Status-Quo in der Bauwirtschaft
Zur Eröffnung standen die aktuellen Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft im Fokus. Preissteigerungen bei Energie, Kraftstoffen oder Zement, steigende Kreditzinsen und Kürzungen bei der Wohnraumförderung trüben derzeit den Blick in die Zukunft.
Prof. Bernd Raffelhüschen von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nahm die Demografie und damit die Perspektiven der Immobilienwirtschaft unter die Lupe. Bis zum Jahr 2050 werden statt 84 nur noch 60 Millionen der heutigen Einwohner leben, rund 9 Millionen von ihnen werden älter als 80 Jahre sein. Dies hätte nicht nur auf das soziale Sicherungssystem, sondern grundsätzlich auch auf den Immobilienmarkt negative Auswirkungen. Allerdings, so die positive Botschaft, steigt auch in den kommenden Jahren die Zahl der Haushalte, der Bau- und Wohnungsbedarf nehme also keineswegs ab. Und eine stärkere Zuwanderung könne langfristig auch die Immobilienentwicklung positiv beeinflussen, erklärte der Finanzexperte.
Dr. Ludwig Möhring, Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), Hannover, sieht die aktuellen Rohstoffpreise als das „neue Normal“ und dämpft so die Erwartungen an Kostenentspannungen. Gleichzeitig würden so aber auch weitere Effizienzfortschritte vorangetrieben.
Ein Umdenken im Bauwesen forderte Prof. Manfred Curbach, Technische Universität Dresden. „Wir müssen anders und effizienter bauen: ressourcenschonender, leichter, schlanker und vor allem CO₂-neutral.“ Angesichts der verbleibenden Zeit bis 2045 müssten nicht eine, sondern Hunderte von disruptiven Lösungen umgesetzt werden. Dabei kritisierte er vor allem die Geschwindigkeit, mit der neue Entwicklungen bisher umgesetzt werden. Er plädierte für die Errichtung eines Bauforschungszentrums und bat um die Unterstützung der Bauindustrie. Außerdem bedürfe es schnellerer Zulassungsverfahren und eine Anpassung der Studien- und Ausbildungsinhalte im Baubereich, um den Herausforderungen des Klimawandels adäquat zu begegnen.
Dekarbonisierung der Zementindustrie
Als energie- und emissionsintensive Branche trägt die Zementindustrie eine besondere Verantwortung beim Klimaschutz. Mit innovativen Technologien will die Branche bis 2050 klimaneutralen Zement herstellen. Zahlreiche Beiträge auf den BetonTagen befassten sich daher mit klinkerarmen oder CO₂-reduzierten Zementen sowie zementsubstituierenden Sekundärstoffen. Eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette Zement und Beton spielt die CO₂-Abscheidung im Zementwerk und dessen anschließende Nutzung (Carbon Capture & Utilisation) bzw. Speicherung (Carbon Capture & Storage). Vorreiter in diesem Bereich ist Norwegen, das dieses Jahr auch Gastland auf den BetonTagen war und über seine Erfahrungen berichtete. Aktuell entsteht dort vor der Westküste der größte unterirdische Speicher für CO₂. Ziel ist es, die Machbarkeit der Kohlendioxid-Einlagerung im Meeresboden im großindustriellen Maßstab zu demonstrieren und ein internationales Transportnetz aufzubauen, um aufgefangenes CO₂ aus ganz Europa für 1.000 Jahre hier zu speichern. Außerdem wird in einem Zementwerk in Brevik die weltweit erste Anlage zur Full Scale-CO₂-Abscheidung und -Speicherung errichtet. 400.000 t CO₂ sollen hier jährlich abgeschieden werden.
