Die Rechtsprechung dreht sich weiter zugunsten der vom Dieselskandal betroffenen Autobesitzer. Bundesweit geben immer mehr Gerichte den Geschädigten Recht. Neben einer Flut von landgerichtlichen Entscheidungen sehen auch die Oberlandesgerichte den Hersteller in jüngerer Zeit in der Verantwortung. In diesem Sinne entschieden das OLG München, Urteil vom 15.10.2019, 24 U 797/19, das OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019, 5 U 47/19, das OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019, 13 U 149/18, das OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019, 17 U 160/18, das OLG Köln mit Hinweisbeschluss vom 27.09.2019, 19 U 150/19, und das OLG Koblenz mit Urteil vom 12.06.2019, 5 U 1318/18. Die positiven Entscheidungen betrafen grundsätzlich Fahrzeuge, für welche das KBA bereits einen verpflichtenden Rückruf angeordnet hatte.
Viele Besitzer von Dieselfahrzeugen der Marken Mercedes, Audi, VW und Porsche, die keine Rückrufschreiben bekamen, meinen daher oftmals, dass ihr Fahrzeug von dem Dieselskandal verschont geblieben ist. Dies ist jedoch leider in vielen Fällen ein Irrglaube. „Gerade in letzter Zeit verdichteten sich die Anzeichen, dass auch bei diesen Fahrzeugen geschummelt worden ist. Im Prozess genügt es nach allgemeinen Grundsätzen die Tatsachen für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung substantiiert darzulegen und unter Beweis zu stellen“, weiß Rechtsanwalt Göpfert aus der Praxis zu berichten.
So berief sich auch in dem der Entscheidung des BGH vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, zugrundeliegenden Sachverhalt der Erwerber eines mit einem Motor des Typs OM651 ausgestatteten Mercedes-Benz unter anderem darauf, dass das KBA bereits bestimmte Modelle mit diesem Motor zurückgerufen habe und die Staatsanwaltschaft Stuttgart im Jahr 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingeleitet habe. Zum Beweis bot er die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Sowohl das LG Verden als auch das OLG Celle meinten, den Vortrag als Behauptung „ins Blaue hinein“ abtun zu müssen und hielten eine Beweisaufnahme für nicht erforderlich.
Dieser Vorgehensweise hat der BGH in seinem aktuellen Beschluss vom 28.01.2020 jetzt eine klare Absage erteilt. Obwohl der BGH wegen formaler Versäumnisse die Beschwerde des Klägers im Ergebnis zurückweisen musste, ließen es sich die Karlsruher Richter nicht nehmen, die Vorinstanzen mit deutlichen Worten zu rügen. Gerade vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Bescheide des KBA unter Verschluss gehalten werden, stellte der BGH völlig zu Recht fest, dass der Kläger keine genauen Sachkenntnisse haben könne, wie der streitgegenständliche Motor mit seinem Abgaskontrollsystem im Einzelnen funktioniere. Der Kläger habe jedoch genügend Anhaltspunkte vorgetragen, die seinen Vorwurf stützen.
„Wichtig ist insbesondere die Feststellung des BGH, dass entgegen der Auffassung so manch eines Gerichts greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht etwa erst dann gegeben sind, wenn das KBA bezüglich des Fahrzeugtyps eine Rückrufaktion angeordnet hat. Damit bestätigt der BGH unsere seit jeher vertretene Auffassung, dass bei hinreichenden Indizien auch Besitzer von Kfz, die noch kein Rückrufschreiben erhalten haben, mit guten Erfolgsaussichten Schadensersatz fordern können“, hält Rechtsanwalt Dr. Hoffmann fest.
Es zeigt sich also, dass durch die Entscheidung des BGH vom 28.01.2020 die Erfolgschancen für eine gerichtliche Inanspruchnahme der Autohersteller aufgrund des Dieselskandals weiter deutlich gestiegen sind. Gerade wenn Autobesitzer über eine Verkehrsrechtsschutzversicherung verfügen, die bereits vor dem Kauf abgeschlossen worden ist, besteht vielfach ohnehin kein Kostenrisiko. Aufgrund der Rechtsprechung des BGH werden sich Rechtsschutzversicherer zudem nicht mehr darauf berufen können, dass für das Vorliegen illegaler Abschalteinrichtungen angeblich nicht genügend Anhaltspunkte vorliegen.