Lohnfindung ist zunächst Vertragssache und alleinige Aufgabe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. So steht es im Grundgesetz. Die Handwerksorganisationen, allen voran der Zentralverband des Deutschen Handwerks, sehen diesen Grundsatz inzwischen gefährdet. "Wir halten daran fest, dass Verhandlungen Vorrang vor staatlichen Festsetzungen zukommt", betonte Möhrle, "in dieser Frage sind zunächst die Tarifvertragsparteien gefordert."
Es sind nicht allein grundsätzliche Vorbehalte gegenüber staatlichen Eingriffen, die die Handwerker gegen einen allgemeinen Mindestlohn anführen. Sie fürchten, dass eine Standardlösung vor allem Nachteile für Betriebe und Mitarbeiter bringt. Möhrle plädiert deshalb für differenzierte Regelungen, wie sie bereits für zahlreiche Branchen getroffen worden sind. So sieht beispielsweise der Entgelttarifvertrag für das Elektrohandwerk einen unteren Stundenlohn von 6,89 Euro im Osten und 9,70 Euro im Westen vor.
Kein Allheilmittel
Im Friseurhandwerk gibt es für Baden-Württemberg und Sachsen auf das jeweilige Land begrenzte Tarifverträge: So beträgt zum Beispiel im Freistaat der Mindestlohn für einen Gesellen weniger als vier Euro. Ein Betrag, so Möhrle, zu dem ein Salon im Ländle wohl keinen Mitarbeiter mehr fände, während sein sächsischer Kollege die ungefähr doppelt so hohe Mindestvergütung unserer Region nicht stemmen könnte. Für Möhrle steht deshalb fest, dass ein einheitlicher Tarif, trotz aller guten Absichten, keinen gangbaren Weg darstellt. "Wir brauchen Lösungen, die regionale Besonderheiten und die Wettbewerbsbedingungen im Blick behalten."
Aber auch ein noch so differenzierter Mindestlohn sei kein Allheilmittel. Dies zeige sich auch am Beispiel der Solo-Selbstständigen, wie sie beispielsweise im Fliesenlegergewerbe vermehrt auftreten, sich mit Dumpingpreisen auf Kundensuche machen und sich jedem für Arbeitnehmer geltenden Lohngefüge entziehen können. Diesem Problem sei mit Lohnuntergrenzen nicht beizukommen, sagte Möhrle. Er forderte die Politik auf, speziell hier wirksame Lösungen zu entwickeln.
Handwerk begrüßt Gemeinschaftsschule
Deutlich mehr Zustimmung finden die Pläne der grün-roten Landesregierung zur Gemeinschaftsschule. Schließlich werden mit einer längeren gemeinsamen Lernzeit und einer starken beruflichen Orientierung zwei langjährige Forderungen des Handwerks aufgegriffen. Möhrle drängt zur raschen, auch lokal-regional schlüssigen Umsetzung des Konzepts. "Ich hoffe, dass tatsächlich eine leistungsstarke und sozial gerechte Schule entsteht, die Schülerinnen und Schüler nach ihren individuellen Voraussetzungen fördert und alle Wege - ob duale Ausbildung, weiterführende Bildungsgänge oder Studium - öffnet." Insbesondere erwarte das Handwerk, so der Kammerpräsident, ausbildungsreife Jugendliche und eine bessere und gezieltere Unterstützung bei der Berufswahl. "Was wir bislang zu hören bekamen, werte ich als positives Signal", sagte Möhrle.
Umso schärfer fiel die Kritik an der Kultusministerkonferenz aus. Die hatte sich jüngst auf einen sogenannten Qualifikationsrahmen verständigt und dabei die duale Ausbildung schlechter eingestuft als die schulische Qualifikation, wie etwa das Abitur. Eine Wertung, die bei Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaften, selbst bei der Bundesregierung und der Wirtschaftsministerkonferenz der Länder gleichermaßen auf Unverständnis stößt. "Wie sollen wir denn noch um Abiturienten werben können, wenn eine anschließende Lehre quasi als Rückschritt gesehen wird", gab Möhrle zu bedenken. Sollte es beim aktuellen Stand bleiben, drohe der dualen Berufsausbildung ein massiver Attraktivitätsverlust.