Bis zum 30. November 2011 können interessierte Personen und Institutionen schriftliche Stellungnahmen zu diesem Vorbericht abgeben.
Auswirkungen für COPD-Patienten stehen im Mittelpunkt
Tiotropium ist ein sogenanntes Anticholinergikum zur Behandlung von COPD, bei der die Atemwege dauerhaft verengt und die Lunge geschädigt ist. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch chronischen Husten, vermehrten Auswurf und Atemnot bei Belastung. Etwa jeder zehnte bis zwanzigste Erwachsene über 40 Jahre hat COPD, die damit weit häufiger ist als Asthma. Männer stellen die große Mehrheit der Patienten, nur etwa ein Viertel sind Frauen. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Rauchen und COPD, weshalb COPD umgangssprachlich auch als "Raucherhusten" bezeichnet wird.
Zielkriterien der vorliegenden Nutzenbewertung waren neben Symptomen, akuten Verschlechterungen (Exazerbationen) und der Notwendigkeit von Krankenhausaufenthalten in deren Folge u. a. auch Sterblichkeit, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen.
Placebovergleich zeigt Vorteile für Patientinnen und Patienten
Bei ihrer weltweiten Suche nach klinischen Studien und systematischen Übersichtsarbeiten fanden die Kölner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insgesamt 25 relevante Studien.
Die 20 Studien, in denen Tiotropium mit einem Placebo verglichen wurde, ergaben Belege für einen Nutzen in Bezug auf Exazerbationen und auf Krankenhausaufenthalte wegen Exazerbationen sowie für die körperliche Gesundheit als Teilbereich der Lebensqualität. Diese Belege gelten für beide Inhalatortypen.
Hinweise auf einen Nutzen von Tiotropium ließen sich ebenfalls für beide Inhalatoren feststellen in Bezug auf die Symptome und die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Atemprobleme. Für die Einnahme des Wirkstoffs mit dem HandiHaler gibt es einen weiteren Nutzenhinweis hinsichtlich der Sterblichkeitsrate von Ex-Rauchern.
Ergebnisse aus Vergleichen mit anderen Wirkstoffen
In 8 Studien wurde Tiotropium auch mit anderen Wirkstoffen, nämlich Formoterol, Indacaterol, Ipratropium und Salmeterol, verglichen. Deren Ergebnisse gelten nur für den Inhalator HandiHaler, weil für den Respimat nur placebokontrollierte Studien vorlagen.
Belege für einen Zusatznutzen von Tiotropium in Bezug auf Exazerbationen und Krankenhausaufenthalte in deren Folge ließen sich gegenüber Salmeterol in der Standarddosis 100 µg feststellen. Wie Tiotropium im Vergleich zu Salmeterol in höherer Dosierung abschneidet, wurde nicht untersucht. Hinsichtlich der Exazerbationen ergab sich auch ein Beleg für einen Zusatznutzen im Vergleich zu Ipratropium, das im Gegensatz zu Tiotropium und Salmeterol kurzwirksam ist und daher öfter eingenommen werden muss.
Verglichen mit Indacaterol gab es bei einer bestimmten Dosierung allerdings einen Anhaltspunkt für einen geringeren Nutzen von Tiotropium in Bezug auf die Symptome und die Lebensqualität.
In Bezug auf weitere patientenrelevante Kriterien wie körperliche Belastbarkeit, Sterblichkeit und Erkrankungsrate an Herz-Kreislauf-Krankheiten sowie Nebenwirkungen (unerwünschten Ereignissen) ergab sich aus diesen Studien für Tiotropium kein Unterschied hinsichtlich Nutzen oder Schaden im Vergleich zu den untersuchten Therapiealternativen.
Die zusätzliche Gabe von Tiotropium zu einer COPD-Medikation (Formoterol bzw. Salmeterol und Fluticason) im Vergleich zur Gabe dieser Medikation ohne Tiotropium untersuchten nur 2 Studien. Aus den Ergebnissen ließen sich keine Unterschiede in Nutzen oder Schaden durch die zusätzliche Gabe von Tiotropium ableiten.
Zahlreiche Studien vorhanden, aber kein direkter Vergleich der Inhalatoren
Die weltweite Recherche zum Thema wurde ergänzt durch Anfragen bei pharmazeutischen Herstellern nach weiteren, auch unveröffentlichten Studien. Boehringer Ingelheim, Sponsor zahlreicher Tiotropium-Studien, lieferte dem IQWiG alle angeforderten Daten und weitere Zusatzinformationen.
Obwohl alle Studien gut konzipiert waren, ließen sich die Ergebnisse teilweise nicht zuverlässig interpretieren, weil beispielsweise zu viele Studienteilnehmer bei der Auswertung nicht berücksichtigt wurden. So ergaben sich auch schwächere Nutzenaussagen wie "Hinweise" bzw. "Anhaltspunkte" statt "Belege".
Keine der Studien verglich die beiden Inhalatoren direkt miteinander: Zum Respimat lagen 4 ausschließlich placebokontrollierte Studien vor, alle anderen wurden mit dem HandiHaler durchgeführt. Deshalb wurden die jeweiligen Ergebnisse für die beiden Inhalatoren aus den placebokontrollierten Studien miteinander verglichen. Die Effekte unterschieden sich jedoch nicht, so dass die Nutzenbewertung auf Basis der placebokontrollierten Studien grundsätzlich auch für den Respimat gilt. Die Nutzenbewertung auf Basis der Studien mit Medikamentenvergleich gilt dagegen nur für den HandiHaler.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Zu diesem Vorbericht können bis zum 30. November 2011 Stellungnahmen abgegeben werden. Den vorläufigen Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im April 2010 vorgelegt und um Stellungnahmen gebeten. Diese wurden zusammen mit einer Würdigung und dem überarbeiteten Berichtsplan im August 2010 publiziert. Stellungnahmen zu dem jetzt veröffentlichten Vorbericht, der unter Einbindung externer Sachverständiger entstand, werden nach Ablauf der Frist gesichtet. Sofern diese Fragen offen lassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen. Danach wird der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht an den Auftraggeber G-BA weitergeleitet.
Unabhängig vom Vorbericht finden Sie auch eine allgemeinverständliche Gesundheitsinformation des IQWiG zu "Chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen – COPD" online.