Die mehr als vier Millionen Besitzer von neueren Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit der Abgasnorm Euro 6, in welchen der Nachfolge-Motor des berüchtigten EA189 mit der Bezeichnung EA288 verbaut worden ist, hofften oftmals noch, dass sie von dem VW-Dieselskandal verschont geblieben sind. Die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner hatte indessen bereits Anfang diesen Jahres darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Hinweise mehr und mehr verdichten, dass VW auch bei dem Nachfolgemodell EA288 erneut „getrickst“ hat. „In zahlreichen durch unsere Kanzlei gegen die Volkswagen AG geführten Gerichtsverfahren wurde unser Vortrag zu einer dem Grunde nach bereits aus den EA189-Motoren bekannten und nach dem gleichen Muster arbeitenden Zykluserkennung durch VW gar nicht in Abrede gestellt“, weiß Rechtsanwalt Dr. Hoffmann aus der Praxis zu berichten.
Dieser Verdacht hat sich nunmehr erhärtet. Unter dem Aktionscode 23X4 bittet VW derzeit viele Golf-Fahrer ihre Fahrzeuge zu einem autorisierten Volkswagen-Partner zu bringen, um im Rahmen einer freiwilligen und kostenlosen Service-Maßnahme ein Software-Update des Motorsteuergeräts vornehmen zu lassen. Dass Hintergrund für die aktuellen Schreiben das rund eineinhalb Jahre zuvor durch die Bundesregierung beschlossene „Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ vom 24.10.2018 oder der „Diesel-Gipfel“ aus dem Jahr 2017 sein sollen, ist nach dem Dafürhalten der Nürnberger Rechtsanwälte nicht so wirklich nachvollziehbar.
Wie bereits den Anschreiben des Kraftfahrt-Bundesamts und dem dort jeweils genannten Ansprechpartner „Bereich Marktüberwachung“ zu entnehmen ist, werden die Maßnahmen durch das KBA überwacht. „Daher liegt der Verdacht nahe, dass VW einen verpflichtenden Rückruf vermeiden will und in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt zunächst freiwillige Servicemaßnahmen durchführt. Falls es VW nicht gelingt, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Fahrzeuge im Rahmen der „Aktion 23X4“ mit einem Software-Update zu versehen, kann aus dem „freiwilligen Rückruf“ sodann auch schnell ein verpflichtender Rückruf werden“, meint Rechtsanwalt Göpfert.
Auch ansonsten lauern in den zunächst harmlos klingenden Schreiben erhebliche Gefahren. So berichteten viele Besitzer von Fahrzeugen mit dem Vorgängermotor EA189 von negativen Auswirkungen nach dem Software-Update, wie etwa nachlassender Leistung, einem erhöhten Spritverbrauch bis hin zu einer Versottung des Motors. Hinzu kommt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt bei den - derzeit - „nur“ von einer freiwilligen Servicemaßnahme betroffenen Modellen - jedenfalls bislang - keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hat. Anders als bei VW-Motoren des Typs EA 189 wäre bei den neueren Motoren des Typs EA288 im Zweifel durch eine Beweisaufnahme zu klären, ob und ggf. welche Manipulationen vorgenommen worden sind. Wenn das Software-Update bereits aufgespielt worden ist, dürfte es ungleich schwieriger werden, den Beweis zu erbringen.
Nachdem die Manipulationen bei Dieselfahrzeugen mit Motoren des Typs EA288 erst unlängst aufgedeckt worden sind, kann es natürlich noch nicht die „Urteilsflut“ wie gegen die Volkswagen AG in Bezug auf EA189-Motoren geben. „Die haftungsbegründenden Tatsachen sind indessen hier wie dort die gleichen“, stellt Rechtsanwalt Dr. Hoffmann klar. So stellte das OLG Köln bereits im Rahmen eines Verhandlungstermins am 12.09.2019 zum Az.: 15 U 234/18, heraus, dass die Implementierung einer Software zur Zykluserkennung in dem dort verfahrensgegenständlichen Motor EA288 zwischen den Parteien unstreitig sei. Vor diesem Hintergrund äußerte der Senat, dass nach seiner vorläufigen Rechtsauffassung eine Haftung von VW an sich nicht von der Hand zu weisen sei. Ebenso verhielt es sich in einem Verfahren vor dem LG Duisburg. In dem weitgehend unbekannten Urteil des LG Duisburg vom 30.10.2018, 1 O 231/18, wurde die Volkswagen AG im Hinblick auf ein ebenfalls mit einem EA288-Motor ausgestattetes Kfz, welches keinem offiziellen Rückruf unterlag, vollumfänglich zu Schadensersatz verurteilt.
Es zeigt sich also, dass sich Autobesitzer an freiwilligen Kundendienstmaßnahmen nicht vorschnell beteiligen, sondern unbedingt rechtlichen Rat einholen sollten. Nachdem auch hier Verjährungsfristen zu beachten sind, empfiehlt sich rasches Handeln. Gerade wenn Betroffene über eine Verkehrsrechtsschutzversicherung verfügen, die bereits vor dem Kauf abgeschlossen worden ist, besteht vielfach ohnehin so gut wie kein Kostenrisiko.