„Die Betriebe beurteilen ihre Geschäftslage besser als vor einem Jahr, und zwar über alle Branchen hinweg. Vor allem die Unternehmen, die von den Corona-Einschränkungen betroffen waren, sind zuletzt wieder besser in Tritt gekommen. Der Ukraine-Krieg und die bereits eingetretenen Folgen bei den Energiepreisen und den Lieferketten stellen eine Zäsur dar. Die Hoffnungen auf eine kräftige konjunkturelle Erholung in diesem Jahr sind praktisch überholt“, kommentiert Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage der Handwerkskammer Reutlingen.
56,4 Prozent der Betriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb bewerteten ihre wirtschaftliche Lage im ersten Quartal mit der Note „gut“ (Vorjahresquartal: 43,6 Prozent). Gleichzeitig sank der Anteil derjenigen, die sich unzufrieden äußerten von 26,5 Prozent auf nunmehr 15,5 Prozent. Dennoch werden die Chancen, dass sich dieser Aufwärtstrend in den nächsten Wochen fortsetzt, zurückhaltend eingeschätzt. 32,1 Prozent der Befragten rechnen mit besseren Geschäften, rund zehn Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr. Der Konjunkturindikator der Handwerkskammer Reutlingen, der Lagebeurteilungen und Erwartungen zusammenfasst, steigt auf +29,7 Punkte (1. Quartal 2021: +24,9 Punkte).
Gedämpfte Erwartungen
Trotz des allgemeinen Erholungskurses im ersten Quartal fällt die Aufwärtsentwicklung je nach Branche unterschiedlich aus. Während die Mehrheit der Betriebe des Ausbauhandwerks (72 Prozent) und des Bauhauptgewerbes (68 Prozent) mit ihren Geschäften rundum zufrieden waren, sind es im Dienstleistungsbereich, also bei den Friseuren, Kosmetikern und Maßschneidern, gerade mal 32 Prozent. Allerdings lag dieser Anteil vor zwölf Monaten noch bei 10 Prozent. Bessere Geschäfte meldeten auch die Gewerblichen Zulieferer, das Kfz-Gewerbe und die Gesundheitsbetriebe.
Die Auftragslage hat sich ebenfalls verbessert. 30,5 Prozent der Betriebe meldeten im ersten Quartal mehr Bestellungen, Rückgänge verzeichneten 24,3 Prozent und damit deutlich weniger als vor zwölf Monaten (1. Quartal 2021: 36,7 Prozent). Der durchschnittliche Auftragsbestand legte im Jahresvergleich um zweieinhalb Wochen auf nunmehr 12,9 Wochen zu. Allerdings dürfte dieser Zuwachs nicht allein auf eine gestiegene Nachfrage zurückzuführen sein, betont Eisert. „Die Omikron-Welle hat auch Handwerksbetriebe nicht verschont und vor allem in kleineren Betrieben zu Personalengpässen geführt. In der Folge konnten Aufträge nicht wie geplant abgearbeitet werden.“ Mit coronabedingten Lohnfortzahlungskosten in besonderer Weise belastet seien auch Handwerksbetriebe mit mehr als 30 Beschäftigten. Sie könnten nicht mehr am U1-Umlageverfahren zur teilweisen Erstattung dieser Aufwendungen teilnehmen. Die Politik sei daher aufgerufen, sich über einen „Coronaausfallzuschuss“ für kleine und mittlere Unternehmen Gedanken zu machen, der diese Belastung wenigstens in Teilen ausgleiche.
Material zu Tagespreisen
Alle Gewerke meldeten steigende Preise für Material und Vorprodukte. Rund 94 Prozent aller Befragten mussten zuletzt mit höheren Aufwendungen planen. Die Situation hat sich im Vergleich zum Vorjahr nochmals verschärft, so Eisert. Täglich meldeten sich ratsuchende Betriebe bei der Handwerkskammer. „Lieferanten garantieren Preise nur noch für kurze Zeiträume. Ein Metallbauer berichtete von einem Anbieter, der bestimmte Stahlarten nur noch zu tagesaktuellen Preisen abgibt. Damit wird die Kalkulation für ein Bauvorhaben, das erst in einigen Monaten umgesetzt werden soll, zum Vabanquespiel. Das wirtschaftliche Risiko für die Betriebe hat zugenommen.“
Abhilfe könnten Preisgleitklauseln bei öffentlichen Aufträgen schaffen, wie sie bei Vergaben des Bundes mittlerweile möglich sind. „Leider haben das Land und die Kommunen noch nicht nachgezogen, um angesichts unvorhersehbarer Preissprünge eine fairere Verteilung der Risiken zu gewährleisten“, kritisiert Eisert. Er wiederholte daher seine Bitte vor allem am die kommunalen Auftraggeber, auch insoweit Mittelstandsförderung zu praktizieren. Andernfalls drohe die nachlassende Bereitschaft der Handwerksbetriebe, noch an öffentlichen oder beschränkten Ausschreibungen teilzunehmen.
Verbraucher müssen sich auf höhere Preise einstellen. Jeweils 75 Prozent der Bau- und Ausbaubetriebe sowie der Zulieferer planen diesen Schritt. Im Nahrungsmittelgewerbe, im dem die Ausgaben für Wärme und Kühlung einen wichtigen Kostenfaktor darstellen, sind es sogar knapp 90 Prozent. Anders sieht es in der Dienstleistungsbranche aus. Zwar verzeichnen 87 Prozent der Betriebe höhere Ausgaben, die Verkaufspreise erhöhen wollen vorerst nur 32 Prozent.
Die 13.700 Handwerksbetriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb erwirtschaften einen Umsatz von über 10,5 Milliarden Euro, beschäftigen rund 80.000 Mitarbeiter und bilden über 4.500 junge Menschen aus.
Den ausführlichen Konjunkturbericht 1/2022 finden Sie unter
www.hwk-reutlingen.de/konjunktur