Dankbarkeit
Im Gottesdienst betonte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: „Wir wollen nicht vergessen, was wir einander angetan haben. Aber wir wollen Gott auch dafür danken, was wir aneinander haben.“ Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz, erwiderte: „Wir danken Gott für die theologischen und die ethischen Impulse der Reformation, die wir als katholische Kirche teilen können.“
Wozu Kirche?
In ihrer gemeinsamen Dialogpredigt sagte Kardinal Marx: „Ich finde es großartig, dass die evangelische Kirche uns als katholische Christen eingeladen hat, damit wir uns gemeinsam in diesem Jahr auf den Weg machen und sagen: Wozu sind wir überhaupt Kirche in diesem Land?“ Er antwortete darauf: „Wir sind Kirche, um das Kreuz Christi zu verkünden, in dem unser Heil ist. Wir haben einen Auftrag, diese frohe Botschaft allen Menschen kundzutun. Töricht wären wir, wenn wir das gegeneinander tun würden oder in Konkurrenz.“
Landesbischof Bedford-Strohm betonte: „Wir als Evangelische freuen uns von Herzen darüber, dass Ihr als unsere katholischen Schwestern und Brüder dieses Jahr mit uns zusammen begeht, mit uns gedenkt, mit uns feiert – und den feiert, um den allein es Martin Luther selbst gegangen ist, nämlich Christus. Deswegen feiern wir das Reformationsjahr als großes Christus-Fest.“ Das bedeute: „Wir wollen Zeugen Jesu Christi sein in dieser Welt, in der viele Menschen vom Evangelium nichts mehr wissen. Wir wollen aus der Liebe Gottes leben und wir wollen die Liebe Gottes weitergeben an alle Menschen. Deswegen setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass Flüchtlinge menschenwürdig behandelt werden, dass Menschen Wege aus der Armut finden, dass wir die Natur als Schöpfung Gottes verstehen und sorgsam mit ihr umgehen. Deswegen setzen wir uns auch gemeinsam ein für die Überwindung von Gewalt, für Wege der Versöhnung zwischen Menschen, damit Leid, Tod und Gewalt endlich ein Ende haben. Wir wollen diesen Weg gemeinsam gehen.“
Bundespräsident Gauck: Den Blick nach vorne richten
Nach dem Gottesdienst betonte Bundespräsident Joachim Gauck in einem Grußwort: Versöhnung gebe es „nur mit dem Blick nach vorne, ohne das Vergangene zu vergessen, aber auch ohne das Vergangene übermächtig bestimmend sein zu lassen“. Gauck erinnerte an die Kriege, die aus der Feindschaft der Konfessionen erwachsen seien und das Land verwüstet hätten. In alten Zeiten habe es viel üble Nachrede, böse Vorurteile und viele Gemeinheiten zwischen den beiden Kirchen gegeben. Die Feindschaft der christlichen Konfessionen habe in der Geschichte „die Seelen verwüstet“. „Wer die Geschichte der getrennten Kirchen in den letzten 500 Jahren einigermaßen im Kopf hat, kommt nicht umhin, im heutigen Ereignis zumindest ein Zusammenspiel menschlicher Anstrengung, menschlichen guten Willens auf der einen und gnädiger Hilfe andererseits zu entdecken“, so Gauck. Als Staatsoberhaupt freue er sich deshalb, dass jetzt Versöhnung, Verständigung und Frieden zwischen den Konfessionen wüchsen. „Als evangelischer Christ“ sei er allerdings der Meinung, dass das „eigentliche ökumenische Wagnis echter Gemeinsamkeit“ den Kirchen noch bevorstehe. Doch dieses Wagnis müsse eingegangen werden.
Schuld der Vergangenheit darf die Beziehungen nicht weiter vergiften
Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, informierte: „Im Jahre 2017 erinnern wir nicht nur an 500 Jahre Beginn der Reformation, sondern auch an 50 Jahre intensiven Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken, in dem wir entdecken durften, wie viel uns gemeinsam ist.“ Die Reformation habe nicht, wie von den Reformatoren beabsichtigt, zur Erneuerung der ganzen Kirche geführt, sondern zu ihrer Spaltung. Im 16. und 17. Jahrhundert hätten grausame Konfessionskriege stattgefunden, in denen sich Christen bis aufs Blut bekämpften. Deshalb hätten katholische und evangelische Christen allen Grund, „Klage zu erheben und Buße zu tun für die Missverständnisse, Böswilligkeiten und Verletzungen, die sie einander in den vergangenen 500 Jahren angetan haben“. Doch Koch erinnerte an ein Wort von Papst Franziskus: „Wir können Geschehenes nicht auslöschen, aber wir wollen nicht zulassen, dass die Last vergangener Schuld weiter unsere Beziehungen vergiftet. Die Barmherzigkeit Gottes wird unsere Beziehungen erneuern.“
Christen bezeugen die Wahrheit von Gottes Gnade und Liebe
Pfarrer Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), sagte in seinem Grußwort: „Die Einheit der Kirche soll die Wahrheit von Gottes Gnade und Liebe bezeugen. Die Welt soll wissen, dass Gott diese Erde und alles, was lebt, liebt – so sehr, dass er seinen Sohn gesandt hat.“ Christen und Kirchen in Deutschland hätten diese Wahrheit der Liebe Gottes bezeugt, als sie mit dem „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ die Gemeinschaft der Kirchen im ÖRK nach dem Zweiten Weltkrieg suchten. Christen und Kirchen in Deutschland hätten die Wahrheit von der einen, von Gott geschaffenen Menschheit auch bezeugt, als sie die Versöhnung Europas und den Fall der Mauer ermöglichten. Christen und Kirchen in Deutschland hätten diese Wahrheit der Liebe erneut bezeugt, als sie die historische und notwendige Öffnung Deutschlands für Flüchtlinge in unserer Zeit unterstützten. Auch jetzt in Hildesheim würden Christen und Kirchen in Deutschland diese Wahrheit der Gnade und Liebe Gottes bezeugen, „wenn sie die Versöhnung untereinander und die Zusammenarbeit im gemeinsamen Dienst für die Welt suchen“.
Heilung der Erinnerungen
Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Bischof Karl-Heinz Wiesemann (Speyer), wies darauf hin: Christen wüssten aus langer Erfahrung, welches Leid Vorurteile, gegenseitige Verächtlichmachung und Ausgrenzung hervorbringe. „Als ACK in Deutschland denken wir gerade auch an das, was manche der kleineren Kirchen und Gemeinschaften bis hin zur Verfolgung erlitten haben und gerade erleben, wie etwa die orthodoxen orientalischen Christen. Gemeinsam bemühen wir uns um die Heilung der Erinnerungen. Und wir sind solidarisch mit den vielen, die auch heute noch um ihres Glaubens willen Angst, Not und Verfolgung erleiden müssen.“ Nur versöhnt miteinander seien Christen glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen für Jesus Christus.
Michaeliskirche Hildesheim
Die Michaeliskirche in Hildesheim, ein Bau aus dem 11. Jahrhundert, wurde für den ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienst auch deshalb ausgewählt, weil das Gotteshaus sowohl von evangelischen wie auch katholischen Christen genutzt wird.