Der BGH hatte bereits Mitte 2020 bestätigt, dass VW für den berüchtigten Motor des Typs EA189 auf Schadensersatz haftet. In den zahlreichen Gerichtsprozessen bleibt aus der Sicht des Volkswagen-Konzerns daher nur noch der Versuch, sich mit der Verjährungseinrede der Schadensersatzverpflichtung zu entziehen. So erhob VW auch in dem dortigen Verfahren bereits in erster Instanz vor dem LG Halle die Einrede der Verjährung.
LG Halle: Kein Anspruchsverlust nach drei Jahren
Die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte vertrat demgegenüber wie stets, dass Schadensersatzansprüche bei Dieselmotoren des Typs EA189 auch heute noch durchsetzbar sind. Denn selbst, falls man einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB als verjährt erachten wollte, folgt die Haftung der Volkswagen AG doch jedenfalls aus § 852 Satz 1 BGB. Wer sich durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten eines anderen bereichert, muss noch zehn Jahre lang den daraus gezogenen finanziellen Vorteil als sog. Restschadensersatz zurückzahlen. Dieser im Einzelnen begründeten Rechtsauffassung folgte das LG Halle in seinem Urteil vom 07.06.2022 und sprach der durch die Nürnberger Rechtsanwälte vertretenen Klägerin Schadensersatz gemäß 852 BGB zu.
OLG Naumburg bestätigt mit Urteil vom 28.02.2022 Entschädigungsanspruch
Die Entscheidung des LG Halle wollte die Volkswagen AG nicht akzeptieren und legte Berufung ein - erfolglos. In dem Berufungsverfahren bestätigte das OLG Naumburg das Schadensersatzurteil des LG Kiel. Die Volkswagen AG wurde zur Zahlung von 27.339,05 € nebst Zinsen gegen Rückgabe des Kfz verurteilt. „Auch wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe des BGH zu den Urteilen vom 21.02.2022 noch nicht vorliegen, folgte das OLG Naumburg in seinem Urteil vom 28.02.2022 soweit ersichtlich als erstes Oberlandesgericht den Vorgaben des BGH zum Restschadensersatz“, berichtet der sachbearbeitende Rechtsanwalt Mirko Göpfert.
Die aktuelle Entscheidung des OLG Naumburg, 12 U 132/21, zeigt erneut, dass Besitzer eines vom Dieselskandal betroffenen VWs, die noch nicht gegen die Volkswagen AG geklagt haben, bei Neuwagengeschäften trotzdem Anspruch auf finanzielle Entschädigung haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Fahrzeug von VW direkt oder von einem Händler erworben wurde.
Die Voraussetzungen sind denkbar einfach:
- Fahrzeug verfügt über einen EA189 Motor
- Erwerb erfolgte vor dem 20.09.2015 als Neufahrzeug (ein ggf. danach erfolgter Verkauf ändert nichts an dem Anspruch)
- Erwerb (ggf. auch Zahlung des Kaufpreises) ist nicht länger als 10 Jahre her (Berechnung auf den Tag genau)
Wie in sämtlichen gerichtlichen Verfahren hatten die Anwälte von VW auch in dem Verfahren vor dem OLG Naumburg die Auffassung vertreten, dass bei dem Restschadensersatzanspruch ohnehin nur der Gewinn herauszugeben sei, der dann pauschal mit 600,00 € beziffert worden ist. Das OLG Naumburg entscheid im Einklang mit dem BGH demgegenüber völlig zu Recht, dass VW nicht nur den reinen Gewinn aus dem Verkauf herausgeben muss.
Stattdessen läuft es wie beim eigentlichen Schadenersatz. Geschädigte haben also einen Anspruch auf Erstattung des vollen Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer gegen Rückgabe des Autos. Jeder Erwerber eines Volkswagen Neufahrzeuges sollte sich daher umgehend Rat einholen und seine Ansprüche berechnen lassen. „Es geht hier meist um mehrere Tausend Euro, die Betroffene letztlich verschenken, wenn sie nichts unternehmen“, weiß Dr. Hoffmann aus der Praxis zu berichten.
In vielen Verfahren gegen die Volkswagen AG kommt es nach langjährigen Prozesserfahrungen der Nürnberger Rechtsanwälte auch gar nicht zu einem Rückabwicklungsurteil. Zahlreiche Fälle lassen sich schnell und unkompliziert mit einer Entschädigungsleistung zugunsten der betroffenen Erwerber lösen und die Fahrzeuge können behalten werden. Eine solche Regulierung kann vor dem Hintergrund der aktuell hohen Wiederverkaufspreise oft wirtschaftlich sinnvoll sein.
Fristen auch beim Restschadensersatz
Aber auch der Restschadensersatzanspruch gegenüber Volkswagen kann nicht grenzenlos geltend gemacht werden. Die Verjährungsfrist des Anspruchs aus § 852 BGB beträgt zehn Jahre. Die Frist wird taggenau ab dem Tag des Erwerbs berechnet, wobei auch ein Abstellen auf die - teils spätere - Kaufpreiszahlung juristisch gut vertretbar ist.
Wenn beispielsweise jemand ein betroffenes Auto am 19.04.2012 gekauft hatte, muss er spätestens am 19.04.2022 Klage einreichen. Nach diesem Zeitpunkt kann der Schadensersatzanspruch dann nicht mehr geltend gemacht werden. Es ist daher dringend zu empfehlen, jetzt zu handeln.