Die konkreten Vorschläge lauten: "Die beste Prävention gegen Jugendgewalt ist Bildung, individuelle Förderung und die Eingliederung der Eltern", weil "Eltern begreifen müssen, dass die Söhne nicht alles tun und lassen dürfen, was sie wollen." Gewalt ist "kein ethnisches, sondern ein Bildungsproblem". ... "Deshalb muss ein ganzheitliches Bildungskonzept zentraler Baustein der Integrationspolitik sein: frühe Sprachförderung ab dem vierten Lebensjahr, damit schon bei Schulbeginn gleiche Startchancen erreicht werden. Mehr Ganztagsangebote, bessere Durchlässigkeit der Schulzeiten, mehr Lehrer und Sozialpädagogen an Hauptschulen, damit kein Kind ohne einen Abschluss die Schule verlässt. Ein besserer Übergang von der Schule in die Ausbildung, damit jedes Kind eine solide Grundlage für seinen weiteren Berufsweg bekommt. Auch an den Hochschulen muss sich die Bevölkerungsstruktur widerspiegeln."
Gibt es auch nur irgend eine vernünftige Stimme in Deutschland, die diesen Vorschlägen ernsthaft widerspräche? Kaum, denn sie sind eine logische und richtige Umsetzung der PISA-Ergebnisse. Es ist nun einmal der aktuelle Erkenntnisstand der Bildungs- und Migrationsforschung, dass Sprachkompetenzen für ausländische Jugendliche das A und O des schulischen und damit beruflichen Erfolgs sind.
Obwohl in Deutschland sehr viel öffentliches Geld ausgegeben wird, um ausländische Kinder besser in das deutsche Schulsystem zu integrieren, ist das Ziel der Chancengleichheit für Jugendliche mit Migrationshintergrund bis anhin bei weitem verfehlt worden. Das ist aus zwei Gründen eine Fehlentwicklung, die zu korrigieren wäre.
Erstens sind die ausländischen Kinder vielfach hoch motiviert. Sie scheitern jedoch oft nicht intellektueller, sondern sprachlicher Defizite wegen. Es ist unbestritten, dass bei ausländischen Kindern die Förderung des Deutschen als Zweitsprache um so erfolgreicher ist, je früher mit der Sprachförderung begonnen wird. Somit kommt Kindergärten und Vorschulen eine wichtige Rolle zu, die "Sprachlosigkeit" nicht-deutschsprachiger Kinder frühzeitig zu beheben. "Mehrsprachigkeit sollte ein bewusster Bestandteil des Kindergartenalltags werden. Hierzu ist eine entsprechende Ausbildung der Erzieherinnen notwendig. Aufgebaut werden kann dabei auf bereits vorhandenen Kompetenzen von Erzieherinnen mit Migrationshintergrund, die in größerer Zahl eingestellt werden sollten", so hat es der Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration in seinem Jahresgutachten 2004 zu Recht gefordert. Würden Jugendliche mit Migrationshintergrund besser integriert, wäre "automatisch" das in Deutschland verfügbare Humankapital größer. Dieser Zugewinn ist gerade mit Blick auf die demographische Alterung unverzichtbar. Oder anders formuliert: es ist in jeder Beziehung eine kostengünstigere und damit effizientere Strategie, die bereits in Deutschland lebenden Ausländer(innen) der zweiten und dritten Generation besser in die deutsche Gesellschaft und Arbeitswelt zu integrieren, als Probleme der demographischen Alterung durch Zuwanderung "neuer" Ausländer(innen) beheben zu wollen.
Zweitens wirkt sich eine bessere Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund später positiv für die öffentlichen Haushalte aus. Besser integrierte Ausländer(innen) werden eher eine Beschäftigung finden. Somit werden sie Steuern und Abgaben entrichten. Schlechter integrierte Ausländer(innen) werden die Staatshaushalte in mehrfacher Form belasten. Dazu gehört dann unter anderem eben auch die von Roland Koch zurecht in die Diskussion gebrachte zu hohe Kriminalitätsrate ausländischer Jugendlicher.
Einfacher ausgedrückt: es ist kostengünstiger, in jungen Jahren Jugendliche mit Migrationshintergrund gezielt zu fördern, anstatt in späteren Jahren die Folgen einer misslungenen Integration korrigieren und finanzieren zu müssen.
Wer ausländische Jugendliche besser integrieren will, muss deren Bildungschancen verbessern. Erfolgreiche Integrationspolitik ist das Ergebnis einer erfolgreichen Bildungspolitik. Dazu gehört erstens, dass eine leistungsorientierte Vorschulbildung für alle verbindlich werden sollte. Davon profitieren gerade Kinder mit einem Migrationshintergrund in besonderem Maße. Denn so erhalten sie früher mehr und bessere Gelegenheiten, die deutsche Sprache zu erlernen. Zweitens ermöglichen es flächendeckende Ganztagsschulen mit individueller Förderung am Nachmittag, gezielt jene Defizite zu überwinden, die bei Kindern mit Migrationshintergrund ausgeprägt sind. Drittens gibt es grundsätzlich nichts Altmodischeres, als Kinder sitzen zu lassen. Für ausländische Kinder ist das Sitzenbleiben ein ganz spezielles Problem.
Oft haben sie aus sprachlichen Gründen im einen oder anderen sprachlastigen Fach enorme Schwierigkeiten. Bei "Formel" geprägten Inhalten, wie Mathematik oder in den naturwissenschaftlichen Fächern, könnten sie jedoch problemlos mithalten. Viertens sollten Schulen die Möglichkeit erhalten, mit ausländischen Jugendlichen und deren Eltern verbindliche Ziel-Leistungsvereinbarungen einzugehen. Welche schulischen Ziele sollen mit welchen Zwischenschritten wann erreicht werden? Was leistet die Schule, was die Eltern, was die Kinder?
Das alles wird das Problem der hohen Kriminalität jugendlicher Ausländer nicht zum Verschwinden bringen. Viel mehr und vieles andere ist zu tun. Aber es sollte wenigstens helfen, das Verhalten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund so stark jenem deutscher Jugendlichen anzunähern, dass künftig kein materieller Anlass mehr zu einem undifferenzierten Wahlkampf besteht.
Prof. Dr. Thomas Straubhaar
Direktor des HWWI Prof. Dr. Thomas Straubhaar ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Universität Hamburg. 1998 wurde er Direktor des Instituts für Integrationsforschung des Europa-Kolleg Hamburg. Seit 2005 ist er Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI).
Seine Forschungsschwerpunkte sind: Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Ordnungspolitik, Bildungs- und Bevölkerungsökonomie.