Ein Menschenrecht, das weltweit gelten muss
„Die Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, das für alle Menschen überall in der Welt gelten muss“, betont der EAK-Bundesvorsitzende Dr. Christoph Münchow. Er erinnert dabei an das Land Baden, dass vor 70 Jahren als erstes deutsches Land ein solches Grundrecht in seine Verfassung aufgenommen hatte. „Es wäre zu wünschen, dass das, was vor 70 Jahren im südbadischen Freiburg beschlossen wurde, vielen Ländern in der ganzen Welt als Beispiel dient“, so Münchow.
Unter den Eindrücken des Zweiten Weltkriegs
Südbaden war damals das erste Land unter den neu von den Besatzungsmächten gebildeten Ländern in Deutschland, die in ihrer Verfassung ein solches Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aufnahmen. „Das geschah damals wohl noch unter den Eindrücken der Schrecken des Zweiten Weltkrieges“, so Stefan Maaß, Friedensbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden. Initiator war der Jurist Dr. Wilhelm Hoch aus Schopfheim, der 1947 für die Badische Christlich-Soziale Volkspartei (BCSV), einem Vorläufer der CDU, der „Beratenden Versammlung Badens“ angehörte, die eine neue Verfassung ausarbeitete. Hoch, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Friedensbewegung engagierte, stellte am 1. April 1947 im Verfassungs- und Rechtspflegeausschuss den Antrag, eine entsprechende Bestimmung in die neue badische Verfassung einzuführen, wonach kein Badener zur Ableistung eines Militärdienstes gezwungen werden könne. Der Ausschuss stimmte diesem Antrag einstimmig zu, obwohl sich Vertreter der BCSV, aber auch der Demokratischen Partei skeptisch dazu äußerten. Die Vertreter der Sozialdemokraten und der Kommunisten begrüßten den Antrag Wilhelm Hochs von Beginn an.
Hin und Her beim Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung
Wenige Tage später brachte die BCSV, die in der Beratenden Versammlung über eine absolute Mehrheit verfügte, allerdings einen Änderungsantrag ein, wonach dieses Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern des Landes gelte. Der zuständige Ausschuss lehnte dies zwar ab, doch das Plenum folgte am 14. April 1947 mit einer knappen Mehrheit einem BCSV-Antrag, diesen Artikel zu streichen. Doch damit wollten sich einige Abgeordnete nicht abfinden. Sie sorgten dafür, dass bereits am 21. April 1947 in einer erneuten Beratung des Verfassungs- und Rechtspflegeausschusses mit „erheblicher Mehrheit“, wie es im Protokoll heißt, der gerade erst gestrichene Artikel wieder hergestellt wurde. In einer namentlichen Abstimmung stimmte dann schließlich auch das Plenum der Beratenden Versammlung mit großer Mehrheit für die Aufnahme eines Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung in die neue badische Verfassung, die am 18. Mai in einer Volksabstimmung angenommen wurde und am 22. Mai 1947 in Kraft trat.
Auf Südbaden folgte Berlin
Dem Badener Beispiel folgte fast ein Jahr später auch Berlin. Hier stellte der SPD-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Licht im März 1948 im Verfassungsausschuss der Stadtverordnetenversammlung von (Groß-)Berlin die Frage zur Diskussion, ob in Berlin nicht auch wie in Baden ein Artikel zur Kriegsdienstverweigerung aufgenommen werden sollte. Zunächst unter Hinweis auf die kommende deutsche Verfassung noch abgelehnt, stimmte die Stadtverordnetenversammlung am 22. April 1948 einem Antrag der SPD-Verordneten Hilde Lucht-Perske und der Liberalen Ella Barowsky zu, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Verfassung aufzunehmen. Aufgrund der politischen Entwicklung in Berlin in jenen Jahren trat die neue Verfassung erst im September 1950, dann für West-Berlin, in Kraft.
Kriegsächtung in Württemberg-Baden
Bereits am 30. November 1946 hatte Württemberg-Baden als erstes deutsches Land einen Kriegsächtungsartikel in die Verfassung aufgenommen, maßgeblich initiiert durch den SPD-Politiker Carlo Schmid. Seit September 1947 engagierten sich hier aber auch das Stuttgarter Jugendparlament und verschiedene Friedensgruppen dafür, dass, ähnlich wie in Südbaden, auch in Württemberg-Baden ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Verfassung aufgenommen werden sollte. Doch die Mehrheit im Landtag konnte sich dazu nicht durchringen. Allerdings erließ am 22. April 1948 das Landesparlament ein Gesetz, das in seinem einzigen Artikel bestimmte: „Niemand darf zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“
Straffreiheit für Kriegsdienstverweigerer in Bayern
Zur gleichen Zeit wie Württemberg-Baden beriet auch der Bayerische Landtag über ein „Gesetz über die Straffreiheit bei Kriegsdienstverweigerung“, das in München im Herbst 1947 von der bayerischen SPD eingebracht wurde. Der Verfassungsausschuss des Landtags unterstützte diesen Antrag, doch im Plenum gab es, vor allem aus den Reihen der CSU und der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV), erhebliche Vorbehalte gegen dieses Gesetz. Erst als dem eigentlichen Gesetzestext eine Präambel vorangestellt wurde, in der sich Bayern zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung bekannte und auf die Möglichkeit der Notwehr, die das Völkerrecht Staaten einräume, verwies, stimmte der Landtag einstimmig diesem Gesetz zu. Es trat am 21. November 1947 in Kraft und war damit das erste Gesetz in Deutschland, das eine Kriegsdienstverweigerung regelte.
Auch Hessen für Frieden und gegen Krieg
Im März 1948 beantragte die SPD im hessischen Landtag, auch in der hessischen Landesverfassung ein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung zu verankern. Hier verwies die SPD auf die schon bestehenden Bestimmungen der Verfassung, wonach sich Hessen zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung bekenne, den Krieg ächte und jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen werde, einen Krieg vorzubereiten, verfassungswidrig sei. Doch dieser Antrag sollte vom Landtag nicht mehr beschlossen werden, da nach der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 mit dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung von der Mehrheit der hessischen Landtagsabgeordneten hierzu keine Notwendigkeit mehr gesehen wurde.
Nur die Berliner Regelung hatte Bestand
Von den beiden Grundrechtsregelungen in den deutschen Länderverfassungen hatte am Ende nur die Berliner Regelung Bestand. Der „Freistaat Baden“, in dem erstmals in einer deutschen Verfassung ein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aufgenommen worden war, ging 1952 im neuen Bundesland Baden-Württemberg auf, womit die badische Verfassung von 1947 ihre Gültigkeit verlor. In der neuen baden-württembergischen Landesverfassung fand ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung keinen Eingang mehr, wobei die Verfassung allerdings die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte, und damit auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, als Bestandteil der Landesverfassung und als unmittelbar geltendes Recht anerkannte.
Ein Soldat muss auch Nein sagen können
„Es ist nicht zuletzt Baden zu verdanken, dass in Deutschland ein solches Grundrecht in der Verfassung verankert wurde“, ist Stefan Maaß überzeugt. Der EAK-Bundesvorsitzende Christoph Münchow betont: „Es muss möglich sein, dass Soldatinnen und Soldaten auch heute jederzeit einen Einsatz aus Gewissensgründen verweigern können. Ein Soldat muss auch Nein sagen können. Dies gilt in Deutschland, das muss auch in anderen Ländern gelten.“
Die EAK
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) ist innerhalb der „Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD“ der Dachverband für jene, die in den evangelischen Landeskirchen und Freikirchen für Fragen der Kriegsdienstverweigerung und Friedensarbeit zuständig sind.