Richtig daran ist, dass die Teilzeitquoten in Deutschland sehr hoch sind, genau das aber ist charakteristisch für Länder mit hohen Frauenerwerbsquoten in Mittel- und auch in Nordeuropa. In manchen Ländern sind dabei in der Tat die Wochenarbeitszeiten länger, das betrifft auf den ersten Blick sowohl Frankreich als auch Schweden. In anderen Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden sind sie vergleichbar (2). In den Niederlanden ist Teilzeitarbeit noch deutlich häufiger und der Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen, gemessen in Vollzeitäquivalenten, ist deutlich niedriger als in Deutschland, wie OECD-Statistiken zeigen. Auch in Frankreich ist der Erwerbsumfang von Frauen geringer als in Deutschland (3). Ein Grund dafür ist, dass es in Deutschland mehr kinderlose Frauen gibt, aber auch Mütter sind bei uns nicht seltener, sondern häufiger erwerbstätig als westlich des Rheins. Anders ist die Lage in Schweden: Hier sind Erwerbsquoten und Erwerbsumfang von Frauen tatsächlich höher; nachdenklich machen sollte aber der Entwicklungstrend: In der letzten Dekade ist in Schweden das Beschäftigungsvolumen von Frauen zurückgegangen. Auch in anderen Ländern zeigt sich eine Abnahme des Beschäftigungsvolumens von Frauen. Deutschland ist mit einem deutlichen Anstieg eher die Ausnahme; vergleichbar dynamisch hat sich die Frauenerwerbstätigkeit sonst nirgends entwickelt (4).
Erstaunlicher noch ist die Arbeitsmarktrealität der Männer: Deutschland ist mit seinem Beschäftigungsaufbau in der Folge der Agenda-2010-Reformen ein echter Sonderfall. In praktisch allen anderen Ländern Westeuropas ist das Beschäftigungsvolumen der Männer deutlich zurückgegangen; besonders betroffen davon ist Südeuropa, wo in der Krise die Beschäftigung dramatisch eingebrochen ist (5). Deutschland erscheint da als eine „Insel der Seligen“ und ist auch deshalb zum Zuwanderungsmagneten in Europa geworden. Auch in Deutschland wächst aber die Beschäftigung nicht in den Himmel: Im langfristigen Vergleich ist das Beschäftigungsvolumen deutlich gesunken – eine Folge der Technisierung, mit der menschliche Arbeit wegrationalisiert wurde. Mehrere Millionen Vollzeitstellen sind seit den 1980er Jahren verloren gegangen – darunter zu leiden hatten vor allem Männer in manuellen Berufen, die als „geringer qualifiziert“ gelten (6). Im Jargon der Sozialwissenschaften werden sie als „Modernisierungsverlierer“ bezeichnet; dagegen sind Wissenschaftlerinnen wie die oben zitierte Autorin „Modernisierungsgewinner“. Sie haben einen Job, in dem sie sich selbst verwirklichen können, zumindest manchmal. Den wollen sie für Kinder allenfalls kurzzeitig unterbrechen und die Kinderbetreuung deshalb „outsourcen“. Zudem profitieren sie von der Lohnersatzleistung des Elterngeldes und begrüßen verständlicherweise den Paradigmenwechsel der letzten Dekade (7). Weniger verständlich ist es, warum sie Leistungen wie das Betreuungsgeld so rigoros ablehnen. Ist das versteckter Egoismus? Gerade Akademiker sollten doch die Pluralität der Familienmodelle anerkennen. Und gerade vom Elterngeld profitieren längst nicht alle gleichermaßen, ausgerechnet kinderreiche Familien sind benachteiligt (8). Für sie wäre ein Betreuungsgeld, wie es das auch in Frankreich gibt, hilfreich (9). Vor dem Bundesverfassungsgericht hat das keine Rolle gespielt – zum Schaden der Familien.
(1) Michaela Kreyenfeld: Was soll denn dieser Vereinbarkeitspessimismus? Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.08.2015, http://www.faz.net/....
(2) Eurostat: Durchschnittliche normalerweise geleistete Wochenarbeitsstunden in Haupttätigkeit, nach Geschlecht, Stellung im Beruf, Vollzeit-/Teilzeittätigkeit und Wirtschaftszweigen, Abruf im August 2015.
(3) Vgl.: Frauenerwerbstätigkeit in Europa (Abbildung).
(4) Rückgänge im Erwerbsvolumen verzeichnen vor allem nordische Länder sowie die Eurokrisenländer Griechenland, Portugal und Irland. Vgl. ebd.
(5) Selbst in wirtschaftlich so erfolgreichen Ländern wie der Schweiz und Schweden ist das Erwerbsvolumen der Männer zurückgegangen, in den Krisenländern Spanien, Portugal, Griechenland und Irland ist es um mehr als ein Zehntel zurückgegangen. Vgl.: Weniger Männererwerbstätigkeit in Europa (Abbildung).
(6) Vgl.: iDAF-Nachricht der Woche, 2014/1 vom 05.01.2014, hier insbesondere die Abbildungen „Rückgang des Arbeitsvolumens als säkularer Trend“ und „Strukturwandel des Arbeitsmarktes“.
(7) Eingehender hierzu: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert, Wiesbaden 2014, S. 288 ff. („Familienmodelle, politische Präferenzen und Interessenkonflikte“).
(8) Vgl.: Elterngeldansprüche nach Kinderzahl (Abbildung). Eingehend zur Elterngeldthematik: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder, a.a.O., S. 316 ff.
(9) Siehe hierzu: https://www.caf.fr/....