Alle Maßnahmen beziehen sich allerdings auf den Finanzsektor selbst. Eine Verschärfung von Pflichten für Kreditinstitute gegenüber ihren Unternehmens- und Privat-Kunden sucht man vergebens.
Liest man die Begründung der EU-Kommission für die geplanten Maßnahmen wird deutlich, dass das kein Zufall ist. So heißt es in der Mitteilung, die EU-Kommission verfolge einen „Paradigmenwechsel“. Man wende sich von einer Deregulierung der Finanzmärkte ab und wolle damit die richtige Bewertung von Risiken fördern. Unternehmen der Nicht-Finanzbranche seinen zwar „Teil des Netzes aus gegenseitigen Abhängigkeiten, die durch Derivate geschaffen würden“, sie seien aber „nicht von systemischer Relevanz“. Außerdem hätten sie durch die Unterbewertung von Risiken im Vorfeld der Finanzkrise profitiert. Ebenso würden sie von Derivaten bei der Absicherung ihrer normalen Unternehmenstätigkeit profitieren. Die Kommission wolle die inhaltlichen Gestaltungen von Derivaten nicht reglementieren und damit kostspieliger machen. Vielmehr sei es lediglich Ziel, Fehlbewertungen von Risiken auszuschließen und so einer Haftung des Steuerzahlers vorzubeugen.
Aus Sicht von Rössner Rechtsanwälte beschreibt dies zwar Ursachen und Auswirkungen der Finanzkrise, wird aber der Rolle des Nicht-Finanzsektors im Derivatehandel gleichwohl nicht gerecht. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Tier 1 – bzw. Hybridanleihen, mit welchen sich insbesondere Kreditinstitute in den vergangenen Jahren Haftkapital beschafft hatten. Um billig Haftkapital zu erlangen, wurde hier das Ausfallrisiko, welches die emittierende Bank selbst darstellte, regelmäßig bei der Verzinsung nicht angemessen berücksichtigt. Ein anderes Beispiel für die gegenseitigen Abhängigkeiten sind die sog. CMS Spread-Ladder-Swaps, komplexe aus Swap- und Optionsstruktur zusammengesetzte Finanzinstrumente. Hier wurde nicht die normale Unternehmenstätigkeit abgesichert bzw. gefördert, sondern Zinsänderungsrisiken auf den Nicht-Finanzsektor verlagert.
Die Feststellung, dass der einzelne Kunde für die Finanzbranche nicht systemrelevant ist, ist demnach eine zu oberflächliche Analyse der mit Derivaten verbundenen gegenseitigen Abhängigkeiten. Systemrelevant war für die Finanzbranche in den vergangenen Jahren die Möglichkeit, bestimmte Risiken mittels Derivate auf eine Vielzahl von Kunden verlagern zu können. Umgekehrt war für einzelne Kunden existentiell relevant, ob sie Risiken aus Derivaten ausgesetzt waren. Wenn die EU-Kommission schon feststellt, dass es unter geeigneten Gegenparteien zur massiven Fehlbewertung von Risiken gekommen ist, erscheint es Rössner Rechtsanwälte inkonsequent, wenn die wertpapierhandelsrechtlichen Bestimmungen des Bankaufsichtsrechts weiterhin davon ausgehen, ein professioneller Kunde (also z. B. ein mittelständisches Unternehmen) könne die Risiken eines Finanzinstruments verstehen und auch finanziell tragen. Der von der EU-Kommission zurecht angekündigte Paradigmenwechsel sollte nicht bei Ursachen der aktuellen Finanzkrise halt machen. Vielmehr sollte der Derivatehandel insgesamt enger reguliert werden.
Beitrag von RA Jäger, Rössner Rechtsanwälte, München (www.roessner.de).
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