Der BGH hatte bereits Mitte 2020 bestätigt, dass VW für den berüchtigten Motor des Typs EA189 auf Schadensersatz haftet. In den zahlreichen Gerichtsprozessen bleibt aus der Sicht des Volkswagen-Konzerns daher nur noch der Versuch, sich mit der Verjährungseinrede der Schadensersatzverpflichtung zu entziehen.
Kein Anspruchsverlust nach drei Jahren
Die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte vertrat im Gegensatz zu manch anderer Verbraucherschutzkanzlei bereits seit Anfang 2020 entschieden den Standpunkt, dass Schadensersatzansprüche weiterhin durchsetzbar sind. Denn selbst, falls man einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB als verjährt erachten wollte, folgt die Haftung der Volkswagen AG doch jedenfalls aus § 852 Satz 1 BGB. Wer sich durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten eines anderen bereichert, muss noch zehn Jahre lang den daraus gezogenen finanziellen Vorteil als sog. Restschadensersatz zurückzahlen.
Oberlandesgerichte bestätigen Entschädigungsansprüche
Dieser im Einzelnen begründeten Rechtsauffassung folgte in letzter Zeit bereits das OLG Naumburg in seinem Urteil vom 28.02.2022, 12 U 132/21, und sprach einer durch die Nürnberger Kanzlei vertretenen Autobesitzerin trotz Verjährung des Anspruchs nach § 826 BGB vollumfänglich Schadensersatz gemäß § 852 BGB zu. Die Volkswagen AG wurde zur Zahlung von 27.339,05 € nebst Zinsen gegen Rückgabe des Kfz verurteilt. „Auch wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe des BGH zu den Urteilen vom 21.02.2022 noch nicht vorlagen, folgte das OLG Naumburg in seinem Urteil soweit ersichtlich als erstes Oberlandesgericht in Deutschland den Vorgaben des BGH zum Restschadensersatz“, berichtet der sachbearbeitende Rechtsanwalt Mirko Göpfert.
Aktuell bestätigte ein weiteres Oberlandesgericht Entschädigungsansprüche für Betroffene des VW Dieselskandals. Das OLG Schleswig entschied in seinem Urteil vom 15.03.2022, 7 U 170/21, unter Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 21.02.2022, VIa ZR 57/21, dass sich beim Neuwagenkauf die Bereicherung der deliktisch haftenden VW AG am Händlereinkaufspreis fortsetzt. Die Volkswagen AG wurde damit wegen der Manipulationen an dem Motor des Typs EA189 erneut zu Schadensersatz verurteilt.
Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte zeigen erneut, dass Besitzer eines vom Dieselskandal betroffenen VWs bei Neuwagengeschäften weiterhin Anspruch auf finanzielle Entschädigung gemäß dem sog. Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Fahrzeug von VW direkt oder von einem Händler erworben wurde. Damit ist die Volkswagen AG auch dann zur vollumfänglichen Zahlung von Schadensersatz verpflichtet, wenn der Anspruch wegen sittenwidriger Schädigung bereits verjährt ist. „Ebenso wie im Zusammenhang mit dem berühmten Widerrufsjoker bei Verbraucherdarlehen bestätigten die Gerichte damit einen „Restschadensersatz – Joker“ in den Dieselfällen, den Betroffene immer dann ziehen können, wenn VW die Einrede der Verjährung erhebt“, erläutert Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann.
Drei einfache Voraussetzungen des Restschadensersatz – Jokers
Die Voraussetzungen sind denkbar einfach:
- Fahrzeug verfügt über einen EA189 Motor
- Erwerb erfolgte vor dem 20.09.2015 als Neufahrzeug (ein ggf. danach erfolgter Verkauf ändert nichts an dem Anspruch)
- Erwerb (ggf. auch Zahlung des Kaufpreises) ist nicht länger als 10 Jahre her (Berechnung auf den Tag genau)
Wie in sämtlichen gerichtlichen Verfahren hatten die Anwälte von VW auch in den Verfahren vor dem OLG Naumburg und dem OLG Schleswig die Auffassung vertreten, dass bei dem Restschadensersatzanspruch ohnehin nur der Gewinn herauszugeben sei. Die Oberlandesgerichte entschieden im Einklang mit dem BGH demgegenüber völlig zu Recht, dass VW nicht nur den reinen Gewinn aus dem Verkauf herausgeben muss.
Stattdessen läuft es wie beim eigentlichen Schadenersatz. Geschädigte haben also einen Anspruch auf Erstattung des vollen Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer gegen Rückgabe des Autos. Jeder Erwerber eines Volkswagen Neufahrzeuges sollte sich daher umgehend Rat einholen und seine Ansprüche berechnen lassen. „Es geht hier meist um mehrere Tausend Euro, die Betroffene letztlich verschenken, wenn sie nichts unternehmen“, weiß Rechtsanwalt Mirko Göpfert aus der Praxis zu berichten.
In vielen Verfahren gegen die Volkswagen AG kommt es nach den langjährigen Prozesserfahrungen der Nürnberger Rechtsanwälte auch gar nicht zu einem Rückabwicklungsurteil. Zahlreiche Fälle lassen sich schnell und unkompliziert mit einer Entschädigungsleistung zugunsten der betroffenen Erwerber lösen und die Fahrzeuge können behalten werden. Eine solche Regulierung kann vor dem Hintergrund der aktuell hohen Wiederverkaufspreise oft wirtschaftlich sinnvoll sein.
Fristen auch beim Restschadensersatz
Aber auch der Restschadensersatzanspruch gegenüber Volkswagen kann nicht grenzenlos geltend gemacht werden. Die Verjährungsfrist des Anspruchs aus § 852 BGB beträgt zehn Jahre. Die Frist wird taggenau ab dem Tag des Erwerbs berechnet, wobei auch ein Abstellen auf die - teils spätere - Kaufpreiszahlung juristisch gut vertretbar ist.
Wenn beispielsweise jemand ein betroffenes Auto am 29.04.2012 gekauft hatte, muss er spätestens am 29.04.2022 Klage einreichen. Nach diesem Zeitpunkt kann der Schadensersatzanspruch dann nicht mehr geltend gemacht werden. Es ist daher dringend zu empfehlen, jetzt zu handeln.
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