Ob europäische Chemikalienverordnung REACH, ob EU-Feinstaubrichtlinie oder die verschiedenen Berufszugangsrichtlinien innerhalb der EU - an vielen Gesetzesinitiativen aus Brüssel erregen sich spätestens bei der Umsetzung in nationales Recht die Gemüter heftig. Die europäische Rechtsetzung gilt als praxisfern und überbürokratisch. "Aber die Kritik der Bevölkerung oder der Wirtschaft wird von Seiten der Bundesregierung gerne nach Brüssel verschoben. Nach dem Motto: wir sind überstimmt worden und machen kann man da auch nichts mehr", sagte Dr. Michael Römer, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt, beim gestrigen 4. Darmstädter Wirtschaftsforum der IHK.
Zum Thema "Brüssel oder Berlin - wer hat den Schwarzen Peter?" diskutierte vor über 100 Gästen im Großen Saal der IHK Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz (SPD), mit Dr. Matthias Ruete, Generaldirektor Energie und Verkehr der EU-Kommission, mit Dr. Heinrich Kolb, Mitglied des Bundestages (FDP) sowie mit Professor Dr. Reinhard Quick, VCI Geschäftsführer Verbindungsstelle Brüssel.
Zypries: EU-Recht muss handwerklich besser werden
Ministerin Zypries verteidigte die Rechtssprechung aus Brüssel: "Es geht um Anliegen, die auch den nationalen Parlamenten und Regierungen am Herzen liegen. Es geht um Produktsicherheit, Gesundheitsschutz und darum, Waren und Güter europaweit besser vermarkten zu können." Sie gestand aber auch ein, dass das EU-Recht "häufig unsystematisch und unübersichtlich ist" und forderte: "Es muss handwerklich besser werden!" Sie lobte aber das klar erkennbare Bestreben der EU-Kommission, die sich eine bessere Rechtsetzung und weniger Bürokratie ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben hat. Zypries kündigte an, dass die Bürokratielast für Unternehmen durch EU-Recht bis 2012 um ein Viertel verringert werden soll. Ansatzpunkt dafür sind 40 EU-Rechtsvorschriften, die für 80 Prozent der "eurobürokratischen Hürden" verantwortlich gemacht werden.
Diese Hürden kritisierte auch der Babenhausener FDP-Politiker Dr. Heinrich Kolb, der aber ebenso die "Brüssel mach doch mal-Mentalität" vieler deutscher Politiker bei unpopulären Themen anmahnte. Er warnte davor, die Brüsseler Behörde zur Durchsetzung unliebsamer nationaler Entscheidungen zu missbrauchen.
Binnenmarkt setzt gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle voraus
Dr. Matthias Ruete, Generaldirektor Energie und Verkehr der EU-Kommission, erinnerte an das wesentliche Ziel der EU, die Schaffung eines Binnenmarktes zugunsten der Unternehmen und Verbraucher. "Und dieser Binnenmarkt setzt gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen in allen EU Staaten voraus, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden." Er stellte fest, dass die deutsche Wirtschaft wie keine andere vom Binnenmarkt profitiert: Ein Großteil der deutschen Exporte geht in die EU. Aus seiner Sicht hat die Rechtsetzung auf europäischer Ebene dabei wesentlich zur Vereinfachung beigetragen.
Große Hoffnungen setzt das Podium auf den Vertrag von Lissabon, der nach Auffassung Ruetes "ein demokratischeres und transparenteres Europa schaffen wird, in dem das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente eine größere Rolle spielen, und in dem die Bürger mehr Möglichkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen."
"Wir sollten aufhören mit dem Schwarze-Peter-Spiel"
Einig waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde in einem Punkt, den Ministerin Zypries ansprach: "Wir sollten aufhören mit dem Schwarze-Peter-Spiel. Politik und Öffentlichkeit müssen lernen, auch innerhalb der EU gute Demokraten zu werden." IHK-Präsident Römer sprach es noch deutlicher aus: "Wir müssen unsere Interessen verstärkt einbringen, statt nur über Brüssel zu jammern."
Die Reden von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und von Matthias Ruete, Generaldirektor Energie und Verkehr der EU-Kommission finden Sie im Internet unter www.darmstadt.ihk24.de