Vor dem Hintergrund vielfältiger Fehler in Widerrufsbelehrungen, bzw. seit 2010 in sogenannten Widerrufsinformationen, beschränkte sich die Diskussion in der Vergangenheit häufig auf deren Überprüfung und die Problematik, ob sich die Banken auf die Schutzwirkung gesetzlicher Muster berufen können. „Dabei wird häufig verkannt, dass sich die Frage der ordnungsgemäßen Belehrung erst dann stellt, wenn die Widerrufsfrist dem Grunde nach zunächst überhaupt angelaufen ist“, erläutert Rechtsanwalt Dr. Hoffmann. Gesetzliche Voraussetzung hierfür ist, dass der Darlehensnehmer die Vertragsurkunde oder seinen Darlehensantrag zur Verfügung gestellt bekommen hat.
Gerade dies könnte aber in der Mehrzahl der Finanzierungen der letzten 15 Jahre zweifelhaft sein. „In jedem Einzelfall wird zu prüfen sein, welche Urkunde der Darlehensnehmer tatsächlich erhalten hat“, merkt Rechtsanwalt Göpfert an. Hintergrund ist die übliche Geschäftspraktik vieler Banken, entweder dem Darlehensnehmer nach Vertragsschluss den Vertrag nicht nochmals zukommen zu lassen oder aber die für den Darlehensnehmer bestimmte Urkunde von diesem nicht unterzeichnen zu lassen. „Die rechtliche Qualifikation als Vertragsurkunde setzt voraus, dass beide Parteien das Dokument unterzeichnet haben, beim Antrag des Darlehensnehmers muss dieser das Dokument gezeichnet haben“, erklären die erfahrenen Praktiker. Erst wenn dies der Fall ist, kann von einem solchen Dokument im Rechtssinn gesprochen werden. „Das allein reicht aber noch nicht, vielmehr muss der Darlehensnehmer sodann eines dieser Dokumente im Original oder in Abschrift auch zur Verfügung gestellt bekommen haben“, ergänzt Rechtsanwalt Dr. Hoffmann. Hierbei genügt es nicht, wenn der Darlehensnehmer das Dokument einfach nur besitzt, vielmehr muss er das Dokument von der Bank erhalten. Daran fehlt es häufig in der Praxis. „Banken verschicken die Vertragsunterlagen oft zur Gegenzeichnung durch den Kunden, versäumten dann aber, den tatsächlich gegengezeichneten Vertrag dem Kunden dann nochmals zur Verfügung zu stellen“, stellt Rechtsanwalt Göpfert klar. Erst hierdurch hätte die Widerrufsfrist überhaupt in Gang gesetzt werden können.
Nach den Erfahrungen der Nürnberger Rechtsanwälte ist bei einer Vielzahl von Darlehensverträgen davon auszugehen, dass der Fristanlauf noch nicht erfolgte. „Vertragsurkunde oder der Darlehensantrag des Verbrauchers müssen dem Darlehensnehmer tatsächlich zur Verfügung gestellt worden sein, wobei die Bank hierfür die volle Darlegungs- und Beweislast trägt“, weiß Rechtsanwalt Göpfert zu berichten. Rechtsanwalt Dr. Hoffmann ergänzt: „Betroffen sind dem Grunde nach alle Darlehensverträge seit 2002, wobei auch die zuletzt im Jahr 2016 eingeführte Ausschlussfrist für Finanzierungen vor Juni 2010 in diesem Fall unerheblich ist.“
Alle Darlehensnehmer, die ihre Verträge seit 2002 abgeschlossen haben, sollten ihre vollständigen Vertragsunterlagen daher weiterhin durch einen auf dem Gebiet des Bankrechts fachkundigen Rechtsanwalt sorgfältig prüfen lassen. Es bestehen in vielen Fällen gute Chancen, dass der Vertrag auch heute noch wirksam widerrufen werden kann.