Die Lage: Im Jahr 2014 kamen 276.000 illegale Einwanderer in der EU an. Das ist ein Anstieg von 138 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 207.000 der Migranten erreichten die EU-Mitgliedsstaaten über das Mittelmeer, unter anderem in den fünfzehn ausgemusterten Viehtransportschiffen. Zwölf erreichten Italien, zwei kamen nach Griechenland, eins legte in Zypern an. Alle 15 Geisterschiffe legten in der Türkei ab. Dabei ist die Türkei bereits seit 1963 durch ein Assoziierungsabkommen an die EU gebunden. Seit 2005 werden konkrete Beitrittsverhandlungen mit Ankara geführt. Im November 2014 unterzeichneten die Aussenminister der Mitgliedsstaaten die "Khartoum- Erklärung", um die Kooperation zwischen der EU auf der einen und Herkunfts- sowie Transitländern von Flüchtlingen auf der anderen Seite zu intensivieren. Die Fluchtwege verlaufen jetzt auch durch die Türkei. Sie wird jedoch in der langen, von der italienischen Ratspräsidentschaft vorbereiteten Erklärung mit keinem Wort erwähnt. Wozu dienen eigentlich die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und die milliardenschweren Überweisungen von Steuergeldern aus Brüssel an den Bosporus, wenn die EU und ihre Mitgliedsstaaten doch nur vom guten Willen Ankaras abhängig werden? Will Ankara die EU über die Einwanderungsfrage erpressen?
Die Fragen dürften schwer zu beantworten sein. Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU verfolgt in der Flüchtlingspolitik keine gemeinsame einheitliche Politik. 22 Staaten teilen sich den Mittelmeerraum - und damit auch die Verantwortung für die Tolerierung der illegalen Immigration. Zu den von illegaler Einwanderung betroffenen Politikbereichen gehören Visumpolitik, Informationsaustausch, Rückübernahme- und Rückkehrpolitik, Grenzkontrolle, Maßnahmen beim Grenzübertritt, die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit und Europol, sowie Sanktionen. Die französische Ratspräsidentschaft begründete die Mittelmeer-Union, um die arabisch geprägten Mittelmeer-Anrainerstaaten noch enger an die EU zu binden und Kooperation in diesen Bereichen zu erleichtern. Nach den tragischen Vorfällen von Lampedusa in 2013 errichtete die EU eine "Mittelmeer-Taskforce". Italien zahlte aus seinem Staatshaushalt über 9 Millionen Euro monatlich für die Seenotoperationen des Programms "Mare Nostrum", um Flüchtlinge vor Italiens Küsten vor dem Ertrinken zu retten. Die Aufgabe des EU-Nachfolgeprogramms "Triton" ist jedoch nicht mehr die Seenotrettung, sondern die Sicherung der EU-Außengrenzen vor illegaler Einwanderung im küstennahen Bereich. Ihr monatliches Budget beträgt nur noch ein Drittel des Budgets von Mare Nostrum.
Die politische Debatte in Brüssel wird nicht immer ehrlich geführt. Das betrifft alle politischen Lager und Regierungszentralen. Um illegale Immigration zu bekämpfen, sollen jetzt alle Grenzen geöffnet werden, wird vorgeschlagen. Das ist etwa so effizient wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod, oder ein Sprung ins Schwimmbecken als Schutz vor Regenschauer. Das eigentliche Problem besteht aber darin, dass illegale Einwanderer, wenn sie erst in einem Mitgliedsstaat der EU angekommen sind, nicht wieder zurückgeschickt werden. Die Terrorgruppe "Islamischer Staat" hat das hilflose Gutmenschentum des alten Kontinents bereits erkannt. Sie droht, im Falle einer europäischen Militärintervention in Lybien die EU mit 500 Millionen illegalen Flüchtlingen zu überschwemmen, darunter auch Terroristen. Unabhängig davon, daß die Terrorgruppe dazu nicht in der Lage ist, zeigt das die Dringlichkeit des Problems und die Not der EU.