Moorleichen und heidnische Rituale? Lauernde Gefahren? Sehr wahrscheinlich. Zumindest eher als an Wollgras und Widderchen. Moosbeere oder Scheckenfalter. Auch wir mussten uns mit den langläufigen Moorassoziationen auseinandersetzten, als wir die Konzeption für eine Dauerausstellung im Wurzacher Ried in Angriff nahmen. Es galt, eine "Geisterbahn" zu vermeiden und trotzdem die geheimnisvolle Spannung, die Mooren innewohnt, zu nutzen. Wir wollten eine Ausstellung konzipieren, die sich mit allen Facetten, natürlichen und menschlichen Aspekten, des Wurzacher Rieds auseinandersetzt.
Eine intensive Recherche und interne Workshops über diese besondere Naturlandschaft ergab folgendes Fazit: Es ist ein "Land der EXTREME"! Nicht etwa weil das "Wurzacher Ried" eines der größten und bedeutendsten Moorgebiete in Süddeutschland ist oder auch die größte intakte Hochmoorfläche in Mitteleuropa ist. Sondern vielmehr weil Moore EXTREM kraftvoll und vielgestaltig, EXTREM trickreich, spannend und gefährlich oder auch EXTREM kostbar, erholsam und EXTREM langsam sind. Die Leitidee war gefunden. Und die Themenbereiche ließen sich wunderbar nach diesem Ordnungsprinzip gliedern. Die thematische Klammer war schlüssig.
Insbesondere bot dieses Konzept die Möglichkeit, die Besucher auf emotionale Weise anzusprechen. Es konnten komplexe natürliche und geologische Zusammenhänge mithilfe spannender Geschichten und überraschender Präsentationsformen erklärt werden. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausstellung waren geschaffen. Das Konzept sprach die Besucher gleichermaßen inhaltlich und emotional an.
Allerdings betraten wir völliges Neuland - ein Neuland der EXTREME.
Die gestalterische Planung musste konsequent der inhaltlichen Gliederung folgen. Die Themeninhalte mussten schlüssig präsentiert werden. Die Eigenschaften des Moores deutlich hervortreten. Die Besucher sollten überrascht und fasziniert werden! ... Die Planer hatten eine anspruchsvolle Aufgabe.
Wie lassen sich die Sinnesebenen der Besucher "anders" ansprechen, als sie es erwarten? Und vor allem, wie lassen sich auch wirklich alle Besucher ansprechen? Denn auch Kinder und Jugendliche sollten auf ihre Kosten kommen.
Wir fanden uns schließlich in diesem Neuland zurecht. Und gingen EXTREM neue Wege.
Das Ziel: die Besucher sollten sich selbst als Teil der Ausstellung wahrnehmen, sich emotional in die Ausstellung einbinden lassen. Jedoch ohne Manipulation, sondern intuitiv. Die Kraft der Neugier, die in jedem Menschen steckt, wollten wir aktivieren. Wir mussten die Besucher in Zeiten moderner medialer Angebote "hinter dem Ofen hervorlocken".
Erster Ansatz: die räumliche Gestaltung der Ausstellung sollte die Besucher förmlich "ins Moor eintauchen" lassen. Sie sollten körperlich spüren, dass sie sich hier in einer vollkommen unbekannten Welt befinden. Es entstanden geschwungene Formen, organische und interaktive Elemente, wabernde Farbwelten, transparente Stoffe, ein tiefer gelegter Projektionsraum, der an den Abbau von Torf erinnert, Simulationen von Sonnenstrahlen im Moor und eine Soundwelt, die alles zusammenfügt.
Dies alles erforderte gründliche Planungen, nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch bezogen auf den begrenzten finanziellen Rahmen des Budgets.
In der Folge floss nicht nur EXTREM viel Hirnschmalz, sondern auch EXTREM viel Zeit in die weitere Planung des Projekts. Denn nicht nur das Moor war EXTREM langsam, sondern auch das Fundraising.
Die Eröffnung der Ausstellung verzögerte sich um ein ganzes Jahr. Doch diese Verzögerung bedeutete nicht etwa Stillstand. Ganz im Gegenteil. Es wurde auf Hochtouren weiter gearbeitet. Über ein Jahr lang wurde das Wurzacher Ried aus allen Blickwinkeln und zu jeder Jahreszeit und Wetterlage gefilmt und fotografiert. Zwei ansässige Kameraleute verbrachten Tage und Nächte im Ried. Für die EXTREME erfolgten aber auch Einsätze mit Highspeed-Kamera und ferngesteuerte Oktokopterflüge über das Ried. Extrem anstrengend wurde es auf Kahnfahrten im Riedsee, wenn der Regisseur forderte, man solle doch "gefälligst das Boot ruhig halten, wenn das noch etwas werden soll".
EXTREM leiden musste der Sound-, Geräusche- und Musik-Designer, bis eine Mischung hergestellt war, die sowohl biologisch / naturkundlich korrekt als auch ansprechend für die Besucher war.
Die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Fachingenieuren war zwar anfangs EXTREM reserviert - "die Innenarchitekten und Ausstellungdesigner pfuschen einem ja immer in's Handwerk und fordern sogar noch Löcher in der Bodenplatte...". Aber wie im Moor so hat auch im Projekt die EXTREM lange Zeit der Zusammenarbeit zu einem eingespielten Team von Spezialisten geführt. Alle Ideen wurden schließlich mit großem gemeinsamem Engagement verwirklicht. Die Gestaltung der Außenfassade, die tagsüber blickdicht und nachts transparent wird, ist beispielsweise ein Ergebnis dieser EXTREM guten Kooperation.
Am 17. April 2013 wurde die Ausstellung in einem feierlichen Rahmen eröffnet. Die Besucher- und Presse-Resonanz war seither überwältigend. Was bleibt also von den EXTREMEN Anstrengungen?
Eine außergewöhnliche Ausstellung. Sie bietet (fast) alles, was im Jahr 2009 konzipiert wurde. Eine gelungene Mischung aus Spannung und Spiel, Fakten und Fiktion, Lernen und Erleben.
Die vielschichtigen ökologischen Zusammenhänge des "Wurzacher Rieds" werden leicht verständlich dargestellt - an interaktiven Stationen, über außergewöhnliche Inszenierungen und mithilfe einfacher Illustrationen. Die Raumgestaltung und Lichtinszenierung ist das alles verbindende und tragende Element der Ausstellung:
· Ein schwebendes, farbig leuchtendes Ausstellungssystem mit wechselnden Farbstimmungen. Es symbolisiert die Zellenstruktur der Torfmoospflanzen. In das Netz aus "Tubes" sind alle Medien und interaktiven Exponate integriert.
· Der inszenierte zentrale Projektionsraum ist in den Boden eingelassen. Eine spiegelnde schwarze Wasserfläche unterstützt die multimediale Show. Durch die eindrucksvollen Bilder vom Moor aus wechselnden Perspektiven, zu unterschiedlichen Wetterlagen, Tages- und Jahreszeiten tauchen die Besucher ein in Moor.
· Durch die Außenhülle ist das Gebäude am Tag blickdicht verkleidet. Sie setzt optisch die Struktur der Torfmoospflanzen fort. In der Nacht wird sie durch die Innenbeleuchtung transparent.
· Die kleinen Gäste führt die Moorhexe "Calluna" durch die Themen. Über Kopfhörer begleitet sie die Kleinen durch das große Abenteuer Moor - humorvoll, fröhlich und mitunter auch etwas tapsig - auch den erwachsenen Besuchern zu empfehlen. Und wer es nicht glauben mag, den holen die Moorleichen!