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Mehr Leistungen von Familien als Leistungen für Familien: wie die "Geldillusion" zur Transferausbeutung von Eltern führt - von Dr. Jürgen Borchert

(lifePR) (Sankt Augustin, )
Deutschland liegt nach amtlicher Lesart bei den Leistungen an Familien im internationalen Vergleich weit vorn. Die Bundesfamilienministerin verkündet die Summe von 184 Mrd.

Euro an Familienförderung, welche als Familienlasten- und -leistungsausgleich an Familien flössen. Das wären für jeden der ca. 10 Millionen Haushalte mit Kindern demnach 18.400 € pro Jahr. Intern geht man im Ministerium sogar von 154 Einzelmaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 232 Mrd. Euro aus. Gleichzeitig alarmieren Meldungen, dass mehr als jedes vierte Kind in Deutschland nach den neuen OECD-Kriterien unter Armutsbedingungen und damit unter extremem ökonomischem Stress lebt. Das gilt selbst für die vierköpfige Durchschnittsfamilie mit einem Vollzeitdurchschnittseinkommen von 30 000 € brutto (Tabelle 1). Auffallend ist auch, dass die Armut sich seit 1965 alle zehn Jahre verdoppelte, obwohl die Geburtenzahl sich seitdem halbiert hat. Wie reimt sich das alles zusammen?

[...] Tatsächlich sind die astronomischen Summen nicht Ausdruck der Lösung, sondern des Problems an sich. Sie entspringen nämlich dem herrschenden ökonomischen Denken, welches sich im Zuge der Industrialisierung ausgeprägt hat: Die räumliche und zeitliche Trennung von Haushalt und Erwerbssphäre, der Siegeszug der Markt- und Geldwirtschaft, das der Geldwirtschaft immanente chrematistische Prinzip, welches auf die Maximierung der Tauschwertproduktion ausgerichtet ist, und die hierarchische Anlage dieser Zweiteilung von Erwerbsarbeit und Privatem haben ein ökonomisches Informations- und Bewertungssystem geschaffen, in welchem die reproduktiven Leistungen systematisch unterdrückt wurden, weil dort keine Tauschwerte geschaffen werden. Die privaten Haushalte werden ex definitione nur als Orte des Konsums wahrgenommen und deren Wertschöpfung in ihrer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ignoriert. Im Rahmen dieser einseitigen Betrachtung sinkt das Bruttosozialprodukt beispielsweise, wenn der Junggeselle seine bisherige Haushälterin heiratet, ein Ergebnis, dessen Absurdität der Nationalökonom Friedrich List schon vor 150 Jahren auf den Punkt gebracht hat: "In dieser ökonomischen Betrachtung ist, wer Schweine erzieht, ein produktives, und wer Kinder erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft". Kinder sind reine Privatsache, Naturprodukte, die gratis sind. Wahrgenommen werden sie von den Rechenwerken der Ökonomie erst als fertiges Humankapital.

[...] In den gewaltigen Volumina, welche hierzulande als "Familienförderung" deklariert werden, kommt somit keine besondere Wertschätzung der Familien zum Ausdruck, sondern im Gegenteil die totale Nichtachtung dessen, was Familien tatsächlich sind und leisten - nämlich als Urproduzenten unseres Seins, unserer Fähigkeiten, unseres Wohlstands, unserer Sicherheit usf. zu wirken. Die Produktivität unserer Volkswirtschaft ist kein Naturgesetz, sondern sie ist das Endprodukt einer Produktionskette, die in den Familien mit der Erziehung lernfähiger Kinder beginnt. In gleicher Weise könnte man Bildung, Renten, Gesundheitsversorgung, Pflege, Freibeträge für jene 70 Prozent der Bevölkerung zusammenzählen, die aktuell keine Kinder zu unterhalten haben, und erhielte so spielend eine "Kinderlosenförderung" von über 500 Mrd. Euro! Auf die Idee kommt aber keiner. Wir haben es also in Bezug auf Familien mit einem gespaltenen Bewusstsein zu tun.