Impulse für Herstellerwerke
Wichtige Anregungen für die Hersteller von Betonbauteilen boten die segmentspezifischen Podien, die mit den einschlägigen Fachorganisationen konzipiert wurden – vom konstruktiven Fertigteilbau über Betonwerkstein bis hin zu Betonpflastersteinen und -kanalsystemen. Im Podium „Vorfertigung“ wurden zum Beispiel verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Recycling-Beton im Fertigteilbau aufgezeigt. Ebenso wurden textilbewehrte Betonfertigteil-fassaden, die mit Photovoltaik-Kleinmodulen ausgestattet sind, vorgestellt. Außerdem können bereits heute tragende und nichttragende Innenwände für Mehrfamilienhäuser mit 100-prozentigem Natursteinersatz produziert werden. Eine Verbesserung der CO₂-Bilanz von
Betonfertigteilen ist zudem durch die Verwendung von Hochleistungsbetonen möglich, wie ein weiteres Beispiel demonstrierte. Sie führen zu reduzierten Bauteildicken, Einsparung von Baustoffmassen und Gewicht. Das wirkt sich positiv auf die CO₂-Emissionen bei der Herstellung und bei der Baustelleneinrichtung- und -logistik aus. Ressourcenschonung und Dekarbonisierung stehen auch bei der Konstruktion, Herstellung und Verarbeitung von Betonwerkstein immer mehr im Fokus. Das Podium „Betonwerkstein“ zeigte mit schlanken Bauteilen und CO₂-reduziertem Weißzement, wie dies in der Praxis umgesetzt wird.
Unter dem Titel „Lebensräume gestalten“ informierten sich die Hersteller von Erzeugnissen für den Straßen-, Garten- und Landschaftsbau über die Folgen des Klimawandels und die Wege zur klimaneutralen Betonsteinproduktion. Hierzu gehört beispielsweise auch der neu-entwickelte Vermeidungskostenrechner, der als Grundlage zur Ermittlung des CO₂-Fußabdruckes eines Unternehmens dient. Im Podium „Innovativer Leitungs- und Kanalbau“ wurden u. a. die neuen Verbands-EPDs für Rohre und Schächte aus Beton und Stahlbeton vorgestellt. Interessant war auch der Beitrag über ein innovatives Betonkanalsystem. Es ist zu 100 Prozent zementfrei und hat bis zu 70 Prozent geringere CO₂-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Produkten.
Die nachhaltige Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität stand auch beim Podium „Wirtschaft und Recht“ auf der Agenda. Ein Fertigteilhersteller berichtete über seine Erfahrungen bei der Ermittlung des ökologischen Fußabdruckes seiner Produkte. Der Bund Güteschutz Beton- und Stahlbetonfertigteile stellte das neue Nachweissystem „Sustainable Precast“ vor. Es wurde eigens für die Betonfertigteilindustrie entwickelt. Ab Herbst 2023 können sich Unternehmen aus der Branche danach zertifizieren lassen und ihren ökologischen Fußabdruck ermitteln. Im zweiten Programmteil gab es wertvolle Tipps zu arbeits- und baurechtlichen Fragestellungen, aber auch zur erfolgreichen Generierung von Social Media Leads.
Zahlreiche Impulse für den betrieblichen Alltag bot auch die begleitende Ausstellung. Sie war in diesem Jahr wieder ausgebucht. Unternehmen der Zuliefer-, Maschinen- und Software-industrie präsentierten ihre Dienstleistungen und Produkte. Einige von ihnen hatten zusätzlich die Möglichkeit, über ihre Neuentwicklungen im „Forum Innovation“ zu informieren.
Neue Chancen mit Carbonbeton
Carbonbeton findet immer mehr Einzug in die Betonfertigteilwerke und bietet ein großes Potential für das klimafreundliche Bauen. In Kooperation mit der Composites United e.V. –Netzwerk CU BAU bot der Veranstalter daher wieder ein spezielles Podium dazu an. Vorgestellt wurden u. a. neue nichtmetallische Bewehrungen, innovative Befestigungs-möglichkeiten von Fassaden aus Carbonbeton sowie ein Forschungsprojekt aus der Schweiz, das den Einsatz von Carbonbeton im Wohnungsbau forcieren möchte.
