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Hirnsimulation: Die Vision braucht mehr Zeit

Jülicher Forscher nehmen Hirnmodell ins Visier

(lifePR) (Jülich, )
Der Traum von einem künstlichen Gehirn könnte schon bald Wirklichkeit sein, wenn man dem Medienecho der letzten Zeit Glauben schenken will. In einem Übersichtsartikel des Fachmagazins „Brain Structure und Function“ haben zwei Neurowissenschaftler des Forschungszentrums Jülich zusammengefasst, welche Wissenslücken dazu aber noch gefüllt werden müssen. Ihr Fazit: Bis zu einer brauchbaren Hirnsimulation ist es noch ein weiter Weg.

Der große Traum der Neurowissenschaften ist eine Simulation des menschlichen Gehirns im Computer, wie es derzeit etwa das Schweizer ‚Blue Gene’ Projekt des ‚Brain and Mind Institutes’ in Lausanne versucht. Erst wenn Wissenschaftler das Gehirn nachbauen können, werden sie wirklich verstehen, wie es funktioniert – so die Hoffnung, die hinter der Vision steckt. Der Weg dorthin führt über kleinere Hirnmodelle wie das der Ratte mit seinen 100 Millionen Nervenzellen und eine Billion Signalübertragungsstellen, den Synapsen.

Ganz so schnell lässt sich das Großhirn des Nagers jedoch nicht simulieren, sind sich Joachim Lübke und Dirk Feldmeyer, Neurowissenschaftler am Forschungszentrums Jülich, einig. “Es gibt einfach noch zu viele offene Fragen”, sagen die beiden Leiter der Arbeitsgruppe Zelluläre Neurobiologie am Institut für Neurowissenschaften und Biophysik. Die Jülicher Forscher haben gerade im Fachmagazin „Brain Structure and Function“ in einem Übersichtsartikel den Kenntnisstand über den Aufbau und die Funktionen der kortikalen Kolumne, der kleinsten funktionellen Einheit der Großhirnrinde zusammengefasst.

Die kortikale Kolume steht auch im Mittelpunkt der Simulation des Gehirns. Das „Original“ besteht aus zehntausend und mehr Nervenzellen, die alle auf den gleichen Sinnesreiz reagieren.

Diese Hirnmodule, aus denen sich große Bereiche des Neokortex zusammensetzen, werden seit fünfzig Jahren untersucht. „Wir brauchen jedoch noch viel mehr Informationen über die kortikale Kolumne, um ein aussagekräftiges Hirnmodell erstellen zu können“, lautet das Fazit der beiden Jülicher Neurowissenschaftler.

Gegen den schnellen Erfolg der Simulation eines Rattengehirns sprechen derzeit noch viele Aspekte. Hauptkritikpunkt der beiden Jülicher Forscher: Es soll das Großhirn einer ausgewachsenen Ratte simuliert werden, tatsächlich sind viele Daten aber in Experimenten an jungen Rattengehirnen erhoben worden. Vorteil:
Sie lassen sich leichter untersuchen und die Präparate leben länger als die Rattengehirne ausgewachsener Tiere. Das Problem: „Die kortikale Kolumne verändert sich im Laufe der Zeit strukturell, funktionell und selbst in molekularen Komponenten“, sagt Joachim Lübke.

So ändert sich beispielsweise die Effizienz der synaptischen Übertragung zwischen Nervenzellen.

Das Signal, das an die nächste Nervenzelle weitergeleitet werden soll, wird schwächer. Je älter die Nervenzellen werden, desto weniger effizient werden sie. Gleichzeitig verändert sich die Dynamik der Synapse. „Solche altersabhängigen Veränderungen müssten eigentlich in ein Hirnmodell mit einbezogen werden“, sagt Dirk Feldmeyer. „Zudem werden die Nervenzellen nicht am lebenden Tier sondern in vitro untersucht“, sagt Feldmeyer. Viele Untersuchungen werden am frisch präparierten Hirnschnitt durchgeführt, weil die Neurowissenschaftler so leichter die synaptischen Zellübergänge erreichen. Ob solche in vitro-Messungen die tatsächliche Situation im lebenden Rattengehirn (in vivo) widerspiegeln, wird unter Neurowissenschaftlern derzeit noch kontrovers diskutiert. „Wie diese in vitro-Daten mit denen in vivo übereinstimmen, muss man erst noch herausfinden“, sagt Feldmeyer und beschreibt damit zugleich eines der Projekte, das die Jülicher Forscher derzeit angehen.

„Auch durchläuft das Gehirn viele verschiedene Zustände, die durch Neuromodulatoren auf- und abgeregelt werden“, sagt Feldmeyer. Ob man wach ist oder schläft, erregt, aufmerksam oder unkonzentriert, immer versetzen so genannte Neuromodulatoren wie beispielsweise die Botenstoffe Acetylcholin, Adrenalin, Dopamin und Histamin das Gehirn in einen anderen Grundzustand. Manche Forscher behandeln den Kortex jedoch wie ein unveränderliches System.

„Wir wissen selbst, dass Modelle die Wirklichkeit nicht zu hundert Prozent widerspiegeln können“, sagen die beiden Hirnforscher. Auch sie folgen dieser Vision mit ihrer Forschung. Aber ein Modell zu entwickeln, das brauche einfach Zeit.

„In einem Jahr – wie zuletzt in der Publikumspresse angekündigt – wird es sicher kein brauchbares Modell des Ratengroßhirns geben“, sind sich beide sicher.
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