Doch die Möglichkeiten sind begrenzt. „Mutter-Kind-Kuren sind für uns beide nicht geeignet, eine Reha-Maßnahme bekommen wir nicht, weil es bei Nora nichts zu rehabilitieren gibt.“ Kinderhospize bieten Vollzeitpflege an, damit Eltern einmal ausspannen können. „Aber sie dorthin zu geben, damit habe ich mich schwer getan“, gesteht Katrin Palme. „Ich möchte für kurze Zeit gern Pflegeverantwortung abgeben, aber meine Kleine doch in meiner Nähe haben.“ Das klappt bei einem Angebot der „Gesundheitsinsel Rügen“: Urlaubs- und Verhinderungspflege für Familien mit behinderten Kindern. „Tolle Sache“, schwärmt die junge Mutter. „Ich war schon das dritte Mal auf Rügen, erst im Mai hatten wir eine Woche richtigen Urlaub.“ Während Nora im Sana-Krankenhaus Bergen professionell umsorgt wurde, erkundete Katrin Palme die Insel.
Sie wohnte in einem Privatquartier in der Nähe der Klinik. „Zwei Mal am Tag habe ich Nora besucht.“ Ansonsten habe sie Strandspaziergänge unternommen, Königsstuhl und Kap Arkona entdeckt. „Ich hatte Zeit, konnte den Gedanken freien Lauf lassen und vor allem einige Nächte mal wieder richtig durchschlafen.“ Genau das sei Anliegen des Projektes, berichtet Ralph Schibbe vom Verein „Gesundheitsinsel Rügen“. „Wir wollen Eltern einen Tapetenwechsel ermöglichen und ihnen die Sorge um ihre schwerstbehinderten Kinder für kurze Zeit abnehmen.“ Die Patienten könnten rund um die Uhr im Krankenhaus Bergen fachmännisch betreut werden, aber auch ambulant von Pflegediensten in Urlaubsunterkünften. „Wir haben bisher fünf barrierefreie Pensionen im Boot“, berichtet Schibbe, Angehörige könnten aber auch auf dem Klinik-Campus übernachten. Die Urlaubs-Organisation übernehme der Verein, so Schibbe. Die Klinikärzte konsultierten im Vorfeld die Hausärzte.
Pflegedienste werden vermittelt. „Wir können auch Pflegebetten für einen Obolus von 6,50 Euro pro Tag zur Verfügung stellen, Medizintechnik und Medikamente organisieren“, informiert der Projektmanager. In den ersten sechs Monaten des Jahres hätten acht Familien das Angebot in Pensionen angenommen, in vier Fällen hätten Urlauber wie Katrin Palme ihre betroffenen Angehörigen den Sana-Ärzten und Schwestern anvertraut. Die Nachfrage steigt, stellt Schibbe fest. „Wir wollen diese Familien auf unserer Ferieninsel und wir wollen ihnen erholsame Tage ermöglichen, die sie fit machen, für den schweren Pflegejob danach.“ Es gäbe im Tourismusland MV inzwischen viele Urlaubsangebote für Menschen mit Handicap, sagt Peter Braun, Landesvorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes. „Aber noch nicht genug.“ Er denke nicht nur an Schwerstbehinderte und Rollstuhlfahrer, sondern auch an Blinde, Hörgeschädigte, chronisch Kranke oder „eben ältere Menschen, die auf Gehhilfen angewiesen sind“.
Acht bis zehn Prozent der Bevölkerung sind anerkannt behindert, ein Handicap hätten rund 30 Prozent. „Das ist ein Riesenpotenzial“, so Braun. Die Zahl der barrierefreien Quartiere steige zwar, doch die Infrastruktur in Urlaubsorten lasse noch zu wünschen übrig. Es mangele an behindertengerechten Toiletten – „oft sind sie abgeschlossen“, beklagt der Landesverbandschef. „Wo gibt es einen Rollstuhlwanderweg?“ Radwege könnten genutzt werden. „Aber die Abschnitte bitte mit einem Schild, also wenig Aufwand, ausweisen“, fordert Braun.
Das Gleiche gelte für Steckdosen zum Aufladen von Elektro-Rollstühlen. Spaßbäder seien häufig nicht behindertengerecht. Auch bei touristischen Angeboten mit Booten oder Kutschen sollte „mehr an Menschen mit Handicap gedacht werden“, bemerkt Braun. Der Verbandsvorsitzende ist überzeugt: „Wir können Marktführer in diesem Tourismus-Bereich werden.“ Es gäbe viele Aktivitäten, wie das Projekt der Gesundheitsinsel Rügen oder auch eine Initiative in Rostock, bei der Denkmäler von Blinden ertastet werden können. „Wir müssen die Angebote vernetzen“, sagt Braun.
Der Tourismusverband MV kann keine Übersicht behindertenfreundlicher Urlaubsquartiere bieten. Der Verein „Ohne Barrieren“ ist indes dabei, eine landesweite Auflistung zu erstellen. „Wenn Urlauber sich wohl fühlen, kommen sie wieder“, ist Braun überzeugt. Eine Familie aus dem westfälischen Bönen, wollte nie wieder kommen, nachdem eine Vermieterin auf Usedom das Ehepaar mit ihrem schwerstbehinderten Sohn aus dem Ferienhaus jagte (OZ berichtete). Mit großer Empörung haben Menschen in ganz MV auf diesen skandalösen Vorfall reagiert. Hoteliers und Unternehmer luden die Löfflers spontan zum Ostsee-Urlaub ein. Und nun kommen sie wieder, nehmen das Angebot der Usedom Tourismus GmbH zu einem Ostsee-Segeltörn auf dem ersten barrierefreien Großsegler Deutschlands an. „Usedom gehört zu den Regionen im Land, die in der Betreuung behinderter Urlauber am weitesten sind“, meint Peter Braun. Umso bedauerlicher sei dieser schlimme Einzelfall, der dem Image der Ferieninsel sehr geschadet habe. Behindertenverband und Usedom Tourismus GmbH wollen nun zusammenarbeiten und zeigen, „dass Mecklenburg-Vorpommern und insbesondere Usedom für Behinderte eine ideale Urlaubsregion sind“. Ein Projekt, dass allerorts im Land Mitstreiter gebrauchen kann. Damit künftig viele Gäste wie Katrin Palme und ihre kleine Nora sagen: „Wir kommen wieder!“