Prof. Dr. Jürgen Schwark von der Westfälischen Hochschule verwies zu Beginn der Tagung auf den veränderten Arbeitnehmertypus im Kontext des neoliberalen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft. Danach folgen mindestens 25 Prozent der Angestellten dem problematischen Modell des "Arbeitskraftunternehmers". Sie entwickeln hoch individualisierte Lebensstile, passen sich einer Verbetrieblichung der Lebensführung an und setzen auf zweifelhafte Hilfen der Selbstoptimierung. Sei "fit und schlank" ist nur eine der verinnerlichten neuen Mentalitätsmuster. Hohe Anpassungsbereitschaft an wechselnde Arbeitsanforderungen, Flexibilität und Schnelligkeit gehören ebenfalls dazu, so Prof. Dr. Schwark. Die nachvollziehbare Kritik muss sich auf die dauerhafte Ablenkung von den eigentlichen Problemlagen, auf die falschen Versprechen samt ihrer Nicht-Einlösbarkeit richten.
Auf den Umbruch der Erlebnis- und Gesundheitslandschaft ging der zweite Programmblock des Kongresses ein. Dr. Klaus Batz von der European Waterpark Association (EWA) zeigte exemplarisch den Wandel in der Bäderlandschaft in Deutschland auf. Die Rahmenbedingungen für den Betrieb öffentlicher Bäder werden immer schwieriger. Mit dem Angebot "Schwimmen" ist kein Geld (mehr) zu verdienen, so die These von Batz, und die 7000 öffentlichen Bäder in Deutschland befinden sich in einer gewaltigen Strukturkrise. Es gibt einen Sanierungsstau von 20 Mrd. Euro und einen jährlichen Zuschussbedarf von 3 Mrd. Euro. Die meisten kommunalen Einrichtungen setzen in dieser anhaltenden Existenzkrise auf eine falsche Angebotsprofilierung und Verkennen den Wandel beim Publikum: die Suche nach Glück und Erlebnis, Selbstoptimierung und Geselligkeit. Die kommerziellen Anlagen zeigen unter Marktbedingungen dagegen neue Wege auf: eine differenzierte Bäderlandschaft mit Thermen, Wasserparks und Saunawelten hat sich so in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt. Und einzelne Anlagen, wie die "Therme Erding" bei München, zeigen wie erfolgreich modernisierte Erlebnisbadkonzepte sein können. Allein für die Gastronomie wird hier ein Jahresumsatz von 17 Mio. Euro angenommen. Die Wünsche der Gäste zu erfüllen und zu übertreffen, ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. Die wachsende Gesundheitsorientierung in der Bevölkerung sind ein weiterer Motor für die Entwicklung neuer Angebotselemente und eine Chance für Badbetreiber.
Der dritte Programmblock beschäftigte sich mit der Entwicklung gesundheitsbezogener Perspektiven im Schnittfeld anderer gesellschaftlicher Systeme: Touristische Mobilität, Stadtwicklung und betriebliche Gesundheitsförderung. Prof. Dr. Kerstin Heuwinkel von der "Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes" zeichnete in diesem Zusammenhang aktuelle Entwicklungen im betrieblichen Gesundheitsmanagement nach und fragte nach der Bedeutung der "neuen Freizeit- und Ferienmacher". Von der Vorsorge am Arbeitsplatz bis zum Medizintourismus, bei dem Reisen für Operationen und Zahnbehandlungen unternommen werden, greifen heute Unternehmen mit ihren Strategien in das Alltagsleben der Menschen ein. Ein latenter Druck, seine Freizeit in bestimmter Weise zu gestalten, nämlich im Sinne des Unternehmens und der persönlichen Produktivität, entsteht. Immer mehr um sich greifende medizinische Tests könnten mit wachsenden Datenschutzproblemen verbunden sein. Zugleich suchen Betriebe den Kontakt zu externen Anbietern, entwickeln mit ihnen Programme der Gesundheitsvorsorge und der Suchtprävention. Akteure der Tourismuswirtschaft wie Hotels, Fitness- und Wellnessanbieter oder ganze Destinationen werden daher immer interessanter als mögliche Kooperationspartner und können ihrerseits von einer Zusammenarbeit profitieren.
Der vierte und letzte Komplex thematisierte Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung in Gesundheitsregionen und stellte die Erwartungen der Besucher von Naturlandschaften in den Mittelpunkt. Prof. Dr. Bernd Stecker und Lisa Heybrock von der Hochschule Bremen berichteten über erste Ergebnisse einer Nachhaltigkeitsbilanzierung für die Destination "Teutoburger Wald" in Ostwestfalen-Lippe. Untersucht wurden hier anhand von 60 Indikatoren soziale, ökologische und ökonomische Aspekte sowie die Implementierung eines übergreifenden Managementsystems. Die ersten Ergebnisse verweisen auf eine bedingt nachhaltige Entwicklung der Region hin. Notwendig zur Optimierung erscheint unter anderem eine konsistente Nachhaltigkeitsstrategie, orientiert an den inzwischen breit anerkannten globalen Nachhaltigkeitszielen.
In der abschließenden Plenumsdiskussion wurden vier Zukunftsaufgaben für eine "kritische Freizeitwissenschaft" im Problemfeld Gesundheit und Erlebnis zum Ausdruck gebracht:
· das Individuum stärken und kollektive Antworten auf neue gesellschaftliche Zumutungen finden;
· den Wandel begleiten: offen bleiben für die Wahrnehmung und Analyse neuer Phänomene, Strukturen und Paradoxien der Erlebnisgesellschaft;
· Brücken schlagen zur touristischen Mobilität, zur Stadtentwicklung und betrieblichen Gesundheitsförderung und
· neue Modelle für eine ökologisch verträgliche, sozial gerechte und gesundheitsförderliche Erlebnisgesellschaft entwickeln.
Prof. Dr. Renate Freericks dankte in ihrem Schlusswort im Namen der Veranstalter allen Förderern des Kongresses, insbesondere dem Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen der Freien Hansestadt Bremen und verwies auf die vielen Kontakte, die im Laufe der Tagung entstanden sind. Im anschließenden Arbeitstreffen des Netzwerks Freizeitwissenschaft wurde schon über mögliche Themen für den nächsten Freizeitkongress an der Hochschule Bremen im Jahr 2018 gesprochen. Mit dem Umbruch der Dienstleistungswirtschaft und einer weiteren Durchdringung des Alltags durch digitale Medien entstehen für gegenwärtige Generationen ganz neue gesellschaftliche Problemlagen: Verlust von Arbeit und Lebenssinn, Verfügbarkeit von mobilen Medien in ungeahntem Ausmaß sowie Erfassung und Überwachung immer weiterer Lebensaspekte. "Freizeit 4.0" könnte daher das Thema für 2018 sein, so der Wunsch vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer.