Grundlage für diesen wissenschaftlichen Durchbruch war eine Beobachtung des MHH-Mediziners Prof. Nisar Malek: Er untersucht seit einiger Zeit die Rolle eines speziellen Proteins - eines so genannten Cyclin-Kinase-Hemmers - bei der Krebsentstehung. Dabei hat Malek festgestellt, dass Mäuse, bei denen er durch genetische Veränderung den Abbau des Kinase-Hemmers unterdrückt hat, ein deutlich verringertes Risiko haben, an Darmkrebs zu erkranken. "Ich brauchte also eine Substanz, die den Abbau des von mir untersuchten Proteins in den Krebszellen verhindert", umreißt Nisar Malek seine Schlussfolgerung:
"Dieses Molekül wäre mit großer Wahrscheinlichkeit ein gutes Krebsmedikament."
Mit seinen Überlegungen wandte Nisar Malek sich an Dr. Ronald Frank, Chemiker am HZI. Ronald Frank hat am HZI große Sammlungen von chemischen Substanzen erstellt, die mit automatisierten Verfahren schnell auf ihre biologische Wirksamkeit gestestet werden können. Für die von Nisar Malek untersuchte Problematik verabredeten die beiden, eine spezielle Zellline zu entwickeln, in der die Menge an Kinase-Hemmer durch einfache optische Methoden gemessen werden kann. Ronald Frank: "Zunächst haben wir diese Zellkultur, in der wir Stoffe daraufhin überprüfen konnten, ob sie den Abbau des Kinase-Hemmers verhindern, an unsere Automaten angepasst. Mit diesem so genannten Assay haben wir dann zahllose Substanzen getestet."
Myxobakterien liefern erneut potentielles Krebsmedikament
Fündig wurden Malek und Frank in einer Stoffsammlung, die ihre Tauglichkeit als Medikament bereits bewiesen hat: Sie speisten Naturstoffe in den biologischen Test ein, die im Boden lebende Mikroorganismen, die Myxobakterien, produziert hatten. Myxobakterien haben sich als wahre Fundgrube für potenzielle Medikamente erwiesen, produzieren sie doch auch Epothilon, einen Wirkstoff aus dem HZI. Dieser wurde im vergangenen Jahr in den USA als Krebsmedikament zugelassen.
"Der myxobakterielle Wirkstoff für unsere Fragestellung ist das Argyrin", so Ronald Frank.
Nach dieser Erkenntnis starteten Ronald Frank und Nisar Malek zusammen mit dem Chemiker Prof. Markus Kalesse von der LUH ein umfangreiches Forschungsprogramm, um herauszufinden, wie Argyrin chemisch hergestellt werden kann und wie es wirkt. Dabei stießen sie auf einen völlig neuen Mechanismus, der eine Veröffentlichung ihrer Ergebnisse sogar im Olymp der zellbiologischen Zeitschriften, dem Magazin "CancerCell" ermöglicht.
"Argyrin blockiert die molekulare Maschinerie der Zelle, mit der sie Proteine abbaut, die nicht mehr benötigt werden", erklärt Malek, "und damit natürlich auch den Abbau des fraglichen Kinase-Hemmers, dessen Fehlen Krebserkrankungen auslöst."
An Mäusen hat das Forscherteam die Wirkung des Argyrin bereits im Detail studiert: "Wenn wir krebskranke Tiere mit Argyrin behandeln", so Nisar Malek, "stellt der Tumor das Wachstum ein, er schrumpft um bis zu 50 Prozent und sein Inneres beginnt sich aufzulösen." Dabei seien bisher kaum Nebenwirkungen festgestellt worden. Die in CancerCell publizierten Ergebnisse betrachten die Wissenschaftler zwar als sehr wichtiges Ergebnis, das aber trotzdem nur ein Etappenziel sei: "Die Forschung an Argyrin geht mit Hochdruck weiter", sagt Markus Kalesse mit Enthusiasmus: "Wir Chemiker verändern bereits das Argyrin- Molekül in allen möglichen Details und schauen dann, ob sich seine Wirkung noch verbessern lässt. Solch eine optimierte Struktur wollen wir bald in die klinische Prüfung bringen."
Originalpublikation: Irina Nickeleit, Steffen Zender, Florenz Sasse, Robert Geffers, Gudrun Brandes, Inga Sörensen, Heinrich Steinmetz, Stefan Kubicka, Teresa Carlomagno, Dirk Menche, Ines Gütgemann, Jan Buer, Achim Gossler, Michael P. Manns, Markus Kalesse, Ronald Frank, and Nisar P. Malek: Argyrin A Reveals a Critical Role for the Tumor Suppressor Protein p27kip1 in Mediating Antitumor Activities in Response to Proteasome Inhibition. Cancer Cell 2008 14: 23-35.