Eingeladen hatten der Freundeskreis der Universität in Koblenz und der Förderkreis Wirtschaft und Wissenschaft in der Hochschulregion Koblenz zu einem gemeinsamen Vortragsabend über eine hochaktuelle Thematik, die sowohl nach einer interdisziplinären akademischen als auch nach einer persönlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung verlange. Dr. h. c. mult. Karl-Jürgen Wilbert als Vorsitzender der beiden Initiativkreise zeigte diesen Horizont auf, der auch die vier Hochschulen in und um Koblenz an diesem Abend zusammenführte.
„Otium cum dignitate – Muße mit Würde – beschrieb bereits Cicero den Wunsch des Menschen, seinen Lebensabend in geistiger Frische und körperlicher Gesundheit zur Reflexion über die eigenen Erfahrungen zu nutzen.“ Mit Bezug auf den aktuellen Prüfbericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und die darin aufgezeigten Missstände in der ambulanten und stationären Pflege sieht Wilbert Medizin, Pflege und Seelsorge, aber auch jedes einzelne Glied der Gesellschaft zur Auseinandersetzung mit den Aspekten der Palliativ-Medizin gefordert. – Der Begriff beschreibt Therapieformen in Fällen, in denen die Beschwerden einer Krankheit und Schmerzen gelindert, ihre Ursachen aber nicht bekämpft werden können.
Als Gastgeber im Großen Rathaussaal der Stadt Koblenz erinnerte deren Oberbürgermeister Dr. Eberhard Schulte-Wissermann an vielfältige Initiativen für eine „gesunde Stadt und einen profilierten Bildungsstandort“. In der „Stadt zum Bleiben“ erfolge Gesundheitsvorsorge und -beratung flächendeckend auf hohem Niveau und spiegele sich auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Diese erfahre derzeit in der Gründung einer Pflegewissenschaftlichen Fakultät an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Pallottiner in Vallendar (PTHV) eine Bereicherung. Professor Dr. phil. Frank Weidner, Pflegewissenschaftler und Gründungsbeauftragter für die neue Fakultät, erinnerte an die enge Verbindung der Sorge um das körperliche und seelische Wohl des Menschen im christlichen Selbstverständnis: „Die ersten Hospize in den mittelalterlichen Städten entstanden unmittelbar neben den Kirchen.“ Der gelernte Krankenpfleger machte deutlich, dass man „heute Pflege auch in der akademischen Auseinandersetzung lernen muss“. Der interdisziplinären Auseinandersetzung müsse aber die intensive mit der eigenen Disziplin vorausgehen.
Wissen – Können – Wertschätzung Dr. med. Martin Fuchs, Präsident der Interdisziplinären Gesellschaft für Palliativmedizin Rheinland-Pfalz und Vorstandsvorsitzender der Bezirksärztekammer Koblenz, umriss in seinen Ausführungen die etwa 40-jährige Geschichte der Palliativmedizin, die seit Ende der 1980er Jahre wichtige Impulse aus der Hospizbewegung gewonnen habe. Heute arbeiteten vielfach hauptamtliche Palliativmediziner mit Ehrenamtlichen in Hospizen zusammen und begründeten so eine „palliative Betreuung“ – ein Begriff, der den ganzheitlichen, über die medizinische Dimension hinausgehenden Ansatz ausdrücke. In Deutschland sind 260 Palliativstationen sowie 800 Hospizvereine und -betreuungseinrichtungen registriert.
Zu unterscheiden sind nach Dr. Fuchs „zwei Menschengruppen in der palliativen Betreuung“. Bei Tumor- und medizinisch nicht therapierbaren Patienten müsse die Medizin zugestehen, dass sie keine Antwort geben könne und dürfe „sich deshalb nicht hinter den Apparaten verstecken“. Dabei gehe es um die Kernfrage: „Kann ich diesen Menschen am Leben halten oder kann ich ihn im Leben halten?“ Durch eine weitgehende Verbannung des Todes aus dem Leben greife heute eine umfassende Hilflosigkeit angesichts der Sterbeerfahrung um sich. Auch der Arzt müsse in einer persönlichen Auseinandersetzung dazu finden, sein Unvermögen anzunehmen und mit seinen eigenen Ängsten umzugehen. Anders beim alten Menschen, bei dem ein lange währender Prozess des Sterbens zu begleiten sei. „Einerseits verstärken sich Funktionsstörungen – bei dem einen kontinuierlich, bei dem anderen schubartig. Dazu in Konkurrenz tritt andererseits eine immer weniger kontrollierbare Emotionalität, der sowohl der Patient als auch der Betreuende ausgeliefert ist und auf die dieser lernen muss, sich einzulassen.“ Mit den Mitteln heutiger Medizin müsse kein Mensch mehr über längere Zeit an Schmerzen leiden.
Drei grundlegende Dimensionen in der Auseinandersetzung mit der palliativen Betreuung umriss Dr. Fuchs im Spannungsfeld von Wissen, Können und Wertschätzung. Zum eigenen Wissen und der Anerkennung des Nicht-Wissens gehöre die intensive Diskussion, der Erfahrungsaustausch. „Wir brauchen Vermittler, die uns zu den eigenen Kompetenzen führen. Vergleichbar gilt dies für unser Können: Meine eigene Position als Grundlage für Entscheidungen muss ich mir auf der Basis von Recht und Gesetz erst erarbeiten.“ Dies gelte insbesondere für den Umgang mit Patientenverfügungen, deren Inhalt er grundsätzlich als verbindlich bejaht, die er aber dennoch im Dialog mit Ärzten, Pflegern und den bevollmächtigten Angehörigen „sich erarbeiten muss, um die Individualität der Entscheidung ermessen zu können“. Eine Normierung in einer rein juristischen Betrachtung könne dagegen dem Menschen nicht gerecht werden.
Dr. Fuchs appellierte eindringlich, das „qualifizierte Ehrenamt“, das aus der Hospizbewegung erwachsen sei, anzuerkennen und ernst zu nehmen. Damit schlug er die Brücke zur Dimension der Wertschätzung, die wiederum „dem Zeitgeist, dem Wertehorizont einer Gesellschaft unterworfen ist“. Eine Absage erteilte er dem reduzierten Kosten-Nutzen-Denken. „Es ist menschenunwürdig, in der Pflege und Betreuung notwendige Tätigkeiten auf messbare Arbeitszeiten zu reduzieren. Mit diesem Instrument kann ich der jeweiligen Gefühlslage des Patienten und damit seinem ureigenen Wesen nicht gerecht werden. Hier treten gnadenlose Standards einem lebendigen Miteinander entgegen.“ Provozierend stellte er dem Auditorium die Frage: „Wie möchtest Du, dass man mit Dir in einigen Jahren umgeht?!“
Der Präsident der Universität Koblenz-Landau, Professor Dr. Roman Heiligenthal, moderierte die abschließende Diskussion. Sie machte deutlich, dass sich an diesem Abend keiner der mehr als 100 Zuhörer dem persönlichen Nachdenken über das eigene Leben und Sterben, über Gesundheit und Krankheit entziehen konnte.
Die Vortragsreihe des Freundeskreises findet ihre Fortsetzung am 24. Oktober um 18 Uhr im Rathaus der Stadt Koblenz zum Thema „Sophie von La Roche und ihre literaturhistorische Bedeutung“. Ihr 200. Todestag ist Anlass, die Biografie und die bedeutenden Werke Sophie la Roches (1730-1807) zu würdigen.