Sorge bereitet dem Forscher, dass diese Entwicklung weitgehend losgelöst vom gesetzlichen Gesundheitswesen stattfindet: während Wissenschaft und Politik abstrakt über Evaluation und Gütesiegel debattieren, sammeln die Patienten praktische Online-Kompetenz in Sachen Gesundheit. Das Ausland ist hier weiter. In der internationalen EPatient-Forschung sind die Erfahrungen der Patienten längst zum Ausgangspunkt der Forschung geworden. Er warnt: "Deutschlands Evaluationsforscher hinken der internationalen Entwicklung rund 5 Jahre hinterher. Was fehlt," bemerkt er mit Blick auf die jüngste Gesundheits-App-Studie der Uni Hannover," ist, dass zum einen internationale Erfahrungen berücksichtig und zum anderen ihre Konzepte für digitale Praxis auch in Deutschland angewandt werden.
Der EPatient-Survey ist Deutschlands größte und älteste jährliche Online-Umfrage zum Thema Gesundheit. Seit 2010 befragt Schachinger dazu inzwischen rund 10.000 Patienten und Nutzer jährlich.
Nicht Alter, Bildung unterscheidet.
Entgegen der Erwartung ist der Gesundheits-Sufer nicht jung, sondern liegt mit 59 Jahren über dem demographischen Durchschnitt. Die Befragten sind allerdings höher gebildet als der Bevölkerungsdurchschnitt. 32% der Befragten verfügen über einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. 54%, also leicht mehr als der Bevölkerungsdurchschnitt der Gesundheits-Surfer sind Frauen. Betroffenheit ist ebenfalls ein wesentlicher Auslöser, um ins Netz zu gehen. 43% der Befragten sind Chroniker/Patienten, 29% surfen aufgrund akuter Beschwerden, 15% der Befragten sind gesund und führen allgemeines Interesse an. Und 13% surfen, weil Angehörige unter gesundheitlichen Problemen leiden.
Die Nutzung verändert sich. Der Einfluss auf die Therapie wächst
Die Deutschen vertrauen dem Netz auch in Sachen Gesundheit immer stärker. 43% der Befragten nutzen Medikamenten- und Medikamenten-Verträglichkeits-Checks, 38% haben im Internet bereits Medikamente oder Arzneimittel gekauft, 22% haben in Online-Foren bereits Fragen gestellt oder diskutiert. Insbesondere neuere Apps und Anwendungen verbreiten sich derzeit:
- 9% der Befragten verwenden Coaching-Apps, um mit ihrer Erkrankung im Alltag besser umzugehen.
- Ebenfalls 9% nutzen eine App in Zusammenhang mit einem Medizingerät, beispielsweise für Datensammlung oder den richtigen Gebrauch.
- 6% nutzen eine App, um ihre Medikamente richtig einzunehmen oder sich erinnern zu lassen.
- Und ebenfalls bereits 6% der Patienten geben an, eine Gesundheitsakte zu nutzen, obwohl sie diese teilweise selbst bezahlen müssen oder pflegen müssen.
Während das Gesundheitssystem blockiert, haben Patienten den Nutzen von Apps längst entdeckt. 46% der Befragten geben an, durch eine Medikamenten-App deutlich besser, 30% etwas besser mit ihrem Medikationsregime zurecht zu kommen.
Coaching-Apps überzeugen ebenfalls durch ihre Leistung. 80% ihrer Nutzer geben an, dadurch ihre Erkrankung „deutlich“ bis „etwas besser“ im Griff zu haben.
80% der Nutzer einer App für ihr medizinisches Messgerät, speichern ihre Messwerte dadurch regelmäßig und haben einen vollständigeren und besseren Überblick über ihren Krankheitsverlauf.
87% der Nutzer von Online-Gesundheitsakten geben uneingeschränkt/teilweise an, sie helfe ihnen deutlich bei unterschiedlichen Arztbesuchen, bei Zugriff auf Krankheitsdaten und der Behandlung.
Zwangsweise Patientensouveränität
Patientensouveränität wider Willen, so könnte man die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit zusammenfassen. 58% der Nutzer sind von alleine auf die App oder den Online-Dienst gestoßen, 20% über Medien, 14% über Freunde. Dagegen wünschen sich noch knapp über die Hälfte der Nutzer (51%) Empfehlungen vom Arzt, 34% von der Krankenkasse, nur 27% wollen auch weiterhin alleine im Netz suchen. Es folgen Patientenorganisationen (22%), Apotheke vor Ort (17%), Krankenhaus (10%), Hersteller (10%) und Versandapotheke (5%).
Langsam wachsende Zahlungsbereitschaft
Mit dem Nutzen wächst auch die Zahlungsbereitschaft. 8% der Nutzer, und damit mehr als in den Befragungen zuvor, haben bereits für einen Dienst bezahlt. 28% würden zwischen 10-20 Euro bezahlen, 11% geben an, dass Geld nicht die Rolle spielt, wenn die App oder der Dienst bei der Therapie nachweislich helfen kann. 50% sind grundsätzlich nicht bereit, für Apps oder Online-Dienste zu bezahlen. 2015 waren dies noch 80%.
Gespaltene Meinungen beim Thema Datenschutz und Datennutzung
In einer offenen Antwortkategorie konnten die Befragten angeben, ob sie der Meinung sind, man könne dem Internet Daten anvertrauen oder nicht. Nur 7% haben dazu keine Meinung, ebenfalls 7% sind dabei unsicher oder unentschieden, aber 43% plädieren für die Nutzung webbasierter Datenverarbeitung, ebenso viele lehnen diese ab.
Studiendurchführung:
EPatient RSD GmbH, Berlin
Projektverantwortlicher: Dr. Alexander Schachinger, Geschäftsführer
Projektpartner:
Kai Sostmann, Arzt,
Kompetenzbereich eLearning Charité Virchow Klinikum
Projektwebseite: www.epatient-survey.de