Faktisch ist der Westen bereits in einer defensiven Verteidigungshaltung. Uns, dem Westen, entgleitet die Welt. Sie ist zu global, um sie noch beherrschen zu können. Es entstehen neue Machtzentren in dieser Welt. Wir, der Westen, aber leben noch geistig in der - bei aller Apokalyptik - irgendwie doch kuscheligen und materiell gut ausgestatteten Welt des Kalten Krieges. Der Westen als Sieger des Kalten Krieges hat gedacht, dass seine Werte sich nun auf der ganzen Welt durchsetzen werden - und steht verblüfft und ratlos vor der Tatsache, dass dem nicht so ist.
Im Gegenteil. Die Welt hat sich mehr verändert als wir - wir aber haben ein Geschwindigkeitsproblem, weil wir nicht erkennen, dass der Sieg im Kalten Krieg bereits Geschichte ist. Trotz, vielleicht sogar wegen des Internets (der vielleicht letzten bahnbrechenden Dominanz-Erfindung des Westens), ist der Westen seltsam ratlos.
Die Zeiten werden härter, zunächst einmal politisch und kulturell. Unterbewußt ist uns das schon klar, auch wenn wir weiter machen wie bisher. Man gewöhnt sich plötzlich wieder an etwas wie die NATO, die als reines Militärbündnis, noch dazu im Kalten Krieg, doch eigentlich schon tot zu sein schien. Schon das zeigt, dass wir uns wieder militarisieren. Russland und der IS sind dabei die derzeitigen Kernmobilisierungen, der erste Feind.
Aber nicht mehr lange. Die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass der Westen sich mit Russsland einigen wird. Eine gemeinsame Basis - etwa mit christlichen Grundwerten - wird diese Eingiung erleichtern, schon im Kalten Krieg hat das irgendwie funktioniert. Russland will als Führungsmacht der orthodoxen Welt anerkannt werden - und wenn der Westen dem zustimmt, wird es für alle Beteiligetn leichter. Denn die zukünftigen Grundkonflike laufen eher gegen andere Zivilisationen. Zunächst die militanten islamische Länder, dann aber vor allem mit China im ostasiatische Raum. Es werden harte Fakten sein, die den Westen mit China in Konflikt bringen werden - etwa das Ausgreifen Chinas in Ostasien.
Der Islam aber bleibt machtpolitisch zersplittert. Der IS ist der Versuch, das zu ändern. Nämlich endlich wieder einen mächtigen islamischen Kernstaat zu erschaffen, der sich gegen die Dominanz des Westens wehren kann. Er tut das in der Form des terroristischen Machtstrebens - das zeigt im Grunde schon seine Schwäche. Der Terror ist die Sprache jener, die sich im Besitz der einzig richtigen Kutlur und Religion wähnen, aber faktisch die Erfahrung machen, dass sie von westlicher Hochtechnologie, etwa in Form einer Drohne, einfach weggebomt werden können. Sie sind technologisch unterlegen, und die einzige Chance die sie haben, ist dieses Technologiedefizit zu verringern, um so wirklich als prägender Machtfaktor in Erscheinung zu treten.
Gleichwohl zwingt uns die Nicht-westliche Welt zur Neudefinition der eigenen Identität. Mit dem 11.September 2001 ist der Glaube verloren gegangen, dass die Welt immer besser wird. Seitdem hat der Westen Angst, zieht sich mehr und mehr auf sich selbst zurück. Das Internet erleichtert diesen Rückzug, weil der Kontakt mit der Rest-Welt mit dem Computer funktioniert und keine Reisen mehr erfordert. Es ist ein Rückzug ins Innere, der auch die Politik in Europa maßgeblich erfasst hat.
So zeigt der Siegeszug der AfD am letzten Wochenende, dass sich die Tektonik der Politik auch in Deutschland, dem derzeitigen Machtzentrum Europas, verschoben hat. Der Erfolg der AfD ist insofern von Relevanz, weil die AfD im Grunde die einzige Fundamentalopposition gegen die derzeitige Konsensgesellschaft ist, die in der Großen Koalition in Deutschland ihren logischen Ausdruck findet.
