Beim Strandbesuch während seines Urlaubs in 'Kalifornien' bei Schönberg fand ein sechsjähriger Junge aus Baden-Württemberg am 31. Juli 2012 einen unbekannten "Stein" von der Größe eines Ziegels, den er mit in den Garten der Ferienwohnung nahm. Der Vater des Jungen berichtete dem NABU, dass sich anschließend Hände, T-Shirt, Jacke und Hose orange verfärbten und sich die Farbe nicht entfernen ließ. Es folgte langes Rätselraten und Befragen von Rettungsschwimmern, Kurverwaltung und Polizei. Erst das Ordnungsamt kam der Substanz schließlich auf die Spur und verständigte den Kampfmittelräumdienst. Dieser bestätigte, dass es sich um Schießwolle handelt, ein Gemisch u. a. aus TNT und Hexanitrodiphenylamin. Die beiden Substanzen sind schon bei Berührung mit bloßer Haut extrem giftig. Leberschäden und Veränderung von Blutkörperchen sind möglich. Die Explosivstoffe gelten darüber hinaus als krebserregend, reproduktionstoxisch und erbgutschädigend. Eine erste Blutuntersuchung des Jungen an der Uniklinik in Kiel lässt jedoch hoffen, dass der Kontakt für ihn glimpflich verlaufen ist.
Naturschutzverbände warnen
Wiederholt hatten NABU, GSM und GRD davor gewarnt, dass aufgrund der küstennahen Lage einiger Versenkungsgebiete hochbrisante und extrem giftige Munitionsteile an die Stränden gespült werden. Eine Detonation des gefährlichen Fundstücks in der Schönberger Ferienhaussiedlung hätte sicher drastische Auswirkungen gehabt.
Auf zwei Symposien der Verbände im Jahr 2007 und 2010 wurden Methoden zur umweltfreundlicheren Beseitigung vorgestellt. "Der aktuelle Fall sollte Anlass genug geben, das Abwiegeln zu beenden und endlich zu handeln", fordert Ingo Ludwichowski vom NABU Schleswig-Holstein. Laut Bund-Länder Arbeitsgruppe "Munition im Meer" soll "... eine Gefährdung strandnaher Küstenbereiche ... aufgrund der Strömungsverhältnisse in Nord- und Ostsee unwahrscheinlich" sein. "Der Vorfall macht amtlicherseits aber eine komplette Neueinschätzung notwendig", ergänzt Ludwichowski.
Keine Warnung durch die Behörden
Der Fund belegt eine akute Gefährdungslage. Ungeklärt ist, warum das Innenministerium in Kiel nicht die Bevölkerung über den Vorfall informierte. In diesem Zusammenhang noch offene Fragen: Gibt es eine Gefährdungsbeurteilung und zu welchem Schluss kommt diese? Wurden Strandsperrungen erwogen? Werden zudem Erkenntnisse aus der gezielten Munitionssuche im März vor Heidkate unterdrückt? Praktiziert das Land deshalb jetzt eine Abkehr von der transparenten Informationspolitik zu Munitionsaltlasten im Meer?
Angesichts von rd. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller, oftmals korrodierender Munition, die allein in deutschen Küstengewässern vermutet werden, wird ein Kontakt mit den hochgiftigen Sprengstoffen in Zukunft immer wahrscheinlicher. Zuletzt wurden im März 2012 sechs Minen vor Heidkate / Ostsee gesprengt, im April eine Mine vor Ahrenshoop / Ostsee und im Juli zwei Minen bei Borkum / Nordsee. Dort sind zudem aktuell drei weitere Sprengungen geplant. Bei Sprengungen wird der Sprengstoff jedoch nicht vollständig zerstört. Giftige Substanzen und Sprengstoffpartikel werden im Meer weit verteilt.
Verstärkte Aufmerksamkeit, aber kein Urlaubsverzicht
Nach Auffassung der Verbände besteht jedoch kein Anlass dazu, generell auf einen Urlaub an der Küste zu verzichten. Mit Altmunition ist auch an Land zu rechnen. Urlauber sollten jedoch ausdrücklich durch die Behörden auf die besonderen Risiken hingewiesen werden. Dazu sind auch die Mitarbeiter im Tourismus entsprechend zu sensibilisieren und zu schulen, bekannte Belastungsbereiche sind zu erkunden und zu bewerten. In den gefährdeten Gebieten sind entsprechende Bergungsarbeiten vorzunehmen. NABU, GRD und GSM fordern speziell die Entwicklung und Anschaffung von Bergungsrobotern zur Hebung alter Munition, da sich deren Zustand weiter verschlechtert. Diese wären auf Jahrzehnte hinaus beschäftigt, wie auch jüngste Munitionsfunde bei Vorbereitungsmaßnahmen zur Kabelverlegung für Offshore-Windparks gezeigt haben.