Politiker, die wie der frühere Bundespräsident Horst Köhler (3) das demographische Problem als eine „Chance“ oder als „Lösung“ für andere Probleme darstellen und für Zuwanderungen statt für die Förderung von Familien mit Kindern eintreten, führen das Land sehenden Auges in eine Sackgasse und sorgen dafür, daß das Problem dauerhaft ungelöst bleibt. Denn mit ihrem Eintreten für mehr Zuwanderungen lenken sie von der Hauptursache des Demographieproblems ab: Die umlagefinanzierte Gesetzliche Renten- Kranken- und Pflegeversicherung in Deutschland prämiert Kinderlosigkeit, bestraft Familien mit Kindern und sorgt auf diese Weise dafür, daß das Niveau der Geburtenrate auf Dauer zu niedrig bleibt. Durch die Privilegierung des kinderlosen Teils der Gesellschaft wird das oberste Verfassungsprinzip jeder Demokratie, die Gleichheit aller vor dem Gesetz (4), verletzt. Dies gefährdet den sozialen Frieden und diskreditiert die Demokratie als Gesellschaftsform.
Mit Zuwanderungen können bestenfalls bestimmte Folgen des demographischen Problems wie die Arbeitskräfteknappheit in bestimmten Berufen bekämpft werden, aber an der Verfassungswidrigkeit des Sozialen Sicherungssystems können Zuwanderungen nicht das Geringste ändern, im Gegenteil, durch die Zuwanderung entstehen weitere Ungerechtigkeiten in den Herkunftsländern der Migranten. Denn die Eltern der Migranten haben von den in Deutschland entrichteten Beitrags- und Steuerzahlungen ihrer Kinder gar nichts, sie profitieren nur von deren privaten Überweisungen. Auf staatlicher Ebene gibt es keine Kompensationszahlung zwischen den Sozialen Sicherungssystemen der Ziel- und Herkunftsländer. Die systematische Kompensation eigener demographischer Defizite durch Zuwanderungen Jüngerer aus weniger entwickelten Ländern sind eine Art demographischer Kolonialismus, die den Zusammenhalt der Zuzugs- und Herkunftsländer inner- und außerhalb der Europäischen Union untergraben.
Zugewanderte Arbeitskräfte unterstützen durch ihre Überweisungen in die Heimatländer zwar ihre Angehörigen, und sie erleichtern dadurch den Herkunftsländern das Überleben, aber dem steht ein immenser Schaden gegenüber, weil dies die Ausbeutung der armen durch die reichen Länder nicht ändert, sondern perpetuiert. Statt Arbeitskräfte in die reichen Länder zu holen, um dort Arbeitsplätze zu besetzen, sollten die Investitionen aus den reichen Ländern in die armen gelenkt werden, um dort die fehlenden Arbeitsplätze zu schaffen, zumal dies volkswirtschaftlich für beide Ländergruppen wesentlich vorteilhafter wäre, und weil die internationale Mobilität des Kapitals viel höher und mit geringeren wirtschaftlichen (sowie sozialen und menschlichen) Kosten verbunden ist als die Mobilität der Arbeitskräfte.
Angesichts der gegenwärtig besonders hohen Zuwanderungen von Flüchtlingen und Asylsuchenden fragen sich viele, ob das demographische Problem Deutschlands jetzt gelöst sei. Natürlich können die hohen Zuwanderungen, falls sie von Dauer sind, Deutschlands Bevölkerungsschrumpfung stoppen oder sogar in ein Wachstum umkehren, wie es zur Zeit geschieht. Aber das wäre keine Lösung unseres demographischen Hauptproblems, sondern eine Verschärfung von dessen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Denn das Hauptproblem besteht darin, daß das Verhältnis aus der Zahl der zu versorgenden Älteren und der Zahl der Personen im Erwerbsalter (= Altenquotient) auch bei hohen Zuwanderungen jüngerer Menschen in Zukunft wahrscheinlich auf mehr als das Doppelte zunimmt (5), so daß unsere Sozialen Sicherungssysteme funktionsunfähig werden und das Wirtschaftswachstum erlahmt.
Wollte man dieses entscheidende Verhältnis durch die Zuwanderung junger Menschen konstant halten, dann müßten, wie die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen für Deutschland berechnet hat, im Zeitraum 2000-2050 rund 182 Millionen Menschen mehr nach Deutschland zuwandern als abwandern, jedes Jahr also netto 3,6 Millionen. Diese Menschen mit Arbeitsplätzen zu versorgen, wäre unmöglich, aber als Arbeitslose würden sie mehr Probleme schaffen als lösen. 2015 werden voraussichtlich nicht 3,6 Millionen, sondern "nur" ein bis zwei Millionen netto zuziehen. Die Zugezogenen sind zwar jünger als die Einheimischen und senken den Altenquotienten geringfügig, aber weil sie zu einem wesentlich höheren Prozentsatz erwerbslos sind als die Einheimischen, öffnet sich die Schere zwischen der Zahl der zu Versorgenden und der Zahl der inländischen Erwerbstätigen durch die Zuwanderungen weiter, statt sich zu schließen.
Fazit: Durch die hohen Zuwanderungen werden sich die Auswirkungen von Deutschlands Demographieproblem nicht verringern, sondern sogar verschärfen.
(1) Altenquotient = Verhältnis aus der Zahl der über 65jährigen zur Zahl der 15 bis 64jährigen.
(2) United Nations Population Division, Replacement Migration: Is It a Solution to Declining and Ageing Populations? New York 2011.
(3) Rede von Bundespräsident Horst Köhler bei der Konferenz „Demographischer Wandel“ am 6. Dezember 2005 in Berlin. In: Bundespräsidialamt, Pressemitteilung vom 6.12.2005, S. 5. Warum die zitierte Stelle, die in der Pressemitteilung enthalten ist, in der späteren Dokumentation der Rede weggelassen wurde, ist nicht bekannt.
(4) „Trümmerfrauenurteil“ vom 7.7.1992 und Urteil zur Pflegeversicherung vom 3.4.2001.
(5) Bei dieser Betrachtung spielt neben der Größe der Altersgruppen auch der Prozentsatz der Erwerbstätigen an einer Altersgruppe eine wichtige Rolle (= Erwerbsquote). Da die Erwerbsquote der Zugewanderten deutlich niedriger ist als die der Einheimischen, nimmt der so differenzierte Altenquotient besonders stark zu.