Als am 7. April 1924 eine Gruppe von Gleichgesinnten aus unabhängigen Krankenanstalten und Reha-Einrichtungen im Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus in Berlin-Charlottenburg zusammenkam, um die Vereinigung der freien privaten gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen Deutschlands e.V. zu gründen, standen zunächst pragmatische Motive im Vordergrund, heißt es in Verbandszeitschrift „Der Paritätische“, 01/2024. Angesichts des verlorenen Ersten Weltkrieges, von Inflationserfahrungen und der allgemeinen Krisenhaftigkeit der Weimarer Republik galt es, die materielle Existenz der eigenen Mitgliedsorganisationen sicherzustellen.
Bereits 1920 unternahm man deshalb den ersten Schritt zur reichsweiten Organisation und gründete die Vereinigung der freien privaten gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschlands. Doch um die von der Reichsregierung angekündigten Zuschüsse für anerkannte Wohlfahrtsverbände erhalten zu können, musste die noch junge Vereinigung in allen Bereichen der Wohlfahrtspflege reichsweit aktiv sein. Mit dem Gründungsakt im Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus im April 1924 erweiterte sich perspektivisch das Wirkungsfeld neben der Gesundheitsfürsorge um die Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge. Damit waren die Bedingungen zum Erhalt von Zuschüssen erfüllt.
Von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Vereinigung, die sich nur wenige Monate nach der Gründung in „Fünfter Wohlfahrtsverband“ umbenannte, waren die Fusion mit der Humanitas – Verband für Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge e.V. und der Beitritt des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bayern als Organisation auf Landesebene. Der noch junge Verband konnte dadurch seine Aktivitäten in der Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge nachhaltig ausbauen. Der Beitrag „Der Paritätische im Spiegel der Zeit“ vom Januar 2024 findet sich bei www.der-paritaetische.de/magazin/ausgabe-01-2024-100-jahre-der-paritaetische/.
Das älteste Mitglied des Paritätischen
In der Verbandszeitschrift „Der Paritätische“ 01/2024 wird in dem Artikel „Alter ist nur eine Zahl“ das Advent-Wohlfahrtswerk „als unser ältestes Mitglied“ vorgestellt. Als sich der Paritätische Gesamtverband aus seiner Vorgängerorganisation 1924 gründete, war das Advent-Wohlfahrtswerk (AWW) schon über 20 Jahre aktiv, linderte Not und half den Ärmsten.
Die Vielfalt der Angebote sei historisch gewachsen, so Lothar Scheel, beim AWW für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Die Kernaufgabe wäre seit der Gründung vor 120 Jahren die Linderung von Not und Elend gewesen. Es habe mit der Speisung und Einkleidung für Obdachlose begonnen. Anschließend hätten die Adventisten Altenheime und Sanatorien gebaut und waren damit primär in der Gesundheitsversorgung tätig. In der Folge der Zunahme des Elends nach dem Ersten Weltkrieg stellte man sich zunehmend sozialer auf und arbeitete verstärkt in der Armenhilfe. Hospize und Kinderbetreuungseinrichtungen kamen erst in der jüngeren Verbandsgeschichte hinzu. Die breite Ausrichtung der Themen erkläre sich einerseits aus dem jeweiligen Bedarf, aber auch über individuelles Engagement. „Es gibt Initiatoren bei uns, die einfach machen! Ein Initiator fing dann an, Kindergärten zu gründen und deswegen betreiben wir heute Kindergärten“, berichtet Scheel.
