Der Volkswagen Konzern scheint den Dieselskandal abgehakt zu haben und blickt mit großem Optimismus in die Zukunft der Elektromobilität. Die Arbeitnehmer und Aktionäre des Großkonzerns wird es freuen. Was aber ist mit den unzähligen „kleinen“ Verbrauchern, die im Dieselskandal bislang noch kein Geld erhalten haben?
Ansicht des BGH: Haftung nur bei sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung
Viele meinen ohnehin keine Chance zu haben, nachdem die rechtlichen Hürden für eine Haftung des Herstellers vergleichsweise hoch sind. Denn nach Ansicht des BGH kommt eine deliktische Herstellerhaftung nur nach § 826 BGB in Betracht, die eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung voraussetzt. In vielen Verfahren konnten es die Gerichte zugunsten der Autobesitzer sogar unterstellen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Eine Haftung setzt nach Ansicht des BGH zudem voraus, dass die verantwortlichen Personen des Herstellers bei der Entwicklung bzw. Verwendung der jeweiligen Technik in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. „Genau dies wird oftmals mit Blick auf eine - angeblich - zweifelhafte Rechtslage im Zeitpunkt des Inverkehrbringens der Fahrzeuge verneint“, weiß Rechtsanwalt Göpfert aus der Praxis zu berichten.
Der Bundesgerichtshof hatte zudem bereits Mitte 2020 einen sog. Drittschutz der Normen der europarechtlichen Verordnung verneint und damit eine Haftung für fahrlässiges Handeln nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit europarechtlichen Normen ausgeschlossen.
EuGH-Generalanwalt: Fahrlässiges Handeln genügt
Der EuGH-Generalanwalt Rantos ließ mit seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 zur Rechtssache C-100/21 nun wahrlich eine Bombe platzen. Entgegen der Sichtweise des BGH schütze die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung sehr wohl die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Fahrzeugs, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben. Denn mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung versichere der Hersteller dem Erwerber, dass das von ihm erworbene Fahrzeug die Anforderungen des Unionsrechts erfüllt. Der Generalanwalt beim EuGH stellte zudem heraus, dass Erwerber eines Fahrzeugs mit einer solchen Abschalteinrichtung einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller haben müssen.
Chancen im Dieselskandal steigen weiter für Verbraucher
Die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte erwartet, dass der EuGH der Auffassung des Generalanwalts, wie so oft, folgen wird. Dies würde sodann eine ganz wesentliche Erleichterung bei der Inanspruchnahme von VW, Audi, Porsche, Fiat und anderen Herstellern wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen bedeuten.
Bei dem aus den Ausführungen des Generalanwalts folgenden Schadensersatzanspruch genügt einfache Fahrlässigkeit. Ein sittenwidriges - vorsätzliches - Handeln ist gerade keine Voraussetzung. Auch die deutschen Instanzgerichte, die der Rechtsprechung des BGH teils einigermaßen unreflektiert gefolgt sind, werden sich an dem zu erwartenden Urteil des Europäischen Gerichtshof zu orientieren haben. Damit wird es kaum noch möglich sein, berechtigte Ansprüche von Betroffenen des Dieselskandals mit dem oft ungeprüften Argument fehlenden Vorsatzes zurückzuweisen.
Diesel-Klagen lohnen sich weiterhin
Spätestens jetzt sollten Verbraucher Ihre Ansprüche gegen VW, Mercedes, Audi, Porsche, Fiat daher mit aller Konsequenz verfolgen. Derzeit herrscht der weit verbreitete Irrglaube, dass sich vor dem Hintergrund der explodierenden Gebrauchtwagenpreise ein Vorgehen gegen die Hersteller wirtschaftlich gar nicht mehr lohnt. Dabei hat der BGH t schon vor einiger Zeit den Weg eröffnet, sich einen Teil des Kaufpreises zurückzuholen und sein Auto zugleich behalten zu können. Bei diesen sog. „Minderungsklagen“ werden einfach bis zu 25 Prozent des Kaufpreises gefordert. Hiervon abgesehen verstößt nach der Auffassung des Generalanwalts Rantos eine den Schaden ausschließende Anrechnung der gefahrenen Kilometer gegen Europarecht.