- Das VG Schleswig-Holstein folgt dem Europäischen Gerichtshof (C 873/19) und erklärt temperaturgesteuerte Abschalteinrichtungen für unzulässig. Das „Motorschutz“-Argument der Autoindustrie entpuppt sich als Scheinargument. Die Freigabe des Software-Updates für den VW-Skandalmotor EA189 durch das Kraftfahrtbundesamt war rechtswidrig und wurde vom Verwaltungsgericht in Schleswig aufgehoben.
- Dieses Urteil geht weit über den Einzelfall hinaus und betrifft circa 10 Millionen Fahrzeuge und Modelle unterschiedlicher Hersteller wie Porsche, BMW, AUDI, Mercedes, Opel sowie Dieselmodelle ausländischer Hersteller. Diesen Fahrzeugen droht der Rückruf in die Werkstätten oder die Stilllegung.
- Millionen betroffene Fahrzeughalter haben wegen dieser drohenden Unannehmlichkeiten nun gute Chancen auf eine Entschädigung über mehrere tausend Euro gegenüber dem Hersteller.
Schon in wenigen Wochen folgt der nächste juristische Akt in der Dieselcausa. Am 21. März 2023 wird der Europäische Gerichtshof in einem anderen Verfahren gegen die Mercedes-Benz Group (C-100/21) darüber entscheiden, ob dem Erwerber eines Fahrzeugs mit einer solchen Abschalteinrichtung einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller zusteht. Nach der vorläufigen Ansicht des Gerichts, des Generalanwalts Rantos, ist von einer Entscheidung im Sinne der betroffenen Dieselfahrer auszugehen. Beide Entscheidungen zusammen haben enorme Auswirkungen auf die Automobilindustrie und die geschädigten Kunden.
Temperaturabhängige Abschalteinrichtungen sind illegal
„Es ist ein echtes Grundsatzurteil im jahrelangen Dieselskandal. Das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein hat eindeutig klargestellt, dass die Rechtmäßigkeit von VW-Fahrzeugen des Motortyps EA189, auch mit Verwendung das Software-Updates von 2016, nicht gegeben ist. Sie sind demnach illegal auf deutschen Straßen unterwegs. Die temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen, die hier im Fokus standen, sind in zahlreichen Modellen und Motoren auch anderer Hersteller verbaut. Sie sind bei Außentemperaturen zwischen Helsinki und Sevilla de facto illegal, da keine Extremtemperaturen mit zu erwartender Motorschädigung herrschen.“, schätzt Rechtsanwältin und EA189-Expertin, Romy van de Loo, die Situation ein.
Übertragbarkeit des Urteils auf weitere Modelle und Hersteller
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Schleswig am 20.02.2023 ging es konkret um ein Modell der Volkswagen AG. Laut Deutscher Umwelthilfe sind bereits Klagen zu 118 weiteren Modellen anhängig. Das Urteil betrifft in Summe bis zu 10 Millionen Fahrzeuge mit deutscher Zulassung und hebt den Dieselskandal auf ein nie da gewesenes Niveau.
Romy van de Loo, Rechtsanwältin bei Gansel Rechtsanwälte, beschreibt die Dimension so: „Führt man sich vor Augen, dass in Deutschland 2022 48,5 Millionen[1] Fahrzeuge zugelassen sind, sprechen wir hier von über 20% der zugelassenen Fahrzeuge, denen nun ein Rückruf oder sogar eine Stilllegung droht. Das ist immens und betrifft am Ende immer auch Menschen, die sich betrogen fühlen und den Schaden haben. Diesen gilt es nun, zu ihrem Recht – einer Entschädigung – zu verhelfen.“
Chance auf Entschädigung für Fahrzeughalter steigt
„Die Karten werden neu gemischt! Nach der sich abzeichnenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes muss dem Käufer eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung eine Kompensationszahlung gegenüber dem Hersteller zustehen und zwar ganz egal, ob dieser vorsätzlich oder nur fahrlässig gehandelt hat“ bekräftigt Rechtsanwältin Anna K. Wieder von Gansel Rechtsanwälte.
Weitere Informationen unter https://www.gansel-rechtsanwaelte.de/.
[1] Angabe des Umweltbundesamtes unter https://www.umweltbundesamt.de/...