Eigentlich waren die Pennäler ja zur jährlichen Waldputzete unterwegs, aber jetzt - kurzerhand eingeladen - konnten sie nicht nur eine Menge über Steine und die heimische Geologie lernen, sondern auch über den angemessenen Umgang von Menschen miteinander. Denn hier traf ein prominenter Kommunalpolitiker auf nicht minder hochrangige Vertreter der baden-württembergischen Naturstein-Industrie. Und die hatte mit ihrer Kritik an OB Palmer in ihrem jüngsten Jahresbericht nicht hinter dem Berg gehalten. Warum - so fragte man - müssen bei der Renovierung eines traditionsreichen Kleinods Steine von weither verbaut werden? Warum will man fürs alte Tübinger Rathaus Elbsandstein aus dem Raum Dresden nehmen, während der historisch richtige Stubensandstein vor der eigenen Haustür abgebaut werden kann? Ist das nachhaltig?
"Wer öffentlich kritisiert, der kann auch öffentlich loben!" So brachte es ISTE-Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger auf den Punkt. Denn das Tübinger Stadt-oberhaupt hatte sich nach der Kritik aus der Wirtschaft flexibel und offen gezeigt für die regionale Lösung. Den sächsischen Sandstein werden die Tübinger jetzt durch eigenen, schwäbischen ersetzen. "Ich wusste gar nicht, dass es den Stubensandstein hier gibt", räumte OB Palmer ein. Ihm sei mitgeteilt worden, dass der Pliezhausener Steinbruch geschlossen sei und das Material nicht mehr zur Verfügung stünde.
"Stimmt nicht!" konnte Albrecht Lauster korrigieren, zu dessen Unternehmen auch diese Abbaustätte gehört. "Wir bauen hier nur von Zeit zu Zeit und nur für ganz besondere Projekte ab." Insofern sei es schon etwas Besonderes, wenn man jetzt die Arbeiter im Steinbruch beobachten könne, wie sie mit ihrer riesigen Schwertsäge tonnenschwere Blöcke auslösen.
"Natürlich ist die Ökobilanz heimischer Produkte besser als die von weither transportierter Ware", stellte der Grünen-Politiker selbstkritisch fest. Kurze Transportwege sicherten eine möglichst hohe Nachhaltigkeit. Das gelte für Lebensmittel wie Obst und Gemüse genauso wie für Steine, meinte er, auch mit Blick auf sein junges Publikum.
Das wiederum staunte nicht schlecht, als Dr. Wolfgang Werner vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Einblick gab in die Hintergründe der regionalen Erdgeschichte. "Sandsteine, wie wir sie hier sehen, sind schon vor Jahrhunderten für den Bau der Münster in Ulm und in Freiburg verwendet worden, und auch für den Kölner Dom", erläuterte er. "Diesen Stubensandstein hier nennt man auch den 'Stein der schwäbischen Gotik'; er hat das Bild unserer historischen Bauten entscheidend geprägt." Aber nicht nur aus kulturellen Gründen sei es deshalb wichtig, heutzutage wieder auf das Originalmaterial zurückzugreifen, auch aus technischen. "Diese Steine vertragen sich bautechnisch am besten mit ihresgleichen", so Werner.
Auch diese Zusammenhänge hatte der Tübinger Oberbürgermeister im Sinn, wenn er sich über die Korrektur der ursprünglichen "Fehlentscheidung" jetzt freute. "Einen leicht höheren Preis kann auch eine Kommune in Kauf nehmen, wenn sie dafür Produkte von hoher Qualität und Langlebigkeit bekommt." Und Kinderarbeit, wie sie bei manchen Importsteinen aus Asien nachgewiesen wurde, sei bei Material aus der eigenen Region mit Sicherheit kein Thema. Palmer: "Wir haben richtige Schätze vor der Haustür. Wir wissen nur manchmal zu wenig von ihnen..."
Und so wurde für die Sechstklässler die Waldputzete im Pliezhäuser Forst doch ir-gendwie auch zu einer Schulstunde. Denn die Schüler haben bestimmt etwas dazu gelernt. Und - wie es scheint - das Tübinger Stadtoberhaupt auch.