Städte waren schon immer Orte, an denen das Neue in die Welt kam. Aber was genau macht sie zu Zentren von Innovation und Kreativität? Diese Frage beantwortet Dr. Walter Siebel, Professor an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, in einem Vortrag am Montag, dem 23. März, um 18:30 Uhr im Haus der Wissenschaft (Sandstraße 4/5, 28195 Bremen). Prof. Dr. Siebel gilt als einer der renommiertesten deutschen Stadtsoziologen mit internationaler Reputation.
Drei naheliegende und oft verwendete Erklärungen reichen nicht aus: Es sind weder die "kreative Klasse", noch die Kulturwirtschaft oder die öffentlichen Kulturinstitutionen allein, die eine Stadt auf neue Gedanken kommen lassen. Es braucht dafür mehr: Die ganze Stadt muss ihre Grenzen öffnen und überschreiten.
Kreative Städte sind auf notwendige wirtschaftliche, politische und rechtliche Voraussetzungen angewiesen: Markt, Demokratie und Rechtsstaat sind das Fundament, für künstlerische, wissenschaftliche und soziale Phantasie. Eine kluge Kulturpolitik wird vor allem dafür sorgen, dass diese Voraussetzungen gegeben sind. Darüber hinaus braucht es mentale Voraussetzungen, für die Soziologen den Begriff der "Urbanität" geprägt haben. Urban ist eine Stadt, die Fremde aufnimmt, ihnen Raum gibt, um unter sich bleiben zu können, zugleich jedoch die Kommunikation mit ihnen sucht. Urban ist eine Stadt, die sich aus einem zivilisierten Umgang mit Fremdheit irritieren und anregen lässt. Das kann mitunter unbequem sein - aber Kreativität lebt notwendigerweise von Spannung. Deshalb sucht eine urbane Kultur Differenzen, anstatt sie zu meiden. Gleichzeitig hält sie die Spannung zwischen den heterogen sozialen Gruppen in erträglichen Grenzen und moderiert Konflikte, damit die kreativen Energien nicht destruktiv wirken.
Für eine derartige Politik der Urbanität gibt es keine Ressortverantwortung. Sie bleibt eine Aufgabe der ganzen Stadt. Das macht die Herausforderung, eine kreative Stadt zu sein, so schwierig und so reizvoll.
Walter Siebel ist Universitätsprofessor für Soziologie mit Schwerpunkt Stadt- und Regionalforschung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. 2003 erhielt er - gemeinsam mit Hartmut Häußermann - den Schader-Preis, die höchstdotierte Auszeichnung für Gesellschaftswissenschaftler in Deutschland. Walter Siebel war Mitglied der Experten-Jury, die im Auftrag der Kultusministerkonferenz die deutschen Bewerbungen zur Kulturhauptstadt Europas 2010 begutachtet hat.