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Muss der Anlageberater die „Wirtschaftswoche“ lesen?

Der Bundesgerichtshof zu Auskunfts-, Informationspflichten und Plausibilitätsprüfung eines Anlageberaters bei negativer Presseberichterstattung über eine Kapitalanlage

(lifePR) (Düsseldorf/Berlin, )
Der Bundesgerichtshof zu Auskunfts-, Informationspflichten und Plausibilitätsprüfung eines Anlageberaters bei negativer Presseberichterstattung über eine Kapitalanlage:

Welche Presseerzeugnisse muss der Anlageberater kennen, bevor er einem Kunden eine bestimmte Kapitalanlage empfiehlt? Mit dieser Fragestellung setzte sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 05.03.2009, Az.: III ZR 302/07 auseinander und bestätigte das Urteil des XI. Senats vom 7.10. 2008, Az.: XI ZR 89/07, der bereits entschieden hatte, dass ein Anlageberater nicht jede negative Berichterstattung z.B. in sog. Brancheninformationsdiensten über von ihm vertriebene Kapitalanlagen kennen muss.
Die Parteien des Rechtsstreits führten eine Auseinandersetzung um die Zahlung von Schadensersatz wegen der Verletzung eines Anlageberatungsvertrags. Der Berater hatte der Klägerin und ihrem Ehemann anlässlich eines Beratungsgesprächs geraten, ihr Vermögen in einem geschlossenen Immobilienfonds anzulegen. Sie erwarben sodann Anteile des Fonds zu einem Wert von 100.000 DM. Die Klägerin macht nach dem Tod ihres Ehemannes Schadensersatz geltend, weil der Beklagte sie im Zusammenhang mit dem Erwerb des Fondsanteils, dessen wirklicher Wert nur einen Bruchteil betrage, fehlerhaft beraten habe. Das Ehepaar habe deutlich gemacht, dass die Kapitalanlage ihrer Altersvorsorge dienen solle und es ihnen deshalb auf die Sicherheit der Anlage ankomme.
Das Berufungsgericht hatte der Klägerin Schadensersatz u.a. mit der Begründung zugesprochen, der Berater sei seinen Pflichten nicht hinreichend nachgekommen, weil er die Eheleute nicht auf einen negativen Pressebericht in der "Wirtschaftswoche" bzgl. des Fonds aufmerksam gemacht habe. Der Anlageberater habe die Verpflichtung, aktuelle Veröffentlichungen in der "seriösen" Wirtschaftspresse auszuwerten. Zu diesen Presseorganen gehöre auch die Zeitschrift "Wirtschaftswoche".
Das Berufungsurteil hielt der Revision nicht stand. Der Bundesgerichtshof erachtete die Rüge des Beklagten hinsichtlich dieser Begründung des Berufungsgerichts als zutreffend. Es wies zunächst in Anlehnung an das Urteil des XI. Senats von Oktober 2008 darauf hin, dass bei einem Beratungsvertrag der Berater zu mehr als nur zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet sei und sich eine Beratung auf alle für die Anlageentscheidung wesentlichen Risiken beziehen müsse. Demnach ist der Anlageberater verpflichtet, die Risiken einer Anlage mit „kritischem Sachverstand zu prüfen oder den Anleger auf das Unterlassen der Prüfung deutlich hinzuweisen“. Eine Haftung des Beraters komme bei unterlassener Prüfung nur dann in Betracht, wenn die Haftungsrisiken erkennbar waren oder die Anlage erkennbar nicht anleger- oder objektgerecht ist.
Ein Anlageberater, der sich in Bezug auf eine bestimmte Anlageentscheidung als kompetent geriert, hat sich aktuelle Informationen über das Anlageobjekt zu verschaffen, das er empfehlen will. Dazu gehört auch die Auswertung von Veröffentlichungen in der „Wirtschaftspresse“. Dazu zählen nach Ansicht des BGH die Börsenzeitung, die Financial Times Deutschland, das Handelsblatt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sofern diese Zeitungen zeitnahe und gehäufte negative Berichte veröffentlichen, muss der Berater den Kunden hierüber informieren.
Zu den Informationspflichten des Anlageberaters über die von ihm empfohlene Anlage gehört es dagegen nicht, sämtliche Publikationsorgane vorzuhalten, in denen Artikel über die angebotene Anlage erscheinen können. Vielmehr kann der Anlageberater selbst entscheiden, welche Auswahl er trifft, solange er nur über ausreichende Informationsquellen verfügt.
Nach Auffassung des BGH hatte das Berufungsgericht nicht dargelegt, wieso es zu beurteilen vermochte, dass die "Wirtschaftswoche" im Sinne der Rechtsprechung zu den Zeitschriften gehöre, die von einem Anlageberater generell auszuwerten sei. Es könne vielmehr schon ausreichen, wenn der Berater die für die Anlage entscheidenden Umstände durch Übergabe eines Projektprospekts erfüllt, sofern er nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und er den Interessenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann .
Wenn also ein Anleger sich aufgrund des Prospekts bzw. mündlicher Erläuterung dessen Inhalts ein sachgerechtes Bild von der Anlage machen kann, kommt einer Presseberichterstattung, die sich (noch) nicht allgemein in der Wirtschaftspresse durchgesetzt hat, kein relevanter Informationswert zu, jedenfalls wenn darin keine zusätzliche Sachinformation enthalten ist, sondern lediglich eine negative Bewertung. Dies war jedoch bei dem Artikel in der "Wirtschaftswoche" der Fall, so dass eine Anlageberatung ohne den Hinweis auf diese Zeitschrift nicht als pflichtwidrig einzustufen war. Für bloße Vermittler, die geringere Informations- und Recherchepflichten haben, gilt das umso mehr. Die teilweise ungerechtfertigt hochgespielte Bedeutung auflagenstarker Brancheninformationsdienste dürfte mit dieser BGH-Entscheidung angemessen reduziert sein, sie sind keine Pflichtlektüre.
Bei dem Vertrieb von Kapitalanlagen durch Anlageberater und Banken dürfte also geklärt sein, dass diese sich bei der Einholung aktueller Informationen auf die seriöse Wirtschaftspresse beschränken können, ohne jeden negativen Pressebericht zu einem Kapitalanlageprodukt kennen zu müssen.
(BGH Urteil vom 05.03.2009, Az.: III ZR 302/07)

mitgeteilt von
Rechtsanwalt Jan Philipp Schulte,
Baumann & Wilschke Rechtsanwälte und Notare, Berlin
www.baumann-wilschke.de

Die Kanzlei Baumann & Wilschke ist Mitglied im Eurojuris Deutschland e.V.

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