„Eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.“ So lapidar lautet die Überschrift in der Pressemitteilung des EuGH vom 14.07.2022. Indessen ist die Bedeutung der Entscheidungen für Betroffene des Abgasskandals als auch die deutsche Judikative und Exekutive kaum hoch genug einzuschätzen.
Rückrufe des KBA trotz Software-Lösungen
Eigentlich sollte die manipulierte Abgasreinigung von Millionen VW-Fahrzeugen mit einem einfachen Software-Update ohne großes Aufsehen behoben werden. Diese Software enthält ein sog. Thermofenster, das eine wirksame Abgasreinigung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad zulässt. Außerhalb dieses Fensters wird die Abgasrückführungsrate linear auf null gesenkt, was zu einer Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte führt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sah darin kein Problem und hatte das Software-Update samt Thermofenster genehmigt, das in Folge der Rückrufe aufgespielt worden ist. Diese bislang weit verbreitete Vorgehensweise dürfte seit heute Geschichte sein.
Machtwort aus Luxemburg
Denn die obersten Richter in Luxemburg sind dieser Handhabung nun aktuell mit Ihren Urteilen vom 14.07.2022, Rs.: C-128/20, C-134/20 und C-145/20 entschieden entgegengetreten. Bei der auch als Thermofenster bezeichneten Software-Lösung, die in verschiedensten Ausprägungen vorkommt, handelt es sich in aller Regel um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
Hierbei stellt der EuGH nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte vor allem in erfreulicher Deutlichkeit heraus, dass eine solche Abschalteinrichtung nur dann "notwendig" und damit ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn keine andere technische Möglichkeit zur Abwendung gewichtiger Risiken vorhanden gewesen ist. „Genau dies wird nicht zuletzt mit Blick auf allen Herstellern zur Verfügung stehenden Hardware-Lösungen in nahezu sämtlichen Fällen zu verneinen sein“, erläutert Rechtsanwalt Göpfert.
Infolge dieser Entscheidungen wird das KBA umgehend handeln und sämtliche Fahrzeughersteller zu Hardware-Lösungen auffordern müssen. Umgekehrt droht damit für sämtliche betroffene Besitzer von Dieselfahrzeugen erneut Ungemach. Die deutsche Rechtsprechung muss dem durch eine Ausweitung des Haftungsregimes umgehend begegnen.
Geschädigte aller Marken sollten jetzt handeln
Dies gilt umso mehr als der EuGH-Generalanwalt Rantos bereits mit seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 zur Rechtssache C-100/21 eine Bombe platzen ließ. Bei dem aus den Ausführungen des Generalanwalts folgenden Schadensersatzanspruch genügt einfache Fahrlässigkeit. Ein sittenwidriges - vorsätzliches - Handeln ist gerade keine Voraussetzung. Auch die deutschen Instanzgerichte, die der Rechtsprechung des BGH teils einigermaßen unreflektiert gefolgt sind, werden sich an dem zu erwartenden Urteil des Europäischen Gerichtshof zu orientieren haben. Damit wird es auch kaum noch möglich sein, berechtigte Ansprüche von Betroffenen des Dieselskandals mit dem oft ungeprüften Argument fehlenden Vorsatzes zurückzuweisen.