Zunächst einmal aber erklärt Steinhausen gleich zu Beginn ihres Buches den ungewöhnlichen Namen dieses insgesamt 13,5 Hektar großen Fleckchens Mecklenburger Erde, der noch im 18. Jahrhundert vom umgebenden Wasser des Ostorfer See eingezwängt wurde - hochdeutsch „Zwang“ und plattdeutsch „Dwang“ genannt. Irgendwann später verliert sich die Bezeichnung „Zwang“ im Dunkel der Geschichte, und nur der „Dwang“ bleibt übrig. Eine einschneidende Veränderung der ursprünglichen Gestalt des Dwangs geschah infolge des Ausbaus der Eisenbahnverbindung Schwerin – Hagenow im Jahre 1847 – also vor nunmehr fast 175 Jahren. Dabei wurde die Fläche des Dwang in eine größere südliche und eine kleinere nördliche geteilt. An die kleinere Fläche im Norden grenzte bald der vom mecklenburg-schwerinschen Hofgärtner Theodor Klett geplante und 1863 angelegte heutige „Alte Friedhof“. Besonders gerade auch im deutschlandweiten Vergleich ähnlicher Bauprojekte interessant ist die ab Seite 59 beginnende Beschreibung der ab 1936 geplanten und in erstaunlich kurzer Bauzeit realisierten Wohnsiedlung „Auf dem Dwang“. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch die spannende Frage, wie nah oder wie fern die knapp 60 künftigen Bauherren dem damals neuen nationalsozialistischen System standen: Angesichts der neuen politischen Strategien sei es durchaus vorstellbar, dass die Zugehörigkeit zur NSDAP bei der Auswahl eine nicht unbedeutende Rolle spielte, schreibt Elke Steinhausen. Die Baukosten hätten zwischen 9.200 und 13.600 Reichsmark gelegen – zu viel für einfache Arbeiter. Im Laufe des Jahres 1937 wurde der Großteil aller geplanten Häuser errichtet und sofort und mit Begeisterung von den zukünftigen Eigentümern bezogen, berichtet die Autorin weiter. Aber auch von offenbar schon damals vorkommenden „Narrenstreichen“ der Verwaltung ist die Rede.
Viel Raum nehmen in der Geschichte des Schweriner Dwangs außerdem die weitere Entwicklung der Siedlung unmittelbar nach dem Ende des Krieges und die Einquartierungen sowjetischer Besatzungsoffiziere sowie das gesellschaftliche und kulturelle Leben zu DDR-Zeiten ein. Dazu gehörten auch die geradezu legendären jährlichen Dwang-Feste sowie Arbeitseinsätze und die Teilnahme am Wettbewerb „Schöner unsere Städte und Dörfer“, aber auch kostenloser Schwimmunterricht. Das bislang letzte Dwang-Fest wurde am 8. Juli 2017 zum 80-jährigen Bestehen der Siedlung groß gefeiert. Kurz vorgestellt werden auch die Einkaufsmöglichkeiten und die Postzustellung auf dem Dwang. Zudem präsentiert die Publikation von Elke Steinhausen fotografische Erinnerungen „an einige Dwang-Bewohner“, Erklärungen zu im Buch verwendeten, heute nicht mehr jedem geläufigen Begriffen und Abkürzungen sowie Erläuterungen zum Ostorfer See, in dem der Dwang „schwimmt“, und den beiden angrenzenden Dörfern Ostorf und Görries – einschließlich des dort im Sommer 1913 eingerichteten und bis 1993 zuletzt von der Sowjetarmee genutzten Flugplatzes. Sehr aufschlussreich ist eine Übersicht der 1938 in den Häusern auf dem Dwang wohnenden Schweriner samt Angaben zu ihren Berufen von Milchverteiler, Postinspektor und Postbauinspektor bis Polizei-Hauptwachtmeister und Lokführer, Kammermusiker und Lichtspielvorführer.
Die mit vielen Bildern und Zeichnungen versehene Schweriner-Dwang-Geschichte kann über den Verlag (verlag@edition-digital.de) sowie über Libri, KNV und Umbreit bezogen werden.
Elke Steinhausen, Jahrgang 1949, die die Geschichte der Halbinsel im Ostorfer See und der Dwanger Gemeinschaft zwischen 1936/37 bis heute beschreibt, ist selbst ein Kind des Dwang – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wurde tatsächlich im Haus Nr. 20 auf der Wasserseite der Siedlung geboren, ist dort auch aufgewachsen und noch heute wohnt Elke Steinhausen auf dem Dwang – mit ihrem Mann Manfred und mit ihren zwei Katzen „Frieda“ und „Fiete“ im Haus Nr. 44, ihrem Geburtshaus genau gegenüber. Neben vielen anderen ehrenamtlichen Beschäftigungen engagiert sich Elke Steinhausen seit Jahren sehr intensiv im Förderverein Alter Friedhof e.V., dessen Archiv gegen Vergänglichkeit und Vergessen sie betreut. Inzwischen verfügt dieses Archiv über fast 2.000 analog oder auch schon digital geführte Akten unterschiedlichen Inhalts über auf diesem Friedhof bestattete Personen – gewissermaßen eine Stadtgeschichte der besonderen Art. In seinem erstmals 1954 im Petermänken-Verlag erschienenen Buch „Schwerin: Skizzen aus einer alten Stadt” hatte Edmund Schroeder (1891 bis 1965) geschrieben: „… daß man eine Stadt nicht kennt, wenn man nicht gesehen hat, wie sie ihre Toten bettet. Man kann Schlüsse ziehen daraus, ob und wie ein Stadtwesen auf sich hält”.
Elke Steinhausen: Der Dwang. Die Geschichte einer kleinen Schweriner Halbinsel im Ostorfer See
ISBN: 978-3-95655-884-9 (Buch)
EDITION digital
216 Seiten, 14,80 Euro
http://www.edition-digital.de/Steinhausen/Dwang