Wechselspiel biologischer und psychosozialer Faktoren
Es gibt unterschiedliche Annahmen, wann und wie Depressionen entstehen. Die möglichen Ursachen und Einflussfaktoren sind vielfältig. Unbestritten ist, dass das sogenannte Vollbild einer Depression aus einem komplexen Zusammenspiel biologischer und psychosozialer Faktoren entsteht. Es gibt Hinweise, dass eine veränderte oder verminderte Übertragung bestimmter Botenstoffe im zentralen Nervensystem eine Rolle spielt. Hier setzen die meisten medikamentösen Therapien an. Bei der vergleichsweise neuen Wirkstoffklasse der SNRI sollen gleich zwei dieser Botenstoffe (Neurotransmitter) beeinflusst werden: Sie hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin.
Hersteller stellen unveröffentlichte Daten zur Verfügung
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden insgesamt 80 klinische Studien, die sie in die Bewertung einbeziehen konnten. 16 verglichen Duloxetin (Hersteller: Lilly) mit einem Scheinmedikament oder einem anderen Antidepressivum, 62 stellten Venlafaxin (Hersteller: Wyeth) in derselben Weise auf den Prüfstand, zwei Studien verglichen die beiden Wirkstoffe direkt miteinander. Die Hersteller der beiden untersuchten Präparate (Lilly und Wyeth) stellten umfangreiche bisher unveröffentlichte Daten zur Verfügung.
In diesen Studien wird der Effekt der Medikamente zumeist anhand von Skalen gemessen, bei denen Patienten und/oder medizinisches Personal die Veränderung der Symptomatik dokumentieren. Zielgrößen der Nutzenbewertung des IQWiG waren neben der Veränderung von depressionsbedingten Beschwerden und Begleitsymptomen wie Angst, Schmerz oder Schlafstörungen, auch die Sterblichkeit, Suizidalität, Lebensqualität, Umgang mit Alltagssituationen (soziales Funktionsniveau) sowie unerwünschte Arzneimittelwirkungen.
Patienten sprechen auf beide Substanzen besser an als auf Placebo
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen dabei zu der Schlussfolgerung, dass in der Akut-Therapie Patientinnen und Patienten auf beide Wirkstoffe besser ansprechen als auf ein Scheinmedikament. Die Beschwerden werden stärker gelindert und verschwinden bei einigen sogar so weit, dass sie die Kriterien für die Diagnose "Depression" nicht mehr erfüllen. Was die Prävention von Rückfällen betrifft, gibt es zumindest einen Hinweis, dass Betroffene von Duloxetin und Venlafaxin mehr profitieren als von einem Scheinmedikament. Im Unterschied zu Duloxetin gibt es bei Venlafaxin auch Belege, dass das Medikament wirkungsvoller vor dem erneuten Auftreten von Beschwerden einer Depression schützt (Rezidivprophylaxe) als Placebo. Im direkten Vergleich zwischen Venlafaxin und Duloxetin erweist sich kein Medikament dem anderen überlegen in Hinblick auf die Linderung der depressionsbedingten Beschwerden.
Betrachtet man die gesundheitsbezogene Lebensqualität, ist für Duloxetin ein Vorteil im Vergleich zu Placebo nachgewiesen, für Venlafaxin nicht. Werden die Substanzen direkt miteinander verglichen, zeigt sich jedoch kein relevanter Unterschied. Im Vergleich zu einem Scheinmedikament verbessern beide Wirkstoffe zudem die Fähigkeiten der Patienten, den Alltag zu bewältigen (soziales Funktionsniveau).
Venlafaxin hat begrenzten Zusatznutzen gegenüber anderen Antidepressiva
Im Vergleich mit einer anderen Substanzklasse von Antidepressiva, den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), zeigt Venlafaxin einen Vorteil: Es lindert depressive Beschwerden besser als die Vergleichsmedikamente. Dies gilt allerdings nicht für Duloxetin.
Bei Nebenwirkungen Unterschiede sichtbar
Die Untersuchung der unerwünschten Arzneimittelwirkungen ergab: Im direkten Vergleich ist Venlafaxin Duloxetin überlegen, da weniger Patienten die Therapie wegen Nebenwirkungen abbrachen. Beide Substanzen schneiden hier aber schlechter ab als SSRI.
Wenig Einfluss auf begleitende Symptome der Depression
Hinsichtlich der Begleitsymptome der Depression, wie Angst, Schmerz oder Schlafstörungen, zeigt sich in den eingeschlossenen Studien nur ein relevanter Unterschied: In der Venlafaxin-Gruppe litten Patientinnen und Patienten weniger unter Angstzuständen als in der Placebo-Gruppe. Bei den anderen untersuchten Begleitsymptomen konnte dagegen für keine der beiden Substanzen ein relevanter Effekt festgestellt werden. Das gilt sowohl für den Vergleich mit einem Scheinmedikament als auch für den Vergleich mit anderen Antidepressiva.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG Anfang Dezember 2008 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht Ende Juni 2009 an den Auftraggeber versandt. Eine Dokumentation der schriftlichen Stellungnahmen sowie ein Protokoll der mündlichen Erörterung werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.
Dieser Abschlussbericht ist Teil eines Auftragspakets zu Antidepressiva:
In einem getrennten Bericht untersucht das IQWiG zudem die Wirkstoffe Bupropion, Mirtazapin und Reboxetin.
Einen Überblick über Hintergrund, Vorgehensweise und weitere Ergebnisse des Abschlussberichts gibt folgende Kurzfassung:
http://www.iqwig.de/...