blick zuerst das Fenster. Sonne? Dann die violette Tapete mit den in grüner Farbe abgezirkelten Rhomben, darin wiederum grüne Blumenkörbe. – Da war erst mal alles Bedrohliche des Tages. Also die Augen wieder zu, fester noch in Zudecke und Kopfkissen gekrochen. So jeden Tag – außer Sonntag. Da war die Tapete weniger lila und weniger grün, denn da blieb Zeit, im Deckbett Landschaften zu bauen. Berge mit geheimnisvollen Gängen, Schluchten und Meere oder Wüsten. Räuber lebten darin oder Karawanen, und Abenteuer hätten sich über den ganzen Vormittag hin ereignen können.
Heute in das erste Kuscheln hinein ein Gedanke: sie ist fort. Sie ist ja heute wieder verreist. – Aufatmen! Ooch, kein Kämmen, keine Haferflocken, kein „wie war’s in der Schule“, oder was sie sonst immer zu fragen sich ausdachte. – Dann plötzlich die Augen weit auf: Zimmer und Tapete sargschwarz, trotz Sonne vor dem Fenster. Sie ist wirklich wieder weggefahren, und für vier Wochen! Blieben nur der Vater – nur Gerda. In den Zimmern würden die Möbel zu Ungeheuern wachsen, und die Schule erst. Vier Wochen, jeden Tag. Lieber sollte sie schimpfen.
Diesmal kroch das Kind tief ins Bett, den Atem eine Weile anhaltend.
Dann fiel ihm etwas ein; Bettdecke hoch, Tapete wieder lila mit grünen Rhomben, und mit nackten Füßen durch die Zimmer getapst. Schubladen auf, alle, die sich öffnen ließen, und durchwühlen.
„Was machst’n du da?“ Gerda war ins Zimmer gekommen.
„Geht dich nischt an, ich suche“, da das Kind aber nicht wusste, was es suchte – das war’s ja gerade: die Überraschung –, suchte es nach einer Antwort, „das Glück“, fiel ihm plötzlich ein.
Das Mädchen ging kopfschüttelnd mit dem Frühstücksgeschirr der Eltern hinaus.
Groschen und Pfennige wurden erst einmal beiseitegelegt, das gab Heißgetränk und Stammbuchbilder. – Da waren Theaterprogramme und Fotos: sie in …, wie hieß das doch? Hier stand’s ja, hinten: Bad Pyrmont, sie mit und ohne Modellhut.
„Du hast aber eine schöne Mutter“, hatte Joachim vor einigen Tagen gesagt. Das Kind nickte nur, das wusste es längst, seine Mutter …
Nun ein langer weißer Handschuh. Christine drückte ihn unter die Nase, ihr Geruch, gleich tat es wieder weh. – Dann hatte Gerda sie zum Anziehen gezwungen. „Wart man, dein Vater kommt wieder!“ Und nun war es Zeit für die Schule. Zehnmal hatte die olle Standuhr geschlagen. Nachmittags war sie mal Schlossturm, mal Siebengeißleinuhr, jetzt einfach oll. Um elf aber begann auf dem Sackheim neben der großen Kirche die Schule.
Klavierdeckel zu mit Knall, Noten blieben liegen, sie war nicht da. Das Zimmer, in dem neben anderem Möbelzeug der Flügel und Vaters Weinschrank standen, hatte kein Fenster, war links und rechts durch zwei mit Kranichen und Wasserlilien bemalte Glastüren – handgemalt, betonte sie immer –, von Ess- und Herrenzimmer getrennt. Es war das Musikzimmer. Hatte man eben!
Das Kind ging durch die Tür mit den Kranichen, die, die Hälse verdreht, immer voneinander wegblickten, ins Esszimmer: Kredenz, Büfett, Vitrine, Kristall, Porzellan. Das muss was Teures sein; sie sagte immer: Meine Porzellane.
Auf der Couch sah das Kind seine sechs Puppen aufgereiht sitzen. Große Puppen, meist von einer ihrer Reisen. Steif saßen sie da, lächelten dumm. „Bäh“ – lang bläkte das Kind seine Zunge, es mochte sie, diese ewig Lächelnden, nicht.
Der Teddy schlief immer noch mit im Bett, mit nur noch einem Arm. „Aber Christine“, sagte sie, „mit neun Jahren –“ In die Mappe wurden schnell noch ein paar Hefte und die Federtasche gestopft. Es war ein Tornister. „Das Mädel muss gerade gehen“, hatte auch der Vater gesagt. Manchmal ließ er sie mit seinem Krückstock, hinten zwischen Arme und Rücken geklemmt, vor sich herspazieren. Alle Leute sahen es. Heiß wurde es dem Kind da um die Augen, es sah kaum seinen Weg.“
Wie wird er weitergehen, der Weg dieses Mädchens? Und was wird aus ihm werden? Wieviel wird im Leben der Frau bleiben von diesen frühen Erfahrungen und Erlebnissen in der Kindheit? Herausfinden lässt sich das nur beim Selberlesen dieses spannenden Entwicklungsromans von Elisabeth Schulz-Semrau.
Aber auch die anderen Sonderangebote können zum Nachdenken über das eigene Leben, über die eigenen Hoffnung, Wünsche sowie damalige und heutige Zukunftspläne anregen. Und das ist wohl nicht das schlechteste Ergebnis, was Literatur erbringen kann.
Viel Vergnügen beim Lesen und beim Entdecken fremder Geschichten und der ganz eigenen Geschichte, viel Vorfreude auf den baldigen Sommer, weiter eine gute, gesunde und Corona-freie Zeit, bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.