Verfassungsrechtliche Zweifel bleiben bestehen
Die Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 sehen kein Kündigungsrecht mehr vor. Die Wirtschaftsprüfer - auch die der Gegner - haben während der Schlichtung festgestellt, dass es keinerlei Anhaltspunkte für ein Überschreiten der im Finanzierungsvertrag festgelegten Kostengrenze in Höhe von 4,528 Milliarden € gibt. Die Kostenangaben des Rechnungshofs sind veraltet und beziehen sich lediglich auf Vergleichsprojekte aber eben nicht konkret auf das Bahnprojekt Stuttgart 21. Sie sind daher deutlich wager als die der Wirtschaftsprüfer aus der Schlichtung, die konkret die Kosten des Bahnprojekts Stuttgart 21 prüften.
Zudem sieht § 8 Abs. 4 des Finanzierungsvertrages vor, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Gespräche über die weitere Finanzierung aufnehmen, sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellen, dass dieser Kostenrahmen nicht einzuhalten ist. Ein Kündigungsrecht nach § 2 Abs. 2 des Finanzierungsvertrages ist ausdrücklich ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass weitere Kostensteigerungen des Projekts Stuttgart 21 zu keinem Kündigungsrecht nach § 2 Abs. 2 des Finanzierungsvertrages führen.Mit der Kostenfrage kann der Ausstieg aus dem Finanzierungsvertrag derzeit also nicht begründet werden.
Grundsätzlich ist festzustellen: der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 besteht nicht mit der Regierung des Landes Baden-Württemberg, sondern mit dem Land Baden-Württemberg. Eine Regierung handelt immer nur als Organ des Landes. Das bedeutet, dass die Regierung an die Verträge der Vorgängerregierung gebunden ist. Ein Kündigungsrecht allein aufgrund eines Regierungswechsels kann daher auch nicht aus § 60 Landesverwaltungsverfahrensgesetz hergeleitet werden. Denn andere politische Mehrheiten stellen nichts anderes als eine Meinungsänderung dar und begründen daher keinen "Wegfall der Geschäftsgrundlage" im Sinne des § 60 LvwVfG.
Die Gesetzesbegründung hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs der Bahn ist nicht korrekt. Gemäß den §§ 249 ff. BGB, die auch für öffentlich-rechtliche Verträge Anwendung finden, muss die "vertragsbrechende" Partei den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn die Vertragsverletzung nicht eingetreten wäre, wobei richtigerweise auch unmittelbare Vorteile mit dem Schaden aufgerechnet werden müssen. Solche unmittelbaren Vorteile sind für die Bahn hier nicht ersichtlich. Die Behauptung, die Bahn müsse dann aber auch ihre eigenen Finanzierungsbeiträge nicht leisten, weshalb ihr kein Schaden entstehen würde, ist laienhaft. Zum einen muss der jetzige Kopfbahnhof ebenfalls renoviert werden, wofür die Bahn laut Schlichtung weit über ein Milliarde € veranschlagt - ohne Kapazitätserweiterung - zum anderen erspart sich die Bahn ja durch Stuttgart 21 gerade diese Investitionen bzw. investiert sie in das Projekt Stuttgart 21. Vom Schadensbegriff ist zudem ausdrücklich auch ein entgangener Gewinn erfasst, § 252 BGB.
Die von den Wirtschaftsprüfern bezifferten Ausstiegskosten von 1 bis 1,5 Mrd € sind daher auch aus juristischer Sicht durchaus nachvollziehbar. Für diese hätte das Land Baden-Württemberg aufzukommen.