Um das Thema Carbonbeton kam das Podium „Beton in der Tragwerksplanung“ ebenfalls nicht herum. So wurde beispielsweise das erste Bemessungsprogramm für Stahlbetonbauteile mit einer Carbonbetonverstärkung präsentiert und die neue Richtlinie für nichtmetallische
Bewehrung vom deutschen Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) vorgestellt. Sie soll das Bauen mit Carbonbeton vereinheitlichen und erleichtert.
Schulterschluss mit den Marktpartnern
Seit 2020 findet der Zukunftstag Bauwirtschaft statt. Er wird gemeinsam mit dem Verband der Bauwirtschaft ausgerichtet. Ziel ist es, alle Beteiligten der Wertschöpfungskette Bau – von den Forschungsinstituten, Planungs- und Architekturbüros über die Betonfertigteilhersteller bis hin zu den ausführenden Bauunternehmen – mit ins Boot zu holen. Ulrich Nolting vom InformationsZentrum Beton bot zu Beginn des Tages einen Überblick über die Nachhaltig-keitsvorteile des Baustoffs Beton. Prof. Lucio Blandini, Vorstand der Werner Sobek AG und Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren an der Universität Stuttgart, zeigte anhand von realisierten Projekten im In- und Ausland, wie Konstruktionen leichter und ressourcenschonender hergestellt werden können. Thomas Zawalski, Geschäftsführer von solid UNIT Deutschland, Berlin, wies in seinem Beitrag auf das hohe Innovationspotenzial mineralischer Baustoffe hin. Sie bieten den größten Hebel, um dem Klimawandel entgegenzusteuern.
Was bereits an Ressourceneffizienz und Treibgaseinsparungen realisiert werden kann, demonstrierten diverse Objektberichte. Das FABRIK OFFICE beispielsweise, das derzeit in München nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip errichtet wird oder das EDGE East Side, Berlins höchstes Bürogebäude, bei dem CO₂-ärmere Betone zum Einsatz kamen. Ein aktuelles Forschungsprojekt befasst sich, ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft, mit der Wieder-verwendung von ganzen Betonfertigteilen. Auch die serielle und modulare Bauweise spricht für vorgefertigte Betonbauteile. Durch sie kann rasch dringend benötigter Wohnraum geschaffen und gleichzeitig nachhaltig gebaut werden. So können beispielsweise durch schlanke Fundamente, Mehrfachverwendung von Schalungen, den Einsatz von Carbonbewehrungen, optimierte Betonrezepturen sowie kurze Transportwege CO₂-Einsparungen bis zu 30 Prozent im Vergleich zur Ortbetonbauweise erreicht werden.
Stabwechsel beim Veranstalter
Eine Zeitenwende trat auch für das Team der BetonTage ein. Seit dem 1. Juni 2023 ist Michael Bartmann mit an Bord. Er wird als Referent für Veranstaltungsmanagement die Aufgaben von Rebecca Kliem übernehmen und u. a. die Ausstellung betreuen. Zudem geht die Ära von Prof. Hans-Joachim Walther, dem Leiter des technischen Fachprogramms, nach 21 Jahren „Ulm“ zu Ende. Dr. Ulrich Lotz, Geschäftsführer der FBF Betondienst GmbH, bedankte sich für sein jahrzehntelanges Engagement und stellte seinen Nachfolger vor.
Prof. Dominik Kueres, Hochschule für angewandte Wissenschaft, München, wird künftig für die fachliche Ausrichtung des Kongresses verantwortlich sein. An Themen wird es für die nächsten Jahren sicher nicht mangeln. Nicht nur die Betonfertigteilindustrie, die gesamte Baubranche befindet sich im Umbruch, und so dürfen wir gespannt auf das Programm der 68. BetonTage sein. Diese finden im nächsten Jahr vom 14. - 16. Mai 2024 statt.