[...] Bildlich gesprochen: Der Staat ist kein Bauer und schafft selbst nichts. Wenn er ein Schlachtfest macht, muss er die Sau von irgendwo her nehmen. Gibt er den Familien drei Koteletts, sind diese kein Geschenk, wenn er die geschlachtete Sau der Familie zuvor gestohlen oder sie die Mast überwiegend getragen hat. Dann handelte es sich allenfalls um die teilweise Rückgabe von Diebesgut. Das Kindergeld ist genau das, weil der Staat hier im Wesentlichen das zurückgibt, was er sich zuvor über die Besteuerung des Kinderexistenzminimums geholt hat. Ungerecht wäre es auch, wenn andere womöglich noch mehr Koteletts erhielten, die für die Mast weniger oder gar nichts beigesteuert haben. So ist es nämlich bei den "Babyjahren" in der Rentenversicherung: Sie kaschieren nicht nur als Feigenblätter, dass Mütter in großem Stil um die Früchte ihrer Erziehungsleistungen geprellt werden, sondern werden obendrein zu hundert Prozent von den Kindern der bedachten Mütter selbst gezahlt; große Gewinner sind hier die, die wenig oder gar nichts in das Humanvermögen investiert haben, aber von den Kindern anderer Leute volle Rente kassieren.

[...] Erstmals mit diesen Fragen auseinandergesetzt habe ich mich im Rahmen des sog. "Trümmerfrauenverfahrens" beim Bundesverfassungsgericht anno 1992. Kern des Verfahrens war die "Transferausbeutung", sichtbar gemacht am Beispiel der neunfachen Mutter Rosa Rees, deren Kinder zusammen monatliche Beitragsleistungen zur Rentenversicherung in Höhe von über 7000 DM erbrachten (ohne "Arbeitgeberbeitrag"), die selbst aber nur eine Rente in Höhe von 260 DM erhielt. Die Gegenseite (VDR, LVA Baden und das BMAuS) argumentierten dabei mit den angeblich astronomischen Transfers, welche Familien doch erhielten. Diese Rechnungen konnten - wie im Urteil nachzulesen - widerlegt werden:
"Im Kern bleibt es auf diese Weise trotz der staatlichen Bemühungen um einen Familienlastenausgleich dabei, daß die Kindererziehung als Privatsache, die Alterssicherung dagegen als gesellschaftliche Aufgabe gilt. [...] Der von den Beschwerdeführerinnen in den Vordergrund gerückte Umstand, daß aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage Transferleistungen von Familien mit mehreren Kindern an die ohnehin schon besser gestellten Familien mit einem Kind und die Kinderlosen stattfinden, betrifft nicht nur das Rentenrecht, sondern darüber hinaus den Familienlastenausgleich im allgemeinen. Er erlaubt ... den Schluß, daß der Gesetzgeber den Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG 1 (Anm.: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung") bisher nur unvollkommen erfüllt hat. ... Unabhängig davon, auf welche Weise die Mittel für den Ausgleich aufgebracht werden, ist jedenfalls sicherzustellen, daß sich mit jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie tatsächlich verringert. Dem muß der an den Verfassungsauftrag gebundene Gesetzgeber erkennbar Rechnung tragen".

[...] Die hier zu beantwortende Frage nach der wichtigsten Anforderung an eine "Familienpolitik mit Zukunft" fällt nach allem leicht: Einfach das Grundgesetz achten und die Karlsruher Rechtsprechung umsetzen!

Dr. Jürgen Borchert ist Richter am hessischen Landessozialgericht. Der Aufsatz ist eine gekürzte Wiedergabe seines Vortrags "Mehr als schöne Worte?" - Familienförderung auf dem Prüfstand: Was für Familien wirklich getan wird", gehalten bei der Tagung "Familie im Wandel - Anforderungen an eine Familienpolitik mit Zukunft", die der Paritätische Wohlfahrtsverband im März 2008 in Potsdam ausrichtete. In Gänze ist der Vortrag abrufbar unter: http://www.der-paritaetische.de/...

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