„Das Maß der Unterstützung für eine junge rechtspopulistische Partei ist ein Weckruf für alle, denen das friedliche und solidarische Miteinander in einem weltoffenen Deutschland am Herzen liegt“, betonte der EKD-Ratsvorsitzende. Rechtspopulistische Bewegungen spalteten die Gesellschaft und grenzten Menschen aus, in Deutschland und auch in anderen Ländern. Wie sich die Kirchen dazu verhalten sollten, sei eine kontroverse Frage. Manche riefen nach einem entschiedenen politischen Eintreten der Kirchen. Andere warnten davor, dass die Kirchen keine Parteipolitik betreiben sollten.
Politische Forderungen müssen auch funktionieren
Bedford-Strohm plädierte dafür, den Populismus nicht an den drei Buchstaben der Alternative für Deutschland (AfD) festzumachen. Nicht jeder, der diese Partei wählt sei ein Populist. Da gebe es die Protestwähler, welche unzufrieden über die Nichtlösung der Probleme unserer Zeit wären. Mit ihnen gelte es ins Gespräch zu kommen, um zu erfahren, welche Probleme sie bewegten. Auch konservative Menschen, die früher die CDU/CSU gewählt hätten, sollten ernstgenommen werden. Sie enttäusche, dass ihre Partei „in die Mitte gerückt“ sei, sodass sie sich bei ihr nicht mehr beheimatet fühlten. Ihre Fragen sollten vorurteilsfrei gehört und aufgegriffen werden. Doch es gebe auch die Rechtsextremen, welche die AfD nutzten, um altes, rechtsextremes Gedankengut wieder salonfähig zu machen. Sie provozierten, beschuldigten und hätten scheinbar einfache Lösungen. Doch dort, wo Intoleranz zum Programm gemacht werde, höre die Toleranz auf. Von Politikern müsse erwartet werden, dass ihre Vorschläge auch funktionierten. Deshalb müssten die Auswirkungen politischer Forderungen aufgrund von konkreten Zahlen und Fakten hinterfragt werden.
Der Sinn des Kreuzes
Laut dem Landesbischof schüre der Populismus Angst, das Christentum beruhe dagegen auf Zuversicht und auf klaren ethischen Prinzipien. Wenn der Hinweis auf die „christlich-abendländische Tradition“ zu einem Kampfbegriff werde, sollten die Kirchen sich nicht die Deutungshoheit des Begriffs „christlich“ nehmen lassen. Es gehe dabei nicht nur um ein Kreuz, sondern auch um die Frage: Was bedeutet das Kreuz Christi? Es bringe nicht nur den Tod des Erlösers der Menschheit zum Ausdruck, sondern stehe auch für die Auferstehung Jesu und damit für Hoffnung. Es zeige Gottes Liebe, die global sei. Sie gelte jedem Menschen gleichermaßen, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität und Religion. „Diesen Weg der radikalen Liebe als Christ ebenfalls zu gehen, ist der Sinn, wenn wir ein Kreuz sehen“, so Heinrich Bedford-Strohm. Christen setzten sich für eine Ethik ein, die nicht national, sondern global ausgerichtet sei. Kooperation und Freundschaft wären viele effektiver als Abgrenzung. Die Beziehung zu Gott und zum Mitmenschen werde gestört, „wenn es nur um mich selbst geht“. Christen müssten daher durch ihr Verhalten Zeichen setzen gegen Nationalismus, Misstrauen und Angst.
Weltoffen und standhaft
Ähnlich äußerte sich auch Erzbischöfin Antje Jackelén. „Polarisierung, Populismus, Protektionismus und ‚post-truth‘ haben zurzeit spürbaren Einfluss in unseren Ländern. Wir müssen uns diesen vier ‚P‘ entgegenstellen. Das heißt aber auch, dass wir uns dem Schmerz unserer eigenen Wunden stellen müssen, und dass wir uns dem Schmerz der Wunden der anderen stellen müssen.“
Polarisierung sei laut Jackelén eine Folge der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Menschen, die über viel Wohlstand, Bildung, Gesundheit und Macht verfügten oder eben nicht. Das Gefühl, zu den Benachteiligten zu gehören, verstärke den Hang zum Protektionismus, der sich oft als Nationalismus zu erkennen gebe. Die alte Weisheit „Lügen haben kurze Beine“ gelte scheinbar nicht mehr. Dass Lügen plötzlich „lange Beine“ hätten und der ertappte Lügner statt Scham zu zeigen, mit Schamlosigkeit stolziere, sei im Grunde ein Angriff auf das gesamte menschliche Beziehungsgeflecht. Denn ohne grundlegendes Wahrheitsgefühl könne eine Demokratie auf die Dauer nicht funktionieren.
In Schweden sei die Kirche ebenfalls von Polarisation und „fake news“ betroffen. Sie stehe daher in der Gefahr, nicht zu fragen, was sollen wir zu einem Problem sagen, sondern zu überlegen, welche negativen Reaktionen bringt es hervor, sodass es besser ist, nichts zu sagen. Doch die Kirche dürfe in solch einer Situation nicht dazu gebracht werden, „nur auf sich selbst aufzupassen“. Es sei wichtig, die Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit mutig und konsequent zu durchdenken. Die Demokratie brauche Demokraten. Doch diese „fallen nicht einfach vom Himmel, sondern wachsen durch Bildungsprozesse heran“. Wenn Demokratie überleben solle, müsse sie ständig mit Werten gefüttert werden. Dabei gelte es klug mit den Quellen kultureller Werte umzugehen. Die öffentliche Stimme der Kirche sollte im Einklang mit dem Evangelium und der Liebe Gottes zur Welt stehen. Es gelte „weltoffen und standhaft“ zu sein.