Die AfD hat in Deutschland das Potential, die erfolgreichste Bewegung seit Jahren zu werden - sie vereint Konservatismus und Euro-Skepsis. Die AfD hat sachlogisch recht, dass der Euro für Deutschland ein kaum zu kalkulierendes Haftungsrisiko darstellt - und erklärt damit aber faktisch den europäischen Einigungsprozeß für illegitim. Keine andere Partei wagt es auch nur, den Euro oder die EU wirklich fundamental in Frage zu stellen. Die AfD tut es - und zieht damit ein potentiell größer werdendes Klientel an.
Wie groß das Klientel ist, zeigt sich in Frankreich mit dem Front National, zuletzt in Schweden der Sieg von Rechtspopulisten, oder UKIP in UK (man vermeidet schon fast instinktiv das Wort "Großbritannien" angesichts der Schottland-Dramatik) - und viele andere. Der Ruck ins rechte Gefühlslager ist eine Folge des Bedürfnisses, diese Welt, die sich uns aufdrängt mit ihren Konflikten, irgendwie in die Schranken zu weisen. "Wir sind wir", das ist die Botschaft. Es ist ein Identitätsangebot in einer Zeit, in der der Westen, könnte man sagen, schon "hinter der Kurve" ist ("behind the curve"). Wir sind irgendwie zu spät dran, sind gezwungen uns zu definieren, obwohl wir das gar nicht mehr wollen. Was haben noch wir mit Religion zu tun? Es gibt im Westen weitgehend eine strikte Trennung zwischen Religion und Politik - und jetzt entsteht eine immer bedeutender werdender Gegentwurf dazu: Religion, Vorrang des Kollektivs vor dem Einzelnen - all das, was eigentlich unseren westlichen Prizipien entgegensteht.
In China etwa ist die Religion die Kommunistische Partei, weil es in der chinesischen Kultur nicht den westlich-messianischen Ewigkeitsanspruch gibt. Im Christentum dagegen, das den Westen geprägt hat, kommt ein Heiland auf die Welt, und diese Welt ist dann auf einmal völlig anders, als sie vorher war. Das ist die Grund-DNA der westlich-christlichen Welt. Auch deshalb glauben wir immer wieder an die geniale Inspiration, die geniale Erfindung, die alles vorher Dagewesene verändert. Gestalten wie Steve Jobs, Mark Zuckerberg etc., die genialen Erinder des Neuen, Welt-verändernden. Wir glauben an das Individuum, der Rest der Welt gibt dem Kollektiv den Vorzug. Der Nicht-Westen aber hält uns für Heuchler, die mit ihren angeblich universalen Werten nur ihre eigenen Interessen durchsetzen - und so ganz unrecht ist dieser Vorwurf nicht. In den Augen der nicht-westlichen Welt führt der Westen immer noch einen "Kreuzzug", sind wir Christen, obwohl uns selbst das Bewußtsein dafür schon fast abhanden gekommen ist. Alte Konflikte aus dem Mittelalter brechen wieder auf - sie waren nur durch den Kalten Krieg und den Sieg des Westens in der Folgezeit kaschiert.
Der Siegszug des Rechtspopulismus zeigt klar, wie sehr der Westen bereits in der Defensive ist. Es ist ein Phänomen des Machtverlustes, der Ratlosigkeit, der Identitätssuche. Das Schicksal des Westens und Europas wird davon abhängen, welche Antworten wir geben werden auf die Frage: "Wer sind wir?" Der Rechtspopulismus ist die erste große politische Strömung, die hier eine Antwort geben will. Hoffentlich bleibt es nicht die letzte - es bedarf nämlich intelligenterer Strategien, um in dieser globalen Welt bestehen zu können.
Schreibt Markus Fugmann Chefredakteur von Finanzmarktwelt.de