Veränderungen von Lernkulturen und Schulstrukturen müssen sich nach Ansicht des baden-württembergischen Handwerks aber ergänzen. Hierin fand es sich im Rahmen des Kongresses "Schule neu denken - Zum Lernen verführen" in Stuttgart von zahlreichen Experten bestätigt: Nachhaltiges und angstfreies Lernen und die Herausforderung an die Lehrkräfte, jeden Schüler bestmöglich individuell zu fördern, verlangen, dass Schüler länger gemeinsam lernen.
Deutlich mehr Mut forderte Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle. Nur wenn das Thema Schule tabufrei angegangen werde, könne es gelingen, wieder auf den bildungspolitischen Gipfel zu kommen. Er sagte, das Handwerk mische sich so vehement in die bildungspolitische Debatte ein, weil es der Wirtschaftsbereich sei, der so unmittelbar mit den Folgen vergebener Bildungschancen konfrontiert sei, wie kein anderer. "Wir sind diejenigen, die die Suppe auslöffeln müssen". Vor 300 Teilnehmern führte er aus, dass die Qualitäten der Schulabgänger, die sich beim Handwerk bewerben, zunehmend besorgniserregend seien. Deshalb habe das Handwerk ein "vitales Interesse, dass wir uns rüsten und mutig agieren, statt nur in Deckung zu gehen". Erste Schritte in die richtige Richtung seien schon gemacht. Möhrle nannte in diesem Zusammenhang die von der Landesregierung beschlossenen Kooperationen und Fusionen zwischen Haupt- und Realschulen, jedenfalls dann, wenn ein wirklich integrativer Ansatz verfolgt würde. Auch die Einführung der "pädagogischen Assistenten" begrüßte er. Dennoch gehen dem Handwerk die Reformen nicht weit genug. "Um der gänzlichen Erosion der Hauptschule entgegen zu kommen, wollen wir neue Schulformen. Vor allem eine Schulform, in der sich die Kinder länger ganzheitlich entwickeln können und gleichberechtigt zu ihren kognitiven Fächern ihre kreativen handwerklichen Interessen und Fähigkeiten entdecken dürfen", sagte Möhrle.
Im Resümee plädierte Claus Munkwitz, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, dafür, dass man den Schulen und den Akteuren vor Ort auch Spielraum in der Frage zu lassen habe, wie lange die Kinder gemeinsam an der Schule lernen. Man solle mutiger mehr Verantwortung an die Basis delegieren, jedenfalls dort, wo Lehrer und Eltern eine andere Schule wollen, wie beispielsweise beim Projekt "Neue Sekundarschule" Tübingen und im Raum Ravensburg.
Soweit will Kultusminister Rau mit der Autonomie der Schulen vor Ort allerdings nicht gehen. Für qualitätsfördernde Maßnahmen sollen die Schulen alle Freiheiten haben. Für den Rahmen, wie die Frage der Schulstruktur, werde das Land allerdings die Steuerungsaufgabe nicht abgeben. An der "Hauptschule als eigenständige Schulart" wolle das Land auf jeden Fall festhalten.