Vor dem Hintergrund der neuen Gesetzgebung zur Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen standen auf der Tagung Fragen zur Wirtschaftlichkeit von Medizinleistungen im Mittelpunkt der Diskussion. Welche Medikamente haben welchen Nutzen, welches neu entwickelte Verfahren soll in die therapeutische Routine übernommen werden? Lässt sich die Patientenversorgung trotz immer noch steigender Kosten weiter verbessern?
Fortschritte in der biomedizinischen Forschung eröffnen neue Möglichkeiten für Prävention und Therapie und werden bei bestimmten Erkrankungen bereits außerordentlich erfolgreich angewendet. "Vor dem Hintergrund der globalen Veränderungen sehen wir eine deutliche Verschiebung der Krankheitslasten in Richtung komplexer chronischer Erkrankungen", betonte Prof. Dr. Günther Wess, Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer des Helmholtz Zentrums München. Dies stellt die Gesundheitssysteme vor neue Herausforderungen. Auch die reichen Länder, so Wess, gerieten durch Verharren in den alten Paradigmen in immer größere Schwierigkeiten mit ihren Gesundheitssystemen, weil sie den Patienten Innovationen nicht dauerhaft vorenthalten können. In diesem Kontext geht die Forderung auch an die Wissenschaft, kostengünstige Verfahren zu entwickeln, die allen Patienten den Zugang zu neuen medizinischen Leistungen ermöglichen. Das Helmholtz Zentrum München untersucht mit einem eigenen Institut für Gesundheitsökonomie Fragen der Wirtschaftlichkeit innovativer medizinischer Leistungen und Versorgungsansätze.
Gesundheit als Messgröße
"Medizinischer Fortschritt und demografischer Wandel tragen zu steigenden Gesundheitskosten bei schwindender Finanzierungskraft bei. Wir müssen deshalb unsere Gesundheitsversorgung stärker nach Aspekten der Effektivität und Wirtschaftlichkeit bewerten", forderte Prof. Dr. Reiner Leidl, Direktor für Gesundheitsökonomie am Helmholtz Zentrum München, in seinem Vortrag. Die dringlichste Herausforderung für unseren Forschungszweig besteht darin", so Leidl, "den Faktor Gesundheit als solchen quantitativ zu erfassen. Nach welchen Kriterien wird Erfolg in der Versorgung von Herzinfarktpatienten beurteilt? Wie lassen sich Schmerzen und Lebensqualität in Zahlen ausdrücken? Leidl stellte auf der Tagung Bewertungskriterien vor, welche Entscheidungsträgern und Leistungsanbietern als Basis dienen können.
Gesundheitswirtschaft boomt
Anhand aktueller Zahlen vermittelte Prof. Dr. Oberender von der Universität Bayreuth, Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie, das finanzielle Ausmaß der Problematik: "Die Gesundheitswirtschaft ist gegenwärtig mit 300 Milliarden Euro die umsatzstärkste Branche in Deutschland mit dem zugleich größten Wachstumspotential", so Oberender. Bis 2020 wird sich ihr Umsatz auf 540 Milliarden Euro erhöhen, knapp ein Viertel davon entfällt auf medizinischen Fortschritt. Angesichts dessen wird es, so Oberenders Prognose, zu einer Zweiteilung des Gesundheitswesens in eine Regelleistung für die Grundversorgung sowie eine durch Prämien und andere Modelle finanzierte Wahlleistung kommen. Die Kassen würden in Zukunft ein Qualitätsmanagement und ergebnisorientierte Honorierung stärker über selektive Verträge umsetzen. Um medizinische Innovationen auch in der Regelversorgung implementieren zu können, bedürfe es standardisierter Evaluierungsverfahren, so Oberender. Rationalisierung und Rationierung gewinnen sicher an Bedeutung.
Ökonomie contra Ethik?
Demgegenüber plädierte Pfarrer Dr. Heiner Aldebert, Theologe am Institut Technik, Theologie, Naturwissenschaften der Universität München für eine gerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen und dafür, bei der Behandlung von Krankheit und der Pflege von älteren und alten Menschen die Menschenwürde als Gut hochzuhalten. Es könne nicht angehen, so Aldebert, dass manchen Menschen notwendige Leistungen womöglich vorenthalten werden, um Kosten einzusparen.