Aber weshalb kam eine dezidiert christliche Einrichtung dann überhaupt zu einem nicht-konfessionellen Wohlfahrtsverband wie dem Paritätischen? Dahinter steckte laut Scheel auch eine Geschichte der Ablehnung. „Das Monopol der Wohlfahrt lag damals bei den großen christlichen Kirchen. Die wollten das Feld nicht gern mit anderen teilen. Die freien Vereine, die sich nach dem Ersten Weltkrieg gegründet haben, waren zunächst im luftleeren Raum ohne Abbildung.“ Einer der Vorgänger-Organisationen des Paritätischen, der „Verband der Frankfurter Krankenanstalten“ wurde auch als Lobby-Einrichtung gegründet, um eine Stimme gegen die Monopolisten zu haben. Dieser und die anderen Vorgänger hätten in der Folge alle eingesammelt, die nicht bereits an eine der beiden großen Kirchen gebunden waren. Und in den Augen der beiden großen kirchlichen Träger war das Advent-Wohlfahrtswerk eine Sekte und schlicht nicht willkommen, erläuterte Lothar Scheel. „Man hat uns sehr klar zu verstehen gegeben, dass wir dort nicht erwünscht waren.“
Erst 1928 gründete sich das AWW im schon stolzen Alter von 31 Jahren als eingetragener Verein und konnte damit am 10. Oktober 1928 den Antrag zur Aufnahme in den „Fünften Wohlfahrtsverband“, wie der Paritätische damals noch hieß, stellen. Der Antrag auf Mitgliedschaft der Adventisten wurde bereits im November und damit wenige Wochen später bewilligt.
„Für uns als bibelgläubige Christen kann unser Wohlfahrtswerk nur auf Paritätischer Grundlage beruhen“, erklärte Hulda Jost, die damalige Wohlfahrtsleiterin der Adventisten Ende der 1920er-Jahre. „Das heißt, wir betreuen ohne Unterschied der Konfession und ohne Unterschied der Partei; wir helfen als Mensch dem Menschen. Gerade in diesem Sinne wird die Wohlfahrtsarbeit zu einer versöhnenden Tätigkeit. Sie schlägt Brücken von Herz zu Herz, beseitigt das Trennende und dient so dem Vaterland während der Zeit unserer Zerrissenheit und der inneren Trennung am besten.“ Scheel erklärte die damalige Motivation auch so, dass man eben nicht nur als Christen unter sich bleiben, sondern auch weiter in die Gesellschaft hineinwirken wollte. Der Artikel „Alter ist nur eine Zahl“ ist unter www.der-paritaetische.de/magazin/ausgabe-01-2024-100-jahre-der-paritaetische/alter-ist-nur-eine-zahl/ zu finden.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband
Der Paritätische ist ein Wohlfahrtsverband von bundesweit 10.806 eigenständigen Organisationen, Einrichtungen und Gruppierungen der Wohlfahrtspflege, die soziale Arbeit für andere oder als Selbsthilfe leisten. Getragen von der Idee der Parität, das heißt der Gleichheit aller in ihrem Ansehen und ihren Möglichkeiten, getragen von Prinzipien der Toleranz, Offenheit und Vielfalt, will der Paritätische Mittler sein zwischen Generationen und zwischen Weltanschauungen, zwischen Ansätzen und Methoden sozialer Arbeit, auch zwischen seinen Mitgliedsorganisationen. Weitere Informationen unter www.der-paritaetische.de/verband/.
Das Advent-Wohlfahrtswerk
Das Advent-Wohlfahrtswerk e. V. (AWW) wurde als Sozialwerk der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten 1897 in Hamburg gegründet. Es ist in Deutschland Träger von Kindertagesstätten, einer Heilpädagogischen Tagesstätte, einer Einrichtung für Suchtberatung und Suchtbehandlung sowie einem Übernachtungshaus für wohnungslose Frauen. Darüber hinaus ist das Advent-Wohlfahrtswerk e.V. Hauptgesellschafter etlicher gemeinnütziger Gesellschaften, zu denen Seniorenheime, Hospize, eine Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung und eine Schule gehören. Zudem trägt das AWW zahlreiche ehrenamtlich geführte Projekte der Flüchtlings- und Integrationshilfe. Auch Selbsthilfegruppen für abhängigkeitskranke Menschen befinden sich in Trägerschaft des adventistischen Sozialwerks. Informationen: www.aww.info.