Die Wirklichkeit aber ist komplizierter, wie die empirischen Trends zeigen. So ist zwar der Anteil der Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren, in denen allein der Vater erwerbstätig ist, seit den 1990er Jahren von ca. 40% auf ca. 30% zurückgegangen. Aber damit ist die "traditionelle Ernährerfamilie" immer noch weit verbreitet, etwa doppelt so häufig wie das egalitäre Doppelverdienermodell", in dem beide Partner in Vollzeit erwerbstätig sind. Nach diesem Doppelverdienermodell leben nur etwa 14% der Paare mit Kindern, in den 1990er Jahren waren es noch mehr als ein Fünftel [3]. Das erscheint zunächst paradox: Wie kann das egalitäre, vermeintlich "moderne" Modell an Verbreitung verlieren, obwohl doch die Erwerbstätigkeit von Müttern stark gestiegen ist? Der Grund dafür ist, dass erwerbstätige Mütter seltener als früher in Vollzeit beschäftigt sind. Spiegelbildlich zum Rückgang der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern verlief der Anstieg der Teilzeitarbeit, die zur Regel geworden ist: Mehr als zwei von drei erwerbstätigen Müttern arbeiten in Teilzeit [4]. Der Trend geht deshalb hin zum sog. "modernisierten Ernährermodell", in dem der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit erwerbstätig ist. Dieses Modell praktiziert eine relative Mehrheit (40%) der Paare mit Kindern, es ist die moderne Normalität [5].
Zur modernen Lebensrealität gehört leider auch, dass es nicht wenige Familie gibt, in denen keiner der beiden Partner Arbeit hat. Das betrifft ca. ein Zehntel der Paare mit Kindern, im Vergleich zu den 1990er Jahren ist der Anteil dieser Familien arbeitsloser Eltern deutlich gestiegen [6]. Hierin liegt ein zentraler Grund für die vieldiskutierte "Kinderarmut", die sich nach "herrschender Lehre" nur durch eine stärkere Müttererwerbstätigkeit bekämpfen lässt. Unterbelichtet bleibt dabei die Väterarbeitslosigkeit, die der entscheidende Grund für die Armut von Familien ist. Auch das ist aus dem Mikrozensus ersichtlich: "Nicht-traditionelle" Paare mit Kindern, in denen die Frau das Haupteinkommen erwirtschaftet, sind überproportional häufig in den unteren (Netto-)Einkommensgruppen vertreten [7]. Die Umkehr der traditionellen Rollenverteilung mit der Frau als "Ernährerin" ist offensichtlich weniger "progressiven" Beweggründen als vielmehr wirtschaftlichen Nöten geschuldet. Verdient der Mann hinreichend gut, dann treten auch jüngere Frauen oft beruflich kürzer, wenn Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen sind [8]. Dass diese gratis geleistete und in den Statistiken des Arbeitsmarkts ignorierte Familienarbeit viel Zeit und Mühe kostet, geben sogar Gleichstellungspolitikerinnen zu. Die Arbeit der Familienmanagerin wird paradoxerweise nur anerkannt, d.h. als entlohnenswert beziffert, wenn sie von Fremdpersonen und nicht von der Mutter geleistet wird.
Statt der Vollzeiterwerbstätigkeit beider Eltern propagiert die Bundesfamilienministerin nun die 32-Stunden-Woche. Das ist eine Nebelkerze, die zumindest Gewerkschafter durchschauen müssten: Einst kämpften sie für die 40-Stunden-Woche ("Samstags gehört Papi mir"), mit deren Lohn der Facharbeiter seine vierköpfige Familie ernähren konnte. Nach dem Schwesig-Modell aber sollen beide Eltern je 32, zusammen also 64 Stunden für den Unterhalt ihrer Familie arbeiten. Das passt zur Regierungsvorgabe, "alle Potentiale" für den Arbeitsmarkt "zu mobilisieren". Mit Emanzipation hat das wenig, mit Ausbeutung dagegen viel zu tun [9].
[1] Vgl.: Wer ist der "Ernährer" in Paarhaushalten? (Abbildung).
[2] Exemplarisch dafür: Renate Schmidt: Auslaufmodell - Alleinverdienerfamilie, S. 20-21, in: DFV-Familie 5/2011, S. 20. Eine eingehendere Kritik dieser Sichtweise: iDAF-Newsletter der Wochen 44-45: Das Glück der doppelten Vollzeiterwerbstätigkeit ist ein Märchen, http://altewebsite.i-daf.org/423-0-Wochen-44-45-2011.html.
[3] Vgl.: Familie und Beruf im Spiegel der amtlichen Statistik: Trend zum "modernisierten Ernährermodell" (Abbildung in iDAF-Nachricht der Woche, 2013/45-46, 10.11.2013, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2013/11/10/artikel/familienpolitik-ausbeutung-statt-nachhaltigkeit.html).
[4] Vgl.: Matthias Keller/Thomas Haustein: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ergebnisse des Mikrozensus 2012, S. 862-882, in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Wirtschaft und Statistik, Dezember 2013, S. 865. Eingehender hierzu: Nachricht der Woche, 2014 / 2, 19.01.2014, Arbeitszeit - Was Mütter und Väter wirklich wollen, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2014/01/19/artikel/arbeitszeit-was-muetter-und-vaeter-wirklich-wollen.html.
[5] Vgl.: Familie und Beruf im Spiegel der amtlichen Statistik, a.a.O.
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl.: Paareinkommen: Trend zu mehr Egalität? (Abbildung).
[8] Dementsprechend sind auch in den jüngeren Altersgruppen Männer meist die Hauptverdiener. Vgl. ebd. Zu den Unterschieden nach Lebensform sowie Ost- und Westdeutschland: Haupteinkommensbezieher in Paarhaushalten (Abbildung).
[9] Kritisch zu dieser Arbeitsmarktpolitik im Blick auf die Fertilität: Nachricht der Woche, 24.08.2012: Trotz dringender Appelle aus der Politik: Mütter wünschen sich Teilzeitjobs, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2012/08/24/artikel/trotz-dringender-appelle-aus-der-politik-muetter-wuenschen-sich-teilzeitjobs.html.